Eigentlich dürften wir reitenden Frauen doch mit unseren männlichen Kollegen kaum Probleme haben. Denn wir sind ja meistens unter uns. In Freizeitställen sind die Herren der Schöpfung oft Exoten. Ein Beispiel ist der Stall, in dem das Pferd von Redakteurin Nadine Szymanski steht. "Bei rund 35 Einstellern gibt es dort gerade mal vier Männer: zwei Einsteller, den Stallburschen und den Hofbesitzer." Rund 80 Prozent der FN-Mitglieder sind Mädchen und Frauen (529.383). Gerade mal 135.129 Männer hat die FN für ihren Jahresbericht 2021 gezählt.
Im großen Sport dagegen sind die Männer in der Überzahl: In den Top Ten der Dressur sind sechs Männer vertreten, im Springen neun, in der Vielseitigkeit sechs. Dabei sind die Sportreiterinnen in der öffentlichen Wahrnehmung besonders präsent: Die Dressurreiterinnen Jessica von Bredow-Werndl, Isabell Werth und die Vielseitigkeitsreiterin Julia Krajewski wurden von deutschen Sportjournalisten unter die Top Ten der Sportler des Jahres 2021 gewählt. Die Dressur-Equipe mit Jessica von Bredow-Werndl, Dorothee Schneider und Isabell Werth belegt Platz zwei unter den Mannschaften des Jahres. Im Dachverband sind wiederum die meisten Führungspositionen mit Männern besetzt: 2022 saßen im FN-Präsidium 11 Männer und fünf Frauen, im Vorstand Sport 16 Männer und drei Frauen, im Vorstand Zucht acht Männer und eine Frau.
Männer machen die Regeln
Warum die Männer an der Basis nur vereinzelt auftauchen, kann Johanna Constantini, Klinische Psychologin, Arbeitsund Sportpsychologin (constantini.at), nur vermuten: "Dass vor allem junge Mädchen sich zu den Pferden und dem damit verbundenen Reitsport hingezogen fühlen, könnte mit ihrer geschlechterspezifischen Rolle zusammenhängen. Diese ist teils genetisch vorbestimmt, teils aber auch erlernt, also erzieherisch und gesellschaftlich geprägt. Aus diesen Gründen könnte bei Mädchen eher das Kümmern und Umsorgen des Tiers im Vordergrund stehen, während die Jungs lieber ein Hobby wählen, das das geweckte Interesse für Technik und Action befriedigt."
Das ändert sich im Laufe der Karriere. Schauen wir in die Führungsetagen, sitzen nicht nur im Reitsport besonders viele Männer im Chefsessel. Erst im Jahr 2015 ist das Gleichberechtigungs-Gesetz FüPoG in Kraft getreten. Ziel: den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen. Auch der Bund novellierte die Gesetzgebung zur Gleichstellung der Frauen in leitenden Positionen und Gremien. 2015 lag der Anteil der Frauen in Führungspositionen bei 21,9 Prozent. Aktuell sind es laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend immerhin 35,2 Prozent. Warum bewegt sich da so wenig? "Junge Frauen, vor allem Mütter, haben häufig mehr mit Unsicherheiten und Ängsten zu tun als Männer", meint Johanna Constantini. "Zumindest sprechen sie offensiver darüber." Auch im Reitsport haben Mütter mit Herausforderungen zu kämpfen. Die Springreiterin Lisa Marie Kreutz sagt: "Als Reiterin hat man es als Mutter nicht leicht, ob man nun hauptberuflich mit Pferden arbeitet oder das Reiten als Hobby gewählt hat. Die Mutterschaft ist eine Herausforderung. Und war bisher oft auch ein HinderChanis."
