Christoph Rieser hat mehr inneren Antrieb als Daniel Düsentrieb und macht nichts nur so halb. Während er in einem kleinen, mit Bildschirmen und Unterlagen vollgepackten Büro in Obersteinebach im Westerwald sitzt und mit routinierten Klicks ("Ich mach das hier ja schon ein paar Jährchen") zeigt, wie sich ein Sattelbaum mithilfe eines digitalen Abbilds des Pferderückens perfekt anpassen lässt, fallen in einem nach Holz duftenden Nebenraum Späne. Hier fräst eine CNC-Fräse die Sattelbäume aus verleimten Holzblöcken direkt aus.
Seit den 80ern tüftelt er an der Sattelanpassung
Die Messdaten beruhen auf Riesers wichtigster Erfindung, dem "Equiscan Topograph Pro". Das Messgerippe aus Kunststoff in Strahleblau wird auf den Pferderücken gelegt und dessen Form exakt angepasst. Das Gerippe nutzt Rieser auch, um die Passform schon vorhandener Sättel zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Heute ein echtes Präzisionsmessgerät, erfand der Tüftler das erste, noch einfachere Messgerippe bereits Anfang der 80er-Jahre. Für das Equiscan-System und seine Komponenten erhielt Rieser zahlreiche Innovationspreise. Und erst im vergangenen Jahr kam eine weitere Auszeichnung hinzu: Sein neu entwickelter veganer Korksattel heimste den Innovationspreis in der Kategorie Nachhaltigkeit auf der Equitana ein. Stillstand gibt es für den 62-Jährigen eben nicht; und wir müssen uns beeilen, um auf der kurzen Autofahrt zu seinem neu gebauten Stall nicht abgehängt zu werden.

Im ordentlich mit Holz umzäunten Offenstall stehen Riesers zwei Quarter Horses und die beiden Pferde seiner Partnerin Katharina Hebel. Hier tauscht der Sattlermeister Turnschuhe gegen aufwendig verzierte Stiefel und Käppi gegen breitkrempigen Hut. Die leeren Boxen neben der Reithalle sollen in Zukunft regelmäßig belegt sein – der Pferdemann bietet in seinem "Hackamore Stable" Seminare mit Ausbildern wie Alfonso Aguilar oder Peter Kreinberg an.
Auch Rieser selbst, der früher regelmäßig auf Western-Turnieren startete und unter anderem internationaler deutscher Reining-Meister war, führt Kurse durch: vom allgemeinen Reitkurs bis zum Bosal-Lehrgang. Seine Pferde zog Rieser stets selbst – über seinen sechsjährigen Quarter-Wallach Blue sagt er: "Ich habe schon seine Oma geritten. Er hat wahnsinnige Bewegungen, aber ist sehr speziell, ein Eigenbrötler." Für unsere Fotos sattelt Rieser die zehnjährige Quarter-Stute Gem, "ein Lämmchen", wie er sagt. Er spricht die Stute mit "Pony" an, streichelt ihr über die Stirn.
Das Paar strahlt vollkommene Gelassenheit aus, als es sich am locker durchhängenden Bosal zwischen den Bäumen hindurchschlängelt. Jeden Tag sitzt Christoph Rieser im Sattel, außer er ist auf Messen unterwegs. "Wenn es vom Wetter her geht, gehe ich irgendwie raus." Der Stall ist umgeben von endlosen wilden Reitwegen.

Christoph Rieser sitzt der Schalk im Nacken
Oben an einer halsbrecherisch steilen Wiese, die hinter dem Wald liegt, hält Rieser seine Stute an und schaut in die Ferne. "Ich galoppier hier mal runter", verkündet er – und lacht gleich darauf schallend: "Das war ein Scherz!" Der sprichwörtliche Schalk sitzt Rieser im Nacken. Die Augen funkeln, wenn er sein Lausbubenlächeln anknipst. Sieht man Christoph Rieser und seine Stute von weitem, könnten die beiden in ihrer Aufmachung aus einer anderen Zeit stammen – und aus der Nähe betrachtet? Entdeckt man die kunstvollen Punzierungen des Sattels. Einen Monat lang hat einer der 15 Mitarbeiter seiner Sattlerei an der Prägung des Leders gearbeitet, der Entwurf stammt vom Inhaber selbst – und orientiert sich an einem historischen Vorbild.
Betritt man den Seminarraum am Stall mit dem großen, schweren Holztisch, entdeckt man Gems Sattel ein zweites Mal: auf dem Nachdruck eines alten Gemäldes an der Wand. Die Malerei des Amerikaners James Walker (1819 bis 1889) zeigt eine Reitergruppe und ist eine der ältesten Darstellungen von Vaquero-Sätteln, erklärt Christoph Rieser. "Wir haben einen der Sättel geklont", sagt er. Etwas breiter für eine größere Auflagefläche, aber im Detail getreu dem Original. Sogar einen Gurt aus Pferdehaar hat der Sattel. "Ich möchte auch mal das Zaumzeug und das Kostüm auf dem Bild nachbauen lassen", sagt Rieser. "Naja, das sind halt so Ideen." Ob ihre Umsetzung lang auf sich warten lassen wird? Wohl kaum. Als gelernter Kunst- und Goldschmied, Sattlermeister und staatlich geprüfter Designer hat Rieser alle Mittel zur Hand, um sie umzusetzen. Führt er durch sein Reich, den "Kunsthand- werkerhof" mit Sattlerei und Goldschmiede in einem alten Fachwerkhaus, wird man von der Fülle an Materialien, Werkzeugen und Ausstellungsstücken fast erschlagen.

So viele Sporen wie er hat wohl niemand
Doch das ist noch nicht alles – denn kaum schließt sich die Tür des Kunsthandwerkerhofs hinter uns, treten wir schon in die nächste Schatzkammer ein: das "Museum für Reitkultur". Seit 1973 sammelt Christoph Rieser historische Reitausrüstung, von martialisch aussehenden Radsporen aus Chile ("Das ist natürlich Machogehabe") über reich verzierte Steigbügel und Militärsättel. Rieser zeigt ein Modell des legendären "Armeesattel 25": "Da sieht man, wie groß die Auflagefläche ist, wie breit der Wirbelkanal.
Davon ist bei den modernen Sportsätteln von heute nicht mehr viel übriggeblieben." Immer wieder hat der Sattler mit Freizeitreitern zu tun, die im Gelände reiten und Probleme mit ihren Sätteln bekommen, weil auch sie Sportsättel mit Holzstahlfeder- oder Kunststoffbaum nutzen. "Das sind kaum mehr als Sitzschalen für den Reiter mit schlechter Druckverteilung." Wenn es um die Sattelindustrie geht, sagt Rieser deutlich seine Meinung – laut wird es bei ihm aber nur, wenn er im Museum Musik aufdreht. Was er denn so hört? "Nix normales", meint er: die New-Metal-Bands Linkin Park oder Limp Bizkit zum Beispiel. "Da wandern mir immer die Sporen in Richtung Vitrinen-Tür."

Bald könnte es hier noch mehr Erschütterung geben. Rieser überlegt, sein Schlagzeug auf die Empore über dem Museum zu stellen, denn seine Mietwohnung sei nicht der ideale Ort zum Spielen – und obendrein schon voll mit Becken und historischen Klangmaschinen. Wenn Rieser ein Thema für sich entdeckt, dann eben richtig. Ein Ende ist nicht in Sicht: "Ich habe immer wieder neue Projekte, die Ideen gehen mir nicht aus."