Verhaltensweisen, die Wohlbefinden zeigen
Hätten Sie gewusst, dass erwachsene Pferde, die viel miteinander spielen oder soziale Fellpflege betreiben, dies eher zum Stressabbau tun? Spielen und Kraulen taugen also nicht als Wohlfühl-Signal. Zusammen ruhen, fressen oder sich gemeinsam fortbewegen sind dagegen Verhaltensweisen, die tierartübergreifend für Freundschaften üblich sind – und für das einzelne Tier einen hohen Wert haben. Im Rahmen der Stall-Checks für das Projekt BestTUPferd kristallisierte sich das Zusammensein als einziger praktikabler und weitgehend valider Indikator fürs Wohlbefinden heraus. Abzulesen daran, dass die Tiere länger als eine Minute freiwillig nah zusammen sind (je nach Flächenangebot zwischen 1,5 und 5 Meter), ohne agonistische Verhaltensweisen wie Drohen oder Aggression.

Soziale Fellpflege ist kein Indikator für Wohlbefinden - im Gegensatz zu Nähe. In Gruppenhaltungen mit Bewegungsanreizen gehen die Pferde am freundlichsten miteinander um.
Das Wohlfühlverhalten konnten die Beobachter besonders häufig in 13 Betrieben mit insgesamt 214 Pferden beobachten, und zwar ausschließlich in Gruppenhaltungen mit vielen Bewegungsanreizen und Ausweichmöglichkeiten. Pferde in Offenstallhaltung ohne spezielle Bewegungsanreize oder Tiere in Einzelhaltung zeigten diese Verhaltensweise als Indiz für Wohlbefinden deutlich weniger.
Merkmale für einen guten Gesundheitszustand
Um den Gesundheitszustand der Pferde abzubilden, werteten die Forschenden u.a. Verletzungen aus und beurteilten die bedarfsgerechte Fütterung. 80 % der in Gruppen lebenden Pferde hatten Verletzungen, unter den einzeln gehaltenen Tieren nur 40 %. Die Verletzungen in Gruppenhaltungen waren meistens geringgradig. Als Ursache machten die Beobachter gefährliche Stalleinrichtungen, mangelnde Ressourcen (etwa Futter, Ruheplätze) und zu wenig Ausweichmöglichkeiten aus. Wie gut die Pferde im Futter standen, bewerteten sie anhand des Body-Condition-Scores (nach Kienzle und Schramme): mager (BCS 1-3), normal (BCS 4-6) und dick (BCS 7-9). Als Zielwert wurde ein Anteil von weniger als 10 % zu magerer oder zu dicker Pferde im Betrieb festgelegt, als Grenzwert ein Anteil von 30 % und mehr der Pferde.

25% der Pferde, die im Paddock Trail gehalten werden, sind zu dick. Auch Haltungssysteme mit vielen Bewegungsanreizen durch lange Laufwege garantieren also keine schlanke Linie.
Die Auswertung ergab, dass 39 % der Betriebe den Grenzwert an zu mageren (1 Betrieb) oder zu dicken Pferden (19 Betriebe) überschritten. Nur sieben der 51 Betriebe (14 %) erreichten den Zielwert. Auch in Gruppenhaltungen mit vielen Bewegungsanreizen, sog. Paddock Trails (13 Betriebe mit 15 Gruppen), waren 25 % der Tiere zu dick.
Pferdegerechte Bedingungen
Pferdegerechte Haltung erfordert artgemäßes und stressfreies Fressen. Hier hapert es besonders in Einzelhaltungen: Bei 71 % waren die Fresspausen insb. nachts länger als die empfohlenen vier Stunden; bei Gruppenhaltungen waren es nur 7 %.

