Ich muss jetzt nach Hause – ich habe noch Reitunterricht", sage ich zu einer Freundin. Die schaut mich verblüfft an. Wie soll das denn gehen? Ihr Gesichtsausdruck spricht Bände. Sie vermutet wohl, dass ich auf einem Steckenpferd durchs Wohnzimmer reite. Natürlich ist es ganz anders. Wobei: Bei einigen Übungen fühlt es sich an, als würde ich reiten. Tatsächlich sitze ich auf einem Stuhl vorm Laptop und mache nach Anleitung der Ausbilderin Bewegungen. Ganz langsam. Ganz sanft.
Schon immer wollte ich gerne Unterricht bei Anke Recktenwald nehmen. Die Pferdewirtschaftsmeisterin verbessert Reitersitz und Hilfengebung mit Übungen zur Körperwahrnehmung aus der Feldenkrais-Lehre. Die versprechen Leichtigkeit in der Bewegung statt Spannung und Schmerz im Körper. Außerdem integriert sie innere Bilder von Sally Swift aus dem Centered Riding in die Methode. Zu gerne würde ich so lernen.
Das Problem: Anke Recktenwald wohnt hunderte Kilometer entfernt. Regelmäßiger Unterricht bei ihr scheint utopisch. Doch dann lese ich das Angebot zu ihrem Online-Kurs. Das Thema: Besser reiten mit Feldenkrais. Jeder lernt gemütlich zuhause vorm Computer. Es gibt sechs Treffen per Video-Konferenz, bei denen sich alle auf dem Bildschirm sehen. Die Live-Abende sind jede zweite Woche. Sie dauern rund zwei Stunden. Der Kurs kostet 345 Euro.
Vom Winde verweht auf dem Küchenstuhl
Bei der Feldenkrais-Methode geht es vor allem um Selbstwahrnehmung. Perfekt für einen Online-Kurs, oder?
Dass sich die digitale Welle durch die Corona-Einschränkungen positiv auf meine Möglichkeiten als Reiterin auswirken könnte, hatte ich bisher nicht auf dem Schirm. Also los geht’s – vor den Bildschirm statt auf den Reitplatz. Unsere erste Aufgabe: Wir sollen uns den anderen vorstellen – mit Bildern und Videos vom Reiten und Bildern vom Pferd. Dafür gibt es eine private Facebook-Gruppe für den Kurs. "Je mehr ihr postet, desto besser weiß ich, was ihr im Unterricht braucht", schreibt Anke Recktenwald.
Sie empfiehlt, für den Kurs ein Stativ zu kaufen. So können wir in der Zeit zwischen den Live-Abenden filmen, was wir mit den Pferden üben und das dann in der Gruppe posten. Die Ausbilderin schreibt in den Kommentaren ihr Feedback dazu. Alle sind Freizeitreiterinnen. Mit mehreren Islandpferden, einem Quarter-Wallach und zwei Warmblütern haben wir einen bunten Pferdemix.
"Was sind eure Wünsche für den Kurs?", fragt Anke Recktenwald beim ersten Online-Abend. Ich kenne Schmerzen in der Leiste nach dem Reiten – und möchte diesen vorbeugen. Außerdem wünsche ich mir Losgelassenheit und ein gutes Zusammenspiel mit dem Pferd. Die Ausbilderin erklärt, dass wir im Kurs Experimente machen. "Ihr sollt fühlen lernen, was euch guttut", sagt sie.

