Dieser James French ist ein umwerfender Mann. Mit seiner Ausstrahlung liegen ihm alle zu Füßen – wortwörtlich. Es geht aber nicht um Frauen, sondern um Tiere. Im Internet kursieren beeindruckende Videos, in denen der Engländer im Gras sitzt und scheinbar nichts tut. Aber: Um ihn herum tut sich einiges. Die Pferde auf der Weide legen sich um den Mann herum hin. Ein Schecke hat sogar seinen Kopf in den Schoß von French gelegt, streckt die Beine aus und schließt die Augen.
Pferde nehmen die friedliche Energie auf
Wie macht James French das? Schließlich ist es ein großes Vertrauensgeschenk, wenn ein Fluchttier sich zum Menschen legt. Der Mann hat aus seinem Gespür für Tiere eine Methode entwickelt: die Trust Technique, übersetzt Vertrauens-Technik. Der Grundsatz klingt simpel: Der Mensch bringt sich selbst in einen friedvollen Zustand, die Tiere spüren das und nehmen die Energie auf. Sie sollen in diesem entspannten Zustand sogar traumatische Erlebnisse verarbeiten können. Die Achtsamkeit soll das Vertrauen zwischen Mensch und Pferd vertiefen.
Meine Neugier ist geweckt. Meditation praktiziere ich fast täglich. Aber nicht mit Tieren. Sondern allein auf dem Sitzkissen im Wohnzimmer. Zugegeben: Das ist schon manchmal langweilig. Es wäre doch viel schöner, bei den Pferden zu üben. Und damit nicht nur mir etwas Gutes zu tun – sondern auch noch die Beziehung zu meinem Pferd zu stärken.
Und ganz ehrlich: Welcher Pferdebesitzer träumt nicht von einem so innigen Verhältnis zu seinem Tier, dass es sich zu ihm legt? Also, ich auf jeden Fall. Meine fünfjährige Stute Dinara habe ich vor einem Jahr gekauft. Wir sind also noch ein neues Team. Vertrauen aufzubauen ist mir wichtig. Ich vereinbare eine Sitzung bei Trust Technique Practitioner Erdmuthe Podlech aus Neuendettelsau in Bayern. Sie kam über ihre blinde Stute zu der Vertrauensarbeit und unterrichtet die Technik (www.blindesverstehen.de).
Die Sitzungen sind immer in heimischer Umgebung
Eine Trust-Session dauert rund eineinhalb Stunden und kostet 140 Euro. Dazu gehört ein Vorgespräch am Telefon und eine Nachbesprechung. "Ich arbeite in der gewohnten Umgebung der Tiere und zusammen mit dem Besitzer", erzählt Erdmuthe Podlech. Die Sitzung findet also im heimischen Offenstall statt. Erdmuthe Podlech fragt, zu welcher Zeit die Tiere meistens ruhen. Das sei ein gutes Zeitfenster für die Sitzung, denn da sind die Tiere in einer entspannten Grundstimmung. Wir verabreden uns also für elf Uhr am Vormittag.
Ob Dinara sich wohl entspannen kann? Heute ist eine CAVALLO-Fotografin dabei. Das Klicken der Kamera kennt sie noch nicht. Ich hoffe, dass sie sich davon nicht ablenken lässt. Tatsächlich ist meine Stute unbeeindruckt von der Kamera. Nur ich nicht! Normalerweise passe ich bei Shootings als Autorin auf, dass alle Bilder im Kasten sind: Stimmt die Perspektive? Fehlt noch ein Motiv? Ist der Hintergrund ruhig? Solche Fragen schießen mir durch den Kopf, als wir einen passenden Platz für die Session suchen. Aber Erdmuthe Podlech strahlt Ruhe aus – die zu mir schwappt. Schließlich ist auch der perfekte Ort gefunden: unser Hackschnitzelplatz. Dinara trägt Halfter und einen langen Strick. Mehr brauchen wir nicht.

