Horsemanship - aber richtig

Standpunkt Horsemanship: Wie sanft sind Seilschwinger
Horsemanship - aber richtig

Zuletzt aktualisiert am 30.04.2014
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Foto: Lisa Rädlein

Die sogenannte Horsemanship-Trainerin schleudert das Seil, zerrt am Knotenhalfter und tritt dem Pferd in den Bauch – wie Natural Horsemanship entgleisen kann, wird immer wieder auf Video gebannt. Die Filme kursieren durchs Internet und sorgen unter Pferdefreunden für Empörung. Oft sogar mehrmals.

Ein französisches Video wurde bereits Anfang vergangenen Jahres in der virtuellen Welt heiß diskutiert und sorgt derzeit schon wieder für Aufruhr. Auch andere Film-Sequenzen zirkulieren in Foren oder sozialen Netzwerken, werden weltweit heftig kritisiert. Tenor: Natural Horsemanship ist Tierquälerei. Die sich selbst als so sanft verkaufenden Seilschwinger sind in Wahrheit reine Brutalos.

Ist die neue Natürlichkeit im Umgang mit Pferden also nur Lug und Trug? Sind die Menschen mit den Knotenhalftern, orangen Stöcken und Fähnchen auch nicht besser als sporenbewehrte Schlaufzügelreiter? Steckt Missbrauch und Gewalt vielleicht sogar in den Genen dieser als pferdefreundlich angepriesenen Methode? Natürlich nicht!

„Ein System ist immer nur so gut wie seine Anwender“

Schauen wir mal genauer auf das eingangs erwähnte französische Video. Schlecht ist hier nicht die Methode, sondern die Trainerin. Der Schweizer Berni Zambail, einziger 5-Sterne-Parelli-Instruktor im deutschen Sprachraum, stellt klar: „Ein System ist immer nur so gut wie seine Anwender.“ Zambail kennt das französische Video und sieht dort massive Fehler: „Die Dame hat das Pferd falsch eingeschätzt. Als das zum Problem wird, will sie unbedingt beweisen, dass sie das Pferd trotzdem in den Griff bekommen kann.“

Doch damit scheitert sie gründlich. Warum, erläutert Horsemanship-Trainerin Silvia Furrer aus Frankreich: „Sie agiert wie viele Reiter quer durch allen Disziplinen. Ihr geht es nicht ums Pferd. Sie sorgt sich um ihr Image und den Eindruck, den sie bei ihren Kunden hinterlässt.“ Und damit fehlt ihr genau das, wofür der Begriff „Horsemanship“ eigentlich steht. „Es geht beim Reiten im Grunde immer um die Beziehung zwischen Pferd (=horse) und Mensch (=man). Nur wenn beide zu ihrem Recht kommen, wird sie harmonisch.“

Technische und emotionale Schwächen der Trainerin führen zur Eskalation

Auch die Technik im Video lässt zu wünschen übrig: „Die Dame kennt offenbar keine Phasen“, sagt Silvia Furrer. Hilfen systematisch abzustufen, ist ein wesentliches Prinzip bei jedem Pferdetraining – nicht nur im Horsemanship. Damit feine Kommunikation möglich wird, sollten Reiter zuerst ein sanftes Signal geben. Die Intensität steigt nur, wenn das Pferd darauf nicht wie gewünscht reagiert. Für die richtige Reaktion muss man dem Pferd Zeit lassen.

„Diese Trainerin ist jedoch viel zu schnell“, diagnostiziert Ralf Heil. Der 3-Sterne-Parelli-Instruktor aus Geisenheim im Rheingau sieht hier einen schwachen Menschen mit technischen Defiziten, der einem schwierigen Pferd gegenüber den kürzeren zieht. Seine Analyse ist klar: „Dieses Pferd hat offensichtlich schon früher Erfahrungen mit der Arbeit am Seil gemacht. Dadurch wurde es leider nicht kooperativer, sondern hat gelernt, wie es sich am besten entziehen kann. Als die Trainerin das Seil übernimmt, spielt das Pferd mit ihr das Dominanz-Spiel ‚Wer bewegt wen?‘. Es ist damit zunächst erfolgreich und bringt die Trainerin dazu, ihm auszuweichen. Sie versucht zwar, das Problem zu lösen, stößt aber auf Widerstand. Ihre technischen und emotionalen Schwächen führen dann zur vermeidbaren Eskalation.“

Wer das Video verurteilt, hat recht. Dennoch ist „Horsemanship“ keine Tierquälerei. Aus dem Film kann niemand ableiten, dass Seilschwinger systematisch brutal agieren.

Video: Wie Horsemanship nicht aussehen sollte

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Trainer-Scheine als Kompetenz-Nachweis

Hinzu kommt, dass längst nicht jeder, der sich Horsemanship auf die Fahnen schreibt, wirklich ein Horseman ist. Die Bezeichnung ist ebenso wenig geschützt wie der Begriff „klassische Dressur“.

Jeder kann behaupten, Pferde und Reiter nach diesen Methoden auszubilden. „Deshalb ist es natürlich sehr schwierig, die Trainer zu kontrollieren“, sagt Berni Zambail.