Dafür gibt es Feldenkrais-Übungen. Ich kenne die Methode bereits gut. Aber wie lässt sie sich in den Sattel übertragen? Darauf bin ich neugierig. Anke Recktenwald sieht uns über den Bildschirm zu, wie wir die Lektionen nach ihren Anleitungen ausführen.
Bei der Übung "Vom Winde verweht" sitzen wir auf einem Stuhl und stellen uns vor, dass uns ein leichter Wind von rechts anweht. Der Oberkörper lehnt sich dabei leicht wie ein Grashalm im Wind nach links, und kehrt zur Mittelachse zurück. Diesen Ablauf wiederholen wir einige Male. Dann wechselt der Wind die Richtung und wir beugen uns auch zur anderen Seite und vor und zurück. "Was kannst du tun, damit die Bewegung noch leichter wird?", fragt Anke Recktenwald.
Apropos: Fragen stellen gehört zum Feldenkrais dazu. Die müssen wir nicht laut beantworten. Die Fragen sollen unsere Aufmerksamkeit in bestimmte Bereiche des Körpers lenken.
Absatz tief? Von wegen! Das zeigt der Buchrücken-Test
Moshe Feldenkrais, der Erfinder der Methode, sagte: "Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst." Unsere Feldenkrais-Lehrerin im Zoom erinnert uns immer wieder daran, dass wir uns langsam bewegen: "So könnt ihr spüren, wie ihr die Bewegung macht – und wo ihr noch Spannung loslassen könnt." Schon bald bewegt sich meine Wirbelsäule wie frisch geölt. Außerdem atme ich freier.
Bei den nächsten Kursabenden geht es beweglich weiter: Wir widmen uns den Stoßdämpfern des Körpers: Hüfte, Knie und Fußgelenke. "Diese Gelenke müssen sich beugen, um Stöße beim Reiten abzufedern. Das geht nicht mit nach unten gedrückter Ferse oder zu langen Bügeln", sagt Anke Recktenwald.
Wir testen das, indem wir uns auf ein Buch oder eine Treppenstufe stellen. Der Absatz ist wie beim Reiten in der Luft. Dann sollen wir die Knie beugen und strecken – wie beim Leichttraben. Mit tiefem Absatz ist das kaum möglich. Tatsächlich fühlt sich mein Bein starr wie ein Holzbein an. Dann probiere ich es mit geradem Fuß: Dabei ist der Absatz noch in der Luft, aber auf einer Ebene mit dem Buch. Das klappt wunderbar! Ich bin beweglich und balanciert. Eine Teilnehmerin schreibt ein paar Tage später in den Gruppen-Chat, dass sie sich deutlich sicherer im Sattel fühlt nach dieser Übung.
Was Schönschrift mit feiner Zügelführung zu tun hat
Aha-Momente gibt es auch bei der Einheit zur Zügelführung. Anke Recktenwald lässt uns in Schönschrift auf einen Block schreiben. "Wo muss der Block liegen, damit ihr die beste Feinmotorik habt?", fragt die Ausbilderin. Ich habe den Block auf dem Schoß und schreibe weit vorne Richtung Knie – meine Schrift wird krakelig. Dann schiebe ich den Block nah an meinen Körper und nehme ihn etwas höher. Siehe da, die Schrift wird schöner.
Aber was hat das jetzt mit Reiten zu tun? Anke Recktenwald hatte bei mir beobachtet, dass ich meine Hände weit vorne Richtung Pferdekopf und tief trage. "Das machen viele Reiter, weil sie denken, dass ihre Hand so weicher ist", meint sie. Allerdings sei das Gegenteil der Fall. Meine Hände seien viel entspannter und beweglicher, wenn ich sie näher am Körper und etwas höher mit abgewinkeltem Ellenbogen tragen würde. Aus dieser Haltung heraus könne ich die Nickbewegung des Pferds besser zulassen.
Dafür üben wir auch noch das Zügelkämmen (siehe Übung 4) Als ich das die nächsten Tage allein mit Pferd übe, fühlt sich die Zügelverbindung tatsächlich elastischer an.
Die Übungen machen auf dem Pferd experimentierfreudiger
Über die Bewegung zu lernen, macht Spaß. Ich experimentiere auf dem Pferd, was sich gut anfühlt und muss mich nicht in Schablonen pressen. Außerdem nehme ich Fragen mit aufs Pferd – wie beim Feldenkrais. Statt zu befehlen, was es tun soll, frage ich: Was brauchst du gerade von mir? Ich merke, dass die Pferde dann viel feiner reagieren. So fühlt sich leichtes Reiten an. Und meine Leiste schmerzt auch nicht mehr. Obwohl ich daran gar nicht bewusst gearbeitet habe. Ich bin einfach insgesamt entspannter.
Mein Kurs-Fazit: Absolut empfehlenswert. Wir haben unseren Kurs sogar um drei Monate verlängert, weil viele noch weiter zusammen üben wollten. Die Live-Abende sind prall gefüllt mit Informationen.
Manchmal schaffte ich es in den zwei Wochen Pause kaum, alles mit dem Pferd zu üben. Zumal meine Stute zwischenzeitlich verletzt war. Aber ich konnte auch mit anderen Pferden trainieren. Das Gelernte ist nicht ans Pferd gebunden.
Die Kurs-Hausaufgaben erfordern Zeit-Investment
Insgesamt gilt: Je mehr man an Videos und Bildern einstellt, desto mehr Unterricht bekommt man. Das erfordert Zeitinvestment. Zugegeben: Ich denke nicht immer daran, mein Stativ aufzustellen und mich zu filmen. Aber auch so bin ich mit den Hausaufgaben beschäftigt. Außerdem schaue ich mir oft nochmals Details aus den Zoom-Sessions an, die aufgezeichnet werden. Für die Kursdauer kann ich sie so oft ansehen, wie ich möchte.
Beim Reiten setze ich immer mal wieder einen Teil der Übungen um. Der Körper erinnert sich wie von selbst. So fällt Lernen leicht.
Vier Top-Übungen zum Nachmachen aus dem Kurs:
1. Gummiband gegen eine starre Reiterhand

