Ach du heilige Kuh, da will er jetzt hoch? Es ist 7.30 Uhr. Während andere Jugendliche in den Ferien um diese Uhrzeit friedlich schlummern, sitzt der 14-jährige Dominic Ciabattoni bereits im Sattel und zählt Rinder. Gerade hat er Tiere auf einer Anhöhe entdeckt. Ihre Silhouetten zeichnen sich im Morgenlicht vor den knapp 3000 Meter hohen Gipfeln der Dolomiten ab.
"Der, der nach dem Vieh schaut"
Der junge Mann will näher an die Rinder heranreiten, um zu sehen, ob sie fit sind. Sein Quarter Horse Jackerl kraxelt los. Die Stute bewegt sich am Berg geschickt wie eine Gams. Atemberaubend – sowohl der Anblick als auch die Höhenmeter, die wir so früh bereits zurückgelegt haben!
Dominic Ciabattoni ist Herr über rund 400 Rinder und 30 Pferde auf der Seiser Alm in Südtirol. CAVALLO begleitete ihn einen Tag lang auf seiner Tour. Wir wollten einen echten Cowboy treffen. Denn das ist der junge Mann – auch wenn er sich selbst nicht so bezeichnet. „Eigentlich bin ich einfach der, der nach dem Vieh schaut.“
Das Vieh gehört rund 80 Bauern aus den umliegenden Orten. Von Mitte Juni bis September grasen die Rinder auf der Alm und sind in Dominics Obhut. Der Schüler hat zu der Zeit Ferien und ist nicht wie sonst im Internat, sondern bei seiner Familie auf einer Almhütte: der Saltner Schwaige in Saltria. Ist dem jungen Mann die Verantwortung für so viele Tiere nicht zu viel?
„Nein, ich bin ja schon erfahren“, meint er. Vier Jahre begleitete er den vorigen Rinderhirten Michael Tirler bei dessen Arbeit. Einfach, weil es ihm Spaß machte. Dabei lernte er, worauf es bei dem Job ankommt: Er zählt, ob alle Tiere da sind, ob sie lahmfrei laufen und kontrolliert den Futterzustand. Ist ein Tier krank, treibt er es nach Hause auf eine Weide, gibt dem Tierarzt Bescheid und notiert alles akribisch in seinem Notizbuch. Diesen Sommer übernimmt er diese Aufgaben erstmals allein. Ist das nicht einsam? „Manchmal ja, dann höre ich mit dem Smartphone Musik“, sagt er.
Dominic reitet auf bis zu 2300 Meter hinauf
Abwechselnd nimmt der Almcowboy Quarter-Stute Jackerl und Haflinger Daisy mit zur Kontrollrunde. Die Idee, die Pferde zum Hüten zu nutzen, entstand aus der Not heraus: Der vorige Rinderhirte hatte sich einmal am Fuß verletzt und konnte nicht laufen. Also ritten die beiden jungen Männer bei der Hütearbeit auf den Pferden – und blieben dabei. „Die tägliche Runde dauert auch mit den Pferden drei bis vier Stunden, aber ich kann dank ihnen ein viel größeres Gebiet abdecken“, erklärt Dominic Ciabattoni.
Kaum vorstellbar, dass die Rinderhirten zuvor zu Fuß die Alm rauf- und runtergewandert sind. Immerhin erstreckt sich das Gebiet über 360 Hektar und es geht von 1700 Meter auf bis zu 2300 Meter hinauf. Die Rinder grasen teils auf Flächen weit oben am Berg. Um sie an der Ohrmarke zu identifizieren, reitet Dominic bis auf einen Meter an sie heran.
„Am liebsten reite ich auf Jackerl, die ist immer gehorsam“, sagt Dominic. Sein Haflinger büxt auch mal aus, wenn er die Stute nicht festhält. Quarter Jackerl hingegen rührt sich nicht – wie festgewachsen verharrt sie auf der Wiese. Dominic kann absteigen und in aller Ruhe die Tränken kontrollieren. Jackerl steht. Beim Treiben eines Rindes ist sie dann wieder hellwach. Dominic gibt kaum Hilfen. Die Stute hat den sogenannten „Cowsense“, das Gespür für Rinder. Mit schnellen Bewegungen schneidet sie dem Rind den Weg ab, wenn es in eine andere Richtung will.
