Seine Augen sind weit offen, das kantige Gesicht wirkt steif, der Schock scheint tief zu sitzen. Der Tierarzt, Pferdetrainer und mehrfache Schweizer Military-Meister Jörg B. steht vor dem Bezirksgericht in Winterthur. B. kann es nicht fassen: Seit einer halben Stunde ist er ein verurteilter Tierquäler. Im Oktober 2007 ließ er das Polopony Karioka so eng ausbinden, dass es mehrfach stürzte, sich überschlug und den Schädel brach. Hilfe kam erst nach Stunden. Das Gericht verurteilte B. zu einer Geldstrafe von 4000 Franken (rund 3000 Euro) sowie 210 Tagessätzen à 100 Franken (16 000 Euro), zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.
Rückblende: Es ist der 1. Oktober 2007. Die Auszubildende Sabrina S. führt die elfjährige Karioka morgens in die Reithalle. Das ehemalige Polopony soll zum Freizeitpferd umgeschult werden. Die Stute geht zum ersten Mal an der Longe und wird zum ersten Mal ausgebunden. Sabrina S. fixiert den Kopf des Ponys auf Weisung von Jörg B. mit Schlaufzügeln. Karioka fällt mehrmals hin. B. ruft die Auszubildende Jasmin V., die sie zusätzlich am Strick führen muss. Erneut stürzt Karioka. Jörg B. lässt die Zügel nochmals fünf Zentimeter enger schnallen, wobei sich der Kopf noch immer vor der Senkrechten befindet. Karioka wehrt sich energischer, stürzt mehrmals, steigt mindestens zweimal – beim letzten Mal so stark, dass sie sich überschlägt, auf den Kopf fällt und liegenbleibt. Tieranwalt Antoine F. Goetschel sagt vor Gericht: "Man wollte den Willen des Pferds brechen und brach ihm dabei den Schädel." Die Staatsanwältin spricht von "Vergewaltigung, Machtdemonstration und mangelnder Empathie". Jörg B. hingegen sieht den Fall ganz anders: "Es ging alles sehr ruhig vonstatten. Das Pferd stürzte nicht, es legte sich hin."
Mit dem engeren Ausbinden habe er lediglich erreichen wollen, dass das Tier die Trense stets im Maul spürte und nicht bloß anstieß, wenn es den Kopf streckte. "Mit der permanenten Anlehnung wurde sein Verhalten vorübergehend auch besser", meint der angeklagte Pferdetrainer. Für das Gericht steht jedoch fest: Jörg B. überanstrengte Karioka unnötig. Er ignorierte die Signale des Tiers, machte trotz der Stürze weiter und nahm damit die Folgen in Kauf. "Er wollte zu viel, zu schnell und alles auf einmal", sagt der Richter. Die auch in der Schweiz gängige Praxis des Ausbindens hingegen kritisiert er nicht.
Hintergrund:
Antoine F. Goetschel ist bisher der weltweit einzige Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen. Der Kanton Zürich richtete das Amt 1992 ein, um Tieren eine Rechtsvertretung zu geben. Die Tieranwalt darf Verfahrensanträge stellen, Zeugen sowie Gutachter vorschlagen und kann Freisprüche anfechten. Goetschel behandelt im Jahr etwa 200 Fälle. Aus rechtlichen Gründen soll das Amt Ende 2010 aber abgeschafft werden.
Fall Karioka: Stute stirbt an Schädelbruch
Nach dem Sturz der Polopony-Stute Karioka geht das Drama weiter. Tierarzt Jörg B. führt eine Schwellung am Kopf des Tiers "möglicherweise auf eine allergische Reaktion auf einen Bienenstich" zurück; er gibt Karioka ein Schmerzmittel und ein entzündungshemmendes Medikament. Die Stute steht zittrig wieder auf, torkelt durch die Halle, schrammt an der Wand entlang und verletzt sich am Auge. Jörg B. behandelt auch dies. Dann überlässt er das Pony der Auszubildenden Jasmin V., die einen Abschluss als Tiermedizinische Praxisassistentin hat.
Zuschauer alarmieren letztlich den Bezirkstierarzt, der wiederum die Polizei ruft. Kariokas Zustand verschlechtert sich rasant, sie sinkt zu Boden, verdreht die Augen. Um 16 Uhr trifft die Tierambulanz ein. Jörg B. kommt zurück. Er will Karioka vor Ort einschläfern – mit Einverständnis des Besitzers. Doch der Bezirkstierarzt lässt Karioka nach Zürich transportieren, "um Beweise sicherzustellen", wie er sagt.
Das Zürcher Tierspital diagnostiziert eine "Schädelbasisfraktur mit Hämatombildung in beide medialen Kompartimente der Luftsäcke sowie ein retropharyngeales Hämatom mit Einengung der oberen Atemwege". Um 21 Uhr wird Karioka erlöst. Neun Stunden nach dem Schädelbruch. Das Gericht wertet das Verhalten B.‘s nach dem Unfall als besonders schwerwiegend: "Das Pony hätte die volle Aufmerksamkeit des Tierarztes gebraucht".
Wäre Jörg B. in der Halle geblieben, hätte er es früh genug von seinem Leiden erlösen können, hält der Richter fest. Für B. ist es hingegen normal, dass ein Veterinär nach der Behandlung zum nächsten Tier geht: "Wenn er bei jedem verletzten Tier stundenlang bleiben muss, dann steigen die Kosten ins Unermessliche." Zudem sei Karioka ja von Jasmin V. beobachtet worden. Die Auszubildende spricht das Gericht frei. Sie habe nur die Weisungen ihres Chefs ausgeführt. Da er ihr schon früher mit Kündigung gedroht hatte, habe sie sich nicht getraut, sich zu wehren. Ein Jugendstrafverfahren gegen die jüngere Sabrina S. wurde bereits mangels Verschuldens eingestellt. Jörg B. wird das Urteil vermutlich anfechten. Er spricht von einer "Hexenjagd".
Hintergrund:
Antoine F. Goetschel ist bisher der weltweit einzige Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen. Der Kanton Zürich richtete das Amt 1992 ein, um Tieren eine Rechtsvertretung zu geben. Die Tieranwalt darf Verfahrensanträge stellen, Zeugen sowie Gutachter vorschlagen und kann Freisprüche anfechten. Goetschel behandelt im Jahr etwa 200 Fälle. Aus rechtlichen Gründen soll das Amt Ende 2010 aber abgeschafft werden.