Stellen Sie sich vor, Ihr Handgelenk ist wie von Gummibändern getragen. Sie können es auch tatsächlich testen – etwa mit einem Zopfband. Bewegen Sie nun das Handgelenk. Wie beweglich ist es? Vergleichen Sie die Beweglichkeit mit einer stark aufgestellten Hand, bei der sich Falten am Handgelenk bilden. Bewegen Sie das Handgelenk. Finden Sie die Position, in der Ihr Handgelenk am beweglichsten ist. In dieser Position können Sie beim Reiten feine Hilfen geben.
2. Sich von der Rolle tragen lassen

Eine Decke einmal längs, einmal quer falten und von der langen Seite aufrollen. Bei einer dünnen Decke empfiehlt es sich, noch ein Badetuch drumzuwickeln. Legen Sie die Rolle längs unter Ihren Körper, so dass sie Ihre Wirbelsäule von Kopf bis Becken trägt. Stellen Sie Ihre Füße auf. Atmen Sie ruhig, und bleiben Sie, solange Sie es genießen, mindestens fünf Minuten, entspannt liegen. Sie können sanft den Kopf nach links und rechts drehen. Dann nehmen Sie die Rolle langsam unter sich weg und bleiben noch mindestens eine Minute auf dem Rücken liegen. Vergleichen Sie, wie sich der Kontakt zum Boden jetzt anfühlt.
3. Den Gang des Pferds nachahmen

Ein Helfer führt Ihr Pferd auf gerade Strecke im Schritt. Sie gehen hinterher und imitieren den Gang des Pferds bestmöglich. Was müssen Sie anspannen, um so zu laufen wie Ihr Pferd? Mit der Übung können Sie herausfinden, wie sich Ihr Pferd beim Laufen fühlt – und zugleich schulen Sie Ihren Blick und Ihr Bewegungsgefühl. Üben Sie möglichst mit verschiedenen Pferden. So spüren Sie, wie individuell der Gang ist. Außerdem können Sie beobachten, ob die Beine des Pferds gerade fußen und das Becken sich wie gewünscht beugt und streckt – oder ob es sich seitlich dreht und kippt.
4. Zügelkämmen

Benutzen Sie Zügel ohne Stege. Greifen Sie die Zügel mit einer Hand am oberen Ende. Die andere Hand führen Sie weit nach vorne über den Mähnenkamm. Dort greifen Sie von oben die Zügel so, dass Ihr Zeigefinger in der Mitte beider Zügel ist. Ihr Daumen ist auf der einen Seite, die restlichen Finger zusammen auf der anderen Seite. Dann "kämmen" Sie sanft die Zügel und führen die Hand in der Position bis kurz vor Ihren Bauch. Dann wechseln die Hände. So entwickeln Sie eine elastische Verbindung zum Pferdemaul.
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Anke Recktenwalds Buch zum Thema bietet viele Infos. Der nächste Online-Kurs startet am 13.9., zudem gibt es online mit ihr wöchentliche Feldenkrais-Stunden. www.feldenkrais-recktenwald.de