"Horsemanship Simplified: Wild Horse Taming" hieß Pat Parellis dreitägiges Event, das Anfang März in Ocala, Florida, stattfand. Dort unterrichtete Parelli acht seiner Studenten mit acht rohen Pferden im Zähmen von Wildpferden. Eine junge tschechische Pferdetrainerin verfolgte das Event live auf Youtube und postete einen Zusammenschnitt von Szenen auf Ihrem Instagram-Kanal. Ihre Kritik: Hier würden Pferde gebrochen. Sie sei nicht generell gegen Natural Horsemanship, während des Events habe es auch gute Momente gegeben. Doch die gezeigten schlechten Momente seien zu viel gewesen. Das Geschehen bezeichnete sie als "traurig, unfair und unnötig" – und forderte eine "Evolution" des Natural Horsemanship. CAVALLO kommentierte die Szenen kritisch und fragte bei Parelli nach. Und wir wollten wissen: Wie stehen Parelli- und Horsemanship-Trainer aus Deutschland und der Schweiz dazu? Drei Antworten von Bernie Zambail, Claudia Miller und Ralf Heil:
"Die Idee dahinter war gut gemeint"
Bernie Zambail, Parelli 6* Master Instructor. Zambail ist in in der Schweiz und in ganz Europa als Instruktor unterwegs. Sein persönliches Ziel im Horsemanship ist die Verfeinerung in der klassischen Dressur:
"Die ganze Geschichte ist komplex und die Idee dahinter war gut gemeint. Um das zu verstehen, muss man sich das Schicksal der Mustangs in den USA anschauen. Sie werden überall eingefangen und landen dann in Ghettos, bis irgendjemand kommt und eine Patenschaft für sie übernimmt. Die Leute verpflichten sich, das Pferd zwei Jahre lang zu behalten, und die Geschichte endet meist im Desaster. Am Ende kommen sie oft zu irgendjemandem, der sie nach Mexiko zum Schlachter schickt. Pats Idee war zu zeigen, dass man mit so einem Pferd in Beziehung treten kann, ohne ropen zu müssen und ein Ranch-Cowboy zu sein.
Die Leute, die bei dem Event mit den Mustangs gearbeitet haben, waren Instruktoren, die etwas lernen sollten. Wenn Leute etwas noch lernen müssen, geht es schnell mal in eine Richtung, die nicht mehr gut ist. Die Szenen mit Pat Parelli auf den Video-Ausschnitten sind als Korrektur dessen zu sehen. Bei der Art, wie man das korrigiert, hätte es bestimmt noch andere Lösungen gegeben. Man hätte vielleicht sagen können, dieses Pferd braucht noch etwas mehr Zeit, wir lassen es jetzt und versuchen es zuhause wieder. Es gibt immer eine andere Lösung, aber ich kann nicht für Pat entscheiden und ich weiß auch nicht, ob ich an seiner Stelle in dem Moment anders entschieden hätte.
Die angewendete Jeffrey-Methode ist ein effektiver und guter Weg, wenn man sie schon kann. Wenn man sich das ganze Event anschaut, sieht man, dass die Instruktoren diese Technik erst lernen mussten. Bei den einen ging das schnell und das Pferd hat schnell gesagt: Ich kann hierbleiben, dich angucken, mich mit dir auseinandersetzen. Wenn jemand lernt, kann es aber auch passieren, dass das Pferd eine falsche Idee bekommt. Wenn man das wieder zurechtrücken muss, sieht das nicht schön aus.
Man sollte sich auch die Kultur anschauen, aus der Pat Parelli hervorgegangen ist. Das war viel viel schlimmer als das, was heute ist – deswegen haben Horsemen wie Ray Hunt und Tom Dorrance Fuß gefasst, dadurch ist auch Pat Parelli zum Horsemanship gekommen. Dennoch ist er noch so weit in dieser Cowboy-Kultur verwurzelt, als dass alles, was man mit Pferden macht, nützlich und effektiv sein muss. Für die Pferde war das Horsemanship eine eindeutige Verbesserung, aber es passt zum Teil nicht mehr mit dem Bild und den Aufgaben des Pferds heute zusammen. Mittlerweile haben viele Pferde eher eine soziale Aufgabe, sind Partner für Menschen.
Ich habe selber das Glück gehabt, mit Wildpferden arbeiten zu dürfen. Eigentlich sollte jeder einmal diese Möglichkeit haben. Man sieht dabei, wie schnell sich eine Beziehung entwickeln, aber auch, wie schnell es auseinandergehen kann. Diese Pferde sind sehr sensibel. Wir können nur erfolgreich mit ihnen arbeiten, wenn wir die Prinzipien einhalten. Die einzige Art, wie Pferde wirklich lernen, ist über Komfort vs. kein Komfort. Komfort kann dabei schon von den Gedanken oder der Energie des Menschen abhängen. Das Prinzip im Horsemanship ist außerdem "So wenig wie möglich aber so viel wie nötig". Vielleicht verpassen wir manchmal den Punkt, wo wir weniger hätten machen können. Und manchmal ist es gescheiter, einmal mehr zu machen, um nachher hunderte Male weniger machen zu können. Wo wir dabei die Grenze ziehen, ist eine Grundsatzfrage. Was für den einen unethisch ist, ist für den anderen gerechtfertigt, wenn das Pferd danach einen guten Besitzer finden kann und Familienpferd sein darf."
