Charmeur hat keinen Bock auf Energie. Als die Reiki-Meisterin ihm die Hand aufs Fell legt, rastet er aus. Ist der Wallach zu sensibel oder ein Pfuscher am Werk? Der Undercover-Test einer Reiki-Behandlung ist ziemlich aufregend.
Beim Reiki soll universelle Lebensenergie übertragen werden. Die hätte Charmeur eigentlich dringend nötig. Der Hannoveraner leidet am Shivering-Syndrom, einer neuromuskulären Erkrankung, die die Hinterhand schwächt. Außerdem hat er am Hinterbein eine Knochenhautentzündung, die trotz tierärztlicher Behandlung schlecht heilt.
Aus der Sicht eines Reiki-Anwenders sind die Energiebahnen, die durch Charmeurs Körper verlaufen, blockiert. Das verursacht Probleme. Reiki (sprich: Re-Ki) soll diese Blockaden lösen, indem universelle Lebensenergie in den Körper geleitet wird. Die gibt es überall in der Umgebung. „Der Reiki-Praktizierende ist wie ein Kanal, durch den Energie in den Patienten strömt“, erklärt Rolf Blum vom Reiki-Verband-Deutschland. Das funktioniere durch Handau egen oder sogar ohne Berührung, also mittels Fernreiki. Klingt nach Hokuspokus.
Und doch ergänzen immer mehr Schulmediziner die konventionelle Therapie mit der japanischen Heilmethode. Auf Tiere soll das Handauflegen ebenso positiv wirken. Immer mehr Reiki-Anwender bieten ihre Dienste auch für Pferde an. „Tiere holen sich dabei die Energie ab, die sie brauchen“, sagt Thomas Blum. Auf den Tierarzt verzichten kann man nicht. Reiki soll seine Arbeit aber unterstützen. „Es gibt zumindest keine Nebenwirkungen“, versichert Blum. Gründe genug, dem Handauflegen eine Chance zu geben.
CAVALLO Reiki-Expertin:

Christa Mahlmeister ist Reiki-Lehrerin nach Dr. Usui, besitzt also den höchsten Ausbildungsgrad und ist Mitglied im Reiki-Verband-Deutschland. Sie praktiziert seit über 10 Jahren und betreibt eine Praxis in Würzburg. Sie behandelt Menschen und Tiere, bildet Reiki-Therapeuten aus und gibt jährlich zahlreiche Seminare. Kontaktdaten unter: www.reiki-kann-helfen.de
Was tun Reiki-Therapeuten?
An meinem Reitbeiligungspferd Charmeur wollen wir undercover testen, wie ein zufällig ausgewählter Reiki-Therapeut arbeitet. Beurteilen soll das Reiki-Lehrerin Christa Mahlmeister aus Würzburg. Sie ist vom deutschen Reiki-Verband zertifiziert, hat den höchsten Ausbildungsgrad und Erfahrung mit Behandlungen an Pferden. Das ist wichtig, denn eine Reiki-Ausbildung speziell für Tiere gibt es nicht.
Den Testkandidaten suche ich im Internet. Ich stelle mich unwissend, achte nicht auf Ausbildungsgrade und Verbandszugehörigkeit. Ich finde schamanische Heiler, die „Mähen mit der Sense für einen befreiten Geist“ anbieten und Tierkommunikatoren, die mit Pferden sprechen wollen. Natürlich entdecke ich auch Reiki-Meister, die Pferde behandeln. Etwa Sabine Burger (Name geändert), die die ersten drei Reiki-Grade besitzt und sich auf energetische Heilung von Tieren und Pflanzen spezialisiert hat. Das klingt fragwürdig und spannend zugleich. Burger wird unsere Testkandidatin.
Am Telefon erzähle ich ihr, dass mein Pferd gerade umgezogen ist und Probleme mit den Hinterbeinen hat. Konkreter werde ich nicht. Burger bietet sofort Fernreiki an und will Charmeur von zu Hause aus fragen, ob er eine Reiki-Behandlung möchte. Ich finde, dass kann sie auch vor Ort tun – und wir verabreden uns im Stall.






