Grüne Wiesen, Bilder wie aus dem Katalog mit gepflegten Pferden und ein tolles Reitangebot: Auf der Website sieht das Gestüt Lipica in Slowenien einladend aus. Ob Katalogbilder und Wirklichkeit übereinstimmen?
Eklatante Mängel vor zwölf Jahren
Vor zwölf Jahren interviewte CAVALLO Etbin Tavcar, einen ehemaligen Mitarbeiter, der über eklatante Mängel im Reitbetrieb und in der Pferdehaltung klagte und sich um den Erhalt des Gestüts sorgte: Das Gestüt sei unter anderem durch einen Golfplatz und ein Casino auf dem Gelände ins Mahlwerk einer extremen Kommerzialisierung geraten.
Bilder zeigten Zuchtstuten im Matsch, 25 Pferde lebten noch in Ständerhaltung. Doch wie sehen Haltung und Unterricht heute aus?
Inkognito-Test in Lipica

Um mir ein realistisches Bild zu machen, mische ich mich einen Tag lang inkognito unter die Besucher des Gestüts und buche eine Dressurstunde. Das Gestüt fragt meine Reitkenntnisse über einem Fragebogen ab, bevor ich online die 60-minütige Einheit buchen kann.
Es ist ein heißer Tag Mitte Juni, als ich die Alleen mit den weißen Zäunen zum Parkplatz entlang fahre. Das Personal ist hilfsbereit und schickt mich in den Stall der Schulhengste, wo meine Reitlehrerin wartet. Sie heißt Hanna. Und weil sich hier alle nur beim Vornamen nennen, erfahre ich ihren Nachnamen nicht.
Hanna ist Bereiterin, stammt aus Tschechien und hat ihre Bereiter-Ausbildung an der Escola Portuguesa de Arte Equestre (Portugiesische Schule der Reitkunst) absolviert. Das Personal ist international und stammt aus ganz Europa.
„Jeder Bereiter kümmert sich um insgesamt sechs Hengste“, erklärt Hanna, die mich noch mal genau nach meinen Reitkenntnissen fragt und dann den elfjährigen Schulhengst Thais für mich auswählt.
Die Hengste leben nach der Aufzucht in Boxen
Wir gehen zusammen zu Thais, und Hanna hilft mir beim Putzen. Thais wohnt wie alle anderen Hengste in einer großen Innenbox mit Ausblick auf die Stallgasse. Ständerhaltung gibt es keine mehr.

Die Hengste wachsen in der Herde auf, mit 3,5 bis vier Jahren beginnt die Ausbildung und sie ziehen in den Stall. Es gibt Paddocks für die Hengste, nach Auskunft des Gestüts werden sie auch ins Gelände geritten. An meinem Besuchstag stehen zwar alle Hengste in der Box, mir fällt jedoch auf, wie ausgeglichen und freundlich die Tiere wirken: Kein Pferd legt die Ohren an oder zeigt Verhaltensstörungen.
Besucher dürfen die Pferde streicheln. Hengst Thais ist im Umgang sehr freundlich und lässt sich ohne einen Mucks durch die Stallgasse an allen anderen Hengsten vorbeiführen. Ich muss mich selbst daran erinnern, dass ich es hier mit einem der Schulhengste zu tun habe.
Schnelle Verbindung zum Reitpferd
Die Reitstunde beginnt sofort mit viel Input. Hanna und ich verständigen uns auf Englisch. „Achte darauf, dass du zum Aufwärmen viele große Wendungen reitest. Nicht nur außen rum an der Bande entlang“, sagt Hanna. Denn: „So gestaltest du das Training interessant für ihn; er wird dir gleich aufmerksamer zuhören und auf neue Aufgaben warten.“

Ich finde schnell einen Draht zu Thais, der angenehm weich im Maul ist und sich leicht über Gewichtshilfen lenken lässt. „Reite tief in die Ecken und nutze sie, um dein Pferd unter dir in Balance zu bringen und an den äußeren Zügel zu reiten“, erklärt die Reitlehrerin.
Wir starten mit Volten und ich darf Schulterherein reiten. Beim ersten Versuch schwankt Thais noch etwas unter mir. „Du brauchst jetzt etwas mehr das innere Bein“, sagt Hanna und es klappt im nächsten Moment gleich viel besser.
Ein paar Piaffe-Tritte als Highlight der Stunde
Man merkt, dass die Bereiterin Thais in- und auswendig kennt, so dass wir gleich im Trab weitermachen. Die Stunde vergeht wie im Flug und ich fühle mehr und mehr, wie ich mit Thais zusammenfinde.
Einen großen Anteil daran hat Hanna, die immer den richtigen Tipp parat hat. Als Highlight erarbeitet sie mit mir zum Schluss noch ein paar Piaffe-Tritte. Dabei soll ich den Schritt ganz langsam reiten, während sie Thais Hinterbeine touchiert.
Schade, dass die Stunde dann schon zu Ende ist. Ich habe auf dem gut ausgebildeten Pferd viel gelernt und Hanna ist es gelungen, dass ich mich schnell auf Thais wohlfühlte.
Gestütsführung zu den Stuten und der Deckstation
Ich möchte das Gestüt noch besser kennenlernen und hänge mich an eine Gestütsführung. Der Guide, Boris, zeigt uns die Stutenställe, wo die kürzlich geborenen Fohlen leben. „Ab einem Alter von etwa vier Wochen gehen sie dann auf die großen Weiden“, erklärt er. Dann würden auch die Stuten wieder an Gewicht zulegen, die jetzt etwas ausgezehrt aussehen.

