In welchem Stall fühlt sich mein Pferd wohl?
Packen oder Bleiben?

Wir wollen einen Stall, in dem sich das Pferd wohlfühlt. Doch wie finde ich das heraus? Hier erfahren Sie, was sie vor einem Stallwechsel beachten sollten.

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Foto: Lisa Rädlein

Diese Frage stellt sich jeder Pferdebesitzer einmal. Oder zweimal. Oder dreimal. Oder dauernd. Fakt ist: Wir wollen einen Stall, in dem sich das Pferd wohlfühlt und wo es ihm gut geht.

Klingt einfach, ist in der Realität aber oft schwierig. Profitieren Sie jetzt von Expertenwissen und praktischen Erfahrungen – damit die Vision vom Wohlfühlstall für Ihr Pferd Wirklichkeit wird.

5 Ställe – 5 Möglichkeiten, Pferde unterzubringen

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Wie realistisch ist es, einen Wohlfühlstall fürs Pferd zu finden – und woran erkenne ich ihn? Als Reiter kann ich heute wählen, wie ich mein Pferd unterbringen möchte.

Aber welche Haltungsform passt zu meinem Pferd? Paddockbox, kleine Offenstallgruppe, moderner Bewegungsstall oder doch ein eigener Stall am Haus?

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Lisa Rädlein
Im Offenstall leben oft verschiedene Pferdetypen zusammen in einer Gruppe.

Wie viel Wohlfühlqualität bietet der heimische oder ein möglicher neuer Stall fürs Pferd?

Um das herauszufinden, begibt sich CAVALLO auf Stallsuche. Wir picken uns einen Ort (Goslar/Niedersachsen) auf der Landkarte heraus und suchen nach Pensionsställen im Umkreis von rund 30 Minuten Fahrzeit: eine authentische Situation für einen Pferdebesitzer auf Stallsuche. Außerdem schauen wir uns eine Privathaltung am Haus an. Dabei möchten wir sehen, wie Hofbetreiber verschiedene Haltungssysteme in der Praxis umsetzen. Bewusst besichtigen wir Betriebe im Winter, wenn keine Weidesaison ist – gerade dann ist genug Auslauf oft ein Problem.

Wir checken: Was bieten die Pensionsbetriebe an? Was lassen sie sich einfallen, um Pferden das Leben schöner zu machen (siehe clevere Ideen)? Wo lauern Tücken? Wie verhalten sich die Pferde?

Bei der Wohnungssuche holen wir uns Rat vom Profi: Dr. Vivian Gabor begleitet uns. Sie forscht an der Uni Göttingen zum Verhalten von Pferden und baute selbst eine prämierte Anlage mit Aktivstall und Paddockboxen (www.ivk-menschundpferd.com).

Sie würden am liebsten Ihr Pferd fragen, ob ihm ein Stall gefällt? Unsere Expertin zeigt Ihnen, wie Sie das am Verhalten erkennen können und was in einem Stall für Wohlbefinden sorgt.

Reicht es nicht aus, sich auf ein Gütesiegel zu verlassen?

Für Laufställe gibt es etwa die LAG-Plakette. Vielleicht haben Sie auch schon ein FN-Schild gesehen, das Betriebe nach einem Sternesystem bewertet. Diese Gütesiegel zeigen, dass Prüfer die pferdegerechte Haltung abgenommen haben. Eine Nachprüfung ist meist nach drei Jahren fällig. Doch in der Zwischenzeit kann sich viel verändern. „Wer sich für einen Pensionsbetrieb interessiert, sollte sich Zeit für die Besichtigung nehmen“, rät Dr. Vivian Gabor.

Sie sind neugierig, worauf die Expertin beim Stall-Check alles achtet? Dann lassen Sie uns gemeinsam Stallluft schnuppern.

Gut Wennerode

Eine Herde mit 35 Pferden bewegt sich viel im großen AKTIVSTALL. Schleusen ermöglichen eine individuelle Fütterung.

