Welche Veranstaltungen, Feste und Traditionsritte sollten Tierfreunde besser meiden? Wir beleuchten Hintergründe und Abgründe, zeigen wo Tierschützer derzeit für mehr Tierwohl kämpfen und wo sie bereits Erfolge feiern konnten. Außerdem schauen wir mit Fachleuten auf Techniken, die aus traditionellen Reitweisen stammen – und heute noch in Gebrauch sind.

Wildpferdefangen: Nötig oder überflüssiger Stress?
In Sabucedo in Spanien ziehen seit Jahrhunderten einmal im Jahr Männer in die Berge und treiben die Wildpferde zum Scheren und Einfangen der Junghengste ins Dorf. „Rapa das Bestas“ nennt sich das Spektakel. Übersetzt aus dem Galizischen heißt das so viel wie: Das Scheren der Bestien. Das Problem: Die Tradition artet oft aus. Viele der Treiber sind alkoholisiert, sie schwingen sich auf die dicht an dicht in einem Ring festgehaltenen Pferde, zerren an den Haaren der Tiere und schneiden ihnen Schweif und Mähne ab. Dafür ernten sie donnernden Applaus von den Tribünen. Für die Pferde sei das ja nur ein Schreck und nicht der „Tod am Nachmittag“ wie beim Stierkampf – so schreibt das Internetportal „spanien-reisemagazin.de“. Das stimmt nicht ganz: Viele der eingefangenen Junghengste landen beim Schlachter. Zudem werden Stuten und Fohlen bei der Treibjagd oft stundenlang voneinander getrennt, was Stress bedeutet. Und den Tieren fehlt nach dem Treiben Langhaar zur Insektenabwehr. Nach einigen Stunden ist das Spektakel vorbei und die Stuten kehren zurück in die Berge, wo sie wieder ein Jahr lang Ruhe haben.
Auch in Deutschland gibt es Wildpferdefangen. In Dülmen werden jedes Jahr Junghengste aus der Herde gefangen. Ist das nötig? „Ja, der Merfelder Bruch ist zwar groß, aber dennoch begrenzt. Daher muss der Bestand reguliert werden, um den Pferden ein harmonisches Leben in der Herde zu ermöglichen“, sagt Dr. Andreas Franzky, Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. So wild wie in Spanien geht es in Dülmen nicht zu. Dennoch: Auch das Dülmener Wildpferdefangen stand schon in der Kritik. „Die Veranstalter haben sich daraufhin Hilfe von Fachleuten geholt.“ Die Fänger erhielten Schulungen, wie sie die Tiere möglichst schonend und stressfrei fangen können. Dabei geht es um Feingefühl und nicht um ein Kräftemessen mit dem Tier. Eine sicher zeitgemäße Entwicklung.
Karneval und Co.: Pferde auf Straßenfesten
Zwischen Tradition und Tierschutzrelevanz bewegt sich in Deutschland auch der Karneval. Lärm, Gedränge und Wurfmaterial: Für die Tiere in Straßenumzügen und für die Menschen drumherum bestehen unkalkulierbare Risiken. Mittlerweile gibt es strenge Auflagen: Pferde dürfen etwa nicht mehr in der Nähe von Musikkapellen laufen und müssen am Anfang oder am Ende des Zuges platziert werden. Veterinärämter kontrollieren auch den Ausbildungs- und Trainingszustand der Pferde. Es hat immer wieder Zwischenfälle gegeben, bei denen Pferde vor Erschöpfung oder übermäßigem Stress zusammengebrochen sind. „Diesen Worst-Case will keiner – auch nicht die Veranstalter. Immer mehr entscheiden sich mittlerweile für Umzüge ohne Pferde, das wird auch die Zukunft sein“, meint Dr. Andreas Franzky.