Mütter kämpfen für ihre Karriere
Grundsätzlich ist der Reitsport ein Paradebeispiel für Chancengleichheit: Reiten ist die einzige Sportart, in der bis ins olympische Niveau Frauen im Wettkampf erfolgreich gegen Männer antreten. Doch das geht nur so lange gut, wie Frauen ihre sportliche Karriere über ihre private Lebensplanung stellen: Ausgerechnet eine Regelung, die junge Mütter unter den Turnierreiterinnen schützen soll, hat in den letzten Monaten für viel Wirbel gesorgt: Die "Maternity Leave Rule" der FEI sah bis vor Kurzem für den Mutterschutz zwei Varianten vor: Bei der ersten melden die Reiterinnen keinen Mutterschaftsurlaub an und setzen so lange aus, wie sie möchten.
In der selbst gewählten Pause verlieren sie jedoch alle ihre Weltranglistenpunkte. Dies bedeutet einen gewaltigen Bruch in der Karriere: Wer zu wenig Punkte hat, wird zu internationalen Turnieren nicht eingeladen. Bei der zweiten Variante mussten werdende Mütter einen Sperrzeitraum von mindestens sechs Monaten festlegen, in denen sie keine Turniere bestreiten. In dieser Zeit behielten sie 50 Prozent ihrer Ranglistenpunkte der entsprechenden Monate. Bei beiden Varianten waren Reiterinnen, die schwanger werden, gezwungen, in einer benachteiligten Position wieder in den Sport zurückzukehren. Der Springreiterin Janne Friederike Meyer-Zimmermann wurden nach einem frühzeitigen internationalen Turnierstart ihre gesamten Weltranglistenpunkte aberkannt. Auch Jessica von Bredow-Werndl fühlte sich nach der Geburt ihrer Tochter im August 2022 schnell fit. Als die Dressurreiterin sechs Wochen später – und damit vor dem Ende ihrer Mutterschaftspause – auf einem internationalen Turnier starten wollte, kassierte sie eine Absage.
Mit ihrer Kampagne "Equal Equest" kämpfen die beiden prominenten Reiterinnen nun für gleichberechtigte Bedingungen von Männern und Frauen in ihrer Sportart. Mit Unterstützung ihres Dachverbandes, der FN, reichten sie einen Änderungsvorschlag ein. Ihr erster Erfolg: Im Dezember 2022 beschloss die FEI immerhin, die Mindestdauer des Mutterschaftsurlaub auf drei Monate zu reduzieren. Reiterinnen können außerdem vor Ablauf der Beurlaubung zurückkehren, wenn sie dies unter Einhaltung von festgelegten Fristen beantragen. Das Ziel der Kampagne ist jedoch die hundertprozentige Flexibilät. "Wir werden uns weiter engagieren", kündigt Meyer-Zimmermann an.
Reiterinnen sind keine leichte Beute!
Dass die Mutterschutzregelungen nun flexibler sind, ist für Springreiterin Lisa Marie Kreutz eine wichtige Errungenschaft. Dennoch sei in Sachen Gleichberechtigung unter Reitern noch viel Luft nach oben. Auch sie setzt sich für Frauen im Reitsport ein – nämlich dann, wenn sie zu Opfern werden. "Reiterinnen sind häufig sexuellen Belästigungen ausgesetzt. Ich setze mich dafür ein, dass betroffene Mädchen und Frauen den Mut fassen, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen. Das Thema darf nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden."
Lisa Marie Kreutz hat selbst erfahren, wie schnell eine junge Reiterin als leichte Beute wahrgenommen werden kann. Als 16-Jährige war sie auf einem Jugend-Turnier nach einer Reiterparty betroffen von sexualisierter Gewalt. Das Erlebnis war für die junge Frau so schockierend, dass sie lange Zeit nicht darüber sprach. "Ich fühlte mich schlecht und dachte, es sei meine Schuld gewesen, dass es dazu gekommen ist." Alles hatte harmlos angefangen: ein lustiger Abend in der Gemeinschaft, ein nettes Gespräch mit einem der Jungs. Die Alarmglocken, dass etwas in die falsche Richtung läuft, hätten nicht geklingelt: "Das Thema sexualisierte Gewalt war damals kaum präsent. Ich war dahingehend nicht aufgeklärt. Und der Täter fühlte sich wie der tolle Held mit dem Kaderabzeichen, dem alle Mädels zu Füßen fallen. Ihm kam wahrscheinlich gar nicht in den Sinn, dass das auch mal nicht so sein könnte."
