Das soll Pferden helfen?

Standpunkt: Sinnlose Produkte für Pferd und Reiter
Das soll Pferden helfen?

Zuletzt aktualisiert am 20.02.2014
CAV Dressur Coach Galopp Brauner
Foto: Rädlein

Früher war nicht alles besser. Natürlich nicht. Früher – sagen wir: bis vor rund 30 Jahren – standen etliche Pferde noch in Ständern, tranken Wasser statt Tee, fraßen Heu und Hafer. Von Dingen wie Mikroorganismen, ob nützlich oder gefährlich, wusste der gemeine Reiter noch nichts. Er sah damals nur Mäuse im Trog.

Ganz früher arbeiteten Pferde im Geschirr, früher als Schul-, Jagd- oder Turnierpferde. Das war, bevor sie zu ewigen Kleinkindern mutierten, die heute – in Regenzeug gemummelt – buntes Spielzeug in ihrem Sandkasten herumschubsen. Heraus kullern Leckerbröckchen, die das nun maximal in Teilzeit tätige Pferdekind nicht dick und ihm trotzdem Spaß machen.

Früher trugen Pferde, deren Schädel viel länger waren als heute, Trensen so dick wie mein Teenie-Handgelenk. Um die Trensenringe herum friemelten wir hässliche rotbraune Gummischeiben, was die Maulwinkel schonen sollte. Über individuell angepasste Gebisse und die Anatomie der Maulhöhle redete man in unserem ländlichen Reitverein um 1980 leider so wenig wie über die hohe Kunst der Anlehnung. Impuls, Signal, feine Verbindung – solche Wörter kannte ich aus dem Physik-, nicht aus dem Reitunterricht.

Heute sind solche Wörter in aller Munde, auch wenn sie dort häufig liegen bleiben, weil der Weg vom Reitermund bis zur Zügelhand ja doch ein weiter ist. Um diese Lücke zwischen reiterlichem Willensbekundungsorgan und ausführenden Körperteilen zu überbrücken, wird die Spannweite an Hilfsmitteln mit jedem Jahr beachtlicher. Nicht immer dient das Pferd und Reiter.

Es gibt heute Gebisse, deren Ums Maul geschmiert: Früher war Sattelseife das Mittel gegen Zähneknirschen. Die Wurzel des Übels erwischt man damit so wenig wie mit Kautabletten. Zweck keiner mehr überblickt. Gar nicht bis mehrfach gebrochen, mit oder ohne anatomische Ergonomie, mit viel, wenig oder ohne Anzug. Mit Zungenfreiheit, mit Rollen zum Klimpern und Kiefer lockern oder zurechtweisendem Löffel – für Pferde, die ihre Zunge vor der Trense in Sicherheit bringen wollen. All dies von Apfelgeschmack, Auriund Argentan bis Kupfer oder Eisen, süßlich rostend oder pflegeleicht glänzend, gehalten von Reithalftern, die man kraftsparend über Umlenkrollen verschnallt. Warum dieser Flaschenzug zum Zuknallen ausgerechnet „schwedisch“ heißt?

Keine Ahnung. Wem all das Gedöns zu viel wird, der kann Gebiss und Riemen beliebig minimieren. Vom Kappzaum diverser Spielarten bis zu Knotenhalfter und Hackamore mechanisch, gehebelt oder manuell ist heute alles erfunden, womit man Pferde sinnvoll oder sinnfrei an der Nase führen kann.

Sattelseife für Schaum im Maul

Sollte jetzt noch etwas zwicken und knirschen am Pferdemaul, startet Stufe zwei. Früher sah man junge Damen in der Box verstohlen mit Sattelseife hantieren, die dem Pferd auf sein natürliches und sein künstliches Gebiss geschmiert wurde.

Das sollte gegen Zähneknirschen helfen, denn Knirschen klingt in den Ohren von Mitreitern, Reitlehrern und Richtern so entlarvend, als sende das Pferd einen Stoßseufzer: NIMM MIR DEN DA OBEN AUS DEM KREUZ! Heute lassen sich equine Stoßseufzer und die Ursachen dahinter viel schicker kaschieren als mit Sattelseife. Etwa mit Kautabletten oder speziellen Schutzdressings für gestresste Mundwinkel: Das eine gibt man Pferden zu fressen, das andere schmiert man ums Maul.