Gut Wennerode: 5-Sterne-LAG-Stall, 2013 Sieger des LAG-Wettbewerbs
Betreiber: Landwirt Hauke Zeiser
Preis: 374 Euro (Vollpension)
www.gut-wennero.de

Das Gut Wennerode liegt abseits von Häusern im Grünen. Der Betrieb hat von 25 auf 35 Pferde aufgestockt: „Das entspricht einer Arbeitskraft und ist wirtschaftlicher“, erklärt Hofchef Hauke Zeiser. Wir sehen allerdings nur ein Pferd auf dem Paddock. Wo sind wohl die anderen? Ein Teil ruht in der mit Stroh eingestreuten Liegehalle. Zum Rest sind wir einige Minuten unterwegs – der Aktivstall bietet viel Platz. Auf dem Laufweg der Pferde liegt rutschfester Kunstrasen vom Fußballplatz. Top, darauf könnten Pferde trotz Frost sicher galoppieren!

Doch die Pferde malmen gerade Heu an der zeitgesteuerten Raufe: Alle drei Stunden gehen die Tore hoch und geben das Futter frei. Das soll verhindern, dass die Herde den ganzen Tag nur an der Raufe herumlungert. „Ein gutes System. Es kann aber dazu führen, dass die Pferde zu den Futterzeiten ans Heu drängeln“, meint Dr. Vivian Gabor. Das ist hier nicht der Fall: Die Tiere scheinen zu wissen, dass sie stets genug zu futtern haben. Einige dösen in der Morgensonne, andere fressen. Schleusen steuern, welche Pferde auf die Weide dürfen und für wen es Kraftfutter gibt. So ist individuelles Füttern in der Gruppenhaltung möglich. „Ein wichtiges Kriterium für Besitzer von Rehepferden“, erläutert die Expertin.

Fels-Hof Lengde

Vier Pferde wohnen im OFFENSTALL, Ponys in der LAUFBOX und die Reiter genießen familiäre Atmosphäre.

Fels-Hof Lengde: Offenstall für 4 Pferde, Laufbox, Paddockbox
Betreiber: Gesundheitstrainerin Sabine Fels
Preis: 300 Euro (ohne Kraftfutter)
www.barockenhexen.de

Der Betrieb von Sabine Fels ist familiär: Sieben Pferde leben dort. Der Offenstall grenzt ans Wohnhaus. Die Trainerin für klassisch-barocke Reiterei legt Wert auf Gesundheit: Die Pensionspferde bewegt sie täglich in der Führmaschine; die Einsteller können in der Reithalle an Boulderwand und Hängeleiter klettern.

Der Offenstallhaltung stand die Ausbilderin lange skeptisch gegenüber. Sie hatte den elterlichen Hof übernommen und die Boxenhaltung weitergeführt – „bis ich mich am Fuß verletzte und nicht mehr so viel führen wollte.“

Das Platzangebot ist begrenzt, aber gut durchdacht. Der überdachte Bereich des Offenstalls ist rund angelegt, der Ausgang groß – so geraten Pferde nicht in eine Sackgasse, wenn sie bei Streit ausweichen müssen.

Die Stuten und Wallache im Offenstall futtern entspannt. „Es sollte immer mehr Futterplätze geben als Pferde, damit auch Rangniedrige ans Heu kommen“, erklärt Vivian Gabor. Das ist hier gegeben und schafft Harmonie. Die ist in einer kleinen Gruppe nicht automatisch da: „Je mehr Pferde es gibt, desto mehr verteilt sich der Stress. Das zeigen Studien“, weiß die Forscherin. Die Gruppe sollte aber auch nicht riesig sein – das erschwert etwa Gesundheitskontrollen.

Lindenhof-Seesen

Aus einer Gärtnerei ensteht ein heller Wintergarten für Pferde mit PADDOCKBOXEN.