Und dann geht es los – ohne dass ich es anfangs bemerke. Erdmuthe Podlech fragt, ob es schon herausfordernde Erlebnisse gab. Oh ja! Da fällt mir unsere erste Woche ein. Ein Zaungriff schnellte zischend zurück, als ich Dinara durch ein Tor führte. Sie erschrak und schoss übers Feld. Ich hatte Angst, dass sie zur Straße läuft. "Stop mal, und schau auf dein Pferd", unterbricht Erdmuthe Podlech. Ich bin überrascht: Dinara hat sich deutlich angespannt: Sie kneift die Nüstern zusammen, wirkt größer und hat die Augen weit offen. Ich war so vertieft in die Erzählung, dass ich die Veränderung gar nicht bemerkte. "Pferde reagieren auf unsere Gedanken. Sie spüren die Emotionen, die damit verbunden sind", erklärt die Trainerin. Eine beeindruckende erste Lektion zum Thema Verbundenheit. Und schlagartig wird mir klar, wie oft ich im Stall bin – aber mit meinen Gedanken noch bei der Arbeit. Das muss mein Pferd ja auch spüren. Ich nehme mir vor, künftig mehr auf meine Gedanken zu achten. Und wie gerufen kommt dafür gleich eine Übung.
Gedanken abschalten – wie soll das gehen?
Ein wichtiger Baustein für die Trust Technique ist der "Present moment", also der gegenwärtige Moment. "Das ist ein Zustand, in dem die Gedanken zur Ruhe kommen", erklärt Erdmuthe Podlech. Dieser besondere Moment soll das Pferd einladen, sich zusammen mit dem Menschen zu entspannen. Okay, verstanden. Ich habe also heute den Job, nicht zu denken. Grüße an die Chefredaktion. Das wird ein super Artikel. Meine Güte, was für Gedanken. Höchste Zeit anzufangen!

Wir üben zunächst ohne Pferd. Die Trainerin führt mich in eine Art Meditation: Ich lausche dabei ihren Worten und spüre in meinen Körper. Anfangs flackern meine Augen noch unruhig, doch schon bald wird mein Atem tiefer und mein Blick fokussierter. Ich stehe regungslos da und fühle mich völlig im Hier und Jetzt. "Gut, jetzt verändert sich die Atmosphäre", lobt die Trainerin. Tatsächlich spüre ich das auch. Wenn meine Gedanken still sind, kehrt Frieden ein. Anders kann ich es nicht beschreiben.
In diesen Frieden soll mir gleich mein Pferd folgen. Und offensichtlich bemerkt meine Stute auch schon den Unterschied. Dinara, die während meiner Trockenübungen einen Snack an der Heuraufe genommen hat, kommt von selbst zu uns zurück. "Perfekt, wir wollen jetzt nämlich mit ihr zusammen weiterüben", meint Erdmuthe Podlech.

Die Trainerin zeigt den zweiten Baustein der Methode: "Mindful regard", die achtsame Beobachtung. "Dabei lernt der Mensch sein Pferd neu kennen", verspricht die Trainerin. Dinara steht zunächst noch mit erhobenem Kopf da und hat die Pferde auf der Nachbarweide im Blick. Erdmuthe Podlech hingegen hat mein Pferd im Blick und beschreibt, was sie sieht: "Sie darf alles ausdrücken, was sie bewegt." Dinaras Mimik verändert sich zunächst sekündlich: Sie dreht ein Ohr nach innen, kräuselt die Nüstern, atmet tief.

Meiner Stute scheint es zu gefallen, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Bald sinkt ihr Hals, die Augen schließen sich. Dann scharrt sie mit den Hufen – und legt sich tatsächlich hin.

Mein Herz macht einen Freudenhüpfer: Das ging ja schnell, denke ich. Aber genauso schnell steht Dinara wieder auf. Sie ist abgelenkt von der Fotografin, die den Moment festhalten will und die Position wechselt. "Das ist nicht schlimm", meint Erdmuthe Podlech. "Hinlegen ist ja nur ein Nebeneffekt. Das machen die meisten Pferde nicht so schnell. Dafür braucht man Geduld."

