An manchen Tagen fühlt sich ihre Lunge an wie sonnenverbrannte Haut: Alles spannt und brennt. Janna Schulte legt sich dann aber nicht ins Bett. Sie sattelt so wie heute eines ihrer Pferde – und ab geht‘s ins Gelände!
"Beim Reiten wird alles weicher und zäher Schleim löst sich", erzählt die 20-Jährige. Sie trabt auf Norweger-Stute Elisabeth durch den Wald – und strahlt. Dass sie schwer krank ist, sehen wir ihr beim Besuch nicht an.
Reiten ist Balsam für die verkrampften Muskeln
Die Reiterin hat Mukoviszidose: Eine seltene Erbkrankheit, die unheilbar ist. Täglich nimmt sie Medikamente ein und inhaliert. Ihr Lungenvolumen liegt bei nur 30 Prozent. Das neuartige Corona-Virus ist für sie besonders gefährlich. "Infekte ziehe ich magisch an."
Ihr Körper reagiert mit Atemwegsentzündungen auf viele Keime. Im Pferdestall wimmelt es davon: Janna Schulte muss beim Tränken und Striegeln auf Hygiene achten. Ausmisten geht gar nicht. Wenn möglich, sind ihre Pferde auf der Weide. Die liegt am Waldrand von Ellrich, einer Stadt im Südharz. Von dort startet sie ihre Ritte – so auch beim CAVALLO-Besuch.
Sie ist mit einem Geländewagen auf die Weide gefahren. Im Kofferraum stapeln sich Western-, Dressursättel, Trensen und Putzzeug. Deutsch Kurzhaar Grando schlummert dazwischen. Dackeldame Mrs. Mieni schwirrt zwischen Norweger Elisabeth und Lewitzer Spirit umher.
"Nicht in den Schweif beißen", ermahnt Janna Schulte. Ihre Mama Marion stellt derweil Camping-Stühle auf und holt eine Thermoskanne mit Kaffee. Sie reitet nicht, packt aber mit an und ist als Feel-Good-Managerin oft dabei.

Pferde helfen ihr – und sie möchte Pferden helfen
Janna Schulte traf kaum Leute in den letzten Monaten – war aber täglich bei ihren Pferden, die sie und ihre Familie in Eigenregie am Haus halten: drei Noriker, einen Lewitzer, ein gerettetes Shetty, einen Haflinger (Erbstück vom Opa), einen Norweger und ein Pensionspferd. "Da ist immer etwas zu tun. Keine Zeit, in ein Tief zu rutschen", meint die Reiterin.
Sie gibt zu: Ohne die Tiere wäre sie durchgedreht in dieser isolierten Zeit. Weil sie so sehr an ihnen hängt, lehnte sie bisher jede Kur ab. "Sechs Wochen ohne Pferde, Hunde und Familie – das geht einfach nicht."

Mukoviszidose verläuft in Schüben. Janna Schulte kennt gute und schlechte Phasen. Manchmal muss sie für Antibiotika-Therapien länger ins Krankenhaus. Wöchentlich bekommt sie Physiotherapie, um ihre vom Husten verkrampften Muskeln zu lockern.
"Aber Reiten wirkt fast noch besser", meint sie. Vor allem entspannte Ausritte sind Balsam für ihre verkrampften Muskeln. Ihre Beobachtung: Die Bewegungen im Schritt sind besonders intensiv. Sie lockern selbst tiefliegende Muskeln. Das Schwingen im Trab löst gut den Schleim.

Vor dem Reiten inhaliert sie zehn Minuten lang. Als sie ihr Handgerät vorführt, schaut ihr Wallach Spirit über die Schulter und flehmt. "Riecht gut, was? Du bist echt ein Quatschkopf", kommentiert sie.
Janna Schulte lacht viel und erzählt offen über ihre Krankheit. Auf ihrem Unterarm ist der "Muko-Flügel" tätowiert, der die Krankheit symbolisiert: eine Mischung aus Engelsflügeln, Lunge und Herzen. Unter der Spitze des Herzens steht Janna Schultes Motivationsspruch, in verschnörkelter Schrift, auf Spanisch.
Übersetzt heißt er so viel wie: "Gott gibt seinen besten Kämpfern die schwersten Schlachten." Sie sieht die Stoffwechselstörung als Herausforderung – und nimmt diese an. Ihre Pferde helfen ihr durch schwierige Phasen – und sie hilft schwierigen Pferden.