Lindenhof-Seesen: Paddock-, Innen- und Laufstallboxen, 40 Pferde
Betreiber: Pferdewirt Falko Kuster
Preis: 310 Euro (Vollpension)
www.lindenhof-kuster.de

Nun besuchen wir den Hof eines echten Pferdemanns: Falko Kuster ritt mit 14 Jahren sein erstes S-Springen auf einer selbst ausgebildeten Stute. Später lernte er Pferdewirt. Vor 18 Jahren baute er seine eigene Anlage. Er bietet ein Rundumpaket mit Pension und Unterricht. Die Qualifikation des Betreibers kann ein Kriterium für die Stallwahl sein: „Manchen Hofchefs fehlt Pferdeverstand. Kuster ist qualifiziert und als Ansprechpartner da“, sagt Dr. Gabor. Vor den Paddocks der Boxen sind Vorhänge. So können die Pferde wählen, ob sie rein oder raus wollen. „Die Tiere wirken zufrieden“, meint die Verhaltensforscherin (wie sie das an der Mimik erkennt, lesen Sie den 4-Punkte-Check für zufriedene Pferde).

Falko Kuster hat den Hof erweitert und eine Gärtnerei zu Paddockboxen umgebaut. Der Stall ist hell und luftig; das Dach lässt sich öffnen. Es gibt Bewegungshallen und Ausläufe – aber wenig Weide. Die Pferde können höchstens vier Stunden täglich grasen. Reicht die Zeit? „Das ist okay, weniger sollte es aber nicht sein“, sagt Dr. Gabor. Einsteller sollten die Reitzeiten dann so einrichten, dass sie dem Pferd keine Weidezeit stehlen.

Pferdehof Gitter

In der BOX schlafen und fressen die Pferde. Den Tag verbringen sie in Kleingruppen auf 20x20-m Ausläufen.

Pferdehof Gitter: „Offenstall-Boxen“, Innenboxen, 40 Pferde
Betreiber: Stallbauer Arne Köhne
Preis: 280 Euro (Vollpension)
www.pferdehof-gitter.de

Stadtnah an der Bahnlinie liegt der große Hof von Arne Köhne. 13 Hektar Weide grenzen direkt an. Der Stallbauer ist überzeugt von seinem Konzept, „Offenstall-Boxen“ nennt er es: tagsüber Auslauf, nachts Box. „Wir können jedes Pferd aufnehmen, außer Hengste.“ 12 Quadratmeter sind die Boxen groß. Die Stallgasse ist mit Windnetzen von den Gruppenausläufen abgetrennt. „So gelangen Luft und Licht in den Stall, es zieht aber nicht“, sagt Köhne.

Seine Frau Marina füttert morgens und bringt die Pferde dann auf die etwa 20 x 20 Meter großen Paddocks. „Die liegen zur Südseite, damit auch im Winter viel Sonnenlicht darauf strahlt und der Boden möglichst schnell abtrocknet.“

Auf den quadratischen Ausläufen haben die Pferde Sozialkontakt und sind schnell greifbar für die Besitzer – sie bewegen sich aber wenig, fällt uns am Besichtigungstag auf. „Von 10 bis 16 Uhr ist auch eine relativ lange Zeit ohne Futter“, meint Dr. Gabor. Der Stallbauer verzichtet bewusst darauf, um nicht Futterneid und Verletzungen zu provozieren. Im Sommer grasen die meisten Pferde auf der 24-Stunden-Weide. Damit die Reiter ihre Vierbeiner gut bewegen können, erneuert Arne Köhne derzeit Außenplatz und Longierzirkel.

Traum vieler Reiter: die PRIVATHALTUNG. Drei Pferde wohnen im umgebauten Rinderstall direkt am Haus.

Privathaltung: Offenstall für drei Pferde am Haus, Privatstall auf landwirtschaftlichem Betrieb
Besitzerin: Virginia Kaune, pferde-gestützte Verhaltenstherapeutin
monatliche Kosten: 300–350 Euro

Virginia Kaunes Pferde grasen vor der Haustür – ein Traum. Die Schwiegereltern betreiben Landwirtschaft und bauen das Futter an. Kaune bietet mit ihren drei Vierbeinern pferdegestützte Heilpädagogik an. Dafür hat sie einen Reitplatz, den sie auch als Auslauf nutzt. Der Rinderstall wurde zum überdachten Bereich des Offenstalls. „Wir haben alles rausgerissen, damit die Liegefläche größer ist“, erzählt sie. Nachts trennt sie die Pferde, da es Streit gab. Die rangniedrige Stute schläft im Unterstand, der extra vergrößert wurde. „Eine gute Maßnahme. Streit um Ruheplätze bedeutet Stress“, sagt Dr. Gabor.