Wie Pferde auf Reiki reagieren
Am Testtag untersucht zunächst Reiki-Profi Christa Mahlmeister Charmeur. Der reagiert zuerst entspannt. Als Mahlmeister ihn an der Schulter berührt, schnappt er plötzlich. Das ist völlig überraschend. Er lässt sich sonst anstandslos von jedem anfassen und sogar vom Tierarzt spritzen. Mahlmeisters Fazit: „Er hat viele energetische Blockaden. Besonders zwischen Nerven und Muskeln muss man den Energiefluss wiederherstellen.“ Da er der Energie skeptisch gegenüber steht, würde sie erst nach einigen Behandlungen die Problemzonen mit einbeziehen.
Bald erscheint Testkandidatin Sabine Burger im Stall. Sie will wissen, seit wann ich Charmeur habe, welchen Spitznamen er hat und wie er geritten wird. Dann beobachtet sie das Pferd erstmal. Als sie mit der Behandlung beginnt, spielt Charmeur den unerzogenen Zweijährigen. Er will nicht stehen, legt die Ohren an und schlägt mit dem Kopf. „Lassen Sie ihn um sich herumgehen, zwingen Sie ihn nicht zum Stehen. Meist beruhigen sich die Pferde schnell“, sagt Burger. Charmeur tänzelt.
Ein sonst tiefenentspanntes Pferd, das von seiner querschnittsgelähmten Besitzerin stets prima zu händeln ist. Burger legt die Hand auf den Pferdebauch und läuft neben dem Wallach her. Der bleibt irgendwann stehen, scharrt aber mit den Hufen, stöhnt, schwitzt und schlägt mit dem Kopf. „Das ist normal. Ich sende jetzt Energie.“ Das soll kribbeln wie eingeschlafene Füße – ein Gefühl, das der sonst so ruhige Wallach offenbar nicht mag.






Diagnosen durch Reiki
„Hat er eine Herzschwäche?“ fragt die Reiki-Meisterin. Ich zucke zusammen. Charmeur hat tatsächlich ein leichtes Herzproblem. Ich hatte nichts davon erwähnt, und es ist ihm auch nicht anzumerken. „Das würde ich nochmal vom Tierarzt untersuchen lassen“, rät Burger. Sie wechselt die Position. Ihre Hände liegen an der Flanke des Pferds. Burger vermutet, dass Charmeur zu Koliken neigt. Da liegt sie falsch. Auch die von ihr vermuteten Sehnenprobleme an den Vorderbeinen hat das Pferd nicht. Wie Mahlmeister vermutet sie aber, dass Charmeur Verspannungen in der Schulterregion hat und der Energiefluss in der Hinterhand gestört ist. Auch am Schweif fühlt sie Energieblockaden. „Der ist schief. Wahrscheinlich ist ein Wirbel blockiert.“ Sie empfiehlt, einen erfahrenen Chiropraktiker kommen zu lassen.
Als Burger an der rechten Seite die Hände auf Charmeurs Brust legt, weint sie plötzlich. „Er ist traurig und scheint jemanden zu vermissen.“ Die Kumpels auf der Koppel? Seine Besitzerin? Die Ponystute, die in der alten Heimat zurückgeblieben ist? Denkbar ist alles. Burger empfiehlt Bachblüten. „Das würde ich auch vorschlagen“, kommentiert Christa Mahlmeister später.
Am Ende der Behandlung ist Charmeur entspannter, aber verschwitzt. „Er möchte Energie annehmen, hat aber auch Angst davor“, folgert Burger. Sie will ihn noch auf dem Reitplatz laufen sehen. Charmeur trabt locker los. Sonst braucht er mehr Zeit zum Einlaufen. Wirkt die Energie? Oder das Tänzeln am Strick?






Was kann Reiki leisten?
Wie viel mir Burgers Behandlung wert ist, darf ich selbst entscheiden. Nur die Anfahrt soll ich zahlen. Das ist mehr als fair. Manche Reiki-Anwender verlangen bis zu 180 Euro für eine Stunde – nach den Verbandsrichtlinien deutlich zu viel. Insgesamt fällt das Testurteil positiv aus. „Jede Behandlungs-Position war richtig und sie hat sich gut aufs Pferd eingestimmt“, sagt Christa Mahlmeister. Außerdem gab Burger keine Heilsversprechen und hat an den richtigen Stellen empfohlen, Fachleute zurate zu ziehen.
Charmeur hat erst mal genug von Reiki. Als Burger am Schluss mit einem Blütensäckchen in seinen Laufstall gehen will, haut er ihr die Tür vor der Nase zu. „Das war ein deutliches Nein“, sagt Burger und geht. Tags drauf die Überraschung: Charmeurs ständig angelaufenes Bein mit der alten Verletzung ist dünner als sonst. Vielleicht sollte er seine Einstellung zur Energie überdenken?
Fazit des Experiments: Es spricht nichts dagegen, seriöse Reiki-Anwender ans Pferd zu lassen. Die versprechen keine Wunderheilung, was Hokuspokus wäre. Bei der Suche hilft die Check-Liste rechts. Ob es einem Pferd nach Reiki-Anwendungen besser geht, weil tatsächlich Energie fließt oder weil es vom nachweislichen Placebo-Effekt des Kümmerns profitiert, ist dem Tier egal.