Eingespieltes Team
Dominic und Jackerl sind ein eingespieltes Team. Dominic bekam die Stute als Fohlen von seinem Vater geschenkt, als er drei Jahre alt war. Von seinem Vater lernte er auch reiten. „Meist waren wir im Gelände, aber ich hatte teils auch Reitstunden im Ort“, erzählt er. Sein schwarzes Quarter Horse ist in der Rinderherde aufgewachsen – es kennt Kühe von klein auf. Eine spezielle Ausbildung zum Rindertreiben hat Jackerl nicht. Und auch Dominic hat keiner gesagt, wie er mithilfe von Pferden hüten soll. Auf der Alm gilt: Learning by Doing. Er achtet von sich aus darauf, sein Pferd zu schonen. Bergab steigt er ab und führt seine Stute in Schlangenlinien, um die Gelenke nicht zu sehr zu belasten.
In der Abgeschiedenheit der Berge ist es wichtig, viele Dinge selbst zu können. Das zeigt sich etwa, als Jackerl ein Hufeisen verliert. Was nun? Dominic ruft seinen Vater an. Der düst mit seinem Allrad-Fiat die Almwege hoch und kommt mit Werkzeugkiste zum Treffpunkt. Alexander Ciabattoni stellt Jackerl vor einen großen Stein und setzt ihren Huf darauf ab. So hat er einen natürlichen Bock. Er raspelt die Hufe und nagelt neue Eisen drauf. Dominic reicht ihm die Nägel und schaut zu. Es dauert keine halbe Stunde und Jackerl hat neue Schuhe. „Ich habe Schmiedekurse belegt. Bis ein Schmied hier hoch auf die Alm kommt, dauert es im Notfall einfach zu lange“, sagt der Almwirt. So können Dominic und Jackerl bald weiterreiten.
Gegen 10 Uhr ist es vorbei mit der Einsamkeit der Berge. Touristen stürmen die Alm. Der Cowboy auf seinem Pferd ist ein beliebtes Fotomotiv der Wanderer und Mountainbiker. „Ich werde ungefähr 30 Mal am Tag fotografiert. Das nervt irgendwann und ich halte einfach die Hände vors Gesicht“, sagt er und grinst.
Plötzlich verschwindet der Cowboy in den Wald
Zeit für den Heimweg. Gegen 11 Uhr kehrt Dominic zurück von seiner Rinder-Runde. Kurz vor der Hütte dreht er aber plötzlich um, ruft, dass er etwas vergessen habe – und verschwindet im Galopp in den Wald. Das CAVALLO-Team schaut ihm verdutzt nach. Eine Minute später ist er wieder da. Er hat einen Zweig gepflückt und gibt ihn der Ziege namens Honolulu, die genüsslich daran knabbert. „Ich bringe ihr jeden Tag etwas Laub mit“, erzählt er. Jackerl darf nach der Arbeit auf die Weide. Und Dominic hilft im Service und zapft Getränke für die Tagesgäste, die sich auf der Terrasse der Hütte sonnen.
Was für ein Programm! Nachmittags fährt der junge Mann oft mit dem E-Bike zum besten Kumpel, der auf einer anderen Hütte wohnt. Kaputt scheint man Dominic nicht zu kriegen. Das Leben mit Pferden genießt er, trotz der Anstrengung. Aber Hand aufs Herz: Hat er manchmal nicht auch die Nase voll von den Tieren?
„Im Oktober sehe ich Jackerl manchmal einen Monat nicht; das tut uns beiden auch ganz gut“, meint er. Aber im nächsten Urlaub wünscht er sich, mit seinem Vater in der Toskana zu reiten. Und im Winter macht er Skijöring mit Jackerl. So stellt man sich Work-Life-Balance in den Bergen vor!
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