Alle fünf Stallbetreiber haben gute Ideen in die Tat umgesetzt und arbeiten weiter an Verbesserungen – damit es den Pferden gut geht.

So haben wir's geschafft: Der lange Weg zum eigenen Stall

CAVALLO: Wie entstand die Idee, einen eigenen Pensionsstall zu bauen?
DAVID STOLL: Der Hof gehörte meinem Vater und war für die Rinderhaltung genehmigt. Weil er krank wurde, war das Hofgelände in den letzten Jahren an Pferdehalter verpachtet. So gab es schon einen Reitplatz und ein paar Umbauten. Als ich den Hof übernahm, wollte ich meiner Stute ein schönes Zuhause bieten.

Dann gab es ja nicht mehr viel zu tun?
Meine Ideen hatte ich in ein paar Stunden auf dem Papier. Doch bis ich loslegen konnte, gingen fünf Jahre ins Land. Für den Reitplatz, die Umbauten und die Umnutzung zur Pferdehaltung brauchten wir Genehmigungen. Es war ein Spießrutenlauf durch die Amtsstuben.

Welche Auflagen gab es zum Beispiel?
Zum Ausgleich für die befestigte Fläche mussten wir elf Bäume pflanzen. Aber als Schattenspender auf die Koppeln durften sie nicht. Grund: In den Bäumen könnten Greifvögel sitzen – gefährlich für die zu schützenden Rebhühner. Neben dem Reitplatz soll noch ein Grünstreifen für Rebhühner angelegt werden. Den Platz hätten wir übrigens fast woanders wieder aufbauen müssen, weil er nicht ins Landschaftsbild passte. Auf Dauer wird der Reitplatz nur genehmigt, wenn wir hier mindestens 15 Pferde halten. Einen Teil der befestigten Auslauffläche mussten wir zurückbauen, weil die übrige Fläche laut Tierschutz-Richtlinien für 15 Pferde groß genug sei.

Würden Sie das Projekt eigener Stall empfehlen?
Nur denen, die viel Herzblut und Geld investieren wollen. Ohne Vollzeitjob hätte ich mir meinen Traum nicht leisten können.

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Lisa Rädlein
CAVALLO Stallwechsel

4-Punkte-Check für zufriedene Pferde

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Lisa Rädlein
CAVALLO Stallwechsel - Das Zuhause der Zukunft

Pferdemimik deuten

Wie es Pferden geht, lässt sich an der Mimik ablesen. „Ein Pferd kann ruhig in der Box stehen und trotzdem angespannt sein“, weiß Verhaltensforscherin Dr. Vivian Gabor.

Folgende Punkte im Gesicht deuten auf Stress: Falten über den Nüstern, Lippen und Kiefer pressen aufeinander, das Augenlid ist nach oben gezogen, die Kiefermuskeln zeichnen sich deutlich ab. Steckt dahinter kein vorübergehendes gesundheitliches Problem und das Pferd zeigt oft ein solches Stressgesicht, sollten Sie die Haltung überdenken.

Wie viel Streit beim Füttern darf sein?

Kleine Auseinandersetzungen unter Pferden sind normal. „Wir haben auf der Stalltour öfter beobachtet, dass ranghohe Tiere sich mit Drohgebärden Platz am Futter verschaffen“, erzählt die Wissenschaftlerin. „Das ist kein Grund zur Sorge, sofern der Unterlegene genug Platz zum Ausweichen hat.“ Geraten die Pferde jedoch in Engpässe, kann der Streit eskalieren. Achten Sie bei Futterstreit darauf, ob der Verscheuchte sich einen anderen Platz zum Fressen sucht – und diesen auch findet. In einem Wohlfühlstall mit Gruppenhaltung gibt es immer mehr Fressplätze als Pferde.

