Bereits an seinem ersten Tag bei Arien Aguilar brach Fuego aus. Er kletterte regelrecht über die hohen Panels und deckte die drei Stuten auf dem heimatlichen Hof in Portugal. Und als Aguilar ihn bei der ersten Trainings-Einheit auf dem Platz freiließ, dachte Fuego nicht daran, wieder ans Seil zurückzukehren.
Ohnehin war der damals dreijährige Spanier schwierig zu führen. Da beschloss der Trainer, das Pferd von hinten oder vielmehr gar nicht aufzuzäumen: Fuego sollte seine gesamte Grundausbildung von Bodenarbeit bis Einreiten ohne Halfter und Seil bekommen.
Ausgerechnet ein solches Energiebündel? Dass Fuego, "Feuer", seinen Namen nicht umsonst trägt, ist schnell klar. Die Hufe des Braunen wirbeln Staub dicht wie Rauch auf, wenn er wie aus dem Nichts explodiert, die lange Seite entlang jagt – um dann ruhig neben seinem Trainer stehenzubleiben. Zu Beginn war ihm das schon zu viel Nähe.
Hengst auf Abstand
"Anfangs blieb Fuego immer drei, vier Meter weit weg von mir, hat die ersten vier Monate kein Leckerli angenommen. Da er so reaktiv war, musste ich extrem auf meine Energie achten."
Die Lektion "ruhiges Stehen" hätte Aguilar mit Knotenhalfter und Seil leicht abkürzen können. Zupfen am Seil ging nicht, und ein unsichtbares Band musste das Paar erst noch knüpfen. Es dem Pferd an der eigenen Seite so angenehm wie möglich zumachen, war das einzige Mittel. Doch die Geduld lohnte sich: "Es sind gerade diese Diskussionen und Gespräche, die eine gute Beziehung zum Pferd ausmachen", ist der Trainer überzeugt. Gespräche, die mit einem Seil gar nicht zustande kämen.
Erst wenn ein Kommunikationsmittel wegfällt, entsteht eine neue Sprache. Ähnlich wie Gehörlose ein für Hörende unglaublich nuanciertes Gebärdensystem entwickeln, weil sie ohne Stimme auskommen müssen, verfeinerte auch Arien Aguilar seine Kommunikation mit Fuego durch den Verzicht aufs Seil.
Neue Sprache entwickeln
"Wie wir kommunizieren beeinflusst, wie unser Gehirn funktioniert. Sprache formt unsere Gedanken. Sicher hat Kommunikation auch auf Pferde große Auswirkungen."
Fuegos Gehirn jedenfalls läuft auf Hochtouren. Seine Ohren spielen, sein Blick ist wach, aber entspannt. Der Hengst reagiert schnell auf kleinste Signale. "Die Arbeit mit dem Seil hätte ihn abgestumpft. Aber ich wollte, dass er so sensibel bleibt, wie er ist", erklärt Aguilar.
Während der Trainer spricht, kommt Fuego angelaufen, stellt sich zwischen die Menschen. Mit kleinen Gesten und Stimmsignalen nimmt Aguilar das Gespräch mit dem Hengst wieder auf. Fuego folgt ihm, weicht aus, stoppt, sprintet los. Was tänzerisch und spontan wirkt, hat System.

Alle Signale hat Fuego eines nach dem anderen gelernt, wie die Vokabeln einer Fremdsprache. "Die Energie, die ich etwa einsetze, wenn ich ihn wegschicke, und die er intuitiv versteht, ist nur zum ersten Erklären da. Ich kombiniere sie mit einem Stimmsignal. Reagiert Fuego so, wie ich es möchte, lobe ich ihn." Jede einzelne Vokabel, jedes Signal kann sich später zu ganzen Sätzen formen. "Ich bringe ihm die Übungen nicht als Trick bei, sondern als eine Sprache."
Über 30 Stimmsignale, teilweise in Kombination mit Gesten, kann Fuego bereits unterscheiden. "Wir können Pferden so vieles beibringen, ohne sie mit Hilfsmitteln in eine Position zu schieben oder zu ziehen", so Arien Aguilar. Die Grundsteine waren Anhalten und Rückwärtsgehen sowie auf den Trainer zuzukommen. Daraus entwickelte sich alles Weitere. Mühelos bewegt Aguilar mit vier Handgesten Hinterhand und Schulter, entweder auf sich zu oder von sich weg. "So kann ich seine Bewegungsrichtung ohne Führseil beeinflussen."
Dressurlektionen nur mit Gesten
Doch damit ist längst nicht Schluss. Fuego, der im Training nie ein Halfter oder einen Kappzaum trug, beherrscht auch Dressurlektionen wie das Schulterherein – allein über Stimmsignale und Gesten bringt er die Schulter nach innen und geht in Biegung und Stellung. Ganz ohne begrenzenden und stellenden Zügel.

