Heute habe ich ein Blind Date. Der Typ heißt Fritz. Groß und sehr charmant. Hat man mir gesagt. Ich bin gespannt, wie er so ist und ob wir uns gut verstehen. Uns beiden steht eine gemeinsame Tanzstunde bevor. Das Schräge an unserem Vorhaben: Er kann schon recht viel. Ich eigentlich noch nix. Aber ich soll ihn führen. Das kann ja heiter werden.
Der gute Fritz ist – Sie haben es geahnt – ein Pferd. Er wird mir heute von seinen Besitzern zur Verfügung gestellt, damit ich mit ihm an einem Bodenarbeits-Lehrgang teilnehmen kann.
Trainerin Claudia Münch hat eine besondere Form der Ausbildung am Boden entwickelt, die immer mehr Anhänger findet. Im Pferdesportverband Rheinland sind ihre Kurstermine immer ausgebucht. Ich habe sie und ihre Arbeit bei einem Besuch in diesem Jahr bereits kennengelernt. Es hat mich extrem fasziniert, wie leicht und mühelos diese Dressur am Boden aussieht und wie viel Freude die Pferde dabei ausstrahlen.
Es gibt viele Gründe, auch mal am Boden zu bleiben
Nun ist es also soweit und ich darf es selbst ausprobieren. Tanzen mit Fritz! Vielleicht erschließt sich mir später, warum die Menschen, die mit ihren Rössern durch die Halle laufen, immer so selig strahlen. Im muckelig aufgewärmten und liebevoll dekorierten Reiterstübchen des Sieferhofs in Lindlar kommen alle Kursteilnehmerinnen – und ein Teilnehmer – zusammen. Kuchen und Kekse mümmelnd lauschen wir dem Theorie-Vortrag unserer Trainerin, in der sie uns schöne Bilder zeigt (wie der Spaß irgendwann mal aussehen könnte, wenn ich es könnte) und die Basics (wie etwa die Grundregeln: nicht am Pferd ziehen, nicht drücken, viel loben) erklärt.
Für Claudia Münch ist der Lehrgangstag oft wie ein Treffen mit Freunden – sie sieht kaum unbekannte Gesichter. Viele der Teilnehmer haben schon mehrere Kurse besucht und das Gelernte in der Zwischenzeit geübt und gefestigt.
Nach dem Vortrag übergibt die Trainerin das Wort an uns. Alle berichten von ihren Vorerfahrungen, Problemen und natürlich auch von ihren Fortschritten. Die Runde ist bunt gemischt – von der eingefleischten Dressurreiterin, die als Fußgängerin neue Glücksmomente mit ihrem Pferd erlebt, bis zur nichtreitenden Mama einer jugendlichen Tochter, die aktuell andere Dinge spannender findet, als im Stall zu sein.
Es gibt viele Gründe, etwas anderes mit dem Pferd zu unternehmen, als in seinen Sattel zu steigen. So geht es auch Charline, der Besitzerin von Wallach Blacky. Er ist nicht mehr reitbar, will aber beschäftigt werden. "Wenn er nichts tut, springt er mir um die Ohren”, sagt sie. Die Bodenarbeit war für beide die Lösung. "Das hat uns zusammengeschweißt. Blacky konzentriert sich total auf mich und kommt nicht mehr auf dumme Ideen.”
Die Familie hat noch ein weiteres Pferd, bei dem die Bodenarbeit fest zum Trainingsalltag gehört: den lieben Fritz! Er wurde schon schick gemacht und wartet in der Box auf mich. Die Spuren seines Schlammbads auf dem Paddock sind eliminiert. Neugierig streckt er mir seine Nase entgegen.
Zuerst kommt die Aufregung – die anderen haben gut vorgelegt
Mit ein bisschen Herzklopfen führe ich Fritz in die Halle, während die zweite Teilnehmergruppe noch die letzten Tipps der Trainerin bekommt.
Bei den Fortgeschrittenen, die vor uns dran waren, sah alles so leicht und einfach aus. Selbst bei schwierigeren Lektionen wie Rückwärtsrichten und Seitengängen konnte ich fast keine Hilfen erkennen. Das ist die Philosophie von Trainerin Claudia Münch: So fein wie möglich mit dem Pferd kommunizieren. So fein, dass man eigentlich gar nichts davon sieht.
Ich weiß schon, dass ein Ausatmen ausreicht, um das Pferd zu stoppen. Mein eigener Wallach Callando, Typ gemütlich, kann das hervorragend. Ob das mit Fritz auch so gut funktioniert? Es schaut doch keiner hin, oder? Ganz beiläufig teste ich das an. Puh, bin sehr erleichtert! Fritz reagiert, wirkt aber auf mich noch etwas skeptisch. Er fragt sich wohl, ob ich das hier wirklich im Griff habe oder nur so tue. Ich kann es ihm noch nicht sagen.
