Reiten ist eine Lebenseinstellung. Ein Reiter muss sich dazu bekennen wollen, erwachsen zu werden. Denn die Pferdepersönlichkeit verlangt als Gegenüber einen reifen Menschen, zu dem sie Vertrauen fassen kann. Und nur wer lernt, in Beziehung zu treten, sich selbst zu beherrschen und bescheiden zu sein, kann ihr wirklich gerecht werden.
Ich erwarte vom Reiter, dass er mit den Augen des Pferds sieht, dass er dessen ursprüngliches Verhalten und seine Bedürfnisse verstehen lernt und es dabei konsequent erzieht. Ich erwarte von ihm Körperbeherrschung und Fitness. Ein Reiter muss auch im Kopf beweglich sein. Er muss sich ständig hinterfragen und seine Arbeit rekapitulieren.
Ärgernis in der Reiterei ist für mich die Erfahrung, dass besonders die unscheinbaren, tatsächlich aber so wichtigen Details übersehen werden, die einen wirklichen Reiter ausmachen. Die Zusammenhänge der Ausbildung scheinen vielen unklar zu sein. Dies zeigen vor allem Lücken in den Grundlagen, im Umgang, in der Regelmäßigkeit der Arbeit und in deren Aufbau.

Unter ehrlichem Reiten verstehe ich eine Ausbildung ohne Zeitdruck, mit systematischem Aufbau, bei dem Gebäude, Lern- und Leistungsvermögen des Pferds berücksichtigt werden. Neben der Zeit, die das Pferd für seine geistige und körperliche Entwicklung braucht, bedarf es einer behutsamen Herangehensweise an jede Übung.
Daher ist mir besonders die Ausbildung junger Pferde wichtig. Reiten ist auch Konzentration und braucht Ernsthaftigkeit. Es verlangt, das eigene Ego zu einem gewissen Grad zu überwinden, sonst wird das Pferd mitunter zum Mittel der Machtdemonstration: Je spektakulärer mein Pferd, desto mehr falle ich auf. Falscher Ehrgeiz treibt den unreifen Reiter dazu, Grenzen des Pferds zu überschreiten.
Wenn jeder spektakulär reitet, wird es monoton
Mit Sorge betrachte ich in dieser Hinsicht das moderne Sportreiten, denn die Präsentation heutiger Dressurpferde entbehrt jeder Natürlichkeit. Ein Teufelskreis ist entstanden: Wer anders reitet, fällt durchs Raster. Viele Turnierpferde etwa zeigen übertriebene Schwungentwicklung und aus hoher Spannung erzeugtes unnatürliches Werfen der Beine. Dabei ist kaum noch Individualität erkennbar. Und so versinkt das Spektakuläre bereits wieder in Monotonie. Ich plädiere dafür, ein Pferd wieder auf natürliche, entspannte Art und Weise vorzustellen und ganz besonders junge Pferde nur leicht versammelt und ohne exaltierte Gänge zu reiten.
Ein Pferd sollte nur mehr in wenigen Prüfungen und nur zur Überprüfung seines Ausbildungsstandes dem Fachkundigen vorgestellt werden. Reiten sollte nicht allein den sportlichen Wettbewerb zum Ziel haben, sondern es sollte vielmehr der Schulung anständigen Umgangs untereinander und der fairen Zusammenarbeit mit einem lebenden Wesen dienen.
Der Reiter muss sich selbst Grenzen setzen
Entwickelt der Reiter seine Persönlichkeit nicht im Sinne des Pferds weiter, bleibt er in einem Stadium stecken, das ich zuweilen bei Kindern und Jugendlichen beobachte, die zu früh hohem Druck ausgesetzt werden.
Ich denke an das 16-jährige Mädchen, das völlig aufgelöst aus der M-Dressur für Junioren kommt, weil es auf seinem Pferd mehr oder weniger nur Beifahrer ist. Unter Anspannung ist es nur darauf fixiert, irgendwie die verlangten Lektionen abzuspulen. Ob das Mädchen sich jemals damit befasst hat, welchen Zweck diese für die Ausbildung des Pferds haben, ist fraglich. Dass die junge Reiterin dies im Laufe ihres Lebens noch tun wird – mit einem guten Lehrer an der Seite – bleibt für sie und ihre Pferde zu hoffen.
