Und noch etwas lag dem Experten am Herzen – das Klischee, alle Fjordpferde hätten enge Ganaschen (muskulöser Übergang Hals-Kehle), die es dem Pferd erschweren, durchs Genick zu gehen. „Nur zehn Prozent der Fjordpferde haben dieses Problem, genau wie andere Rassen.“
Fjordpferde und Tonnen haben vieles gemeinsam, behaupten Spötter. Sie sind rund, haben keinen Hals und sehen alle gleich aus. Solche Klischees sorgen dafür, daß viele Fjordpferde für einheitliche Kugeln halten, nicht aber als eine Rasse, die unterschiedliche Typen vereint.
Dieser Schein trügt. Zwar sind alle Fjordpferde Falben, doch ihr Körperbau (Exterieur) variiert stärker als die meisten glauben. Daher lohnt vor allem bei dieser Rasse ein genauer Blick, weil Sie an den scheinbar einheitlichen Pferden Ihr Auge für Exterieur-Details schulen. Das kommt jeder Pferdebeurteilung zugute, egal um welche Rasse es sich handelt.
Fjordpferd oder Norweger?
Die offizielle Rassebezeichnung lautet Fjordpferd. Da die Pferde aus Norwegen stammen, bezeichnet man sie auch als norwegische Fjordpferde oder -ponys, noch kürzer als Norweger. Viele Importpferde kommen nicht aus Norwegen, sondern aus Dänemark, weil von dort der Transport billiger ist.
Der Herr der Falben

Reinhold Eitenmüller, 49, ist Agrar-Ingenieur und Pferdezuchtberater im hessischen Dienstleistungszentrum für Landwirtschaft, Gartenbau und Naturschutz. Außerdem ist er bundesweiter Sprecher der Arbeitsgruppe Zucht bei der Interessengemeinschaft Fjordpferd (IGF). Die Familie Eitenmüller begann vor 50 Jahren mit der Fjordpferdezucht; seit 25 Jahren züchtet Eitenmüller auf seinem Gestüt in Güttersbach im hessischen Mossautal. Mit 70 Pferden hat Eitenmüller eine der größten deutschen Fjordpferd-Herden. Seine sechs gekörten Hengste deckten im Jahr 2002 rund 150 Stuten.
Für CAVALLO hat er Exterieurs der folgenden sechs Fjordpferde beurteilt:
Der Windige

- Gesamteindruck: Der Wallach ist nicht sportlich, sondern schmal. Brust und Schulter haben sich nicht richtig entwickelt. Im schmalen Rumpf haben Organe wie Herz und Lunge wenig Platz. Damit macht das Pferd keinen ausdauernden Eindruck. Das ist oft ein Aufzuchtproblem: Manche Fjordpferde haben in jungen Jahren nicht genügend Auslauf und bleiben deshalb eher schmächtig.
- Kopf & Hals: Der Kopf hat eine rassetypische Form, ein großes, freundliches Auge und kleine Ohren. Der Hals ist lang genug, ohne Unterhals.
- Vorhand: Die Schulter könnte größer und schräger sein (1). Sie ist hier vorgelagert und zu steil angelegt (gestrichelte Linie, 2).
- Widerrist: Könnte länger sein und weiter in den Rücken hineinreichen, damit die Sattellage besser ist (3).
- Gurtentiefe: Die Rumpftiefe könnte im Vergleich zur Länge des Pferds tiefer sein, damit der Reiter mehr Fläche für die Schenkelhilfen hat. Rechteck-Pferd.
- Kruppe: Lang genug und etwas geneigt. Gute Voraussetzungen, um in der Dressur Last aufzunehmen.
- Hinterhand: Sehr steil, kurze Oberschenkel (4). Das spricht gegen eine gute Mechanik, weil die Winkel und die kurzen Knochen keinen Raumgriff zulassen. Die Sprung- und anderen Gelenke (Kreise) sind zu fein für ein Fjordpferd, dessen Zuchtziele ausdrücklich stabile, trockene, stark ausgeprägte Gelenke vorschreiben. Wenn dieses Pferd einen Mann mit 100 Kilo acht Stunden am Tag durch die Berge tragen muß, sind die Gelenke überlastet. Sehnen und Bänder überdehnen sich. Auf die Dauer bilden sich Gallen.
- Fesseln: Relativ kurz, aber stabil.
- Huf: Flach, zu wenig Trachten. Nicht stabil und eher schlecht gewachsen.
Der Quadratische

- Gesamteindruck: Geschlossenen und quadratisch. Ist ein Fjordpferd sehr kurz (eher quadratisch), hat es Vorteile beim Springen, schwingt aber weniger im Rücken. Vor- und Hinterhand sind hier nur wenig bemuskelt.
- Kopf & Hals: Das Auge ist verdeckt und scheint auf dem Bild im Verhältnis zum Kopf zu klein. Auch der Hals ist schlecht zu beurteilen, weil die Hängemähne seine Form verdeckt. Vermutlich ist er zu kurz und ist am Unterhals zu stark entwickelt. Das Pferd ist eng in der Kehle (1). Es hat Ganaschen-Probleme, wenn es durchs Genick gehen soll.
- Vorhand: Zu kurz. Könnte deutlich länger und etwas flacher sein. Der schlechte Eindruck wird von der ungünstigen Stellung unterstrichen: Das Pferd steht mit den Hinterbeinen nicht unter dem Körper (gestrichelte Linie, 2).
- Hinterhand: Die Gelenke sind nicht genügend gewinkelt („zu flach“). Sie sind aber der Motor eines Reitpferds, weil sie darüber entscheiden, wieviel Schwung, Federkraft und Raumgriff ein Pferd entwickeln kann. Deshalb wünschen sich die Züchter eher steilere Winkel, weil sie mehr Bewegung erlauben. Die Sprunggelenke (Kreis, 3) wirken bei diesem Fjordpferd eher labil.
- Huf: Stabil und gut gewachsen. Er kann ohne weiteres barhuf gehen.
Der Runde