Lisa Marie Kreutz behielt alles für sich und machte alles mit sich aus. "Ich neigte mit der Zeit dazu, das Erlebnis zu relativieren und mir einzureden, dass es gar nicht so schlimm war." Erst 2019, mit 21 Jahren, wagte die Sportlerin, über ihre schreckliche Erfahrung zu sprechen. Sie startete ihre Kampagne "UYV Equestrian" ("Use Your Voice": Nutze deine Stimme). "Ich möchte nicht, dass es anderen so geht wie mir. Betroffene sollen über das, was ihnen passiert ist, sprechen dürfen. Sie sollen sich anvertrauen können und sich ernst genommen fühlen", betont die heute 24-Jährige.
Als ihre Kampagne durch die Medien rauschte und öffentlich bekannt wurde, war sie jedoch von der Resonanz selbst überrascht: "Ich bekam bis zu 1 500 Nachrichten am Tag." Mädchen und Frauen wandten sich an sie, um sich ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung oder sexueller Gewalt erstmals von der Seele zu schreiben. "Neben den paar Fällen, die an die Öffentlichkeit geraten, gibt es es eine immense Dunkelziffer", so Lisa Marie Kreutz.
Sexuelle Gewalt im Reitsport machte zuvor bereits das Magazin "Spiegel" zum Thema. 2018 wurde über mutmaßliche Alkoholexzesse deutscher Nachwuchs-Springreiter und sexuelle Übergriffe berichtet. Daraufhin beschloss die FN Änderungen in der Leistungsprüfungs-Ordnung (LPO): Der Verband kann seither einem auffällig gewordenen Reiter die Jahresturnierlizenz ganz oder zeitweise entziehen. Außerdem wurde eine 0,5-Promille-Grenze eingeführt.
Dem Vorwurf, dass die FN nur zögerlich von diesen Maßnahmen Gebrauch macht, hält Lisa Marie Kreutz entgegen: "In der öffentlichen Wahrnehmung und im Problembewussstein hat sich in den letzten Jahren, auch seitens der FN, viel getan. Dem Dachverband sind jedoch weitestgehend die Hände gebunden, wenn Täter nicht gerichtlich verurteilt wurden". Als erster deutscher Sportverband richtete die FN 2021 einen Betroffenenrat ein, in dem auch Lisa Marie Kreutz aktiv war. In Zusammenarbeit mit Psychologen und Beratungsstellen wurde ein Aufklärungs- und Hilfsangebot auf die Beine gestellt. Betroffene können sich kostenfrei und anonym bei N.I.N.A melden (Telefon 0800 22 55 530 oder mail@nina-info.de).
Rund 200 000 Breitensportler sind von sexualisierter Gewalt betroffen, ermittelte 2020 eine Studie der Uniklinik Ulm. Das Forschungsprojekt "Safe Sport", koordiniert von der Deutschen Sporthochschule Köln, fand heraus: Mehr als ein Drittel der 1 800 befragten Leistungssportler haben bereits sexuelle Gewalt erlebt. Mädchen und junge Frauen seien im Sport besonders gefährdet, meint Lisa Marie Kreutz: "Im Verein befinden sie sich außerhalb des Schutzraums Familie. Trainer können ihre Machtposition ausnutzen." Bei Reiterinnen spiele der Faktor Pferd eine besondere Rolle. "Das Pferd wird häufig als Druckmittel eingesetzt", so Kreutz. "Dann heißt es beispielsweise: Wenn du was sagst, darfst du das beste Pferd des Trainers nicht mehr reiten oder dein Lieblingspferd wird verkauft." Deshalb sei es so wichtig, dass Opfer wissen, wo sie Hilfe bekommen und dass sie diese auch erhalten – sei es bei den Eltern, bei einer anderen Vertrauensperson oder einer Beratungsstelle.
