Experten warnen eindringlich vorm Handy beim Pferd

Eine Frage - drei Experten
Was macht das Handy mit dem Pferd?

Veröffentlicht am 16.02.2024
CAVALLO Was macht das Handy mit dem Pferd?
Foto: Lisa Rädlein

Enttäuschte Erwartung – Das sagt die Expertin für Zoologie zum Handy beim Pferd

Zu diesem Thema fallen mir vor allem zwei Punkte ein: Aufmerksamkeitsdefizite und Sicherheit. Holt man das Pferd etwa zum Putzen aus der Box und lässt es anschließend warten, wird das Pferd irgendwann unruhig. Es langweilt sich, fängt zum Beispiel an zu scharren. Die Erwartungshaltung, dass gleich etwas passiert, wird in dieser Situation enttäuscht, sodass es zu solchen Übersprungshandlungen kommen kann. Das Pferd fordert so eine Reaktion des Menschen ein. Dabei ist es egal, ob sein Besitzer es mahnend klopft oder liebevoll tätschelt – Hauptsache, es passiert etwas. Es lernt: Bei diesem oder jenem Verhalten erfahre ich Zuwendung.

Der Mensch trainiert dem Pferd durch seine Ignoranz also ungewollt Unarten an. Ich habe derlei auch schon bei Kindern beobachtet, deren Mütter sich mit ihrem Handy beschäftigt haben. Erst wenn die Kleinen etwas durch die Gegend geschmissen haben, erfolgte eine Reaktion der Mutter, sprich die gewünschte Aufmerksamkeit. Unaufmerksamkeit beim Reiten hat indes noch einen rechtlichen Aspekt: Auf öffentlichen Wegen verhalte ich mich beim Ausreiten als Verkehrsteilnehmer fahrlässig, wenn ich nicht bei der Sache bin. Das ist in etwa so, als ob ein Radfahrer mit lauter Musik im Kopfhörer und freihändig durch die Gegend kurvt. Aber auch in der Reitbahn kann das Hantieren mit dem Handy riskant sein: Denn im Falle eines Unfalls fragen die Versicherungen mittlerweile genau nach, wie und warum etwas passiert ist. Im schlimmsten Fall kommen sie für den entstandenen Schaden nicht auf. Das kann sehr teuer werden.

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Lisa Rädlein

Fehlende Einstimmung – Das sagt die Biologin zum Smartphone im Stall

Grundsätzlich gilt: Man kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren. Multi-Tasking ist ein Mythos und alles andere als sinnvoll – das wissen wir aus der Humanpsychologie. Die Unsitte, beim Putzen, Reiten oder Führen zu telefonieren oder Nachrichten zu verschicken, ist sicher auch dem Zeitgeist geschuldet, schon weil man glaubt, auf diese Weise Zeit zu sparen. Hinzu kommt der weitverbreitete Wunsch, via Social Media den eigenen (guten) Umgang mit dem Pferd zu dokumentieren – ein Widerspruch in sich. Die Aufmerksamkeit gegenüber dem Pferd dient auch der positiven Verstärkung. Das Führen vor der Reitstunde etwa ist wie geistiges und körperliches Aufwärmen. Bin ich in dieser Phase mit meinem Handy beschäftigt, findet diese Einstimmung nicht statt. Entziehe ich dem Pferd meine Aufmerksamkeit, kann das auch zu Unsicherheit und Frustration führen. Anzeichen hierfür sind scheinbar unmotiviertes Kopfschlagen oder Scharren: Übersprungshandlungen des Pferds, das mit dieser Situation nur schwer umgehen kann. Indem wir das Pferd durch Unaufmerksamkeit allein lassen, verletzen wir auch unsere Fürsorgepflicht gegenüber dem Tier. Im schlimmsten Fall entscheidet das Pferd dann selbst, was zu Unfällen führen kann. Wir sollten uns bewusst sein: Pferde reagieren auf Mimik und nehmen Stimmungen des Menschen genau wahr, auch seine Unaufmerksamkeit. Es ist nicht möglich, nicht zu kommunizieren.

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Lisa Rädlein

Starke Verunsicherung – Das sagt die Dressurausbilderin zum Handy im Sattel

Das Hantieren mit dem Handy ist eine Respektlosigkeit gegenüber dem Tier. Wer mit einem Pferd arbeitet, muss ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenken. Das beginnt bereits beim Putzen. Nur so kann ich feststellen, ob ihm etwas fehlt, eventuelle Verspannungen bemerken und danach meine Arbeit entsprechend ausrichten. Deshalb unterhalte ich mich bei der Pferdepflege grundsätzlich nicht. Gleichzeitig telefonieren oder Nachrichten verschicken lenkt nicht nur vom Wesentlichen ab, es ist auch gefährlich! Pferde benötigen für ihre Orientierung die (natürliche) Autorität des Menschen. Fehlt diese Orientierungsmöglichkeit, führt das zu einer starken Verunsicherung. Das Pferd ist planlos und entscheidet schlussendlich selbst, etwa durch Flucht oder Ungehorsam. So entstehen Unfälle, erfahrungsgemäß besonders häufig beim Führen des Pferds. Gelassenheit im Umgang ist gut, sollte aber nicht zu übertriebener Lässigkeit und damit Nachlässigkeit führen. Wer im Sattel mit dem Handy hantiert, kann sich nicht gleichzeitig auf die Bewegungen seines Pferds konzentrieren. So ist Reiten reine Zeitverschwendung.

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Lisa Rädlein

Wenn Eltern ihre Kinder ignorieren

Mütter und Väter, die durch Telefonate oder Nachrichtenschreiben abgelenkt sind, senden ihrem Kind zwei widersprüchliche Botschaften: "Ich bin für dich da" und "Ich bin nicht für dich da". Sind Babys solchen Situationen oft ausgesetzt, erschwert dies den Aufbau einer stabilen Bindung zu den Bezugspersonen. Das kann lebenslange Folgen haben, wie aus der Deprivationsforschung (Entbehrung) bekannt ist. Babys, die emotional vernachlässigt werden, können sich später schlechter in andere Menschen hineinfühlen. Eine frühe Bindungsunsicherheit kann zudem kognitive Fähigkeiten beeinträchtigen: Betroffene lernen mühsamer sprechen und zeigen häufig Gedächtnisschwächen. Bei extremer Deprivation reift das Gehirn langsamer und entwickelt weniger dichte Netzwerke in bestimmten Arealen. Das Körperwachstum kann sich ebenfalls verlangsamen.