Schädlich ist das nicht, und jeder Reiter kennt die typischen Sensibelchen mit schwach pigmentiertem Maul. Aber sind zartrosa Schnuten das eigentliche Problem? Oder eher zuppelnde Reiterhände?

Overkill der Pferde-Hilfsmittel

Im Overkill der Hilfsmittel für Ausbildung und Pferdehaltung geht es heute oft darum, Symptome zuzuschmieren. Damit nimmt man Reitern die Chance auf ungeschminkte Ursachenforschung und eine ehrliche Diagnose mit echter Lösung. Ob wunde Maulwinkel, knirschende Zähne, Zungenfehler oder Anlehnungsmängel: Erst wenn alle denkbaren Ursachen beleuchtet und/oder ausgeschlossen und/oder behoben sind, sollten wir dem Lockruf der Helferlein folgen.

Vorausgesetzt, wir haben welche zur Hand, die wirklich nutzen. Wer voreilig die vermeintlich bequeme Lösung wählt, schafft nur neue Probleme – vor allem, wenn er an die falschen Helfer gerät. Paradebeispiel sind Hilfszügel: Erfunden, um mit klarem Ziel und Zeitlimit eine Ausbildungsklippe zu meistern, ist Verstrippen heute oft Alltag. Jeder kennt Pferde, denen schädliche Schlaufzügel oder unnütze Halsverlängerer den Weg zu natürlicher Balance und Selbsthaltung verriegelt haben. Wie modische Brücken zu Krücken werden, erlebt auch das Sattlerhandwerk. Früher waren Sättel flach, hart und vom strammen Sitzfleisch glattpoliert.

Reiter waren eher sehr sportlich und Pferde noch keine Lampenaustreter. Heute sind die wenigsten Reiter Sportskanonen, dafür haben moderne Pferde von Haflinger bis Holsteiner einen Schwung, der normal Begabte aushebelt. Deshalb bauen etliche Sattler seit den 90-er Jahren trendige Modelle, in denen sich Reiter so sicher fühlen, dass Kritiker von Sitzprothese oder Sitzgefängnis sprechen. Das Handicap: Wuchtige Zwiesel und Pauschen klemmen den Haltsuchenden so ein, dass er erst recht nicht mehr sitzen (= mitschwingen) kann.

Also wird er in Stufe zwei mit dem Sattel verhaftet: Statt blankem Leder hält rutschhemmende Mikrofaser die Silikonbesatzreithose fest. Stiefel kriegen eine Portion Haftpaste, flappende Schenkel montiert man mit Druckknopf ans Sattelblatt.

Pferde machen Pferde glücklich

Bizarr wird es, wenn sich barer Unsinn als Innovation fürs Pferdewohl tarnt. Im November 2008 berichtete CAVALLO über einen Bauchgurt, mit dem Pferde trotz Sporenwunden und Scheuerstellen geritten werden können. Noch heute behauptet der Hersteller: „Für viele Anfänger ist es besonders schwer, die richtige Position der Beine beizubehalten, wobei diese durch ständiges Hin- und Herreiben, mit oder ohne Sporen, sichtbare Abschürfungen am Pferdeleib verursachen.“

Kein Wort, dass der Anfänger erst mal seine Beine unter Kontrolle bringen muss, die unbewaffnet sicher keine Wunden reißen. Bis er die Sporen verdient hat, bleiben selbige im Laden, der heute Shop heißt. Hören wir auf, uns was vorgaukeln zu lassen. Reiten wird mit innovativen Gebissen, Gurten oder Strippen nicht automatisch einfacher. Schluss mit den Märchen, dass alte und neue Erfindungen wie Kopperriemen, Boxengitter mit V-Ausschnitt und unter Strom gesetzte Gummimatten an der Boxenwand Pferden ein schöneres Leben ermöglichen, weil sie a) nicht mehr koppen, b) nicht mehr weben und sich c) nicht durch Klopfen gegen die Wand ihre Beine kaputtschlagen.

Die Zaubermittel für ein schönes Pferdeleben sind so natürlich wie simpel, früher wie heute: Beschäftigungsanreize. Durch Stallkumpel und stimulierende Umgebung drinnen wie draußen, durch Futter, durch Ausbildung und den Reiter. Anders als früher bietet der Markt heute viel mehr sinnvolle Hilfsmittel für die Vollbeschäftigung eines Pferds vom Paddock bis ins Viereck. Entdecken Sie die wirklich guten Dinge. Unsere Hilfe haben Sie, jeden Monat.