Viel wichtiger sei laut der Expertin, dass man mit fortschreitender Übung erfahre, wie vielschichtig die Gefühlswelt von Pferden sein könne. Und die Pferde würden die ungeteilte Aufmerksamkeit mit Dankbarkeit und eigenen Lösungsansätzen bei Problemen und mit Souveränität im Alltag honorieren.

Jetzt bin ich dran – und bin schnell vertieft ins genaue Beobachten. Ich nehme Regungen im Gesicht meiner Stute wahr, die mir noch nie aufgefallen sind. "Super, du wirst sehen, dass du sie so immer besser kennenlernen und ihre kleinen Signale bemerken wirst", sagt die Trainerin. Irgendwann gähnt Dinara, bewegt den Kiefer und reckt sich. "Das kann ein Zeichen sein, dass sie ein altes Erlebnis loslässt", sagt Erdmuthe Podlech. Ich soll Dinara sanft am Hals streicheln und mich bei ihr bedanken. Meine Stute dreht ihren Kopf zu mir. Für einen Moment schauen wir uns tief in die Augen. Ich bin gerührt und glücklich.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Schon bald ist unsere Sitzung vorbei. Jetzt liegt es an mir, weiterzuüben. Die nächsten Tage zieht es mich immer schon morgens in den Stall. Ich genieße die Ruhe zu dieser Zeit. An einem Tag legt sich Dinara schon nach wenigen Minuten hin – und ich setze mich zu ihr. Gehe ich in den "Present moment" fährt ihr Hals wie ein Fahrstuhl zwei Etagen tiefer, ihre Augen schließen sich. Oft kommen auch die anderen beiden Pferde im Offenstall dazu und dösen mit. Ich bin Erdmuthe Podlech dankbar für diese friedlichen Momente mit den Pferden.
Trust Technique lernen
Sie können die Trust Technique bei einem Practitioner lernen und per Video-Kurs. Die Videos sind auf Englisch mit Untertiteln. Die Technik lässt sich laut Erfinder James French auf alle Tierarten anwenden. Er arbeitet etwa mit Hunden, Löwen, Pferden und Eseln. Info: www.trust-technique.com
"Blindes Verstehen"

2015 erblindete Knabstrupper-Stute Samara. Ihre Besitzerin Erdmuthe Podlech baute mit der Trust Technique neues Vertrauen auf und meisterte so die Herausforderung.
CAVALLO: Wie war es für Sie, als Ihr Pferd erblindete?
Podlech: Als ich Samara gekauft habe, erfüllte sich damit ein lang gehegter Traum. Ich habe sie, seit sie drei Jahre alt ist. Mit 13 erblindete sie schließlich. Sie erschrak oft im Gelände, und wir kamen meist schweißgebadet vom Ausritt nach Hause. Sie hatte periodische Augenentzündung, was lange keiner bemerkte – auch die Tierärzte nicht. Aber meine Stute war lebensfroh und ich wollte ihr eine Chance geben.
Was war die größte Herausforderung?
Vor allem im Offenstall war es für ein blindes Pferd schwierig. Die Herde akzeptierte Samara nicht mehr, da meine Stute die Mimik ihrer Artgenossen nicht mehr lesen konnte. Wir mussten ausziehen und einen neuen Stall suchen. Mir war klar, dass mein Pferd neues Vertrauen brauchte und ich ihr helfen musste.

Wie hilft Ihnen die Trust Technique mit Ihrem blinden Pferd?
Ich lernte die Trust Technique zunächst per Videokurs. Und ich zweifelte, ob die Methode bei einem blinden Pferd funktionieren kann. Aber ich blieb am Ball und übte immer weiter die achtsame Beobachtung. Dabei spricht man laut aus, was man wahrnimmt. Und das wendete ich dann auch im Umgang und beim Reiten an. Ich sage zum Beispiel, dass wir jetzt links abbiegen – und meine Stute reagiert darauf. Samara hat verstanden, dass ich nur das Beste für sie will. Reiten klappt auch super. Unterm Reiter kann sie sich sicher auch in höherer Geschwindigkeit bewegen. Ich passe ja für sie auf, dass sie sich nicht stößt und nicht gegen etwas läuft. Und die Bewegung tut ihr gut.