Was bei uns der Karneval ist, sind in Spanien übrigens die Jaleos: Bei diesen Sommerfesten sind Pferde die Hauptdarsteller – und das oft schon seit dem Mittelalter. Beim Johannisfest auf Menorca gibt es einen Zug mit hunderten Reitern. Die Pferde steigen auf Kommando und laufen auf zwei Beinen durch die Straßen. Das soll so aussehen, als würden sie tanzen. Die Tiere sind darauf trainiert. Aber die Menschenmenge bleibt unberechenbar: Oft stellen sich Leute vor die Pferde, manche wollen sie gar stützen oder anfassen. Das soll laut Brauch Glück bringen, bringt aber eher Verletzte. Anmut und Stolz der Tiere ließe sich auch auf andere Weise erleben. Keine Wunder also, dass hier nicht nur die Pferde in die Luft gehen – sondern auch Pferdefreunde. Es gibt immer mehr Proteste gegen die Aktion.
Spektakuläre Szenen spielen sich jährlich beim Las-Luminarias-Fest in Spanien ab. Das Feuer knistert, Flammen steigen in den Himmel, auf den Straßen eine johlende Menschenmenge. Dann tauchen Reiter auf. Sie preschen auf die Flammen zu. Zuschauern stockt der Atem. Aber die Pferde gehen für ihre Besitzer durchs Feuer – im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist eine alte Tradition. Der Rauch soll laut Brauch die Pferde schützen und für eine gute Ernte sorgen. Früher ritten die Menschen dafür ums Feuer herum. Doch mit steigenden Zuschauer-Zahlen wurde das Fest immer spektakulärer aufgezogen – auf Kosten der Tiere. Von den Ursprüngen scheint nicht mehr viel übrig. Ganz im Gegenteil: Heute sorgen sich Tierschutzorganisationen um das Wohl der Tiere. Sie kritisieren den unnötigen Stress und die Gefahr für die Pferde. Doch Kontrollen vor Ort brachten bisher noch keine Veränderungen.
Hengstkämpfe und ähnliches: Kräftemessen auf Kosten der Pferde
Biss aufs Blut: In Asien und Skandinavien veranstalten die Menschen seit rund 500 Jahren Hengstkämpfe als Fruchtbarkeitsritus und für eine gute Ernte. Es gibt viele alte Gemälde, die Hengstkämpfe belegen. Heute findet die blutige Neujahrstradition noch in abgelegenen Dörfern in China statt. Zwei Hengste kämpfen im Schauring um eine Stute, die im Hintergrund festgehalten wird. Zwar kämpfen Hengste auch in der Natur – aber dort unter völlig anderen Voraussetzungen. In der Herde kennen sie soziale Regeln. Doch bei den Hengstkämpfen treten teils Arbeitspferde der Bauern an, die sonst keinen Kontakt zu Artgenossen haben. Viele Pferde verletzen sich schwer.
Auch in Europa gibt es fragliche Veranstaltungen, bei denen Pferde traditionell ihre Kräfte messen müssen. „Kaltblüter ziehen monsterschwere Schlitten. Da kommt immer mehr Gewicht drauf, bis die Tiere nicht mehr können – und trotzdem werden sie noch angetrieben“, sagt Dr. Andreas Franzky. Laut dem Experten stellen solche Showacts in Deutschland einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar, weil sie die Kräfte und Leistungsfähigkeit der Pferde übersteigen.
Ein tödliches Kräftemessen findet auch beim Stierkampf statt. Auf Mallorca etwa gilt Stierkampf als nationales Kulturgut – und darf rechtlich nicht verboten werden. Nicht nur für den Stier, auch für Pferde besteht ohne Frage ein hohes Verletzungsrisiko. Doch die Tradition steht über dem Tierschutz. Und so lange Menschen in der Arena dem tödlichen Spektakel zujubeln, wird es weiterhin veranstaltet. Allerdings: Die Zuschauerzahlen gehen zurück und auch die Anzahl der Stierkämpfe sinkt drastisch – wie das spanische Ministerium für Kultur berichtet. Für die Tiere eine positive Tendenz.