- Gesamteindruck: Sehr rund und gut bemuskelt.
- Kopf & Hals: Sehr freundliches Gesicht, untypisch lange Ohren (1), ausgeprägter Unterhals (2). Kehle nicht zu eng, genügend Ganaschen-Freiheit. Der Hals könnte insgesamt gestreckter sein.
- Vorhand: Gut bemuskelt, Schulter in der Größe und Schräge in Ordnung (4). Das Pferd hat vorne genügend Freiheit. Das heißt: Die Beine können problemlos beim Traben und Galoppieren vorschwingen.
- Widerrist: Zu wenig (3). Durch die schlechte Sattellage rutscht bei diesem Wallach der Sattel im Extremfall seitlich weg.
- Gurtentiefe: Tief genug.
- Kruppe: Rund und gut bemuskelt.
- Hinterhand: Könnte länger/großzügiger gewinkelt sein (5). Alle Gelenke, besonders die Sprunggelenke (Kreis), sind zu klein.
- Fesseln und Hufe: Stellung und Länge der Fesseln gut, Trachten lang genug (Striche an den Hufen). Stabile Hufe.
Das Weibchen

- Gesamteindruck: Eine typische Stutensilhouette; hübscher Kopf, massiger Rumpf. Der gesenkte Rücken deutet auf Geburten oder einen langjährigen Einsatz im Schulbetrieb. Die Stute wirkt quadratisch, hat ein bißchen Bauch, ist aber nicht zu dick. Für ihre 18 Jahre sieht sie sehr frisch und lebendig aus.
- Kopf & Hals: Ein sehr schönes, feines Gesicht. Sehr gute Hals-Oberlinie (1), gute Ganaschenfreiheit. Das Winterfell täuscht etwas; die Stute hat keinen Unterhals.
- Vorhand: Schulter zu steil (gestrichelte Linie). Das Pferd wirkt bergab.
- Widerrist: Zu wenig (2).
- Rücken: Tiefer Rücken, aufgewölbte Nierenpartie (3). Das bereitet Schwierigkeiten, wenn die Hinterhand unter den Schwerpunkt treten soll.
- Hinterhand: Überbaut und zu kurz. Sie ist deutlich höher als der Widerrist (4). Züchter wünschen sich eine stärker gewinkelte Hinterhand (5). Auch hier sind die Sprunggelenke zu wenig ausgeprägt (Kreis); ein Merkmal, auf das in der Zucht oft nicht genug geachtet wird.
- Fesseln und Hufe: Zu kurze Fesseln. Hufe in Ordnung.
Die Unharmonische

- Gesamteindruck: Dieses Fjordpferd könnte vom Bau her die Tochter der obigen Stute sein: gleiche Probleme in der Hinterhand, wirkt bergab.
- Kopf & Hals: Feines, feminines Gesicht. Der Hals ist oben gut gewölbt, Unterhals zu kurz (1).
- Vorhand: Schulter zu knapp ausgeprägt und nicht schräg genug (2: gestrichelte Linie; optimal: durchgezogene Linie). Die Stute wirkt wenig ausbalanciert und unharmonisch. Möglicherweise hat sie Probleme beim Bergabgehen.
- Widerrist: Sehr flach, wenig Sattellage, Sattel rutscht leicht nach vorne (3).
- Rücken: Eher gerade, feste, gespannte Nierenpartie; nach oben aufgewölbt (4). Das heißt: Die Wirbelsäule ist hinter der Sattellage nicht optimal gebogen. Häufig ist das mit einer Muskelverspannung verbunden, was Schwierigkeiten beim Reiten verursacht.
- Hinterhand: Nicht großzügig genug, die Knochen sind zu kurz (5). Wenig ausgeprägte Sprunggelenke (Kreise).
- Fesseln und Hufe: Fesseln sind in der Länge in Ordnung. Die Hügel über dem Kronrand kommen von der Belastung und sind normal. Die Stute hat gute, stabile Hufe.
Die Rechteckige

- Gesamteindruck: Steht im Rechteck, Vorderbeine stehen gut unter dem Schwerpunkt (1). Auch sie ist hinten höher (2), was die Versammlung erschwert.
- Kopf & Hals: Schönes Gesicht, kleine Ohren, aber sehr eng in der Kehle (3). Tief angesetzter Hals mit ausgeprägtem Unterhals. Die optimale Linie ist eingezeichnet (4).
- Widerrist und Rücken: Ganz flacher Widerrist (5), hochgezogene Nierenpartie (Pfeil). Die Oberlinie ist zu gespannt und zu wenig geschwungen, verdeutlicht durch die gerade Linie auf dem Rücken.
- Hinterhand: Kurze, runde Kruppe. Die Züchter wünschen sich die Hinterhand flacher und länger mit einer ausgeprägten Winkelung (6). Die Stute hat wenig stabile Sprunggelenke.