"Da will er auf den Schoß"
Diese Situation kennen viele Reiter: Das Pferd hat Angst vor etwas und drängelt in Richtung Mensch. Unsere häufige Interpretation: Das Pferd sucht Schutz und würde sich jetzt am wohlsten in unseren Armen fühlen. Die andere: Das Pferd ist dominant und drängelt und deshalb weg. Versetzen wir uns dagegen ins Pferd hinein und beachten seine Natur als Fluchttier sehen wir, dass es oft nur weg von einem angsteinflößenden Reiz will und uns in diesem Moment kaum wahrnimmt. Weder will es auf den Schoss, noch ist es frech. Die Lösung: Als Mensch auf sich aufmerksam machen, sich und damit zugleich dem Pferd wieder Raum verschaffen. Pferde schützen sich gegenseitig, indem sie Raum freigeben zur Flucht und in gefährlichen Momenten den Überblick behalten. Genau das können auch wir tun, indem wir einen Sicherheitsraum schaffen und dem Pferd so zeigen "ich passe auf dich auf".
"Wir schauen uns das erstmal aus der Ferne an"
Erstmal von Weitem betrachten und sich dann langsam nähern: Diese Herangehensweise erscheint uns Menschen sinnvoll, wenn es um Herausforderungen geht. Doch beim Pferd sollten wir genau umgekehrt arbeiten: Von der Nähe in die Ferne. Das gilt besonders bei der Arbeit mit Dingen, die dem Pferd unheimlich sind: Sei es die Sprühflasche oder die Wurmkur-Spritze. Kommt der Mensch aus der Ferne mit der Sprühflasche, sieht das Pferd sie nur mit einem Auge und daher nicht dredimensional. Es kann sie schlecht einschätzen. Schleichen wir uns wie ein Raubtier aus der Ferne an, entsteht außerdem ein Angriff für das Fluchttier Pferd. So lernt das Pferd genau das Gegenteil des Gewünschten, nämlich zu fliehen. Die bessere Idee: Das Training beispielsweise im Roundpen mit der Sprühflasche in der Hand starten, Führübungen machen, vor dem Pferd hergehen, es zwischendurch sehr kurz (etwa drei Sekunden) mit dem Handrücken und der Flasche in der Hand abstreichen, weitergehen. Wenn ich dann später einfach aus der Ferne mit der Sprühflasche zum Pferd gehen und es entspannt einsprühen kann, habe ich mein Ziel erreicht.
"Das muss mein Pferd aushalten lernen"
Das Pferd soll sich an einen Reiz gewöhnen, also darf der doch nicht gleich wieder weg sein - ein Missverständnis! Mein Tipp: Werden Sie in Ihren Entscheidungen so schnell wie Ihr Pferd. Als Fluchttier entscheidet das Pferd in Sekundenschnelle ob es kämpfen, fliehen oder erstarren soll. Der Mensch dagegen überlegt viel länger. Wir müssen daher lernen, schneller zu reagieren. Gerade beim Gelassenheitstraining lassen wir das Pferd sonst viel zu lange in einem Stressmoment. Dann lernt es Aushalten oder Flüchten, aber nicht, einem Reiz wirklich entspannt zu begegnen. Schon fünf Sekunden können überfordern. Gewöhnung ist ein unbewusster Prozess beim Pferd, sein schnelles Wesen ist hier voll im Vordergrund. Es braucht eine schnelle Lösung, denn fürs Pferd geht es in Gefahrensituationen um Leben und Tod. Deshalb gilt: Loben Sie häufiger und schon sehr kleine Schritte. Dazu reicht schon, die eigene Körperspannung zu senken oder den Abstand zum Reiz zu vergrößern. Wenn wir schnell genug und im richtigen Moment reagieren, lernt das Pferd gelassen zu bleiben, ohne Dinge "aushalten" zu müssen.
"Mein Pferd ist eben Energiesparer"
Ein faules, stumpfes oder lethargisches Pferd ist nicht normal - Reaktivität ist pferdisch! Ein Pferd ist also nicht einfach unmotiviert, sondern hat Reaktivität gegenüber dem Menschen noch nicht als Lösung für sich entdeckt. Es weiß scheinbar nicht, wie es auf Anfragen reagieren kann und hat oft nicht verstanden, was man eigentlich von ihm will. Oft haben solche Pferde durchaus großen Stress. Wir haben daher die Verantwortung, unsere Pferde nicht in Lethargie oder vielleicht sogar Depression verharren zu lassen, sondern ihre Neugier zu fördern und sie zurück zum Pferdsein zu bringen.
"Zu viel Körperenergie überfordert das Pferd"
Das kann für manche Pferdetypen natürlich durchaus stimmen. Oft sind wir es aber selbst, die uns von negativen Glaubenssätzen verabschieden müssen, wenn das Pferd scheinbar unmotiviert ist. Sehen wir Bewegung und Energie positiv und haben keine Angst davor, unser Pferd dazu aufzufordern, wirkt sich das direkt auf sein Energielevel aus. Beim Schritt-Trab-Übergang an der Hand kann man sich zum Beispiel mal richtig freuen, wenn das Pferd antrabt - und beim Antraben die eigene Körperenergie so hochfahren, dass das Pferd merkt: Hey, es ist jetzt wirklich voll wichtig, anzutraben. Druck über unsere Körperenergie auszuüben ist nicht schlimm. Tun wir es nicht, trainieren wir das Pferd ungewollt auf Lethargie. Kommen wir in unsere Energie, tut das dagegen Psyche und Körper des Pferds gut.
Sie wollen mehr über die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd erfahren? Dr. Vivian Gabor zeigt auf ihrer Live-Tour "Verstehen wir uns richtig?!" pferdegerechte Verhaltenstrainings zum Nachmachen. Die erfahrene Verhaltensbiologin, promovierte Pferdewissenschaftlerin und Buchautorin macht an noch drei Abendveranstaltungen erlebbar wie es gelingt, eine erfolgreiche Mensch-Pferd-Kommunikation aufzubauen.
- Am 7. Juli in 37574 Einbeck im IVK Greene
- Am 15. September in 3762 Erlenbach i.S. (CH) auf der Reitanlage Erlenbach
- Am 9. November in 81929 München-Riem auf der Olympia-Reitanlage
Der Rabattcode für Cavallo-Leserinnen und Leser lautet: CAV2023Gabor
Mit diesem Code lädt Dr. Vivian Gabor alle Cavallo-Leserinnen und Leser ein, um zehn Euro vergünstigt am Event teilzunehmen – statt für 35 Euro für 25 Euro. Am 7. Juli haben die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit, schon früher zu kommen (ca. 15 Uhr), um sich die Anlage und interessante Partnerstände anzusehen. Der Live-Abend beginnt dann um 17 Uhr. An diesem Termin nimmt auch CAVALLO-Autorin Alena Brandt mit ihrer Stute Dinara an der Live-Veranstaltung teil – im Rahmen der CAVALLO-Serie "Jungpferd on Tour" (ab CAVALLO 7/2023 im Heft).