Mit welchem Bein ein Pferd tickt, erkennt man häufig nicht auf den ersten Blick. Selbst so mancher Tierarzt tut sich bei der Diagnose schwer, wenn kein Blut fließt und das kranke Bein nicht geschwollen ist.
Ein abgeschlossenes Studium garantiert nicht, dass der Doc ein Auge für Lahmheiten hat. Ein neues Gerät soll dem Rätselraten nun ein Ende setzen: Der Lameness Locator analysiert innerhalb weniger Augenblicke, welches Bein weh tut und wann es am meisten schmerzt.
Dabei ist es egal, ob das Pferd nur ganz schwach hinkt oder offensichtlich ein Problem hat. Auch besonders irreführende Lahmheiten, bei denen das Pferd beispielsweise mit mehreren Beinen humpelt, obwohl nur eine Gliedmaße schmerzt, kann das Gerät entschlüsseln. Wie funktioniert der neue Detektor? Und wo wird er hierzulande schon eingesetzt?
Tierärzte erkennen Lahmheiten nicht
Erfunden hat dieses clevere Hilfsmittel der amerikanische Pferdetierarzt Professor Kevin Keegan von der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Missouri. Seit über zwanzig Jahren beschäftigt er sich mit dem Gangbild gesunder sowie kranker Tiere. Dafür untersuchte er auch unzählige Pferde nach der klassischen Methode, bei der das Tier vom Besitzer vorgeführt wird und der Doc die Bewegung mit bloßem Auge analysiert. Doch das stellte ihn nie zufrieden, da es dabei immer wieder zu falschen Diagnosen kommen kann. „Viele Lahmheiten bleiben sogar gänzlich unerkannt und werden nie behandelt“, sagt Kevin Keegan. „Das kann dazu führen, dass der Besitzer sein Pferd früher in Rente schicken muss als eigentlich nötig.“
Man kann Tierärzten keinen Vorwurf machen, dass sie manche Lahmheit nicht sofort bemerken oder auch mal eine falsche Vermutung äußern. Irren ist menschlich und in vielen Fällen nur bedingt abhängig davon, welche Ausbildung der Doc absolviert hat. Der entscheidende Faktor sind unsere Augen. Sie sind von Natur aus schlichtweg zu langsam für solche komplexen Analysen, da sie bloß 14 bis 18 Bilder pro Sekunde wahrnehmen und verarbeiten können. Eine Hochgeschwindigkeitskamera belichtet hingegen rund eine Million Bilder pro Sekunde.
Stellt sich die Frage, warum Tierärzte nicht routinemäßig jedes Pferd beim Vortraben filmen und danach das Video im Zeitlupentempo analysieren. Prinzipiell ist das eine gute Idee, jedoch beansprucht das viel Zeit, und die Interpretation bleibt nach wie vor dem menschlichen Auge überlassen. Sinnvoller ist es, ein Computer übernimmt die Analyse, überlegte sich der technikinteressierte Tierarzt Kevin Keegan vor einigen Jahren und fing an zu tüfteln.
„Ich suchte nach einer objektiven Methode, Lahmheiten aufzuspüren.“ Mit vielen seiner Kollegen konnte er über das Projekt nicht sprechen. „Sie schüttelten darüber nur den Kopf“, berichtet Keegan. Doch das ließ ihn kalt. Durch Zufall traf er eines Tages drei japanische Technik-Experten. „Sie verstanden mich und mein Problem“, sagt Keegan. Fortan bastelten sie gemeinsam am Lahmheits-Detektor. Inzwischen ist das Gerät wissenschaftlich geprüft, in der Praxis getestet und wird über die Firma Equinosis vertrieben.






Sensoren registrieren jede Bewegung des Pferds
Herzstück des Lameness Locators sind drei kleine, hochempfindliche Bewegungssensoren, die jede Regung des Pferds registrieren. Die jeweils rund 30 Gramm leichten Würfel werden vor der Untersuchung am Körper des Pferds mittels Klettverschluss, Klebeband und Bandagen befestigt. Ein Sensor wird zwischen den Ohren platziert, einer auf der Mitte der Kruppe und einer am rechten Vorderbein. Die Vorbereitung klingt aufwändiger als sie ist: Ein routiniertes Team befestigt die Sensoren innerhalb von zwei Minuten.
Um herauszufinden, welches Bein schmerzt, muss das Pferd mit den Sensoren drei bis fünf Minuten an der Hand, unterm Sattel oder an der Longe traben. Zeitgleich übermitteln die Sensoren die gemessenen Daten kabellos an einen Tablet-PC, den der Tierarzt in der Hand hält.
Ein Programm gleicht die Infos des Patienten sofort mit den Referenzdaten von gesunden sowie kranken Tieren ab, die in einer Datenbank gespeichert sind. Ist das Pferd lahm, schlägt der Computer Alarm und zeigt an, welches Bein hinkt, wie gravierend die Lahmheit ist und in welcher Phase der Bewegung die Gliedmaße am meisten schmerzt.






