Zu Besuch bei Dressurausbilder Eberhard Weiß

Dressurausbilder Eberhard Weiß hautnah
Mit Hirn, Charme und Methode

Zuletzt aktualisiert am 11.08.2021
Mit Hirn, Charme und Methode
Foto: Lisa Rädlein

Es würde niemanden wundern, wenn er seine Pferde höflich siezte. Eberhard Weiß, 63, ehemaliger Offizier, ist klassisch vom Scheitel bis zur Sohle – und ein Tausendsassa von Pferdemann.

Jahrelang betrieb er einen Jagdstall in England, verantwortete in den Nachwendejahren die Ausbildung von 800 Pferden im tschechischen Staatsgestüt in Kladrub und machte sich als Sattel-Experte und Dressurausbilder einen Namen. Zum Wohl der Pferde wird er erfinderisch: So tüftelte er jahrelang am Trapezmuskelentlastungspad, testete es mit CAVALLO. Heute schont das Pad den Pferderücken. Doch zurück zum Anfang. Wie kam Weiß überhaupt aufs Pferd?

"Reiten lernte ich quasi auf dem Nerzmantel meiner Mutter", sagt Weiß. Ein Pelz verhieß in den 1950er-Jahren Luxus. Doch Mutter Weiß, eine passionierte Reiterin, ließ sich von ihrem ebenso pferdeverrückten Gatten lieber ein Pferd kaufen. Die Zweibrücker-Stute Delphi war schließlich deutlich vielseitiger als ein Mantel. Als Junge ging Weiß mit ihr erste Turniere. Springen, Dressur, Vielseitigkeit, was eben so anstand.

Bei Ausbildungsfragen schmökerte er mit den Eltern in der Heeresdienstvorschrift 12, die griffbereit auf dem Rauchertischchen lag. Doch die reichte ihm bald nicht mehr.

Er las, was er in die Finger bekommen konnte. Das erste Lehrbuch "Dressurreiten" von Richard Wätjen, ehemaliger Reiter der Wiener Hofreitschule, war ein Zufallsfund, der sich als Offenbarung entpuppte.

Weiß steht in seiner Bibliothek im bayerischen Marloffstein, eine Leselupe ins Auge geklemmt, in der Hand ein Stofftaschentuch und zieht den schmalen Wätjen-Band aus dem Regal: "Das Buch atmet den Geist, der mir am Pferd wichtig ist, das traf ganz früh den richtigen Nerv bei mir". Er meint damit den Respekt vor dem Tier, die Klarheit und Gelassenheit der klassischen Ausbildung. Auch François Robichon de la Guérinière wird immer wieder von ihm zu Rate gezogen. "Das Schwierige an den wirklich alten Werken ist, dass Reitschüler sie ohne Mentor kaum verstehen", sagt Weiß. Er leistet dann Übersetzungsarbeit. So wie es seine Lehrer einst bei ihm getan haben.

Der erste Lehrmeister, zu dem ihn die Mutter ins 30 Kilometer entfernte Saarbrücken chauffierte, war Major a.D. Otto Kanehl, der 1936 die Olympiapferde der Springreiter trainiert hatte. "Dort bekam ich meinen ersten Grundschliff", erzählt Weiß. Doch es war Egon von Neindorff, der ihn einige Jahre später fürs ganze Leben prägte. Ausbildung, Umgang, Geist im Karlsruher Reitinstitut beeindruckten Weiß als 16-jährigen tief.

Er nahm sich extra einen Job in der Nähe des Reitinstituts, um abends nicht mehr stundenlang mit dem Zug zum Unterricht rattern zu müssen."Wissen Sie", sagt Weiß, "bei Neindorff kamen immer zuerst die Pferde. Er war sehr bescheiden, hatte ein unglaubliches Gespür in den Händen und ein wahnsinnig gutes Taktgefühl." Ein Vorbild durch und durch.

Einmal briet von Neindorff ein paar Kartoffeln für seine Schüler. Aus einer Rauchschwade tauchte er hustend mit der Pfanne auf und sagte: "Sie sind mir etwas angegangen, aber wir essen sie doch." Keiner wäre auf die Idee gekommen, die schwarzen Kartoffeln abzulehnen. Genauso wenig wäre es im Institut jemandem eingefallen, Geld in bunte Gamaschen und dazu passende Schabracken zu investieren.

Schnickschnack ist Eberhard Weiss bis heute fremd. In seiner holzvertäfelten Sattelkammer – "mein zweites Wohnzimmer" – hängen die Schenkel-Trensen akkurat in Reih und Glied, darüber gerahmte Kapriolen und Courbetten. Weiß schwört auf die Schenkeltrense: "Sie drückt nicht aufs Genick und liegt viel ruhiger im Maul als eine Wassertrense." Gegenüber hängen die Sättel – mit scheinbar aus der Zeit gefallenen Schnurgurten. Die Gurte kaufte er aus Schweizer Militärbeständen auf. "Sie sind atmungsaktiv, schön flach und passen sich dynamisch an den Bauch an – und ein eng anliegender Ellenbogen hat in der Bewegung mehr Platz als bei den modernen Gurten", erklärt Weiß seine Schnurgurt-Passion.

Im Vorbeigehen schnappt er sich eine Kardätsche aus dem Schrank. Natürlich ein Klassiker aus solidem Rosshaar, eine Handarbeit aus der Blindenwerkstätte. Damit wird er jetzt Incitato putzen, der erst vor zwei Tagen aus Ungarns Staatsgestüt Szilvásvárad zu ihm kam.

Lipizzaner und Trakehner liegen ihm besonders am Herzen, doch Lieblinge hat er nicht. Er schätzt diese Rassen, weil sie noch "ursprünglicher" sind und weniger den Zuchtmoden unterworfen als die Warmblüter aus dem Sport, bei denen lange Beine gerade gefragt sind. "Doch ich halte mich immer an die militärische Regel von Dienstgrad und Anciennität", erklärt er und ein Schmunzeln wandert über sein Gesicht. "Das bedeutet: Jedes Pferd wird gleich behandelt, aber der Dienstälteste zuerst beachtet!"

Eine klassische, sehr vielseitige Ausbildung genießen alle Tiere im Stall von Eberhard Weiß von klein auf. Heute werden Jungpferde oft jahrelang nur geführt, das mache sie schwierig, findet Weiß: "Ich kann einen Achtjährigen, der seine Persönlichkeit entwickelt hat, nur noch schwer überzeugen, dass ich ihm was zu sagen habe. Damit muss man früh anfangen". Wieder zitiert er eine militärische Regel:

"Willst du vom Pferde gehorsam verlangen, musst du’s mit Liebe und Güte anfangen." Incitato lernt das spielerisch. Ob der Hengst gerade zappelt oder ängstlich schnaubt, Eberhard Weiß putzt in aller Ruhe den Staub aus dem Fell und strahlt dabei eine freundliche Souveränität aus, die den jungen Hengst beruhigt. In zwei Monaten soll Incitato auf dem Platz geritten, später gefahren und gesprungen werden. Und ganz sicher geht er oft ins Gelände, um den Kopf frei zu pusten. Jetzt darf er erst mal wieder in seine Box.

Weiß zieht den blauen Kittel aus, den er zum Putzen über der Reitkleidung trägt und geht mit dem 18-jährigen Lipizzanerhengst Brustini auf den Platz. Bisschen was tun. Seitengänge, Piaffe, Levade und Kapriole – ganz unaufgeregt. Und ganz so, wie es in den Lehrbüchern seiner Bibliothek geschrieben steht.