50% der Betriebe mit Gruppenhaltung haben zu kleine Liegeflächen.
Auch in puncto Bewegung schnitten die Gruppenhaltungen besser ab: 95 % dieser Betriebe hatten einen Auslauf, der rund um die Uhr zur Verfügung stand und nach BMEL-Leitlinien groß genug war. 42 % der Einzelhaltungs-Betriebe konnten hingegen nicht einmal allen Pferden täglich freien Auslauf bieten, was tierschutzrelevant ist.
Bei den Liegebereichen gibt’s Defizite: Nur 50 % der Betriebe mit Gruppenhaltung boten den Pferden ausreichend Platz. In 38 % der Einzelhaltungen war mindestens eine der Boxen zu klein.
Ökologisch und nachhaltig
Viele Pferde auf wenig Raum – dieses Defizit für die Tiere macht sich auch in puncto Umweltschutz bemerkbar. Um die Bodenbelastung der Auslaufflächen mit unerwünschten Nährstoffen zu beurteilen, wurde der Stickstoffeintrag gesondert erhoben (45 Betriebe mit 2 220 Pferden) und zu allen Jahreszeiten gemessen: 30 % der Betriebe lagen ganzjährig über dem Zielwert (maximal 20 kg/Hektar). Der Grenzwert (50 kg/ha) wurde im Sommer von einem Betrieb überschritten. Im Winter hingegen, wenn kleinere Auslaufflächen zur Verfügung stehen, von 16 % der Betriebe. Sowohl die Pferde als auch die Umwelt würden also von einem größeren Platzangebot profitieren.
"Wir möchten Tierärzte als Berater für die Betriebe ins Boot holen”

Dr. Miriam Baumgartner ist Tierärztin, forscht zur pferdegerechten Haltung und ist am Projekt BestTUPferd maßgeblich beteiligt.
CAVALLO: Sie analysieren seit Jahren, wie tiergerechte Pferdehaltung funktioniert. Was hat sich Ihrer Einschätzung nach geändert?
Dr. Miriam Baumgartner: Es hat sich gezeigt, dass gut gemeinte Konzepte nicht immer funktionieren: etwa eine starke Trennung der Funktionsbereiche, um Bewegungsanreize zu bieten. Sehr abgelegene Tränken oder Liegeflächen werden von manchen Tieren gar nicht aufgesucht. Auf der anderen Seite ist das Bewusstsein für kurze Fresspausen und taktilen Sozialkontakt mit Artgenossen auch auf Praxisbetrieben mit Einzelhaltung gewachsen; das ist sehr erfreulich.
Die Auswertung von BestTUPferd hat ergeben, dass viele Pferde zu dick sind. An welchen Stellschrauben könnte man drehen? Auch in Gruppenhaltungen, die viele Bewegungsanreize bieten, haben einige Pferde deutlich zu viel auf den Rippen. Betroffen sind häufig leichtfuttrige Rassen wie Iberer oder Friesen, die unter Freizeitreitern momentan sehr beliebt sind. Sie sind an den sehr hohen Energiegehalt, den unser Raufutter aufweist, nicht angepasst. Das ist ein Problem, denn es wäre pferdegerechter, rund um die Uhr Heu anzubieten, als dieses zu rationieren. Hier sehe ich dringenden Forschungsbedarf: Wie können wir pferdegerechtes Heu produzieren?
Wann und wie wird das Analyse-Tool nun die Pferdewelt erobern? Wir werden das Tool Ende des Jahres auf den Markt bringen. Das Interesse ist bereits groß. Unsere Hoffnung ist, dass wir viele Tierärzte ins Boot holen, die Bestandsbetreuungen übernehmen und die Betriebe beraten. Das erste Anwender-Feedback werden wir nutzen, um das Tool weiterzuentwickeln und auf die Anforderungen verschiedener Zielgruppen, etwa Stallbauer, anzupassen.
BestTUPferd: Das Beratungstool
BestTUPferd wurde entwickelt, um Pferdehaltungen objektiv zu beurteilen – mit dem Ziel, den Tierschutz zu verbessern. Die Kriterienliste (mehr als 300 Indikatoren) wurde 2013 bis 2017 von Forschern zusammengetragen. Von 2018 bis 2021 wurde das Bewertungssystem in ein digitales Tool überführt.
CAVALLO hat das Projekt von Anfang an begleitet und konnte den Wissenschaftlerinnen u.a. bei einer Betriebsanalyse über die Schulter schauen (CAVALLO 7/2021). Daten wurden deutschlandweit auf insgesamt 51 Betrieben mit 939 Pferden erfasst. Die Teilnahme an der Betriebsbewertung war freiwillig.