Reiki-Anbieter - Heiler oder Scharlatan?
1. Heilsversprechen: Seriöse Therapeuten versprechen nicht, dass sie mit Reiki Krankheiten heilen können. Das ist sogar gesetzlich verboten. Reiki kann Heilungsprozesse unterstützen, aber keinen Tierarzt ersetzen.
2. Kein Zwang: Möchte das Pferd partout nicht stillhalten oder wehrt es sich gar gegen den Reiki-Anwender, sollte er abbrechen. „Man darf das Tier zu nichts zwingen“, betont Christa Mahlmeister.
3. Preis: Je nach Region empfiehlt der Reiki-Verband den Therapeuten, 40 bis 80 Euro pro Stunde zu verlangen. Deutlich höhere Preise sind äußerst fragwürdig.
4. Qualifikation: Ein professioneller Therapeut sollte mindestens Reiki-Meister (dritter Ausbildungsgrad) sein.
5. Verband: Mitglieder des Reiki-Verbands-Deutschland oder des Berufsverbands ProReiki müssen Urkunden ihrer Einweihungen nachweisen, sich an einen Ehrenkodex halten und sich nachweislich dauerhaft mit Reiki beschäftigen. Bei ihnen sind Sie auf der sicheren Seite. Eine andere seriöse Organisation ist die Reiki Alliance Deutschland. Aber: Es gibt auch gute Therapeuten, die keinem Verband angeschlossen sind.
6. Persönlicher Eindruck: Vertrauen Sie auf Ihr Gefühl: Ist Ihnen der Therapeut sympathisch? Wenn nicht: Finger weg.
7. Empfehlung: Haben Freunde oder Bekannte gute Erfahrungen mit einem Reiki-Praktizierenden gemacht? Trauen Sie ihrem Urteil? Das sind gute Voraussetzungen.
8. Pferde-Erfahrung: Es gibt keine spezielle Ausbildung für Reiki am Pferd. Die Grundausbildung geht vom Menschen aus. Wer Pferde behandeln will, sollte sich also soweit auskennen, dass er sie einschätzen und sich in sie einfühlen kann.






Fakten übers Handauflegen an Pferd und Mensch
Ob Reiki am Pferd wirkt, wurde bisher nicht wissenschaftlich erforscht oder gar bewiesen. Reiki-Lehrerin Britta Vock aus Soltau in Niedersachsen hat versucht, die Energieübertragung mit Wärmebild-Aufnahmen darzustellen.
Im Humanbereich wird Reiki bereits von hochrangigen Kliniken anerkannt: Am Unfallkrankenhaus Berlin werden jährlich 4000 Reiki-Behandlungen durchgeführt. 2008 suchte die Klinik nach einer neuen Therapie, die chronischen Schmerzpatienten helfen sollte. Methoden wie Bio-Feedback, Yoga und Reiki wurden getestet. Die Patienten führten Schmerztagebücher. Ergebnis: Reiki lag vorn. Für 85 Prozent der Patienten war es „das Beste, was in der Schmerztherapie angeboten wurde“. Mittlerweile übernehmen sogar Berufsgenossenschaften die Kosten für die Behandlungen im Krankenhaus. Auch das Breast Care Institut, eine Einrichtung für Brustkrebs-Patientinnen im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in München, setzt auf Reiki.
Das Handauflegen sorgt also zumindest dafür, dass sich Patienten besser fühlen. Die Erfahrung machte auch Gesundheitsmanagerin Dagmar Richter aus Dessau in Sachsen-Anhalt. Sie erforschte, ob Reiki die Gesundheit der Mitarbeiter in Betrieben fördern kann. Beschäftigte verschiedener Unternehmen absolvierten eine Reiki-Ausbildung und sollten sich vier bis fünf Mal wöchentlich Reiki geben. Parallel füllten sie Fragebögen zu ihrer gesundheitlichen Situation aus. Drei Viertel der 49 Teilnehmer fühlten sich nach einem Monat Reiki besser. Nach sechs Monaten spürten sogar 89 Prozent eine Verbesserung: Sie waren etwa weniger verspannt und konnten nachts besser schlafen. Ob tatsächlich Energie strömt oder der Placebo-Effekt positiv wirkt, ist für den Wohlfühleffekt einerlei.
Dass Reiki das energetische Feld eines Menschen verändert, will ein Team um Biophysiker Dr. Ignat Ignatov aus Sofia in Bulgarien und Isabella Petri vom Pro Reiki Verband herausgefunden haben. Im Versuch wurden die Daumen von Reiki-Gebenden und Reiki-Empfängern in einem umstrittenen Spezialverfahren fotografiert. Ergebnis: Nach der Reiki-Anwendung strahlten die Patienten angeblich mehr Energie ab.





