Mein Pferd hat etwas Neues gelernt oder eine schwierige Aufgabe richtig gut bewältigt. Da will ich ihm natürlich sofort mitteilen, wie zufrieden ich bin. Aber wie mache ich das so, dass es für mein Pferd auch wirklich eine riesige Belohnung ist? Pat Parelli sagt als Faustregel: "Tue das Gegenteil von dem, was du denkst." Warum denn das? Wir Menschen ticken in unseren instinktiven Reaktionen ganz anders als das Fluchttier Pferd. Auch bei der Belohnung lohnt es sich, über den Unterschied zwischen "Raubtier Mensch" und "Fluchttier Pferd" nachzudenken.
"Braaaaaav!", "Feiiiiiiin!", "Priiiiiima!" oder "Guter Bub!" – sobald uns etwas gefällt, wollen wir das deutlich hörbar kommentieren. Logisch – wir Menschen kommunizieren schließlich vor allem verbal. Pferde dagegen verständigen sich fast ausschließlich über die Körpersprache. Natürlich benutzen Pferde untereinander auch Geräusche – Wiehern, Prusten oder Blubbern, aber grundsätzlich sind sie als Fluchttiere still, gerade in Momenten, in denen es ihnen besonders gut oder besonders schlecht geht.
Manchmal bewirkt unser Lob Anspannung
Ein "Braaaaav!" wäre also nicht ihre erste Wahl, wenn es um Komfort geht. Allerdings ist mein Eindruck, dass sie so klug sind zu wissen, dass wir ihnen mit diesem Stimm-Lob etwas Gutes tun wollen. Aber ich habe schon oft festgestellt, dass besonders ängstliche Pferde auf zu begeistertes, lautes Loben mit der Stimme sogar mit Anspannung reagieren – wir also das Gegenteil von dem erreichen, was wir mit dem Lob bezwecken! Dieser Unterschied beginnt schon beim Säugling bzw. Fohlen: Als Babys können wir zunächst weder laufen noch besonders gut sehen. Hören dagegen von Anfang an recht gut, sogar schon im Mutterleib. Wir sind auf die Anwesenheit wenigstens eines anderen Menschen angewiesen, denn wenn niemand da ist, der für uns sorgt, dann bedeutet das Lebensgefahr – kein Essen, keine Wärme, kein Schutz, keine Zuwendung. Eine freundliche menschliche Stimme ist für uns also in den ersten Lebenswochen Bestätigung, dass da jemand ist, der sich um uns sorgt. Für Fohlen könnte dagegen zu viel "Gerede" ihrer Mutterstute sogar gefährlich werden, denn laute Geräusche machen Raubtiere aufmerksam. Die höchste Form der Belohnung ist Loben mit der Stimme für Pferde also nicht.