Rodeos: In Deutschland fehl am Platz
Rodeo hat seinen Ursprung in Amerika. Ursprünglich war er mit dem Einfangen und Einreiten von Wildpferden und mit Cowboyarbeiten verbunden. Heute sind es professionelle Veranstaltungen. Das Ziel: Pferde sollen möglichst wild bocken und Reiter sich 8 bis 15 Sekunden auf dem Rücken des Tieres halten, in gutem Stil. Die Fotografin Gabriele Kärcher erlebte auf ihren Reisen durch Süd- und Nordamerika verschiedene Rodeos: „In Argentinien standen Pferde oft ruhig vor dem Ritt da. Zum Satteln wurden ihnen teils kurz die Augen verbunden. Das Pferd bockt sofort los, sobald es losgebunden wird. Gauchos fördern mit Peitschenhieben das Bocken, um einen besseren Score zu erzielen.“ Laut der Fotojournalistin sei es allgemein üblich, dass die Pferde zu Hause über Belohnung zum Bocken trainiert werden und etwa zehn Mal im Jahr im Rodeo-Einsatz sind. „Den Rest ihres Lebens verbringen die Pferde auf weiten Weiden. Ich betrachte immer das Gesamtbild und nicht nur die Momentaufnahme. Aufs gesamte Pferdeleben betrachtet haben es Rodeo-Pferde gut“, meint Kärcher. Nur könne man den Sport nicht nach Deutschland exportieren, da die halbwilde Art der Pferdehaltung hier kaum möglich sei.
Aber amerikanische Soldaten brachten den Rodeo um 1970 nach Deutschland. Sie versuchten, die Veranstaltungen auch außerhalb der Militärstützpunkte zu etablieren. „Wir hatten uns die Rodeos hierzulande sehr genau angesehen und tierschutzfachlich beurteilt. Denn die Events wurden oft als Kampf zwischen Mensch und Pferd inszeniert. Und Kämpfen mit Tieren ist laut Tierschutzgesetz verboten“, sagt Dr. Franzky. Das Problem aus Tierschutzsicht: Das Buckeln ist dabei eine erzwungene Handlung. Die Pferde buckeln nicht, weil sie den Reiter nicht kennen – sondern weil ihnen durch einen eng angezogenen Gurt Schmerzen im Flankenbereich zugefügt würden. Laut dem Tierschutz-Experten gibt es seit einigen Jahren offiziell keine Rodeos mehr in Deutschland.
Kommentar von CAVALLO-Autorin Alena Brandt
Viele Traditionen und Bräuche mit Pferden sind im heutigen Kontext nicht mehr vertretbar, denn sie fügen Tieren teils unnötigen Stress und Leid zu. Als Pferdefreund möchte ich keine Inszenierungen sehen, bei denen es um Kampf und Unterwerfung geht. Mich macht es glücklich, wenn ich echte Verbindung zwischen Mensch und Pferd erleben darf. Das sieht oft unspektakulär aus, aber geht direkt ins Herz.
Tradition aus der Arbeitsreitweise: Ist Hobbeln überholt?
Viele moderne Reitweisen sind ebenfalls aus Traditionen gewachsen. Welche Aspekte im Training basieren auf Traditionen, sind aber heikel? Derzeit heiß diskutiert ist das Hobbeln. Die Technik stammt aus der Gebrauchsreiterei. Dabei bindet der Reiter dem Pferd die Beine zusammen und schränkt die Bewegungsfreiheit ein. In der Prärie stellten Viehtreiber so sicher, dass ihr Pferd nicht weglief. Die Technik führte ein Pferdetrainer vor Kurzem auf einer Messe vor – und geriet ins Kreuzfeuer der Kritik. "Wir sollten solche Themen sachlich diskutieren und diese im Kontext betrachten", sagt Peter Kreinberg, der reitweisenübergreifend Pferde und Reiter ausbildet. "Hobbeln ist ein Sammelbegriff für sehr unterschiedliche Verfahrensweisen der Bewegungseinschränkung an den Beinen. Was in einer Arbeitsreitweise sinnvoll sein kann, muss es nicht auch für Freizeitreiter hierzulande sein." Laut dem Ausbilder sollten Reiter gut überlegen, welche Techniken aus der Vergangenheit und aus anderen Reitkulturen sie übernehmen.