Immer der Nase nach bei der Fütterung

Hören Sie sich mal unter Reitern um. Einer der häufigsten Gründe für einen Stallwechsel ist mangelnde Heuqualität. Deshalb: Prüfen Sie das Futter mit den Sinnen. Das Heu sollte frisch nach Wiese duften und nicht muffig sein. Es fühlt sich weder feucht an noch trockenhart. Checken Sie es auf Steine, Schädlinge und Giftpflanzen. „Wenn Sie einen Mangel entdecken, prüfen Sie, ob ein Ballen oder mehrere betroffen sind“, rät Dr. Vivian Gabor. Sprechen Sie in jedem Fall den Stallbetreiber darauf an. „Beim Futter sollten Sie keine Kompromisse eingehen. Gutes Heu ist die Basis für ein gesundes Pferd“, erklärt die Expertin.

Kauen ist gesund und macht Pferde zufrieden

Fragen Sie bei einem Pensionsbetrieb danach, wann und wie oft die Pferde gefüttert werden. Fresspausen sollten möglichst nicht länger als sechs Stunden sein. Dr. Vivian Gabor wurde zur Beratung bei einem Problempferd hinzugezogen. Sie fand heraus, dass das Pferd seine Heuration am Abend bereits um 21 Uhr aufgefuttert hatte. Die nächste Portion gab es am nächsten Morgen. „Eine viel zu lange Fresspause“, so die Pferdewissenschaftlerin. Sie riet den Besitzern, zusätzlich ein Heunetz in die Box zu hängen. Dem Pferd geht es jetzt besser. „Schauen Sie immer, was Sie selbst tun können, um die Situation zu verbessern, und besprechen Sie es mit dem Stallchef“, rät sie.

Unsere Meinung

Den perfekten Stall gibt es für Reiter so wenig wie für Betriebsleiter den perfekten Kunden. Oft beschweren sich die einen hinterm Rücken über die anderen. Bleiben Sie lieber im offenen Austausch – auch mit anderen Reitern und Hofchefs. Haben Sie ähnliche Probleme? Gibt es clevere Lösungen? Inspiration ist erlaubt und dient letztlich dem Wohl des Pferds!

So bitte nicht: Horror-Storys aus Ställen

Sie können von Ihrem Stall ein Liedchen singen? Ich auch! Als ich noch Reitbeteiligung war, bin ich ein bisschen rumgekommen. In jedem Stall lernte ich zuerst die „Zehn Gebote“ (manchmal waren es auch mehr), gegen die ich nie wieder verstoßen durfte, ohne mindestens böse Blicke zu ernten.

Nach der Pflicht kam die Kür – die Stallphilosophie: Tragen die Pferde Gamaschen oder Bandagen, reitet man mit Stiefeln oder Chaps, longiert man mit oder ohne Ausbinder? Hier merkte ich dann schnell, ob’s passt oder nicht.

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Lisa Rädlein
CAVALLO Stallwechsel

60 Kilometer einfache Strecke bis zum Stall

Wenn es passt, bleiben Sie bitte, wo Sie sind! Autorin und Pferde-Verhaltenstherapeutin Regina Rheinwald hat für ihr Buch „Servicewüste Pensionsstall?“ unter anderem Stall-Erfahrungen vieler Pferdebesitzer gesammelt – und bekam eine Flut von Zuschriften verzweifelter Menschen.