Es warten schwierigere Aufgaben auf mich. Das Antraben zum Beispiel, das ist meine persönliche Challenge. Callando und ich sind keine Blitzstarter. Wir können zwar in Sekundenschnelle anhalten, doch das Beschleunigen fällt bei uns manchmal aus, als hätte man auf den Slow-Motion-Button gedrückt.
Der freundliche Wallach Fritz macht es mir leicht
Bevor wir starten, erklärt Claudia Münch, wie ich das Führseil halte. Mit der Führhand umfasse ich den Haken des Führseils. In der anderen Hand halte ich das Seil, in ordentliche Schlaufen gelegt. Die Position der Führhand direkt unterm Pferdekopf finde ich erstmal ungewohnt. Lustigerweise habe ich schon häufig beobachtet, dass Menschen, die mit Pferden nichts am Hut haben, den Strick gerne so greifen (mein Vater zum Beispiel, der bei einem Stallbesuch kurzerhand mein angebundenes Pferd "entführt” hat und mit ihm ein paar Runden auf dem Platz spazieren ging). Da ich die Führhand nur schweben lassen, also keinesfalls damit drücken oder ziehen darf, stelle ich schnell fest, dass ich so ein gutes Gefühl fürs Pferd habe. Meinetwegen kann’s jetzt losgehen!
Meine erste Aufgabe: beim Führen im Schritt mit dem Tempo spielen. Mein Hilfsmittel ist meine Körpersprache. Für mehr Tempo schaue ich nach vorne, richte mich auf und mache größere Schritte. Fritz reagiert noch etwas schleppend. Ich darf die freie Hand mit dem Ende des Stricks schnell kurz Richtung Hinterhand schwingen, um Fritz aufzufordern, aktiver zu werden. Das klappt! Umgekehrt läuft’s bombig: Wenn ich meine Schritte verlangsame, macht Fritz sofort mit. Die Tempowechsel gelingen sogar punktgenau, von Hütchen zu Hütchen.
Die nächste Lektion: das Rückwärtsrichten. Huiuiui, ob das gelingt? Ich soll mich leicht vor der Pferdeschulter positionieren, den Pferdekopf geraderichten, meinen Blick nach vorne/oben richten und mein Gewicht leicht nach hinten auf die Fersen kippen. Es passiert – nichts. "Warte”, sagt Claudia Münch. Plötzlich tritt Fritz zurück. Ohne dass ich ziehe! Ich folge ihm rückwärts und kann daraus sofort wieder beschleunigen. Also ob wir eins wären. Was für ein Gefühl!
Das Fieber hat mich gepackt – zuhause geht’s weiter!
Ich fühle mich mit Fritz voll im Flow. Luft holen, nach vorne schauen, antraben... jaaaa! Geht! Doch wenn ich zu weit vor Fritz’ Schulter gerate oder mich ihm zuwende, bremst er. Diese Bodenarbeit ist Millimetersache: Stimmt meine Position nicht, reicht eine minimale Veränderung und das Pferd versteht sofort, was ich möchte. Was mich total fasziniert: Jedes Pferd versteht diese Art der Kommunikation – und hört genau zu. Geschulte Bodenarbeits-Menschen können deshalb fremde Pferde, die das Trainingskonzept ebenfalls kennen, in allen Lektionen führen. Und verschmelzen in kurzer Zeit zu einer harmonischen Einheit.
Ich bin sowas von motiviert! Zuhause bei Callando probiere ich das, was ich heute gelernt habe, selbstverständlich gleich aus – und werde positiv überrascht. Callando geht einfach so rückwärts! Und er kann sogar an der Hand traben, ohne sofort wieder auszufallen oder nach mir zu schnappen! Das große, schwere Pferd fühlt sich an wie eine federleichte Elfe. Ich bin entzückt.
Die Bodenarbeit
Seit 2014 gibt es das FN-Bodenarbeits-Abzeichen 1 und seit 2020 das Bodenarbeits-Abzeichen 2. Grundlage dafür ist auch das Ausbildungskonzept von Claudia Münch. Es gibt inzwischen ein Trainernetzwerk aus FN-Trainerinnen. Die ersten Bodenarbeits-Turniere, die seit 2023 veranstaltet werden, sind Teil eines Pilotprojekts. Teilnehmer können in den Klassen E bis L starten. Die Prüfungen werden von FNRichtern gewertet.
Kontakt
Dr. Claudia Münch leitet unter anderem Lehrgänge für die Bodenarbeitsabzeichen der FN und bildet dafür auch Trainer und Richter aus. Mehr über ihre Ausbildung und ihre Projekte unter: www.ausbildung-am-boden.de