Equitom: Einblicke in die modernste Pferdeklinik

Die Klinik Equitom in Belgien
Mit Herz und Hightech

Zuletzt aktualisiert am 11.04.2024
CAVALLO Klinik Equitom in Belgien
Foto: Thomas Hartig

Eine der weltweit größten Pferdekliniken

Ungeduldig klopft Fuchsstute Nasita an ihre Boxenwand. Hallo-ho, es ist Zeit fürs Wasserbad! Da biegt schon Tierarzthelferin Melanie um die Ecke, halftert die Stute auf und führt sie in den Nebenraum. Dort stapft die großgewachsene Füchsin wenige Minuten später hochzufrieden durch den Aquatrainer. Nasita ist eine von über 9000 Patienten pro Jahr, die in der Klinik Equitom landen – einer der weltweit größten Pferdekliniken. Und eine, die versucht, immer neue Maßstäbe zu setzen, was die bestmögliche Behandlung und Rehabilitation von Pferden angeht.

Die Klinik liegt im belgischen Lummen, rund eine Stunde westlich von Aachen. Die Fahrt führt auf den letzten Kilometern durch kleine, ländliche Dörfer. Und dann auf einmal das Klinikgelände, das sich hinter einem großen, schmiedeeisernen Tor verbirgt: Die lange Auffahrt strebt schnurgerade an Koppeln vorbei zu einem zentralen, großzügigen Parkplatz, um den sich vier große Gebäude gruppieren.

Aus einer kleinen Klinik im Wald wurde ein international gefragtes Team

Dabei sah das hier zu Gründungszeiten ganz anders aus, erzählt uns Dimitri Kadic. Der Chirurg gehört seit 2020 zum Equitom-Team, wuchs aber im Nachbarort auf und kennt Klinikgründer Dr. Tom Mariën daher schon deutlich länger. "Hier gab es vor zwanzig Jahren nur ein kleines Klinikgebäude im Wald mit sieben Boxen und einem OP", erinnert sich Kadic. Erst 2014 genehmigte die Gemeinde eine Erweiterung von zwei Gebäuden. Ein Wegweiser mit dem Wort "Receptie" weist den Weg zu einem davon, dem Empfangsgebäude für Pferdebesitzer. Direkt dahinter liegt ein großer Behandlungsraum, wo eine Tierärztin und drei Helferinnen gerade ein Shetty versorgen. Das vierbeinige Klientel ist vielfältig, sagt Dimitri Kadic, nicht nur, weil es aus nahezu 70 Ländern kommt: "Wir behandeln Olympiapferde ebenso wie Mini-Shettys oder Esel."

Zum Beispiel im Operationssaal nebenan. In der Wand zur dahinterliegenden Stallgasse mit den an den OP angeschlossenen Intensivboxen ist auf Kopfhöhe ein breiter Fensterstreifen eingelassen. Etwa für Zuschauer? Genau das, bestätigt Dimitri Kadic. Wer will, kann den Tierärzten bei der Operation des eigenen Pferds quasi über die Schulter schauen. Wobei das künftig noch bequemer geht; aber dazu später.

Grün sind die bewusst angelegten Ruheoasen ebenso wie der Umgang mit Energie

Brauchen die operierten Patienten keine Intensivbehandlung (mehr), wechseln sie ins Nachbargebäude. Das liegt hinter einem kleinen Stück Grün mit geschwungenen Wegen, mehreren Sitzbänken und Springbrunnen. Fast fühlt man sich wie im Wellness-Hotel. "Natürlich ist die Behandlung wichtig. Aber nur wenn sich die Pferde hier während der Rehabilitation wohlfühlen, können sie sich erholen. Deshalb gibt es überall grüne Ecken", erklärt Dimitri Kadic – und Weiden im Überfluss. Grün ist die Klinik auch in punkto Energie: Das Wasser wird in einer eigenen Aufbereitungsanlage gereinigt. Rund 85 Prozent der Elektrizität stammen aus Solarenergie. Auf den 15 Hektar Weideland sind Pestizide oder Herbizide tabu, dafür wurden Kräuter und Blumenbeete für Insekten eingesät.