„Viele Pferdebesitzer werden zu regelrechten Stall-Nomaden“, sagt Rheinwald. „Für einen tollen Stall fahren manche bis zu 60 Kilometer einfache Strecke.“

Artgerecht, das geht auch schlecht

„Die Ställe werden mit viel mehr Pferden vollgestopft, als ursprünglich abgemacht wurde“, schreibt ein Pferdebesitzer der Autorin Regina Rheinwald. „Da sind Rangkämpfe um Schlafplätze und Futter vorprogrammiert. Unser Pferd ist dabei immer wieder unter die Hufe gekommen.“

Kenne ich. Ein Pferd, das ich ritt, stand mit Vorliebe in einem der Futterständer – auch wenn der Trog leer war. Es war eben der einzige Ort, wo das arme Tier seine Ruhe vor der Herde hatte.

Fütterung auf „schwäbische Art“

In vielen Ställen gibt’s zum Frühstück und dann erst wieder zum Abendessen Heu. So wie im alten Stall meiner Freundin. Ihr Wallach wurde im neuen Zuhause zunächst kugelrund. Als er plötzlich ständig Heu vor der Nase hatte, lebte er anfangs nach dem Motto „All you can eat“, als ob es nie wieder etwas geben würde.

Haben Sie auch schon mal beim Heunetz-Füllen eine Staublunge bekommen? Oder wie Aschenputtel – nur ohne Hilfe der Tauben – Pflanzenteile aussortiert, die im Heu nichts zu suchen haben? Die Aussage, die ich bei der Stallsuche mit meiner Freundin am häufigsten gehört habe: „Wenn Ihr Pferd Herbstzeitlose frisst, ist das halt blöd. Unsere lassen die liegen.“

Wer das Zepter in der Hand hält

Manchmal hat der Stallbetreiber eher Scheine als Service im Kopf. Regina Rheinwald wundert sich: „Da muss eine Einstellerin dafür bezahlen, dass sie selbst ihre Box mistet. Einer anderen wird gekündigt, weil sie ihr Pferd aus einem Eimer tränkt.“

Ich selbst habe früher immer abends heimlich Heu aus der Scheune geholt, weil das Abendessen für die Pferde so mager ausfiel. Mir schlug jedes Mal mein Herz bis zum Hals, bis ich die letzten verräterischen Hälmchen von der Stallgasse gefegt hatte.

Erwischt worden bin ich bei einem anderen Fehltritt: Wie jeden Tag brachte ich zwei Pferde auf die Koppel. Die Stallbesitzerin fing mich ab: „Das geht heute nicht! Es ist gefroren! Die Grashalme brechen ab!“ Ihre eigenen Ponys standen allerdings schon auf der Wiese. „Das ist ja was anderes“, fand die Stallbesitzerin.

Die „zehn Gebote“ sind ganz wichtig in einem Reitstall, und seien sie noch so unsinnig. Jedes Schwarze Brett hängt voll von Regeln. Oft sind es gerade die Einsteller, die wie die Polizei darüber wachen. Schnell werde ich zum öffentlichen Ärgernis, wenn ich mal vergessen habe zu kehren oder etwas einfach nur anders mache als alle anderen. Wissen Sie, was ich nicht mehr hören kann? Diesen Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht.“ Mit dieser Einstellung wird das Zuhause unserer Pferde bestimmt nicht besser.

So sieht der Pferdestall der Zukunft aus

Genug Bewegung

Aus der Wissenschaft: „Was sind schon 15 Meter für ein Pferd?“, fragt Dr. Miriam Baumgartner. „Das reicht für höchstens vier Galoppsprünge.“ Die Tierärztin forscht an der Technischen Universität München, wie wohl sich Pferde in ihrem Zuhause fühlen. Unter der Leitung von Dr. Margit Zeitler-Feicht entwickelte sie das „Weihenstephaner Bewertungssystem“ für Pferdehaltungen, das 2021 als digitales Beratungsinstrument auf den Markt kommen wird. Es war bislang schwierig zu beurteilen, wie gut Pferde es in einem Stall haben. „Jeder sieht das anders“, erklärt sie. „Aber an den Mindestmaßen gibt es nichts zu rütteln. Und die gehören in einigen Punkten überarbeitet: Pferde brauchen Platz.“

