Umstrittene Traditionen mit Pferden

Spektakel auf Kosten der Pferde?
4 umstrittene Traditionen mit Pferden

Zuletzt aktualisiert am 21.06.2023
Überholte Reittraditionen
Foto: Luis Diaz Devesa / Gettyimages

Welche Veranstaltungen, Feste und Traditionsritte sollten Tierfreunde besser meiden? Wir beleuchten Hintergründe und Abgründe, zeigen wo Tierschützer derzeit für mehr Tierwohl kämpfen und wo sie bereits Erfolge feiern konnten. Außerdem schauen wir mit Fachleuten auf Techniken, die aus traditionellen Reitweisen stammen – und heute noch in Gebrauch sind.

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Überholte Reittraditionen
Luis Diaz Devesa / Gettyimages

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Rodeos: In Deutschland fehl am Platz

Kommentar von CAVALLO-Autorin Alena Brandt

Viele Traditionen und Bräuche mit Pferden sind im heutigen Kontext nicht mehr vertretbar, denn sie fügen Tieren teils unnötigen Stress und Leid zu. Als Pferdefreund möchte ich keine Inszenierungen sehen, bei denen es um Kampf und Unterwerfung geht. Mich macht es glücklich, wenn ich echte Verbindung zwischen Mensch und Pferd erleben darf. Das sieht oft unspektakulär aus, aber geht direkt ins Herz.

Tradition aus der Arbeitsreitweise: Ist Hobbeln überholt?

Viele moderne Reitweisen sind ebenfalls aus Traditionen gewachsen. Welche Aspekte im Training basieren auf Traditionen, sind aber heikel? Derzeit heiß diskutiert ist das Hobbeln. Die Technik stammt aus der Gebrauchsreiterei. Dabei bindet der Reiter dem Pferd die Beine zusammen und schränkt die Bewegungsfreiheit ein. In der Prärie stellten Viehtreiber so sicher, dass ihr Pferd nicht weglief. Die Technik führte ein Pferdetrainer vor Kurzem auf einer Messe vor – und geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. "Wir sollten solche Themen sachlich diskutieren und diese im Kontext betrachten", sagt Peter Kreinberg, der reitweisenübergreifend Pferde und Reiter ausbildet. "Hobbeln ist ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Verfahrensweisen der Bewegungseinschränkung an den Beinen. Was in einer Arbeitsreitweise sinnvoll sein kann, muss es nicht auch für Freizeitreiter hierzulande sein." Laut dem Ausbilder sollten Reiter gut überlegen, welche Techniken aus der Vergangenheit und aus anderen Reitkulturen sie übernehmen.

Die Arbeitsreitweisen aus Amerika waren Lebensformen: Die Menschen verbrachten oft 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr mit ihren Pferden zusammen. "Das kann heute kaum noch ein Reiter nachvollziehen." Peter Kreinberg gibt zu bedenken: Egal, was wir mit Pferden tun – wir müssen sie systematisch auf Anforderungen vorbereiten. So minimieren Reiter auch Gefahren. Kein Cowboy hätte einem unerfahrenen Pferd in der Prärie die Beine zusammengebunden und wäre einfach gegangen. Das Pferd wäre danach nicht mehr nutzbar. "Ich kann auch kein unerfahrenes Pferd vor eine Mauer stellen, es daran anbinden und allein lassen", sagt der Ausbilder. "Das wird aber in Deutschland oft gemacht – und nicht hinterfragt. Dabei passieren auch häufig Unfälle."

Innerhalb des Kontextes der traditionellen Arbeitsreitweisen konnten Techniken wie die des Hobbelns sinnvoll sein, meint Kreinberg. Allerdings: Als eine sicher und sorgfältig gestaltete Lernsituation und als ein Puzzle-Teil in der Ausbildungsphase. Von einem erfahrenen Ausbilder korrekt vorbereitet, könne ein Pferd lernen, dass die Bewegungsfreiheit zeitweilig eingeschränkt ist. "Hier in Deutschland hat so eine Technik als Fixierungsmaßnahme keine Notwendigkeit. Und falsche Anwendung kann an Körper und Psyche der Tiere Schaden anrichten."

Welche Traditionen wieder aufleben sollten

Peter Kreinberg lernte die Iberische und die Altkalifornische Reitweise bereits in den 1970er und 1980er Jahren kennen: Er verbrachte Zeit in Nordamerika und in Andalusien auf Ranches. Was er dort erlebte: Reiter lebten einen klaren Verhaltenskodex. Es ging weniger darum, was die Reiter mit den Pferden machten – sondern wie sie es taten. "Finesse war das oberste Ziel. Grobheiten jeder Art waren verpönt. Diesen Kodex nahmen die Menschen quasi mit der Muttermilch auf." Wer gegen den Kodex im Pferdetraining verstieß, von dem wandte sich die Gemeinschaft ab. Die Leute drehten sich einfach weg und gingen. Teils gab es auch klare Ansagen. Fehler waren erlaubt, aber ständige Wiederholungen nicht. So regulierte sich das System. Grobe Handlungen am Pferdemaul etwa waren ein No-Go.

Pferdegerechte Umgangsformen sind auch in der H.dv.12 definiert. Auf dieser Reitvorschrift des preußischen Heeres baut die aktuelle deutsche Reiterei auf "Die wird aber auch nicht immer im Sinne der Tradition umgesetzt", so Kreinberg.

Was sich aber aus der Gebrauchsreiterei in die Freizeitreiterei sinnvoll übertragen lässt, ist der Naturtrail: Einfache Hindernisse wie Stangen überwinden, vom Pferd aus ein Tor öffnen, durch Flatterband reiten – das bereitet Pferde auf die Anforderungen im Gelände vor.

Es gibt also durchaus Dinge, die aus der Vergangenheit wiederbelebt und in die heutige Reiterei übersetzt werden können. Aber so manchen Brauch braucht keiner mehr.

Reitkünste und Reitlehren als Kulturerbe

Die Unesco nimmt als immaterielles Kulturerbe auch lebendige Traditionen mit Pferden auf, die als erhaltungswürdig eingestuft worden sind.

Die klassische deutsche Reitlehre steht nun im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Die feierliche Auszeichnung findet im Juli 2023 in Potsdam statt. Die Reitlehre sei eine jahrhundertealte Kunst- und Handwerksform und orientiere sich an der Kreatur und an der Natur. Übrigens: 2022 wurden bereits die Trakehner als erste Pferdezucht von der Unesco anerkannt.

Die Spanische Hofreitschule in Wien mit der Hohen Schule und die klassische Reitkunst führen seit 2015 den Kulturerbe-Titel. Öffentliche Vorführungen und mündliche Überlieferungen des Wissens und Pferdeausbildung gehören dazu.

Die französische Reitkunst des Cadre Noir in Saumur ist seit 2011 Kulturerbe. Sie lege Wert auf Harmonie und pflege den Austausch zwischen Generationen.