Lisa Marie Kreutz wurde ein zweites Mal sexuell belästigt. Doch da wusste sie sich zu helfen.
"Das Bild der Reiterin ist oft sexistisch"
Lisa Marie Kreutz ist professionelle Springreiterin und international erfolgreich. Sie kämpft gegen sexualisierte Gewalt im Reitsport. uyv-equestrian.de
CAVALLO: Sie haben 2019 die Kampagne "UYV Equestrian" gegen sexualisierte Gewalt gegründet. Einige Jahre zuvor waren Sie selbst betroffen, haben aber geschwiegen. Was war der Auslöser dafür, dass Sie an die Öffentlichkeit gegangen sind?
Ich saß mit einer Freundin beim Abendessen, die ebenfalls Reiterin ist. Sie las eine Nachricht auf ihrem Handy – eine Reaktion auf ein Foto von ihr in den sozialen Medien, auf dem sie in Reitkleidung zu sehen war. Diese lautete in etwa so: "Geiler Arsch in der Reithose, den würde ich auch gerne mal..." Das hat mich getriggert. Ich habe mich darüber so aufgeregt, dass ich mich am Abend zum ersten Mal vor die Kamera gesetzt habe und gesagt habe: "Das muss aufhören!"
Was hat Sie an diesem blöden Spruch so geärgert?
Natürlich möchte ich, auch als Reiterin, gut aussehen und mich auch mal attraktiv oder sexy zeigen. Dass heißt aber nicht, dass man ungefragt respektlos darauf reagieren darf. Ja, ich habe enge Hosen und schicke Stiefel an, aber das ist meine Arbeitskleidung! Wir Reiterinnen werden von der Gesellschaft manchmal sehr seltsam wahrgenommen, stelle ich fest. Wenn man erzählt, dass man reitet, kommen häufig anzügliche Bemerkungen. Das regt mich auf.
Werden wir Reiterinnen nicht richtig ernst genommen? Müssen Frauen im Reitsport sich mehr beweisen?
Ich denke schon. Wenn ich mich gegen einen dummen Spruch wehre, kommt oft "hab dich nicht so". Frauen im Sport müssen tatsächlich mehr beweisen als ihre männlichen Kollegen. Wenn es im Parcours nicht läuft, sagen alle: Der Reiter hatte einen schlechten Tag. Passiert das einer Reiterin, wird sie bemitleidet, weil sie zu schwach ist. Mir fällt es schwer, mir meine eigenen Erfolge anzuerkennem. Wir Frauen dürfen uns mehr zugestehen!
Kommentar
Ehrlich gesagt: Über Gleichberechtigung im Reitsport habe ich mir bisher kaum Gedanken gemacht. Als Hobbyreiterin betrifft mich die Mutterschutzregelung der FEI nicht. Die wenigen Männer, die mir im Stallumfeld bisher begegnet sind, waren weder herablassend noch übergriffig. Aber dumme Sprüche von Typen musste ich mir schon anhören, wenn ich im Reit-Dress unterwegs war. Sexistische Sprüche nerven und sind nicht mehr zeitgemäß. Aber damit kann ich leben.
Erschreckend finde ich die offiziellen Zahlen zu sexuellen Übergriffen im sportlichen Umfeld. Vermutlich beginnt es oft ganz harmlos: mit einer Berührung am Arm, einem besonders netten Lob oder einer besonderen Anerkennung. Da sollten bereits bei Betroffenen die Alarmglocken schrillen. Damit es gar nicht erst zu Belästigungen kommt, müssen Eltern ihre Töchtern dafür sensibilisieren und sie ermutigen, selbstbewusst Grenzen zu setzen. Doch wie in vielen anderen Bereichen gilt: Jeder Einzelne von uns ist gefragt, die Augen aufzuhalten und einzugreifen, wenn es nötig ist. Würden alle so handeln, wäre niemand alleine. Bis auf den Täter. Nadine Szymanski, CAVALLO-Redakteurin