Die Arbeitsreitweisen aus Amerika waren Lebensformen: Die Menschen verbrachten oft 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr mit ihren Pferden zusammen. "Das kann heute kaum noch ein Reiter nachvollziehen." Peter Kreinberg gibt zu bedenken: Egal, was wir mit Pferden tun – wir müssen sie systematisch auf Anforderungen vorbereiten. So minimieren Reiter auch Gefahren. Kein Cowboy hätte einem unerfahrenen Pferd in der Prärie die Beine zusammengebunden und wäre einfach gegangen. Das Pferd wäre danach nicht mehr nutzbar. "Ich kann auch kein unerfahrenes Pferd vor eine Mauer stellen, es daran anbinden und allein lassen", sagt der Ausbilder. "Das wird aber in Deutschland oft gemacht – und nicht hinterfragt. Dabei passieren auch häufig Unfälle."
Innerhalb des Kontextes der traditionellen Arbeitsreitweisen konnten Techniken wie die des Hobbelns sinnvoll sein, meint Kreinberg. Allerdings: Als eine sicher und sorgfältig gestaltete Lernsituation und als ein Puzzle-Teil in der Ausbildungsphase. Von einem erfahrenen Ausbilder korrekt vorbereitet, könne ein Pferd lernen, dass die Bewegungsfreiheit zeitweilig eingeschränkt ist. "Hier in Deutschland hat so eine Technik als Fixierungsmaßnahme keine Notwendigkeit. Und falsche Anwendung kann an Körper und Psyche der Tiere Schaden anrichten."
Welche Traditionen wieder aufleben sollten
Peter Kreinberg lernte die Iberische und die Altkalifornische Reitweise bereits in den 1970er und 1980er Jahren kennen: Er verbrachte Zeit in Nordamerika und in Andalusien auf Ranches. Was er dort erlebte: Reiter lebten einen klaren Verhaltenskodex. Es ging weniger darum, was die Reiter mit den Pferden machten – sondern wie sie es taten. "Finesse war das oberste Ziel. Grobheiten jeder Art waren verpönt. Diesen Kodex nahmen die Menschen quasi mit der Muttermilch auf." Wer gegen den Kodex im Pferdetraining verstieß, von dem wandte sich die Gemeinschaft ab. Die Leute drehten sich einfach weg und gingen. Teils gab es auch klare Ansagen. Fehler waren erlaubt, aber ständige Wiederholungen nicht. So regulierte sich das System. Grobe Handlungen am Pferdemaul etwa waren ein No-Go.
Pferdegerechte Umgangsformen sind auch in der H.dv.12 definiert. Auf dieser Reitvorschrift des preußischen Heeres baut die aktuelle deutsche Reiterei auf "Die wird aber auch nicht immer im Sinne der Tradition umgesetzt", so Kreinberg.
Was sich aber aus der Gebrauchsreiterei in die Freizeitreiterei sinnvoll übertragen lässt, ist der Naturtrail: Einfache Hindernisse wie Stangen überwinden, vom Pferd aus ein Tor öffnen, durch Flatterband reiten – das bereitet Pferde auf die Anforderungen im Gelände vor.
Es gibt also durchaus Dinge, die aus der Vergangenheit wiederbelebt und in die heutige Reiterei übersetzt werden können. Aber so manchen Brauch braucht keiner mehr.
Reitkünste und Reitlehren als Kulturerbe
Die Unesco nimmt als immaterielles Kulturerbe auch lebendige Traditionen mit Pferden auf, die als erhaltungswürdig eingestuft worden sind.
Die klassische deutsche Reitlehre steht nun im Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. Die feierliche Auszeichnung findet im Juli 2023 in Potsdam statt. Die Reitlehre sei eine jahrhundertealte Kunst- und Handwerksform und orientiere sich an der Kreatur und an der Natur. Übrigens: 2022 wurden bereits die Trakehner als erste Pferdezucht von der Unesco anerkannt.
Die Spanische Hofreitschule in Wien mit der Hohen Schule und die klassische Reitkunst führen seit 2015 den Kulturerbe-Titel. Öffentliche Vorführungen und mündliche Überlieferungen des Wissens und Pferdeausbildung gehören dazu.
Die französische Reitkunst des Cadre Noir in Saumur ist seit 2011 Kulturerbe. Sie lege Wert auf Harmonie und pflege den Austausch zwischen Generationen.