"Um ihm die Stellung beizubringen, habe ich meine Hand neben den Kopf gehoben. Da schaute er zu meiner Hand, das tut jedes Pferd ganz automatisch". Mit Lob etablierte Aguilar das Signal, lockt nun mit feinen Gesten eine leichte Stellung im Genick hervor. Shaping heiß dieser Ansatz, bei dem der Trainer nutzt, was das Pferd ohnehin anbietet.
Wäre Fuego für andere nicht ein Buch mit sieben Siegeln? Und eines mit explosivem Inhalt dazu? "Wenn ich ihn verkaufen würde, müsste ich ihn nochmal eine Weile normal arbeiten", meint Arien Aguilar. Doch es sieht nicht danach aus, als würde er Fuego wieder hergeben. Der Hengst, der sich am Anfang kaum anfassen ließ, genießt ausgiebige Krauleinheiten bei seinem Besitzer, kräuselt die Oberlippe und reckt den Hals. Zwei, die sich verstehen. "Ich denke, wir haben eine engere Beziehung, weil wir anders kommunizieren."

Einmal hätte Arien Aguilar fast selbst die Vokabeln für diese Kommunikation vergessen. Drei Monate hatte er intensiv mit Fuego gearbeitet, als ein schwerer Autounfall ihn ins Krankenhaus brachte. Es folgten mehrere Operationen, noch heute muss sich der Trainer vor Schmerzen rücklings auf eine Bierbank legen, nachdem er eben noch wie ein Junge über den Platz tobte.
"Nach meinem Unfall habe ich gemerkt, wie viele Stimmsignale ich ihm beigebracht hatte und wie genau sie waren – ich konnte mich an manche gar nicht mehr exakt erinnern."
Bosal und Sattel zum Reiten
Nicht alles ist nach dem Unfall und der folgenden einjährigen Trainingspause möglich wie geplant. Wenige Male saß Arien Aguilar vor seinem Unfall bereits auf dem komplett blanken Pferd. "Das ist mir jetzt aber zu riskant für meinen Rücken, ich nutze nun also doch Bosal und Sattel."

Doch am Boden geht der Horseman den Weg ohne Seil weiter, auch wenn es einfacher ginge: "Es gibt viele Dinge, die ein Pferd schneller und einfacher verstehen würde, wenn man an einem Seil Impulse geben kann." Nichts für Einsteiger sei seine Methode, eher ein Weg, sich selbst herauszufordern. Und eine Anregung für jeden, das Seil nur als zweite Option zu sehen, stärker mit dem eigenen Körper, mit Stimme, mit klugen Überlegungen zu arbeiten.