Entspannt und neugierig schauen uns im Stalltrakt des Nachbargebäudes Pferde entgegen. Am Ende der Stallgasse liegt der bildgebende Bereich: Von einem Raum aus geht es sternförmig in die jeweiligen Untersuchungsbereiche – mit Szintigrafie, Magnetresonanz- und Computertomografie. Und in den Raum mit Roboter-CT: Seine beweglichen Arme können Pferde stehend scannen; statt einer Vollnarkose wie in üblichen, ringförmigen Computertomographen ist hierfür nur eine Sedierung nötig. Viele Körperregionen kann der Roboter-CT erfassen; lediglich im Bauchraum, an Hüften und Teilen der Gliedmaßen stößt er an seine Grenzen.

Die bildgebenden Verfahren nutzen Dimitri Kadic und seine Chirurgie-Kollegen zur Vorbereitung von Operationen. Für die Diagnose greifen die Tierärzte aus der Abteilung Orthopädie und Rehabilitation darauf zurück, die in einem Gebäude gegenüber untergebracht sind. Im Innenhof des U-förmigen Klinikteils ist ein Springbrunnen im Plätschern erstarrt; im Mittelteil herrscht hingegen emsiger Betrieb.

In drei Warteboxen stehen gerade Pferde und ihre Besitzer parat, um gleich in einen der beiden Behandlungsräume oder den Röntgenraum geschickt zu werden. Ein großes Tor neben den Behandlungsräumen gibt den Weg in die 25 auf 50 Meter große Reithalle frei. Auf der Rückseite des Orthopädiebereichs ist eine gepflasterte Vorführgasse angelegt, bei Dunkelheit über die gesamte Strecke mit LEDs beleuchtet. Direkt dahinter liegen zwei Longierzirkel; einer mit hartem, einer mit weicherem Boden, erklärt Dimitri Kadic. So können die Tierärzte problemlos auf unterschiedlichen Untergründen, geraden und gebogenen Linien, an der Hand und unterm Reiter einen Patienten begutachten – und das alles nur wenige Schritte vom Zentralbereich entfernt, an den sich ebenfalls ein Stalltrakt für die stationären Patienten anschließt.

Der neue Operationssaal, das "Juwel", ist auf gleich dreifache Art einzigartig

Was schon modern und praktisch zugleich anmutet, ist nichts gegen das eigentliche "Juwel" der Klinik, wie es Kadic nennt. Das verbirgt sich im letzten, modernsten Klinikgebäude und glänzt im Blau-Ton des Equitom-Logos: ein hochmoderner Operationssaal, der speziell für Equitom konzipiert wurde – und nicht nur Unikat ist, sondern gleich zwei Weltneuheiten mit sich bringt.

Erstens, weil die Wände des Operationssaals vollständig aus Glas bestehen. "Das ist sehr hygienisch und steril, weil sich keine Keime darauf festsetzen können", erklärt Dimitri Kadic. Weil die Patienten in einem geräumigen Vorraum auf die Operation vorbereitet werden, also etwa Hautstellen rasiert und desinfiziert werden, bleibt der OP-Saal so sauber und das Infektionsrisiko so gering wie möglich.

Zweitens, weil der OP interaktiv ist: Zwei Kameras (eine an der Decke in einer Raumecke, eine in einer OP-Lampe) können die Operation live übertragen. Zuschauen können die Patientenbesitzer, die sich – auch Tausende Kilometer entfernt – einfach in die OP ihres Pferds "einwählen". Oder ein Chirurg loggt sich ein und kann während der OP Fragen stellen oder Empfehlungen aussprechen. Oder die Operation wird live in den Konferenzraum gestreamt, der im oberen Gebäudeteil liegt, und dient zur Fortbildung für Tierärzte.

Diese beiden Punkte – Transparenz und Wissenstransfer – sind Klinikgründer und -chef Dr. Tom Mariën besonders wichtig. Nicht nur gegenüber uns Pferdebesitzern, weswegen die Klinik regelmäßig Videos von Behandlungen auf sozialen Netzwerken teilt. Auch unter Tierärzten müsste der Austausch viel größer sein, findet Tom Mariën – und zeigt seit 2021 mit der "Equine Care Group" (ECG), wie das aussehen könnte.

