Der Vierbeiner liegt auf der Seite, sein Körper krampft, die Augen sind verdreht. Diesen erschreckenden Anblick kennen einige Hundebesitzer nur allzu gut. Doch Pferde mit epileptischen Anfällen? Davon haben viele Reiter noch gar nichts gehört.
Anfallsleiden sind bei Pferden zum Glück sehr selten. Normalerweise haben sie, wie alle Großtiere, eine ziemlich hohe Krampfschwelle – ihre Muskeln verkrampfen also nicht so leicht wie die von Kleintieren. „Uns werden täglich epileptische Hunde vorgestellt, aber maximal ein an Krampfanfällen leidendes Pferd im Monat“, sagt Professor Tipold. Wie ein Araberfohlen, das bei Aufregung Anfälle bekam. Zunächst wurde ein Bein steif, dann kam es zu Krämpfen der Halsmuskulatur, das Tier stürzte und strampelte mit den Beinen. „Nach zirka einer Minute war der Spuk vorbei“, sagt die Expertin. „Das Fohlen stand auf, lief zur Mutterstute und trank seine Milch.“
Wie macht sich Epilepsie bemerkbar?
Epileptische Anfälle lassen die Muskulatur des Pferds verkrampfen. Das kann dazu führen, dass das Pferd umfällt und strampelt. Die Augen sind verdreht, das Bewusstsein gestört. Typisch während eines Anfalls ist auch eine krampfhafte Überstreckung des Körpers, wobei das Pferd seinen Kopf nach hinten biegt (Opisthotonus). Manche Pferde laufen im Kreis, wobei die Bewegungen oft so unkoordiniert wirken, als sei die Hinterhand teilweise gelähmt.
In der Phase danach, die unterschiedlich lang dauern kann (Sekunden bis Tage), ist es orientierungslos, wirkt depressiv und kann unter Sehstörungen leiden.
Wie stellt der Tierarzt die Diagnose?
Um Verwechslungen mit anderen Krankheiten wie Ataxie, Narkolepsie oder Herpesinfektionen auszuschließen und mögliche Anfalls-Auslöser aufzudecken, ist eine genaue Diagnostik nötig.
Bei Blut- und Harnuntersuchungen wird vor allem auf Blutglukose, Elektrolyte sowie Leberenzyme und auf Stoffwechselprodukte der Leber (Ammoniakgehalt, Gallensäuren) geachtet. Diese Werte geben Auskunft, ob eine Stoffwechselstörung oder ein mangelhafter Elektrolythaushalt als Auslöser in Frage kommen.
Die Gehirnflüssigkeitsuntersuchung gibt Aufschluss über entzündliche Erkrankungen im Gehirn. Die Untersuchung erfolgt meist am stehenden, sedierten Pferd. Um Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) zu gewinnen, wird die Wirbelsäule in der Lendenregion punktiert.
Bildgebende Diagnostik: Röntgen bzw. Computertomografie zum Aufspüren knöcherner Veränderungen, z.B. bei Verdacht auf Schädeltrauma. Die Magnetresonanztomografie (MRT) liefert die detailliertesten Informationen und bildet auch Veränderungen der Weichteile ab, etwa Tumoren im Gehirn. Damit können also strukturelle Gehirnveränderungen diagnostiziert werden.
Was verursacht Epilepsie?
Krampfanfälle treten auf, wenn es zu einer vorübergehenden Gehirnfunktionsstörung kommt und die Nervenzellen ununterbrochen Impulse an die Muskeln abfeuern. „Dieses Problem kann angeboren oder erworben sein“, sagt Tipold.
Forscher gehen davon aus, dass die angeborene Form, die sich schon beim Fohlen zeigt, in den Genen verankert ist und vererbt werden kann. Dies gilt insb. für die benigne (= gutartige) juvenile Epilepsie bei Araberfohlen wie im eingangs geschilderten Fall.
Fohlen zeigen erste Zeichen zwischen der Geburt und dem sechsten Lebensmonat; die Anfälle sind in der Regel nur kurz (<1 Min.). Es wird angenommen, dass eine Ionenkanalstörung die Anfälle auslöst. Durch Ionenkanäle können Elektrolyte in die Zelle ein- und wieder ausströmen. Gibt es hier Veränderungen, sind die Nervenzellen potentiell vermehrt erregbar.
