Marlitt Wendt "Die Rechte der Pferde"

Marlitt Wendt über „Die Rechte der Pferde“
„Ich glaube, die Pferdewelt ist im Aufbruch“

Zuletzt aktualisiert am 16.11.2023
Marlitt Wendt mit einem Schimmel auf der Wiese
Foto: Cornelia Ranz
Frau Wendt, Sie sprechen sich in ihrem Buch gegen Grabenkämpfe zwischen Freizeit- und Sportreitern aus. Gelingt es Ihnen, mit dem Thema "Die Rechte der Pferde" beide Gruppen anzusprechen? Wie ist die bisherige Resonanz?

Ich freue mich aktuell sehr über die großartige, sehr breit gefächerte Resonanz. Sowohl Medienvertreter aus dem Pferde- wie auch dem gesamtgesellschaftlichen Bereich als auch Vertreter von Verbänden sowie reine Freizeitreiter*Innen haben mir bereits positives Feedback gegeben. Dabei ist vor allem auch eine der Kernaussagen des Buches angekommen und wird gut angenommen: das Hauptaugenmerk auf das Pferdewohl zu legen und wie man dieses auch objektiv wissenschaftlich erfassen kann. Denn ich denke, unser Interesse und die Faszination für die Tierart Pferd ist ja das, was uns alle vereint und bewegt. Und nur gemeinsam können wir etwas im Sinne der Pferde bewegen und verändern. Die Pferdewelt braucht aus meiner Sicht solche Ansätze zu einem gemeinsamen Weg in eine pferdefreundlichere Zukunft.

Sie fordern übergeordnete und unabhängige Instanzen im Reitsport, die mehr Pferdewohl durchsetzen können. Welche Rolle könnten bestehende Verbände dabei spielen und welche nicht?

Das ist sehr schwierig zu beantworten, da es so viele unterschiedliche Verbände und Interessengemeinschaften mit diversen Zielen bereits gibt. Für mich stellt sich da eben gar nicht die Frage, einige Organe zu schwächen oder auszuschließen, sondern die vorhandenen Kräfte zu bündeln, zu ergänzen und vor allem auch über das Pferdewohl mit all seinen Kriterien zu informieren. Dazu gehören Anzeichen für Wohlbefinden und Stress, gesundheitliche Aspekte oder auch Haltungsfragen. Mehr Wissen führt aus meiner Sicht zu einer differenzierteren und achtsameren Wahrnehmung. Daneben sollte es aus meiner Sicht eine Art Gewaltenteilung geben. Sodass eben nicht Mitglieder aus derselben Interessengemeinschaft zum Beispiel sowohl als Richter wie auch als Tierschutzbeauftragte eingesetzt werden. Damit es in der Folge eine unabhängige Instanz gibt, die rein das Tierwohl im Blick behält und weder finanziell noch organisatorisch vom Verband eingesetzt und damit abhängig ist.

Sie raten Pferdebesitzern, bei sich selbst und beim eigenen Pferd mit Verbesserungen zu starten. Was sind dabei die größten Herausforderungen und Hindernisse?

Für mich persönlich ist es zunächst wichtig sich überhaupt einzugestehen, dass es immer Verbesserungspotenzial gibt. Das ist manchmal auch ein sehr schmerzhafter Prozess. Ich glaube, niemand ist frei davon, sich Situationen oder Zustände manchmal schönzureden oder gar die Augen vor Problemfeldern zu verschließen. Einfach weil der Veränderungsprozess anstrengend, aufwühlend oder auch beängstigend sein kann. Es ist bequemer, im bekannten Umfeld zu bleiben, als ungewisse Dinge anzustoßen. Das gilt besonders, wenn andere Menschen involviert sind, die neben dem eigenen inneren Schweinehund beispielsweise ebenfalls dafür plädieren, dass man es "immer schon so gemacht hätte und gut damit gefahren ist". Da gilt es, in sich hineinzuhorchen und zu fühlen. Zu fühlen, wie sich die Welt im Gesamten oder ein bestimmter Aspekt aus Pferdesicht anfühlt. Um dann zu sortieren, wie man selbst auch unbequeme Entscheidungen treffen kann, die oft genug einen Wechsel der Perspektive, Arbeit an sich selbst, mehr Aufwand in der Haltung oder schlicht höhere Kosten bedeuten.

Wie könnten neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wohl des Pferds schneller Eingang in die Praxis finden?

Wichtige Vermittler sind für mich zum einen die Medien jeglicher Art. Es ist sehr wichtig, wissenschaftliche Themen zu griffigen Artikeln zu verarbeiten, aber auch die breite Masse an Pferdemenschen über möglichst viele unterschiedliche Kanäle zu erreichen. Die Menschen informieren sich heute anders als noch vor zehn Jahren. Social-Media-Kanäle und Podcasts zu Beispiel erfreuen sich großer Beliebtheit. Wenn dort berichtet wird, aber auch Vorbilder diese Erkenntnisse in die Praxis übertragbar darstellen, dann erzielen wir gemeinsam eine große Reichweite in Sachen Tierschutz. Daneben sind für mich die wichtigsten Vorreiter auch die Profis in sämtlichen Sparten: Reitlehrer*Innen, Trainer*Innen, Tiermediziner*Innen usw...Wenn sie ihre Fortbildungen mit Blick auf das Thema Pferdewohl auswählen, können sie direkten Einfluss auf die Umsetzung in der Praxis nehmen.

Wo sehen Sie die Pferdeszene in zehn Jahren? Welche Entwicklungen im Hinblick auf Pferderechte sind Ihrer Meinung nach realistisch?

Ich bin eine Optimistin, daher habe ich die Hoffnung, dass sich die Pferdewelt in zehn Jahren weiter deutlich zum Positiven verändert haben wird. Ich glaube fest daran, dass sich die Strömungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, wie zum Beispiel die Umsetzung toller, innovativer Offenstallkonzepte wie Paddock-Trail -Anlagen und weitere Aktivställe immer mehr verbreiten und so Beispiele für eine artgerechte Pferdeunterbringung sein können. So wird es hoffentlich immer weniger reine Boxenhaltungssysteme mit Mini-Paddocks und nur eingeschränkten Möglichkeiten für Sozialkontakte geben. Ich glaube auch, dass die Pferdeszene in puncto Umgang im Aufbruch ist. Gerade die jüngere Generation hat das Potenzial, aus dem vielfältigen Wissen, das ihr im Internet zur Verfügung steht, einen neuen Weg im Sinne des Pferds einzuschlagen, auf dem Gewalt und Überforderung der Tiere keinen Platz hat. Sicher werden in zehn Jahren nicht alle Probleme der Pferdewelt beseitigt sein, dafür gibt es zu viele unterschiedlich tief verwurzelte Missstände. Aber ich halte es für realistisch, über unterschiedliche Tierwohllabels den Pferdeschutz zu stärken und Missbrauch an Pferden deutlich stärker als bisher zu ahnden und dem eine erhöhte Aufmerksamkeit und Sensibilität zu geben. Die Toleranzgrenze, was den Missbrauch angeht, wird hoffentlich in zehn Jahren noch einmal deutlich gesunken sein.