Angst, das Pferd zu überfordern, hat Arien Aguilar keineswegs. "Meine Pferde lernen mehr, weil ich mehr erwarte. Ich denke, dass die meisten Pferde eher unterfordert sind." Löse man diese Unterforderung auf, seien die Pferde viel motivierter. Fuego jedenfalls ist beim Fototermin bis zum Schluss eifrig dabei. Immer wieder kehrt er an die Seite seines Trainers zurück, auch wenn zwischendurch anderes seine Aufmerksamkeit fesselt. Ein Haufen Pferdeäpfel am Reitplatzrand, irgendetwas außerhalb des Platzes.
Will der Hengst sich abwenden, woanders hingehen, klopft Arien Aguilar ihn zweimal und sagt "pos". Ein Signal, das eigentlich "fressen", aber auch einfach "Pause" bedeutet. Bewusst läutet der Trainer die Pause mit einer Berührung ein. "Weil Fuego sich anfangs so schwer anfassen ließ, wollte ich das mit etwas Positivem verbinden."
Signale für mehr Freiheit
"Wenn man auch Signale für Dinge wie Weggehen oder Fressen etabliert, muss man keine Angst haben, die Kontrolle zu verlieren, und kann mehr Freiheiten erlauben."
"Freiheit bedeutet in der modernen Definition, tun zu können, was man will. Im Kern bedeutet Freiheit aber, dass man entscheiden kann – auch wenn jede Entscheidung Konsequenzen hat." Frei sein könne ein Pferd also auch mit Halfter, wenn es entscheiden kann, wie es auf ein Signal des Menschen reagiert. "Es sollte also eigentlich nicht Freiarbeit, sondern seillose Arbeit heißen", meint Aguilar.

Liegt es an den Pausen, in denen er frei herumstromert, dass sich Fuego so lange konzentrieren kann? Arien Aguilar hat noch eine andere Vermutung: "Er versteht mehr, weil ich ohne Seil sehr klare Stimm- und Körpersignale finden musste. Es ist wie bei einem Gespräch, dem man folgen kann, weil der andere nicht nuschelt und man das gleiche Vokabular hat."
Ganz am Schluss kommt dann doch noch, was andere zu Beginn getan hätten: Arien halftert Fuego auf, um ihn zum Stall zu führen. Sicherheit geht vor. Doch der Strick hängt durch, auch wenn es an den Stuten vorbeigeht. Das unsichtbare Band ist stärker.
Selber machen: Mit der eigenen Energie arbeiten
Wer frei mit dem Pferd arbeitet, muss ganz genau auf die eigene Körperspannung achten. Sensible Typen wie Fuego machen die Biege, wenn der Druck steigt. Andere ignorieren den Menschen, wenn seine Ausstrahlung zu lasch ist.

Nutzen Sie die Freiarbeit, um Ihr Energielevel bewusst einzusetzen. So können Sie auch ohne Seil z. B. Dehnungshaltung (selbst entspannen, nach unten tendieren) und Aufrichtung (groß machen, Körperspannung) üben. Reagiert Ihr Pferd wie gewünscht, können Sie eine Geste oder ein Stimmsignal damit verbinden und etablieren.
Selber machen: Die wichtigsten Schlüssel-Lektionen als Basis
Wer seinem Pferd ohne Hilfsmittel eine Richtung vorgeben und gymnastizierende Lektionen abfragen will, muss als Basis Vor- und Hinterhand bewegen können – und zwar jeweils vom Menschen weg und zum Menschen hin.
Arien Aguilar arbeitet dazu mit Handgesten, die das Pferd mehr oder weniger intuitiv versteht. Um das jeweilige Körperteil wegzuschicken, zeigt er mit der Hand darauf.

Um es zu sich heranzuholen, hebt er die Hand auf Höhe von Vor- oder Hinterhand nach oben.

So landet der Druck mehr auf der abgewandten Körperseite des Pferds und es bewegt sich auf den Menschen zu. Anfangs können Sie einen Stick/Gerte als verlängerten Arm zum Antippen nutzen.
Selber machen:
Über 30 Stimmsignale und Gesten kann Arien Aguilars Hengst Fuego bereits unterscheiden. Das ist nötig, um auch ohne Kopfstück präzise kommunizieren zu können. Tipps vom Trainer: Nicht das gleiche Signal steigern ("Komm" für Schritt, Trab, Galopp), sondern unterschiedliche Kommandos nutzen. Außerdem sollten Stimmsignale nie zu ähnlich klingen. Variieren Sie zwischen kurzen und langen Signalen. Lassen Sie sich von Arien Aguilars Kommandos inspirieren und etablieren Sie eigene.

Der Experte: Arien Aguilar
...ist studierter Verhaltensforscher, Horseman und Freiarbeits-Experte. www.arien-aguilar.com