Wenn wir nicht mit der Stimme loben, dann sollte doch wenigstens ein Leckerli in Ordnung sein? Auch hier hilft mir wieder der Blick auf die ersten Tage eines menschlichen Säuglings und eines Fohlens: Wir Menschen können als "Nesthocker" in den ersten Tagen, Wochen und Monaten nicht für unsere eigene Nahrung sorgen. Wir sind darauf angewiesen, dass uns jemand mit Nahrung versorgt, sonst sterben wir. Von jemand anderem Essen angeboten zu bekommen, ist für uns also ein Zeichen der Fürsorge und des Wohlergehens. Bei Fohlen ist das anders: Sie kommen schon "fertig" auf die Welt und können sofort laufen. Dadurch sind sie in der Lage, postwendend bei der Mutterstute zu saugen oder sich sogar bei anderen Stuten Milch zu "klauen", wenn nötig. Und bereits im Alter von etwa zwei Monaten sind sie in der Lage, selbst feste Nahrung zu sich zu nehmen – etwas, wovon Menscheneltern bei ihren Zöglingen in diesem Alter nur träumen können!
Ja, auch für Pferde gehört die Versorgung mit Futter und Wasser zu den Grundbedürfnissen. Aber es ist etwas, zu dem sie selbst in der Lage sind, und das "Zustecken" von Leckereien hat für sie nicht diese hohe Bedeutung wie für uns Menschen. Im Gegenteil, manche Pferde schlussfolgern aus dem bereitwilligen Geben von Futter, dass sie offenbar ranghöher sind – wenn die Beziehung zwischen Mensch und Pferd nicht geklärt ist, kann es da zu diversen Missverständnissen kommen. Und wie viele Pferde gibt es, die ein paar oder sogar gefährlich viele Pfunde zu viel auf den Rippen haben, weil für uns Menschen das Füttern so ein wichtiges Zeichen von Fürsorge gegenüber unserem geliebten Vierbeiner ist?! Für Pferde jedenfalls ist Fressen wichtig, aber Futter oder Leckerlis aus unserer Hand zu fressen, ist für sie nicht die höchste Form von Belohnung.
Berührung hat einen anderen Stellenwert
Für uns Menschen ist Körperpflege zu Beginn unseres Lebens überlebenswichtig. Als Nesthocker können wir uns nicht aus unserem Kot und Urin wegbewegen und sind darauf angewiesen, dass uns jemand säubert, damit wir nicht in unseren Exkrementen liegen, die unsere Haut angreifen, Entzündungen und letztendlich den Tod verursachen würden. Zudem signalisieren uns Berührungen in diesen ersten Lebenswochen und -monaten: Ich bin nicht alleine, es sorgt jemand für mich, ich bin hier sicher.
Für Fohlen stellt sich die Lage mal wieder ganz anders dar: Als "Nestflüchter" können sie sich sofort mit der Herde weiterbewegen und lassen Kot und Urin einfach in der Weite von Steppe und Prärie hinter sich (einer der Gründe, warum Pferde auf einer menschlich eingezäunten Weide einfach alles volläppeln – in der freien Natur wären sie nach ein paar Stunden schon wieder an einen neuen Ort weitergezogen). Und wenn sie Schutz und Geborgenheit brauchen, können sie sich selbständig an die Seite ihrer Mutterstute begeben.Ja, auch Pferde betreiben Fellpflege, aber das hat für sie auch ganz stark eine soziale und hierarchische Funktion und drückt aus, in welcher Beziehung Pferde zueinander stehen: Wer darf wen berühren? Wie groß ist das Vertrauen und der Respekt gegenüber diesem Herdenmitglied? Ich kenne viele Pferde, die es überhaupt nicht mögen, von Menschen gestreichelt zu werden. Für uns ist das ein Zeichen von Freundlichkeit und Zuwendung, für Pferde ist das oft absolut übergriffig, da für die allermeisten Pferde zuerst die Beziehung, also Vertrauen und Respekt, geklärt sein muss, bevor man so nah in die persönliche Zone gehen darf.
Deshalb sagen wir unseren erstaunten Kursteilnehmern auch zu Beginn des Kurses immer, dass sie die Pferde bitte ausdrücklich nicht putzen sollen, wenn sie zum ersten Mal auf den Platz gehen. Für viele Reiterinnen gehört dieses Putzen ja zu einem schönen Begrüßungsritual. Doch für die Pferde? Verspielte, selbstbewusste Typen wollen in der Regel lieber erst einmal etwas gemeinsam mit ihrem Menschen erleben, statt sich "langweilig" den Rücken schrubben zu lassen. Und schüchterne Pferde finden es meist viel schöner, wenn man sich auf eine größere Distanz hinweg "Guten Tag" sagen kann, zum Beispiel durch ein kurzes Warm-up am Boden, bevor man gleich so intim wird.
Klar, auch wir putzen bei uns die Pferde, bevor wir reiten – aber wir achten ganz genau darauf, ob das für das jeweilige Pferd jetzt gerade in Ordnung ist oder ob es vorher noch etwas anderes von uns braucht. Wenn die Beziehung zwischen Mensch und Pferd auf einem guten Boden steht, ist gegen streicheln nichts einzuwenden, aber für Pferde ist das nicht die höchste Form der Belohnung.

Für uns unhöflich, für Pferde das Schönste
Aber wenn Stimme, Leckerlis und Streicheln nicht das Nonplusultra für Pferde sind, was kann ich anders machen, damit mein Pferd das höchste Maß an Wohlgefühl erleben kann?Die einfache Antwort ist: Die Pferde sagen es uns. Wenn ich in unsere Herde gehe und beobachte, was sie tun, wenn das Leben absolut in Ordnung ist, wenn kein Raubtier droht und sie genügend Sicherheit, Futter und soziale Kontakte um sich haben, dann machen Pferde gemeinsam: Nichts. Sie stehen nebeneinander und ignorieren einander ganz liebevoll. Weil die Welt in Ordnung ist. Weil sie nicht aufpassen und um ihr Leben besorgt sein müssen. Für Pferde ist dieses gemeinsame Dastehen und sich gar nicht weiter umeinander kümmern also das Höchste der Gefühle.
Wenn ich meinen Horsemanship-Schülern vorschlage, ihr Pferd zu ignorieren, sobald es etwas richtig toll gemacht hat, dann höre ich oft ein lautstarkes: "Ja, aber!" Uns Menschen fällt es sehr schwer, dieses Ignorieren als Belohnung zu verstehen und umzusetzen – denn wenn wir als Säuglinge ignoriert werden, dann ist das für uns lebensgefährlich. Und auch für uns Erwachsene ist dieses Ignorieren als sehr unhöflich, ja fast feindselig abgespeichert.
Aber genau das ist für Pferde das beste: Gemeinsam irgendwo dastehen, gemeinsam in unterschiedliche Richtungen blicken, aus denen keine Gefahr droht, gemeinsam nichts machen und die Energie für den nächsten Ernstfall einsparen können. Sich nicht weiter um einander kümmern, da die Hierarchie der Herde geklärt und entspannt ist – gibt es etwas Schöneres? Für Pferde nicht! Probiert es mal aus!
Die Expertin

Dr. Julia Mack-Heil ist promovierte Theologin und war bis 2020 als evangelische Pfarrerin tätig. Ihre Leidenschaft für Menschen und Pferde verbindet sie heute als Trainerin C Westernreiten und im Horsemanship nach Pat Parelli. https://birkenhof-heil.de