Ein Häuschen mit rotem Spitzdach und Fensterläden. Mitten im Wald. Die Nachbarn über einen Kilometer entfernt. Es duftet nach Kiefern und Kräutern. Keine Straßengeräusche, nur das Zwitschern von Vögeln und das Schnauben von Pferden. Auf dem Sandpaddock sonnen sich zwei braune Kaltblüter: Ben und Jonathan. Stark und schön stehen sie da – wie zwei alte Eichen mit dickem Stamm, die tief ins Erdreich wurzeln und die Ruhe von Jahrhunderten im Wald ausstrahlen. Ist das immer so idyllisch hier?

Wir sind zu Besuch bei Nadine Berghoff. Die 38-Jährige lebt seit 2019 mit ihrem Mann Timo und ihren Tieren im Wald; den genauen Ort möchte sie nicht verraten. "Manchmal ist es hier an Idylle wirklich kaum auszuhalten – besonders, wenn man aus Essen stammt", erzählt sie. Vom Ruhrpott-Trubel zog die Frau ins abgeschiedene Emsland. Über das Leben dort berichtet sie auf Instagram unter dem Blog "waldfarmliebe".

Über 10 000 Menschen verfolgen, wie die Naturliebhaberin plastikfrei lebt, was sie in ihrem Wald und Garten anbaut und mit ihren Tieren erlebt. Zum Beispiel liefert sie mit ihrem Pferd im Galopp Eier aus, wenn Freunde spontan einen Kuchen backen. Und Huhn Betty verzaubert alle – wie es über den Hof patrouilliert, auf Pferde klettert und sich mit Hütehund Theo neckt.

Eines ist klar: Die Uhren ticken im Wald anders. Was andere Menschen mal eben nebenbei erledigen, kostet hier richtig Zeit. Zum Beispiel: Die Mülltonne von der Straße zurück zum Haus holen. Dabei helfen die Pferde mit. Beim CAVALLO-Besuch spannt das Paar Kaltblut Jona vor die Kutsche. Hund Theo ist der Erste, der auf dem Kutschbock sitzt. "Er will auf keinen Fall vergessen werden", meint Timo Berghoff. Gemütlich legt der Hund bei der Fahrt den Kopf auf Herrchens Oberschenkel. Sein Frauchen führt die Leinen.
Die Kaltblüter sind schussfest – das bringt das Waldleben mit sich
Das Gespann zockelt auf Sandwegen durch den Wald. Das CAVALLO-Team darf mitfahren – und nutzt die Zeit für Fragen. Es könnte wohl kaum eine schönere Art geben, Interviews zu führen. Rund fünfzehn Minuten dauert es bis zur Straße. Dort steht die geleerte Papiertonne. Nadine Berghoff wuppt sie hinten auf die Kutsche. Das Pferd wartet – so, wie sie es ihm beigebracht hat. Dann geht’s auf den Rückweg.

Peng! Plötzlich durchbricht ein lauter Knall die Idylle. Ein Reifen ist geplatzt. Kaltblut Jona zuckt nur kurz. Er dreht sich um zu seiner Besitzerin auf dem Kutschbock. "Alles guuut", beruhigt diese. Ihr Mann Timo checkt die Lage. Zurück bis zum Haus sollte es auch mit drei Reifen klappen. Weiter geht’s. "Unsere Pferde sind schussfest", erzählt Nadine Berghoff. "In der Nähe der Weide am Waldrand stehen Hochsitze und Jäger schießen regelmäßig." Natürliches Gelassenheitstraining im Wald – das zahlt sich aus.

Die Kaltblüter Jona und Ben helfen bei vielen Arbeiten, die das abgeschiedene Leben mit sich bringt. Normalerweise radelt Timo Berghoff zur acht Kilometer entfernten Schule, an der er als Lehrer arbeitet. Wenn es gestürmt hat, ist der Weg nicht passierbar. Dann werden die Kaltblüter angespannt, die mit ihren Pferdestärken problemlos selbst die dicken Äste vom Weg ziehen. Die Pferde schleppen zudem den Reitplatz ab, der direkt vorm Haus liegt. Das macht natürlich Appetit – wo kommt denn Heu für die Eintonner her?