Die Vorgaben in den „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen“ des Landwirtschaftsministeriums dürfen gerne überschritten werden, betont auch Dr. Angela Schwarzer vom Lehrstuhl für Tierschutz, Verhaltenskunde, Tierhygiene und Tierhaltung an der Uni München. Zum freien Auslauf fehlen genaue Angaben. Wie viele Stunden am Tag ein Pferd sich ohne Reiter vergnügen darf, legen in fraglichen Fällen aktuell Gerichtsurteile fest. „Die Leitlinien müssen hier überarbeitet werden“, sagt Schwarzer. „Mehrere Stunden Auslauf am Tag sind ein Muss. Wenn Pferde nur herumstehen, ist das kein Argument dagegen. Dann fehlen Bewegungsanreize.“

Aus der Praxis: Pferde in modernen Haltungskonzepten sind keine gelangweilten Dauer-Chiller. Aktivställe, wie sie die Firmen HIT und SCHAUER bauen, halten die Tiere mit Laufwegen zwischen den Futterstellen und Tränken auf Trab.

„In unserem neuen Two-Way-Trail laufen die Pferde den gleichen Weg hin und zurück, um sich Futterportionen abzuholen oder zu trinken“, erklärt HITGeschäftsführer Thorsten Hinrichs. Auf Gut Heinrichshof bei Dresden dürfen die Pferde sogar die Galopprennbahn nutzen, um zu den Weiden zu gelangen. „Sie laufen dann bis zu 20 Kilometer am Tag“, sagt Betriebsleiter Stefan Seyfarth. Was oft nicht berücksichtigt wird: Ältere Pferde schaffen keine weiten Strecken mehr. „Deshalb stellen wir Gruppen passend zusammen. Jungspunde und aktive Pferde haben bei uns längere Laufwege als die älteren, die nicht mehr so gut mitkommen“, erklärt Seyfarth.

Gesellig sein

Aus der Wissenschaft: „Pferde, die einzeln in Boxen oder auf Paddocks stehen, sehen meistens gut und gesund aus“, beobachtet Dr. Miriam Baumgartner. Doch zum Glücklichsein gehört mehr. „Sicht-, Hör- und Geruchskontakt zu anderen Pferden ist das absolute Minimum. Deshalb ist Gruppenhaltung das Beste“, findet Dr. Angela Schwarzer – wenn sie gut gemanagt ist. Die Tiere passend zusammenzustellen, ist eine Herausforderung, der sich Stallbetreiber künftig stellen müssen. „Eine Pferdegruppe harmoniert, wenn sich die Tiere vertraut sind und ihre Bedürfnisse zueinander passen“, erklärt Schwarzer. Es dauert bis zu sechs Monate, bis ein neues Pferd seinen Platz in der Rangfolge gefunden hat, erklärt sie. „Wenn ständig Wechsel in der Gruppe sind, gibt’s Stress.“

Aus der Praxis: Dass nicht jedes Pferd in jede Gruppe passt, stellt Stallbetreiber Stefan Seyfarth fest. „Ich muss die Pferde beobachten, um herauszufinden, ob die Herde harmoniert. Aber jedes Tier findet sein Plätzchen, wenn es passt.“ Der Vorteil von Kleingruppen mit bis zu 15 Pferden: „Die Herden bleiben stabiler, weil Pferde seltener wechseln. Das bringt Ruhe rein.“

Auch Stallbau-Spezialisten suchen nach Lösungen gegen Gruppenstress. Ein Beispiel: Die Firma SCHAUER bietet nun eine „Chill-out-Box“ an. Pferde können sich dorthin zurückziehen, wenn sie ihre Ruhe haben wollen. „Die Box ist vor allem für ältere und rangniedrige Tiere gedacht“, erklärt SCHAUER-Fachberaterin Carola Brandt.