"Ohne Zeitdruck würde es hoffentlich nicht zu solchen Szenen kommen"
Claudia Miller besuchte 1999 ihren ersten Kurs zu Parelli Natural Horsemanship, war dann häufig auf Messen für Parelli-Demos unterwegs und arbeitete bis 2011 eng mit Parelli-Trainerin Silke Valentin zusammen. Seit sie als Tierärztin praktiziert, geht sie dem Horsemanship aus Zeitgründen auf eigenen Wegen Faust nach und ist mit ihren Pferden für Freiarbeit bekannt:
"Ich habe das Video gesehen und das sind keine schönen Bilder. Grundsätzlich bin ich aber immer sehr vorsichtig, aufgrund von Ausschnitten oder Momentaufnahmen ein Urteil zu fällen. Momentaufnahmen, die nicht schön sind, wird man wohl von jedem, der mit Pferden umgeht, finden. Daher verkneife ich mir da ein Urteil. Klar fragt man sich, warum die Pferde ein Seil um das empfindliche Genick haben. Doch man muss auch bedenken, dass das wilde Pferde sind, die vielleicht noch nicht gehalftert werden können. Dann kann man überlegen, ob es vielleicht sinnvoller wäre, sie im Roundpen zu arbeiten. Es könnte aber auch sein, dass sie dann versuchen würden, rauszuspringen, da sie noch nicht an Zäune und enge Räume gewöhnt sind. Ich kenne die genauen Hintergründe nicht. Ich habe auch selbst noch nie ein Wildpferd an der Hand gehabt, nur halbwilde Pferde, die in Menschenhand geboren wurden.
Was man in Frage stellen kann, ist wie viel Wert für die Pferde darin steckt, bei Events aufzutreten bei denen in einem sehr begrenzten Zeitraum etwas erreicht werden muss. Ich aus meiner Perspektive genieße es, mir Zeit lassen zu können mit den Pferden und kleine Schritte machen zu können. Ich akzeptiere dann auch, dass ich manche Sachen nicht so schnell hinkriege wie andere. Der Rahmen des Trainings ist für mich hier ein sehr bedeutsamer Punkt. Ohne diesen Zeitdruck würde es hoffentlich nicht zu solchen Szenen kommen. Nicht nur in den USA, auch hier in Deutschland gibt es seit Jahren Veranstaltungen, wo Jungpferde innerhalb weniger Tage gestartet werden. Man sollte nicht auf Effekte oder eine tolle Show setzen, sondern mehr Wert auf eine solide Ausbildung legen. Das ist mir auch bei der Debatte um die Pferdeprofis aufgefallen. Viele sehen darin offenbar eine Lehrveranstaltung. Das ist es in meinen Augen nicht, es ist Unterhaltung, es geht um Entertainment und die Einschaltquote. Das ist eine Frage des Formats. Für mich ist Pferdeausbildung ein ernsthaftes Thema, das nicht unter "Unterhaltung" laufen sollte.
Die Entwicklung der Pferdewelt im digitalen Zeitalter finde ich ehrlich gesagt ganz schön verwerflich. Häufig werden kurze Ausschnitte und Momentaufnahmen gezeigt, und viele sind dann ganz schnell dabei, das zu kommentieren. Kritisch Dinge zu hinterfragen ist wichtig und richtig, aber bevor man sich öffentlich äußert, sollte man sich selbst reflektieren. Kenne ich die Zusammenhänge und Hintergründe? Würde ich es selbst besser und anders lösen können? Welche Alternativvorschläge habe ich? Ich finde es problematisch, wenn Personen einfach unsachliche und teils beschimpfende Äußerungen tätigen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass am anderen Ende ein lebendiger Mensch sitzt.
Ich kenne Pat Parelli flüchtig persönlich. Ich habe hauptsächlich bei Deutschen, Schweizer und Australischen Instruktoren gelernt, vor 23 Jahren war ich aber im Urlaub einen Tag bei ihm auf der Ranch – und er ist auch schon mal während einer Veranstaltung mit meinem Pony Kimmy und mir in der Kutsche mitgefahren. Was mir damals bei meinem Besuch bei ihm aufgefallen ist: Immer haben die Tiere seine Nähe gesucht, auch wenn er gerade gar nichts aktiv mit ihnen gemacht hat. Egal ob Schafe, Hunde oder Pferde.
Ich habe meine ganze Basis für die Arbeit mit Pferden aufgrund des Parelli-Systems gelernt. Für mich ist es nach wie vor ein sehr gutes und strukturiertes System. Vor allem auch für den Menschen, weil er lernt wie ein Pferd denkt, sich in der Herde verhält und was seine Bedürfnisse sind. Letztlich kommt es aber wie bei jeder Sparte auf den Anwender an. Auch die klassische Deutsche Reitlehre ist ein gutes System. Trotzdem findet man sehr gute und sehr schlechte Dressurreiter – und genauso ist es auch beim Westernreiten, der spanischen Reitweise oder eben im Horsemanship Bereich. Es kommt immer darauf an, wie offen man ist, wie viel Gefühl man hat und wie gewillt man ist, auf die Bedürfnisse der Pferde einzugehen. Nicht jede Person ist gleich."