Janna Schulte war von Kindesbeinen an mit Pferden zusammen: Ihr Vater fährt Kutsche mit seinen Kaltblütern. Ihr Opa, ein Jäger, ritt zum Füttern des Wildes mit seinem Haflinger in den Wald. Sie selbst startete mit therapeutischem Reiten. Später nahm sie Western- und Dressurunterricht.
Ihr bester Lehrmeister ist ihr Lewitzer-Wallach Spirit: "Er ist wie ein Knobelwürfel, den man enträtseln muss. Weil ich ihn verstehen wollte, startete ich die Ausbildung zur Pferde-Verhaltenstrainerin", erzählt Janna Schulte. Anfang des Jahres erhielt sie ihren Abschluss am Institut für Verhalten und Kommunikation von Dr. Vivian Gabor in Greene. Sie möchte bald Kurse geben, um andere Menschen mit herausfordernden Pferden zu unterstützen.
"Meine größte Stärke ist Geduld. Ich kann Dinge hundert Mal erklären und bleibe trotzdem ruhig", erzählt sie.

Geduld bewies sie auch mit ihrem Lewitzer Spirit. Mit dem Schecken geht sie durch Höhen und Tiefen. "Meinem Freund sage ich immer, er brauche sich keine Sorgen zu machen, falls es mal schwierig wird zwischen uns. Ich bleibe dran – Spirit ist ja das beste Beispiel."

Janna Schulte hatte sich als 12-Jährige ein geschecktes Indianerpony gewünscht – und den ebenfalls 12-jährigen Spirit von ihren Eltern bekommen. In der Probezeit verhielt sich der Wallach lammfromm. Kaum war der Kaufvertrag unterschrieben, entpuppte er sich als Schlitzohr: Steigen, Beißen, Rumzappeln – oft zog er sie am Strick durch den Dreck.
Ihre Eltern waren besorgt: "Wir wollten ihn ein paar Mal verkaufen. Aber brachten es nicht übers Herz", sagt Marion Schulte. Ihre Tochter blieb am Ball – und verdankt Spirit ihr feines Händchen für Pferde. Sie muss sich bei ihm stets neue Lösungen einfallen lassen. Ihre Abschlussarbeit zur Verhaltenstrainerin schrieb sie über sein zwanghaftes Schlecken.
Bei seinem Vorbesitzer hatte Spirit fast den ganzen Tag ein Gebiss im Maul getragen. "Er hängt daran wie ein Raucher an der Zigarette", meint Janna Schulte. Sie probierte, ihn ohne Gebiss zu reiten – da schnappte er ihr vor Wut ins Schienbein. Was nun? Sie legte eine Stress-Skala an. Täglich notierte sie mehrfach die Stimmungen des Wallachs.
Darüber fand sie eine gute Lösung: Sie lässt ihm seine Routine, trenst und longiert ihn ein paar Minuten mit Gebiss. Danach ist Spirit so zufrieden, dass sie ihn gebisslos reiten kann.
Hustet seine Reiterin, stoppt Spirit von selbst
Was erstaunlich ist: Geht es Janna Schulte schlecht, testet Spirit sie nie – im Gegenteil. In brenzligen Situationen wird er zum Fels in der Brandung. Sie erzählt von einem Ritt auf dem Stoppelfeld. Urplötzlich durchschüttelte sie ein Hustenanfall. Spirit, der sonst bei Kleinigkeiten buckelt, stoppte von selbst und stand still – bis der Anfall vorüber war.
"Er passt gut auf mich auf." Solche Erlebnisse verleihen der Lungenkranken Flügel. Ihr Schutzengel ist nicht nur der Muko-Flügel auf dem Unterarm, sondern auch ihr Pferd.
Was ist Mukoviszidose
Unter der angeborenen Stoffwechselerkrankung leiden in Deutschland etwa 8.000 Menschen. Aufgrund eines Gendefekts produzieren die Organe zähen Schleim. Die Patienten husten häufig und heftig. Keime, die anderen Menschen nichts ausmachen, können lebensbedrohliche Infektionen hervorrufen.
Mukoviszidose-Patienten müssen sich an strenge Hygiene-Regeln halten. Ihre Lungenfunktion ist stark eingeschränkt. Viele Betroffene brauchen zusätzlichen Sauerstoff. Durch die Corona-Situation sind sie derzeit besonders gefährdet.
Die Krankheit gilt als nicht heilbar. Aber die Lebenserwartung steigt: Früher wurde kaum ein Patient älter als 15 Jahre. Mukoviszidose galt als Kinderkrankheit. Heute erreichen dank Therapiemöglichkeiten viele Betroffene das Erwachsenenalter und werden 40 Jahre und älter. Info: www.muko.info