Das produzieren die Berghoffs selbst, zusammen mit dem Landwirt, von dem sie früher Land für die Pferde gepachtet hatten. "Das war unsere Übungsfläche als Selbstversorger." Die ökologisch bewirtschafteten Wiesen liegen an der Ems. Früher weideten dort Rinder, die Nadine Berghoff wie ein echtes Cowgirl mit dem Pferd trieb: "Das war mein Lieblingsjob." Auch heute reitet sie noch zu den Wiesen. Etwa nach einem Hochwasser. Dann schwemmt Plastikmüll an, den sie absammelt. Wenn sie da ist, besucht sie die ehemaligen Nachbarn auf einem Mehrgenerationenhof. Die Freundschaft blieb nach dem Umzug bestehen. Und bei Landwirt Bernd und seiner Frau Anne gibt es immer einen Kaffee.
So beschaulich ging es im Leben von Nadine Berghoff zuvor nicht zu: Sie studierte internationales Management, arbeitete für eine Bank und einen norwegischen Stromproduzenten. "Ich habe schon früh Karriere gemacht", erzählt sie. In ihrer Freizeit reiste sie oft nach Südamerika. In fremden Kulturen, wo Menschen auf einfache Art lebten, lernte sie den Wert der Langsamkeit schätzen und vertiefte die Liebe zur Natur. Seit 2014 lebt sie, so gut es geht, ohne Plastik. Duschgel, Seife und Putzmittel mischt sie selbst aus natürlichen Inhaltsstoffen. "Wenn ich früher mit meinen Dosen ankam, belächelten mich die Leute. Heute hat das eine andere Akzeptanz."

Als sie sich in ihren Mann Timo verliebte, stand sie vor der Wahl: Karriere oder Liebe. Sie entschied sich für die Liebe und zog zu ihm ins Emsland. "Ein Emsländer geht nicht gerne – jedenfalls nicht langfristig. Also kam ich." Derzeit arbeitet sie als pädagogische Mitarbeiterin in einer Schule und selbstständig an Nachhaltigkeits- und Energieprojekten. Die Suche nach einem gemeinsamen Häuschen zog sich. Schließlich entdeckte Nadine Berghoff das Haus im Wald bei einem Ausritt. Sie war so angetan, dass sie die Besitzerin kontaktierte und ihr Interesse am Haus bekundete. Ein paar Jahre später wollte diese tatsächlich verkaufen – und das Paar schlug zu.

2019 sanierte das Paar das Haus von Grund auf. Ausräumen, aufräumen, neugestalten: "Das war eine knackige Zeit", erzählt Timo Berghoff. Viele Dinge verwerteten sie auf neue Art und schafften daraus gemütliche Plätze: So liegen um ihre Feuerstelle die alten Dachziegel. Die schützen den Boden und speichern die Wärme. "Wenn wir dann mit Freunden draußen ums Feuer sitzen und Stockbrot essen, haben wir alle auch warme Füße", meint Nadine Berghoff.
Der Offenstall ist plastikfrei, und die Blumenbeete schonen Ressourcen

Auch im Offenstall für die Pferde gibt es kein Plastik: Ben und Jonathan trinken beispielsweise aus Zinkbottichen. In ihrem Paddocktrail liegen alte Treckerreifen. Die nutzen die Pferde, um sich die Beine zu kratzen. So ein langer Fellbehang wie beim Kaltblut juckt. "Das ist nachts manchmal so laut, dass wir von den stampfenden Hufen aufwachen", meint Nadine Berghoff. Kein Wunder, sonst ist es ja auch still im Wald.

Wie sehr die Naturliebhaber ihre kleine Waldfarm lieben, verraten zahlreiche Details: Sorgfältig angelegte Blumen- und Staudenbeete, Vogelhäuschen, Insektenhotels, ein Hühnergarten und Schildchen im Blumenbeet mit Aufschriften wie: "Sorgen sind wie Nudeln. Man macht sich immer zu viel davon." Im Beet hat Nadine Berghoff solche Pflanzen angesät, die nur wenig Wasser benötigen. Sie liebt es schön – aber effizient. Ressourcen verschwenden, das möchte sie vermeiden.

Bei unserem Besuch lernen wir noch Seidenhuhn Betty kennen. Es stolziert wagemutig zwischen den Baumstamm-Beinen von Kaltblut Jonathan umher. Aber das Pferd steht wie eine Statue. Dem CAVALLO-Team wäre es ja lieber, Betty auf dem Rücken des Pferds zu sehen. Kann sie auch reiten? "Das wäre dann ihr Jungfernritt", anwortet Nadine Berghoff und klettert prompt vom Gartentisch auf ihr Pferd. Ihr Mann Timo reicht ihr das Huhn. Betty nimmt auf dem Arm der Reiterin Platz – und dann geht’s los. Betty sitzt balanciert und schaut von oben herab in die Kamera: "Ein echtes Showbiz-Huhn", meint ihre Besitzerin. Dann verschwinden Pferd, Huhn und Mensch hinter den Bäumen im Wald. Hund Theo eskortiert sie. So sieht Waldfarmliebe aus!