Überfordert ist auch der Junge auf dem Abreiteplatz eines Ponyturniers. Alleingelassen reitet er einen Oxer an, springt das Hindernis wie ein Wahnsinniger, immer und immer wieder – die Aufsicht fehlt, niemand stoppt ihn. Dabei brauchen Kinder so dringend die Obhut eines guten Lehrers, der ihnen beibringt: Reiten heißt, Verantwortung fürs Pferd zu übernehmen. Reiten braucht innere Haltung. Wann ist eine Grenze erreicht, wann darf ich mich nicht davontragen lassen vom Ehrgeiz?
Doch Reiter sein heißt nicht nur sich selbst einzubremsen. Auch in Bezug auf Entgleisungen anderer und bei Fehlentwicklungen im Sport sind Reiterpersönlichkeiten gefragt, die innerlich gefestigt sind.
Wer angesichts von Gewaltmethoden oder respektlosem Verhalten dem Pferd gegenüber eingreift, ist zunächst scheinbar der Dumme. Er zieht Ärger und Aufmerksamkeit auf sich, schwimmt nicht mehr im Strom. Wer in sich ruht und seine Prinzipien kennt, wird schneller und eher einschreiten – das Pferd selbst ist der beste Lehrmeister, diese Qualitäten zu entwickeln.
Reiten bietet unglaublich reiche Möglichkeiten, Geist und Körper intensiv zu schulen. Es verlangt geistige Gegenwärtigkeit, Konzentration und innere Ruhe. Ich möchte Sie ermutigen, sich mit vollem Herzen auf das Reiten zu konzentrieren.
Ein Beispiel aus dem Alltag: Hin und wieder beobachte ich Reiter, welche zu lachen beginnen und versuchen sich zu erklären, wenn etwas nicht klappt.
Nur in der Stille gewinnt man Erkenntnisse
Dadurch ändert sich nicht nur ihre Körperhaltung, sondern sie unterbrechen auch den geistigen Kontakt zu ihrem Pferd. Locker und doch ernsthaft bei der Sache bleiben, den Fehler ignorieren, noch einen Moment weiterreiten und dann eine Pause einlegen, wäre die bessere Lösung. Das Pferd spürt, wenn der Reiter nicht mehr bei ihm und konzentriert ist. Auch zu viele Wiederholungen, ohne sich selbst zwischendurch zu reflektieren, führen nicht weiter. Hier ist erneut der Reiter gefragt, den Fehler bei sich zu suchen.
Ich wünsche mir, dass das Reiten von Ihnen, liebe Leser, wirklich verstanden und mit Zeit, Hingabe und Konzentration praktiziert wird. Ich möchte zu Achtsamkeit auffordern und Ihnen, die sich ernsthaft dem Reiten widmen wollen, eine hilfreiche Unterstützung geben. Ich möchte Sie dazu bewegen, noch mehr in sich und ins Pferd zu schauen. Ich lade Sie ein, besser zu werden. Nicht beim Wettbewerb, sondern daheim in der Stille. Nur dort kann man das Gelernte beherzigen, es ausprobieren und sich eigene Erkenntnisse erarbeiten.
Das Pferd hilft, sich selbst näher zu kommen
Der Mensch ist es seinem treuen Begleiter schuldig, dessen Würde und Langlebigkeit durch artgerechten Umgang und natürliche Ausbildung zu bewahren. Die Zeit, ihn als Sklaven für Machtdemonstrationen zu missbrauchen, ist für mich vorbei. Ich sehe das Pferd zukünftig als eine notwendige Brücke, über die der Mensch der Natur wieder näher kommt – und auch sich selbst.
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Dorothee Baumann-Pellnys neues Buch "Was die Reitbahn uns lehrt – Vom Detail zum Ganzen" erscheint im Olms-Verlag und ist unter www.olms-pferdebuch.de vorbestellbar (ca. 30 Euro).