Ein neues Konzept soll Pferdeleben retten – und die Welt der Pferdemedizin verändern

Vor einigen Jahren, erzählt Tom Mariën, wollte eine Investorengruppe seine Pferdeklinik kaufen. Er aber nicht verkaufen. "Das waren nur Manager, keine Tierärzte, keine Pferdemenschen. Die haben noch nie ein Pferd gefühlt, ihnen in die Augen gesehen, nächtelang mit ihnen in der Box gewacht, so wie wir alle hier das schon getan haben", sagt er und zieht missbilligend die Augenbrauen zusammen. Trotzdem wollte er seine Klinik gerne anders aufstellen, denn: "Wir haben hier ein großes Wissen. Es sollte aber nicht nur hier sein! Es sollte draußen sein, bei den Pferden!" Jeden Tag, sagt er, werden Pferde eingeschläfert, die nicht eingeschläfert werden müssten, wäre das Wissen über mögliche Behandlungen nur größer.

Was tun? Er beriet sich mit einem befreundeten Anwalt und Reiter – und formte die Idee der "Equine Care Group": Eine Gruppe von Tierärzten für Tierärzte, die Kliniken und Veterinäre zusammenbringt, vernetzt, durch geteiltes Wissen das medizinische Level anhebt. Gleichzeitig wird die Gruppe wie eine moderne Firma gemanagt, mit Mitarbeitern für Personalfragen wie für Social Media. Sieben Kliniken sind aktuell dabei, dazu etliche mobile Tierärzte. Mit diesem Konzept, sagt Tom Mariën, "will ich die Welt der Pferdemedizin verändern".

Ohne Geld geht das allerdings nicht. Daher ist die Investment-Gesellschaft Bencis an der ECG beteiligt. Aber, wie Tom Mariën betont, nur zu einer Minderheit; die Entscheidungshoheit liege in den Händen von Tierärzten. Die Gruppe plant zudem den Bau von zwei neuen Kliniken in Frankreich, kürzlich kam eine in Italien hinzu. "Jeder Tierarzt kann sich uns anschließen, der im Team zusammenarbeiten will, Wissen teilen will und der dieselbe Leidenschaft hat wie wir", sagt Tom Mariën und meint: Leidenschaft fürs Pferd.

Die begann bei dem heute 53-Jährigen im Kindesalter. Er habe es geliebt, mit seinen Pferden stundenlang auszureiten oder in einem See schwimmen zu gehen, erzählt er. Während des Studiums war keine Zeit mehr dafür; umso mehr habe er es genossen, in der Praxis wieder Fell-Kontakt zu haben. Und heute eben die bestmögliche Behandlung für die Vierbeiner zu erreichen. Nicht weniger.

Equitom auf einen Blick

Dr. Tom Mariën (unten rechts mit Chirurg Dimitri Kadic, links) gründete Equitom 2002.

CAVALLO Klinik Equitom in Belgien
Thomas Hartig

Sein Team in Lummen zählt rund 70 Menschen, davon 30 Tierärzte. Mit dem zweiten Standort in Namur, Belgien sind es insgesamt rund 115 Mitarbeiter.

In Lummen können bis zu 150 Pferde stationär untergebracht werden. Behandelt werden sie in zwei OP-Sälen (plus ein Raum für Eingriffe am stehenden Pferd) sowie vier weiteren Bereichen. Bis zu 20 Operationen sind täglich möglich. Dafür gibt es 6 Aufwach- und 10 Intensivpflegeboxen. In punkto Bildgebung stehen Röntgengeräte, Ultraschall (Ultrasound Tissue Characterization), Szintigrafie, Magnetresonanz- und Computertomografie (u.a. mit Roboter EDAMIS) zur Verfügung.

Für die Rehabilitation nutzt das Team ein Spa (Wasserdüsen für Muskelstimulation im bis zu vier Grad kalten Wasser), einen Aquatrainer, zwei Führanlagen plus unzählige Weiden und Paddocks. Für die Behandlungen gibt es eine Preisliste – die laut Equitom teils klar unter den Preisen der GOT liegt. Mehr Infos unter: www.equitom.be