Wenn wir über das Zähmen wilder Pferde sprechen, muss uns klar sein, was der Unterschied zwischen dem Starten (Anreiten) eines Pferds und dem Zähmen eines Pferds ist. Für mich beginnt das Anreiten, wenn wir das Pferd aufhalftern können und es Vertrauen in uns als Partner hat. Ich sehe es als die Kunst der Anziehungskraft zwischen Mensch und Pferd, so dass unsere Idee zu der Idee des Pferds wird und das Pferd mit uns sein möchte. Das Zähmen ist der Prozess davor, also die Zeit, bis das Pferd sich annähern lässt und den Menschen und das Halfter akzeptiert.
Menschen sind von Natur aus Raubtiere, Pferde Fluchttiere
Das Pferd kann in fünf Zonen unterteilt werden, beginnend bei der Nase bis zum Schweif. Von Natur aus sind Pferde von ihrem dritten Wirbel bis zur Nase sehr sensibel und schützen diesen Bereich instinktiv. Sie wissen, dass ein Raubtier bei einem Angriff diesen Bereich schnell verletzen kann. Wir Menschen sind von der Natur aus gesehen Raubtiere und Pferde Fluchttiere, sodass Pferde diese Zonen auch vor uns schützen wollen.
Wenn wir eine Beziehung beginnen und eine Partnerschaft entwickeln, ist es enorm wichtig, wie wir mit den verschiedenen Zonen des Pferds umgehen. Wir bei Parelli sind Befürworter des "Foal Imprintings", denn die ersten Tage sind ideal für den Prozess des Zähmens. Bei unserer Anwendung des "Foal Imprinting" geht es um das Vertrautmachen mit dem Menschen als Partner direkt nach der Geburt und in den ersten Tagen.
Möglichkeiten zur Wildpferde-Zähmung sind begrenzt
Schauen wir uns wilde Pferde an, die bereits älter sind, nie von einem Menschen berührt wurden, unser Umfeld nicht kennen und nicht gezähmt sind, dann gibt es nur sehr wenige Methoden, um diese Hürde zu überwinden und die sensiblen Zonen zu zähmen. Die Möglichkeiten sind sehr begrenzt und die meisten davon sind ethisch nicht vertretbar. Man könnte wilde Pferde zum Beispiel vom Rücken eines anderen Pferds treiben und mit dem Lasso einfangen oder man könnte die Pferde mit einem Blasrohr von Distanz aus betäuben. Was leider häufig bei Mustangs genutzt wird ist, dass man die Pferde einzeln durch einen schmalen Gang treibt und das Pferd einklemmt, um ihm das Halfter anzuziehen (dieses Vorgehen kann sehr gefährlich und auch traumatisierend für das Pferd sein).
Als andere Option könnte man die Jeffery-Methode verwenden, für die ich mich entschieden habe. Die Methode wurde von Kell Jeffery 1914 erstmals vorgestellt und später von Morris Wright in den 1970ern weiterentwickelt. Obwohl viele meiner Mentoren, wie Dr. Billy Linfoot und Tom Dorrance, diese Methode schon lange nutzten, erlernte ich sie erst in den 70ern. Kurz erklärt: Die Jeffery-Methode nutzt einen langen Stab und ein Seil mit einem Ring am Ende, welches um den Hals der Pferde gelegt wird. Der Grundsatz dahinter ist die "Long-Body-Logic", welche für das Pferd natürlich und effektiv ist. "Long-Body-Logic" heißt zu verstehen, dass Pferde einen langen Körper und wir einen aufrechten Körper haben und wir uns dem Pferd anpassen. So können wir uns vorsichtig den sensiblen Zonen nähern und der Ring am Ende des Seils erlaubt ein schnelles Nachgeben.
Wissensstand und Art der Anwendung sind wesentlich
Wie mit jeder Technik ist die Art, wie sie angewendet wird und der Wissensstand des Nutzers wesentlich. Mein Ziel seit über 41 Jahren ist es, normalen Menschen außergewöhnliche Ergebnisse mit Pferden zu ermöglichen. Während unserem "Wild Horse Taming Event" im März dieses Jahres coachte ich acht meiner Studenten live durch den Prozess des Zähmens. Die Jeffery-Methode benötigt Gefühl und Timing. Zuerst kreiert man einen leichten Kontakt, dann lässt man das Seil durch seine Hand gleiten und gibt einen kurzen Impuls gefolgt von einem "quick release" (schnellem Nachgeben/Aufmachen der Hand) mit dem Ziel, dass das Pferd die Idee bekommt, dem Gefühl zu folgen und seine Nase zum Menschen hinzuwenden. Das ermöglicht dem Menschen, sich den sensiblen Zonen anzunähern und den Prozess des Aufhalfterns zu beginnen. Diese Technik ist so effektiv und verständlich für das Pferd, dass es meist nur drei bis vier Wiederholungen braucht, damit das Pferd seine Meinung ändert, sich entscheidet, sich dem Menschen zuzuwenden und sich ihm anzuschließen.
Die Transformation vom Fluchtinstinkt – der Natur der Pferde – zum Akzeptieren des Menschen als Freund und Partner ist ein sehr sensibler und besonderer Prozess. Es braucht viel Können und Wissen, um genug Gefühl zu entwickeln, um diesen Prozess nahtlos erscheinen zu lassen. Zudem muss man die unterschiedlichen Pferdecharaktere berücksichtigen, wir nennen sie Horsenalities, die auf vier Einflussfaktoren beruhen: angeborenes Verhalten, gelerntes Verhalten, Umwelteinflüsse und das Temperament. So werden manche Pferde den Prozess schneller verstehen, während andere einen hohen Fluchtinstinkt und Selbstverteidigungsinstinkt haben und mehr Zeit benötigen.
Alle acht Wildpferde entwickeln sich fantastisch als Partner
Ich bin sehr dankbar und glücklich sagen zu können, dass alle acht Wildpferde, mit denen wir an unserem Event "Horsemanship Simplified: Wild Horse Taming" angefangen haben eine Beziehung aufzubauen, sich fantastisch als Partner weiterentwickeln. Jeden Tag bauen meine Studenten mehr und mehr Vertrauen zu diesen Pferden auf und nutzen dafür die sieben Spiele aus meinem Parelli Levels-Programm. Das Levels-Programm ist der Wegweiser und Leitfaden für die Pferdeausbildung. Meine Philosophie im Levels-Programm ist es, alles MIT und FÜR das Pferd zu tun, anstatt es einfach dem Pferd anzutun. Mein Wunsch ist es, diese Philosophie mit der ganzen Welt zu teilen, sodass wir zusammen die Welt zu einem besseren Ort für Pferde und Pferdeliebhaber machen können.