"Die Techniken selbst sind in Ordnung, aber die konkrete Umsetzung in diesem Fall sehe ich kritisch"
Ralf Heil, 3-Stern-Parelli-Instruktor. Zu seinen Schwerpunkten gehören Dressur und Working Equitation, aber auch das entspannte und natürliche Ausreiten auf der Basis des Natural Horsemanship. Er war einige Jahre regelmäßig für jeweils drei bis sechs Monate in den USA bei Pat Parelli persönlich:
"Ich muss vorwegschicken, dass ich nicht das ganze Live-Event angeschaut habe. Aber diese Szenen haben mich und auch meine Schüler beschäftigt. Schüler haben sie mir zugeschickt und mich um ein Statement dazu gebeten. Für mich ist es herausfordernd, ein Urteil zu fällen, weil ich wenige Hintergrundinformationen habe. Was ich sagen kann: Mit richtig wilden Pferden haben wir in Deutschland kaum Erfahrung. Das ist schon ein großer Unterschied zu Pferden, die Menschen von Geburt an kennen und die ich einfach von der Weide hole. Ich würde sagen: Die Techniken selbst sind in Ordnung, aber die konkrete Umsetzung in diesem Fall sehe ich kritisch. Ich würde das so nicht machen, junge Pferde auf einer großen Veranstaltung mit Videodreh zu arbeiten. Da entsteht viel Druck auch für den Trainer, und dann geht man vielleicht über Grenzen, über die man sonst nicht gegangen wäre.
Ich schätze Pat Parelli sehr. Aber er ist ein echter Cowboy. Parelli war meiner Ansicht nach immer sehr fordernd bei der Arbeit mit Pferden. Damit kommt er früher zu einem Ergebnis – die Frage ist, ob es für das Pferd okay ist. Für mich kommt das auch auf die Persönlichkeitsstruktur des Pferds an. Und: Es gibt Pferde, die haben sehr negative Erfahrungen im Umgang mit Menschen gemacht und eine gefahrlose Kontaktaufnahme ist deswegen kaum möglich. Dann kann es sein, dass man provokativ sein muss, um etwas zu ändern. Mit Geduld kann man bei den meisten Pferden viel erreichen, aber nicht bei allen. Gerade bei jungen Pferden lasse ich persönlich mir jedoch viel Zeit, um eine Beziehung aufzubauen. Parelli sagt: Wenn man sich Zeit nehmen kann, ist das auch in Ordnung. Aber wenn man wilde Pferde einfängt und sie in kurzer Zeit händelbar sein müssen, muss man das anders einschätzen.
So ein Rope ist ziemlich dünn, und wenn ich das um den Hals lege und stark daran rucke oder das Pferd extrem zieht und ich gegenhalte, glaube ich schon, dass dadurch Verletzungen entstehen können. Das Rope halte ich für sinnvoll, wenn das Pferd schon über viele Jahre vom Menschen traumatisiert wurde und denkt, mit Menschen zusammenzuarbeiten ist grundsätzlich schlecht. In solchen Fällen kann man mit Rope-Techniken das Pferd aus der Distanz kontrollieren. Dazu muss man allerdings virtuos mit dem Rope umgehen können. Ich kann das nicht. Mir wäre die Gefahr daher zu groß.
Wenn man die Parelli-Technik gelernt und die unterschiedlichen Level absolviert hat, ist das wie ein Werkzeug, das man erworben hat. Worauf es ankommt, ist die eigene Einstellung dahinter. Welcher Typ bin ich selbst? Denke ich, ich bin nur etwas wert, wenn ich Leistung bringe? Dann kann es schnell passieren, dass solche Techniken missbraucht werden. Wenn man zu sehr in den Approach, also die Annäherung und das Fordern geht, kann es passieren, dass das Pferd zumacht, sich in sich zurückzieht. Bin ich andererseits ein Mensch, der niemandem etwas zumuten möchte und nicht anecken möchte, werde ich das Hauptaugenmerk auf den Retreat, also meinen eigenen Rückzug und das Wegnehmen von Druck legen. Dann kann es passieren, dass das Pferd von mir nicht genug Führung erhält und deshalb dominant oder unsicher wird. Die hohe Kunst ist, die richtige Balance zwischen Annäherung und Rückzug zu finden.
Tatsächlich habe ich mir gerade psychologische Hilfe gesucht, weil ich unter Stress und Aufregung zu fordernd war. Wenn mir viele Leute zuschauten, hatte ich ein kribbliges Gefühl und spannte mich an. Hinterher habe ich mich dann über mich selbst geärgert. Je mehr ich selbst in meiner Mitte bin, desto feiner kann ich mit meinen Pferden kommunizieren. Da hört die Arbeit an sich selbst wahrscheinlich nie auf."