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Lisa Rädlein
CAVALLO Stallwechsel - Das Zuhause der Zukunft

Genug Futter

Aus der Wissenschaft: Sozialkontakt ist wichtig, Sozialdistanz aber auch. Beim Fressen wollen Pferde nicht mit jedem ihrer Kameraden Fell an Fell stehen. „Bei einer Heuraufe wird häufig jeder Durchlass als Fressplatz gewertet. Das ist aber dann sehr eng“, bemerkt Dr. Miriam Baumgartner. „Wir haben festgestellt: Wenn Pferde an der Heuraufe nicht genügend Platz zum Nachbarn einhalten können, herrscht ständige Unruhe. Aggressive Auseinandersetzungen sind vorprogrammiert.“ Dr. Angela Schwarzer hält daher in Offenställen die klassischen Futterständer für eine gute Lösung: „Die Pferde können synchron fressen und sind durch Trennwände voreinander geschützt.“

Auch moderne Futterautomaten können Stress auslösen. Wird programmiert, dass die Pferde stündlich Kraftfutter bekommen, gibt es an den Stationen Rangeleien. „Besser sind zehn bis zwölf Rationen pro Tag“, rät Schwarzer.

Aus der Praxis: In vielen Aktivställen füttern keine Menschen, sondern Automaten. An den Systemen wird ständig getüftelt. Bei HIT gibt es Kombi-Stationen, zwischen denen die Pferde hin und her laufen müssen. Die Firma SCHAUER hat ihren „HeuTimer“ optimiert, damit die Pferde gemeinsam und in gesunder Haltung fressen können.

Heu rund um die Uhr vermeidet zwar zu lange Fresspausen, ist aber in vielen Fällen schlecht für die Figur. Stallbetreiber setzen bei der Fütterung immer mehr auf Individualität: „Die Diät-Gruppe kommt zum Beispiel nur stundenweise auf die Weide, die Schwerfuttrigen dürfen länger“, erzählt Stefan Seyfarth vom Gut Heinrichshof.

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Lisa Rädlein
CAVALLO Stallwechsel - Das Zuhause der Zukunft

Guter Schlaf

Aus der Wissenschaft: „Pferde möchten nicht nur gemeinsam fressen. Sie möchten auch gemeinsam schlafen“, sagt Dr. Miriam Baumgartner. Oft wird behauptet, dass Pferde abwechselnd liegen würden. „Das haben wir nicht beobachtet“, berichtet die Wissenschaftlerin. „Pferde synchronisieren ihr Verhalten wie alle sozialen Lebewesen. Zwischen 0 und 6 Uhr ist die Hauptruhezeit, in der alle Pferde in mehreren Phasen liegen möchten.“ Die Liegefläche pro Pferd muss also mindestens den Leitlinien entsprechen (2 x Widerristhöhe)²/Pferd), damit die Herde zusammen ruhen kann.

Aus der Praxis: „Zehn Quadratmeter pro Pferd sollten es bei der Liegefläche schon sein, damit sich jedes Pferd ablegen kann“, findet Stallbetreiber Stefan Seyfarth. Für HIT-Geschäftsführer Thorsten Hinrichs kann es ebenfalls nicht genug Platz geben – in jeder Hinsicht. „Je mehr Platz Pferde haben, desto wohler fühlen sie sich. Doch oft scheitern Pläne, Flächen zu erweitern, an Umweltschutzauflagen.“

Das Weihenstephaner Bewertungssystem könnte ein Lichtblick werden. Es wird die erste wissenschaftlich fundierte Checkliste, die zeigt, wie pferdegerecht ein Stall ist. „Wir möchten damit Behörden, die Pferdehaltungen genehmigen, ihre Arbeit erleichtern. Auch Verbände könnten ihre Mitgliedsbetriebe künftig besser beraten, um Schwachstellen zu erkennen und zu lösen“, erklärt Baumgartner.

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Lisa Rädlein
CAVALLO Stallwechsel - Das Zuhause der Zukunft

Spannende Links

Sie sind neugierig auf mehr Informationen? Wir haben für Sie zusammengefasst:
• die Leitlinien des Landwirtschaftsministeriums zur Beurteilung von Pferdehaltungen,
• Infos zum Weihenstephaner Bewertungssystem,
• Studien zu verschiedenen Haltungsformen, Liegeverhalten und Schlafstörungen.

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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023

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