Ausbilder und Verbände in allen Reitdisziplinen versuchen es, indem sie ihre Trainer-Lizenzen unter bestimmten Bedingungen vergeben. Neben einer Prüfung sind oft Fortbildungen nötig, damit die Lizenz gültig bleibt.

Welche Anforderungen Trainer erfüllen, wie intensiv sie sich weiterbilden müssen und wie genau man ihnen auf die Finger schaut, ist Sache des Lizenzgebers. Trainer-Scheine können also Beleg für eine gründliche Ausbildung in einem guten System sein.

Auch Trainer müssen sich ständig fortbilden

Oder sie sind nur schöner Schein, kaum das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden. Das bekannteste und zahlenmäßig größte System von lizensierten Horsemanship-Trainern in Deutschland wird von Pat Parelli geführt. „Er hat sehr klare Richtlinien ausgegeben, was ein Instruktor auf einem bestimmten Niveau unterrichten darf und was nicht“, sagt Ralf Heil. „Außerdem müssen Trainer sich ständig fortbilden, sonst verfallen ihre Sterne. Beides zusammen sorgt für eine möglichst große Sicherheit hinsichtlich der Ausbilder-Qualität.“

Parelli-Trainer tragen einen bis sechs Sterne, je nach Qualifikation. Das entspricht den Abstufungen in anderen Reitweisen, etwa den von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) zertifizierten FN-Trainern C bis A. Was man dabei nicht vergessen darf: Wer seinen ersten Trainer-Stern bei Parelli erworben hat, kann längst noch nicht alles, was seine Ausbilder beherrschen.

Das ist nicht anders als bei einem FN-Trainer C, der keinen Reiter zum Grand Prix befördern kann. Auch andere bekannte Horsemen bilden selbst Trainer aus, etwa Peter Kreinberg nach seiner Methode „The Gentle Touch“ oder der Australier Steve Halfpenny mit dem „Silversand“-Konzept.

Mag das Pferd den Trainer?

Für die Suche nach dem richtigen Lehrer müssen sich Reiter – wie in jeder anderen Disziplin auch – viel Zeit nehmen und kreativ werden. Wer sich neu mit Horsemanship befassen will, findet dank Berichten in Fachzeitschriften wie CAVALLO sowie über persönliche Kontakte und Empfehlungen schnell mögliche Kandidaten. Bevor Reiter dann gleich Unterricht buchen, sollten sie den Menschen kennenlernen.

Am Anfang steht ein Gespräch, findet Silvia Furrer: „Wie jemand mit Menschen umgeht, sagt schon viel darüber aus, wie er auch mit Pferden umgeht.“ Sie rät, nur Personen zu vertrauen, in deren Nähe man sich wohl fühlt. Auch die eigenen Pferde eines Trainers verraten viel über den Menschen.

Mögen Pferde ihren Trainer nicht, sind sie angespannt oder desinteressiert, ist das kein gutes Zeichen. „Dann stimmt etwas Grundlegendes nicht“, warnt Silvia Furrer. Wenn irgend möglich, sollten Reiter auch zusehen, wie ein Trainer mit Schülern arbeitet. „Guter Unterricht ist so aufgebaut, dass der Mensch verstehen lernt, warum er sich wann wie verhalten muss“, sagt Berni Zambail. Das können längst nicht alle Ausbilder. Manche haben zwar das perfekte Händchen für Pferde, aber kein Gefühl für Menschen.

„Damit Reiter das Richtige lernen, müssen ihre Ausbilder aber nicht nur die Pferde lieben, sondern auch deren Reiter“, sagt Berni Zambail. „Sie sollten verstanden haben, dass die Prinzipien des Horsemanships universelle Kommunikationsregeln sind.“ Das bestätigt Ralf Heil. Seiner Ansicht nach reflektiert ein guter Trainer den Zustand seines Schülers: „Ich muss immer wieder prüfen, ob der Mensch mental und emotional überhaupt in der Lage ist aufzunehmen, was ich ihm gerade erklären will.“

Wer so etwas bei seinen Schülern wahrnimmt und dafür auch Lösungsansätze parat hat, führt Menschen schneller zum Erfolg, als wenn er ihr Innenleben ignoriert. Dieselbe Strategie garantiert auch beim Pferd die größten Fortschritte. Und sie ist nicht auf den Bereich „Natural Horsemanship“
beschränkt.

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Lisa Rädlein

Pferdecharakter definiert Trainings-Ziel

Erfolgreiche Ausbilder aller Disziplinen prüfen ständig, ob ihr Pferd in der aktuellen Situation überhaupt lernen oder Leistungen bringen kann. „Seit Jahrhunderten wird von Menschen echtes Horsemanship betrieben – nur heißt es nicht überall so“, betont Silvia Furrer.