Schädelhirntraumata sind eine mögliche Ursache für die sogenannte strukturelle Epilepsie. Viele Fohlen bekommen einen epileptischen Anfall, weil ihr Gehirn während der Geburt verletzt wurde. Drücken Knochenstücke ins Organ, werden Nervenzellen übererregt. Dann senden sie ununterbrochen Signale an die Muskulatur, was zu den Anfällen führen kann. Denselben Effekt können traumabedingte Hirnblutungen (z.B. subdurale Hämatome) haben. Auch das Gehirn älterer Pferde kann bei einem Sturz oder durch einen Tritt gegen den Kopf geschädigt werden.
Auch Viren (z.B. Herpes-Myeloenzephalopathie), Bakterien oder Parasitenbefall können zu Epilepsie führen. Wenn Wurmlarven in den Pferdekopf wandern, können sie eine Gehirnentzündung auslösen. Diese kann wiederum die Krampfschwelle herabsetzen.
Eine weitere Möglichkeit sind Hirntumore oder Granulome. Letztere entstehen, wenn in Folge einer Entzündung überschüssiges Granulationsgewebe (also Gewebe, das im Rahmen einer Wundheilung vorübergehend gebildet wird) zu Knötchen anwächst.
Häufig finden Tierärzte aber keinen Grund, warum die Pferde krampfen. Diese Form wird idiopathische Epilepsie genannt. Das heißt, die Ursache ist unbekannt, es gibt keine Hinweise auf strukturelle Veränderungen im Gehirn oder zugrundeliegende Krankheiten.
Was genau die Anfälle auslöst, ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich. „Häufig erkennen die Besitzer Zusammenhänge“, weiß Professor Tipold. Manche Pferde krampfen in stressigen Situationen, etwa beim Verladen. Andere reagieren auf laute Geräusche oder grelles Licht.
„Viele Krampfanfälle treten aus dem Schlaf heraus auf“, beobachtet Tipold. Das geschieht vor allem in der REM-Phase (engl.: Rapid Eye Movement). In diesem Zeitraum finden die meisten Träume statt, das Gehirn ist sehr aktiv. Oft bemerkt der Besitzer nur eine beschädigte Box.
Wie verläuft die Krankheit?
Bei der benignen juvenilen Epilepsie hören die Anfälle in vielen Fällen spontan auf. Ist eine Stoffwechseloder eine Gehirnerkrankung die Ursache und wird diese erfolgreich therapiert, kann das Pferd wieder völlig gesund werden. „Wenn die Anfälle nicht behandelt werden, besteht sehr häufig die Möglichkeit, dass diese schlimmer werden“, sagt die Expertin. Bei der idiopathischen Epilepsie kehren Anfälle immer wieder. „Ein Pferd, das einmal einen Anfall hatte, hat eine erniedrigte Krampfschwelle und ist somit immer gefährdet.“
So behandeln Tierärzte
Bei einem epileptischen Anfall können Sie dem Pferd nicht helfen: „Verlassen Sie die Box, sprechen Sie mit dem Tier und rufen schnellstmöglich den Tierarzt“, rät Tipold. Der Veterinär spritzt dem Pferd ein Antiepileptikum, meist mit dem Wirkstoff Phenobarbital. Das starke Beruhigungsmittel dämpft das zentrale Nervensystem. Es hilft im akuten Fall und beugt zudem erneuten epileptischen Schüben vor.
Viele krampfanfällige Tiere werden daher dauerhaft mit Antiepileptika behandelt. „Bei diesen Pferden ist es sinnvoll, regelmäßig Blutspiegelkontrollen machen zu lassen“, rät die Exertin. Dabei wird geprüft, ob der Patient richtig auf das Medikament eingestellt ist. Reitbar sind diese Tiere nicht, zu groß ist die Unfallgefahr.
„Bei Fohlen hat sich auch der Wirkstoff Diazepam bewährt“, sagt Professor Tipold. Die Tiere werden meist über zirka drei Monaten behandelt. Danach wird das Medikament langsam abgesetzt. Die Therapie war auch bei dem Araberfohlen im eingangs geschilderten Fall erfolgreich – es erholte sich vollständig.
Findet der Tierarzt den Auslöser des Krampfanfalls, wird zusätzlich immer die zugrunde liegende Krankheit behandelt.
Risikopatienten
Araberfohlen haben deutlich häufiger benigne epileptische Anfälle als die Jungtiere anderer Rassen; vermutlich aufgrund eines Gendefekts. „Bei diesen Pferden findet der Tierarzt meist keinen erkennbaren Auslöser“, sagt Tipold. Die Prognose für diese Fohlen ist gut: Oft bessert sich der Zustand innerhalb eines Jahres, die Tiere krampfen nicht mehr und sind wieder völlig gesund.
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