Wir gehen weiter zum historischen Teil des Gestüts, wo die sieben Deckhengste dieser Saison untergebracht sind. Sie leben in geräumigen Boxen. Die Zucht spielte in Lipica, der Wiege der Lipizzaner, in der Vergangenheit eine größere Rolle als die Ausbildung und die Reitschule (siehe auch Abschnitt „Historie des Gestüts & Lipizzanerzucht heute“).
Laufställe und Außenpaddocks
Boris erzählt, dass sich die Reitschule erst im Jahr 1952 gründete. Von der Ausbildung der Pferde möchte ich mir später in der Show ein Bild machen. Doch vorher gehe ich noch mal über das Gelände und sehe mir alle Gebäude an. Alle Stuten leben in großen Laufställen mit Außenpaddocks.

In einem Forum hatte ich in einem älteren Erfahrungsbericht gelesen, dass überall Security präsent sei. Man fühle sich als Besucher unangenehm beobachtet. An meinem Besuchstag hält mich niemand davon ab, in jeden Stall einen Blick zu werfen. Überall grüßen die Angestellten und präsentieren stolz ihre Pferde.
Bei einem Spaziergang ums Gestüt kann ich keine matschigen Koppeln entdecken; allerdings ist das Wetter bei meinem Besuch auch sommerlich trocken. Der Golfplatz auf dem Gestütsgelände ist auch heute noch in Betrieb.
In der Show sehe ich feines, korrektes Reiten
Nachmittags in der Show präsentieren die Mitarbeiter alle Facetten des Gestüts: die Stutenherde, Lipizzaner vor der Kutsche, die angehenden Bereiter an der Sitzlonge oder die Bereiter in der Schulquadrille.

Einige Hengste werden an der Hand vorgestellt und zeigen Hohe Schule – sogar ein Kaprioleur ist dabei. Bei dieser Lektion springt das Pferd in die Luft und schlägt mit den Hinterbeinen aus. Ein Oberbereiter reitet einen Schulhengst, der Galopp-Pirouetten, Einerwechsel, Piaffe, Passage und die Levade beherrscht.
Die Freiheitsdressur mit vier Lipizzanern ist ein weiteres Highlight. Mir fällt auf, dass hier mit feiner Hand und unsichtbaren Hilfen geritten wird.
Mein Fazit des Inkognito-Besuchs: Missstände wie in der Vergangenheit konnte ich heute nirgends entdecken. Lipica ist unbedingt eine Reise wert.
Historie des Gestüts & Lipizzanerzucht heute
Das Gestüt Lipica wurde 1580 von Erzherzog Karl von Habsburg gegründet, der für seine Paradeauftritte züchten wollte und dazu Pferde aus Spanien kaufte.
Da das Karstgebiet im heutigen Slowenien dem spanischen Klima sehr ähnlich war, wählte er die frühere Sommerresidenz des Triester Bischofs für das zukünftige Hofgestüt aus. Er kaufte 1581 insgesamt 24 Zuchtstuten und 6 Hengste aus Spanien. Als Kaiserin Maria Theresia regierte (1740-1780), entwickelte sich die Lipizzaner-Zucht, wie wir sie heute kennen.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges mussten die Pferde evakuiert werden und kamen über Umwege zum Teil ins österreichische Bundesgestüt Piber oder in das italienische Staatsgestüt in Monterotondo. Auch während des 2. Weltkrieges mussten Pferde evakuiert werden.
Im Jahr 1949 gab es nur noch 54 Lipizzaner auf dem Gestüt. Ende der 90er-Jahre starteten umfangreiche Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten in Lipica. Im Jahr 2002 wurde das Gestüt als Zuchtinstitut des ursprünglichen Lipizzanerzuchtbuchs anerkannt. Heute leben wieder 300 Pferde auf dem Gestüt Lipica.
Kontakt:
Besucher können verschiedene Angebote wahrnehmen, von Reitstunden und Ausritten (beides nur für fortgeschrittene Reiter) bis zu Kutschfahrten und „Pferdeflüster-Stunden“. www.lipica.org