„Menschen, die gefühlvoll auf die Bedürfnisse der Tiere eingehen, gab und gibt es immer und überall.“ Doch in keinem Training werden die Persönlichkeit und das individuelle Befinden des Pferds systematischer berücksichtigt als in der Arbeit guter Vertreter der Horsemanship-Konzepte. Sie stellen die Beziehung zwischen Mensch und Pferd vor jedes Leistungsdenken.

Und sie beziehen den Pferde-Charakter explizit in die Wahl der Trainingsstrategie ein. Zum Beispiel mit Parellis Horsenality-Ansatz, der vier Persönlichkeits-Typen mit diversen Varianten kennt. Welche Technik der Mensch dann im Training genau anwendet, ist weniger wichtig. „Stimmt die Einstellung zum Pferd, kann man technisch viel falsch machen, ohne dass es gravierende Probleme gibt“, sagt Silvia Furrer. Pferde verzeihen viele Fehler.

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Lisa Rädlein

Pferde brauchen Grenzen

Allerdings hilft eine gute Technik dabei, existierende Probleme schneller zu lösen und die Beziehung schneller aufzubauen und zu festigen. Wichtig sind zum Beispiel Konsequenz und Durchsetzungsvermögen an der richtigen Stelle: „Der Mensch muss klare Ansagen machen und die Führung übernehmen“, stellt Berni Zambail klar. „Nur mit Streicheln allein erreicht man beim Pferd nicht viel.“ Wichtig ist Zambail, dass ein guter Horseman immer erklären kann, warum er Seil, Knotenhalfter oder die oft „Stick“ genannte Horsemanship-Peitsche einsetzt.

Richtig genutzt helfen sie dabei, dem Pferd seine Grenzen aufzuzeigen. „Die brauchen Pferde als soziale Wesen und Herdentiere dringend“, erklärt Zambail. „Sie wollen wissen, wo sie hingehören und an wem sie sich orientieren können. Nur durch eine sanfte, aber klare Erziehung kann sich das Tier in der Welt des Menschen sicher zurechtfinden.“

Viele Pferde kennen ihre Grenzen nicht. Meistens, weil Menschen im Umgang und in der Erziehung gravierende Fehler gemacht haben. Das Ergebnis sind sogenannte Problempferde, die sich, die Menschen in ihrer Nähe und andere Tiere durch ihr Verhalten zum Teil massiv gefährden. „Ihnen zu zeigen, wie man freundlich und kooperativ mit Menschen umgeht, ist nicht immer schön anzusehen“, gibt Ralf Heil zu.

So erkennen Sie gute Horsemanship-Trainer

Die Qualität eines Trainers ist deshalb nicht daran zu erkennen, ob er überhaupt in Konfrontationen mit einem Pferd gerät. Viel entscheidender ist, wie Pferd und Mensch aus dieser Konfrontation herausgehen.

Und wie das Pferd sich am nächsten und den folgenden Tagen diesem Menschen gegenüber verhält. Kommt es immer wieder zu denselben Konfrontationen, läuft etwas verkehrt. Wird das Pferd dagegen motivierter, kooperativer und vertrauensvoller, war die Auseinandersetzung nötig und positiv.

Auch hier zeigt sich, wie entscheidend die Einstellung des Trainers ist: Geht es ihm um die Beziehung, schadet ein Streit nicht. Benutzt ein Mensch dagegen Pferde, um sein Ego aufzupolieren, kann er die Technik der Horsemen missbrauchen und Pferde mit psychischer und physischer Gewalt gefügig machen. „Pferde sind einfach zu nachsichtig und tolerant“, bedauert Silvia Furrer, „bei vielen kann man mit Gewalt viel erreichen, sodass sich solche Leute bestätigt fühlen.“

Schwarze Schafe können Horsemanship-Laien nur identifizieren, wenn sie sich mit der Methode ein wenig befassen. „Ohne Hintergrundwissen kann man nicht immer erkennen, ob in einem Konflikt zwischen Mensch und Pferd gutes Horsemanship oder Tierquälerei zu sehen sind“, sagt Ralf Heil. „Im Internet werden manche Videos scharf kritisiert, bei denen ich die Arbeit für die Pferde verständlich und angemessen finde.“

Anhand von vermeintlich schlechten Beispielen anonym im Internet eine angeblich pferdequälerische Methode oder Reitweise zu verurteilen, ist deshalb vor allem schlechter Stil. „Die Haltung schadet am meisten denen, die so urteilen. Sie outen sich als dumm und uninformiert“, sagt Silvia Furrer. Wahre Horsemanship erreicht man so nicht.

Nur wer ständig dazu lernt, entwickelt sich weiter und kann Pferden ein verlässlicher Partner werden. Pat Parelli schwört seine Schüler deshalb auf ‚Never-Ending Self-Improvement‘ ein. Er sagt damit dasselbe wie eine alte Reiter-Weisheit, nach der die Antwort auf die Frage „Kannst du reiten?“ Könner von Ignoranten trennt. Und zwar paradox: Wer mit „Ja!“ antwortet, ist vermutlich kein guter Reiter. Wer dagegen auch nach Jahren im Sattel „Nein, ich lerne noch“ sagt, ist auf dem richtigen Weg.