Der Lameness Locator ist schneller als der Tierarzt
Dass der Lameness Locator hält, was er verspricht, belegen mehrere wissenschaftliche Studien. Die neueste Untersuchung zeigt sogar, dass das Gerät Lahmheiten nicht nur zuverlässig aufspürt, sondern auch schneller identifiziert als ein erfahrener Doc. Die Zahlen sind für Tierärzte nicht besonders schmeichelhaft: Der Detektor benötigt weniger als die Hälfte der Zeit im Vergleich zum Menschen, um eine Lahmheit an den Vorderbeinen zu erkennen. Bei Lahmheiten an den Hinterbeinen ist das Gerät sogar 67 Prozent schneller.
In Deutschland gibt es bislang nur einen Lameness Locator. Er befindet sich in Berlin. „Wir setzen das Gerät seit einem Jahr ein“, sagt Dr. Wolfgang Stäcker von der Klinik für Pferde an der Freien Universität. „Manche Ärzte sagen, der Lameness Locator sei moderner, über üssiger Schnickschnack. Ich finde, es ist ein sinnvolles Hilfsmittel für jeden Tierarzt, weil Technik im Gegensatz zum menschlichen Auge unbestechlich ist und kein Spielraum für Vermutungen bleibt.“ Wolfgang Stäcker gibt ein Beispiel: „Wenn man bereits vor der Lahmheitsuntersuchung einen Verdacht hat, woher der Schmerz kommen könnte, ist man beim Vortraben unbewusst zu sehr darauf fokussiert und übersieht eventuell einen anderen wichtigen Hinweis.“
Welche Pferde werden mit dem Lameness Locator in Berlin untersucht? „Jeder kann sein Tier mit dem Gerät analysieren lassen“, sagt Stäcker. „Besonders hilfreich ist das System, wenn man sich nicht sicher ist, ob das Pferd überhaupt lahmt, bei kompensatorischen Lahmheiten, wenn das Tier also einen Schmerz ausgleicht, sowie bei der Suche nach dem Schmerzherd mit Hilfe von Lokalanästhesien.“






Hightech-Diagnose erspart Pferdebesitzern hohe Kosten
Die Untersuchung mit dem Lameness Locator ist nicht viel teurer als eine gewöhnliche Lahmheitsdiagnostik. Pferdebesitzer müssen dafür einen Aufpreis von zirka 50 Euro zahlen. Wer sein Tier nach Berlin bringt, entscheidet selbst, ob er das Pferd während der Untersuchung reitet, longiert oder an der Hand führt.
Wichtig ist lediglich, dass das Tier trabt. „In dieser Gangart klappt die Analyse mit dem Lameness Locator momentan am besten“, sagt Dr. Wolfgang Stäcker. In welcher Geschwindigkeit das Pferd trabt, ist hingegen egal. „Das Gerät eignet sich auch für Traber, die im Renntempo laufen.“ Die Lahmheitsanalyse im Galopp oder bei Spezialgängen ist aber offenbar nur noch eine Frage der Zeit.
Erfinder Kevin Keegan arbeitet bereits an einem Update, damit Pferde bald auch im Galopp sowie in Spezialgängen wie Tölt untersucht werden können. „In zirka einem halben Jahr wird der Lameness Locator soweit sein, dass der Tierarzt ein Pferd in allen Gangarten mit nur einer Untersuchung analysieren kann.“ Auch im Hinblick auf sehr subtile Lahmheiten tüftelt Keegan an einer Lösung: Diese Pferde sollen künftig 24 Stunden lang mit Sensoren überwacht werden, um herauszufinden, ob sie eine Gliedmaße über den ganzen Tag weniger belasten.
Trotz Hightech wird der Lameness Locator niemals einen Tierarzt ersetzen. Wichtig ist und bleibt die Erfahrung des Docs. Er muss abwägen, welche weiteren Diagnoseverfahren wie Beugeprobe, Röntgen oder Ultraschall nötig sind, um die Lahmheitsursache aufzuspüren – und zu behandeln.






Kontakt

Professor Kevin Keegan
Universität Missouri
Columbia, MO 65211 – USA
keegank@missouri.edu
www.equinosis.com
Dr. Wolfgang Stäcker
Klinik für Pferde an der Freien Universität
Oertzenweg 19 b
14163 Berlin
staecker.wolfgang@vetmed.fu-berlin.de