Manchmal wacht man spät auf“, sagt Nicole Bernd (Name von der Redaktion geändert). Drei Jahre versuchte sie alle möglichen Therapien, um ihrer Stute Pepper zu helfen, die nach einer Magenentzündung immer wieder unter Koliken litt. Was die Pferdebesitzerin nicht alles erlebte: Abzocke von einer Tierärztin aus dem Ausland, ein Akupunkteur, der Pepper schlug („damit sie weiß, wo der Hammer hängt“) – und als Krönung eine Tierheilpraktikerin, die der Reiterin erst Hoffnungen und später Vorwürfe machte. Nach einem Gespräch mit ihrer Tierärztin schaffte sie schließlich den Absprung von der dubiosen Therapeutin.
Die Geschichte von Nicole Bernd ist leider kein Einzelfall: Immer wieder gehen Reiter Pfuschern auf dem Leim. Sie machen zweifelhafte Kuren mit, obwohl ihr Bauchgefühl sie eigentlich schon lange warnt. Warum? CAVALLO klärt auf, wie Scharlatane Bande knüpfen, welche psychologischen Mechanismen ihnen dabei in die Hände spielen und wie Reiter ihre Pferde schützen können.
Wer darf ans Pferd?

Reiter sind mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert: Erstens darf im Normalfall jeder in Deutschland Pferde behandeln – dafür bedarf es keiner bestimmten Qualifikation. Der Besitzer muss nur zustimmen. „Was dem Tierarzt vorbehalten ist, ist die Gabe von rezeptpflichtigen Arzneien, Impfungen und Betäubungsmitteln. Nur der staatlich geprüfte Fachmann darf Pferde sedieren“, erklärt Tierarzt Dr. Peter Witzmann, der Mitglied im Ausschuss für Pferde der Bundestierärztekammer ist.
Zweitens sind viele Begriffe im therapeutischen Bereich nicht geschützt: Es darf sich etwa jeder Osteopath nennen. Die Folge: Eine Fülle von Leuten behandelt Pferde. Gesundheitscoaches, Tierkommunikatoren, Heilpraktiker, Tierärzte, Knochenbrecher, Chiropraktiker, energetische Heiler, Hufbearbeiter, Hufschmiede – sie alle können gut sein oder schlecht.
„Die Arbeit zu beurteilen, dafür fehlt Reitern allerdings oft Fachwissen“, meint Rechtsanwältin Iris Müller-Klein. Bei der Expertin für Pferderecht landen stets neue Fälle, wo Tiere aufgrund von unsachgemäßen Behandlungen Schaden genommen haben.
Kein Schadenersatz
Können Reiter in dem Fall Geld vom Therapeuten fordern? „Eine Klage auf Schadenersatz kommt fast nie durch“, weiß Iris Müller-Klein. Ein Beispiel: Lahmt ein Pferd nach einer osteopathischen Behandlung, müsste der Besitzer einen direkten und zeitlichen Zusammenhang zwischen Behandlung und Verletzung nachweisen. Oft bleibt eine Lahmheit aber erst unbemerkt oder wird als Muskelkater abgetan. Später lässt sich dann kaum nachweisen, dass die Verletzung nicht in der Box oder auf der Weide entstanden ist.
Streiche der Psyche
Viele Therapien entwickeln sich zum Elend ohne Ende. Reiter sehen, dass es ihrem Pferd zunehmend schlechter statt besser geht. Das Bauchgefühl protestiert schon lange – und dennoch können sie sich von einem Therapeuten nicht trennen. Warum fällt der Absprung so schwer?
„Je länger man an einer Therapie dran ist, desto größer wird der Wille, diese auch zu Ende zu bringen“, erklärt Psychologin Dr. Kathrin Schütz (www.kathrin-schuetz.com), die an der Hochschule Fresenius in Köln und Düsseldorf lehrt und den Studiengang Wirtschaftspsychologie leitet. Psychologen nennen dieses Phänomen den „sunk-cost-effect“, was zu deutsch so viel heißt wie „Effekt der versunkenen Kosten“. Das bedeutet: Der Reiter denkt an die Kosten, die er bereits in die Therapie gepumpt hat, und diese nimmt er als Entscheidungsgrundlage für die Gegenwart. Er investiert fleißig weiter!
„Sich vom Therapeuten zu trennen, würde auch bedeuten, sich selbst ein Stück weit in Frage zu stellen“, sagt Kathrin Schütz. Und das mag keiner gerne. Laut der Expertin ist das mit der Situation im Stau vergleichbar: Haben Autofahrer schon länger im Stau gewartet und mehrere Ausfahrten passiert, lassen sie die nächste Chance abzufahren meist ebenfalls verpuffen. Sie denken dann: Jetzt brauche ich auch nicht mehr die Abfahrt zu nehmen. Ich habe schon so lange gewartet, gleich rollt es wieder. Ähnlich geht es dem Besitzer des kranken Pferds. Die Hoffnung auf Heilung ist verlockender als der Gedanke, dass man eine wirkungslose Therapie gewählt hat. „Also heißt es weitermachen. Nur noch dieses eine Mal. So entsteht eine Endlosspirale“, sagt die Psychologin.
Zudem setzen sich Pferdebesitzer oft intensiv mit der Krankheit ihres Lieblings und mit möglichen Therapien auseinander. Sie bewerten Argumente, sammeln Infos und treffen schließlich eine Entscheidung für einen Therapeuten. Diese fühlt sich umso richtiger an, je mehr Zeit und Mühe investiert wurde. „Aus der Wirtschaft wissen wir zudem – wer einmal bei einem Produkt ist, bleibt meist dabei“, erklärt Dr. Kathrin Schütz, die Marktforschung im Reitsport betreibt.
Die Macht der Angst
Die Ängste und Sorgen von Pferdebesitzern nutzen unseriöse Therapeuten gerne aus. Sie bauen darüber etwa Druck auf. Nicole Bernd erlebte das während der Behandlung ihrer Stute. Die Heilpraktikerin schürte Ängste und machte der Pferdebesitzerin Vorwürfe – und zwar, nachdem Nicole Bernd eine von der Heilpraktikerin vorgeschlagene Behandlung abgelehnt hatte. Beim nächsten Termin deutete die Heilpraktikerin von der Becken- und Hufstellung des Pferds beim Pinkeln auf unsagbare Schmerzen und einen Nierenschaden. Schuld am Zustand der Stute sei allein die Besitzerin, weil sie nicht auf die Therapeutin gehört hätte. Die Heilpraktikerin riet, das Pferd einzuschläfern.
„Schuldzuweisungen sind unprofessionell. Spätestens dann sollten die Alarmglocken schrillen“, warnt Dr. Schütz. Hier wurde auch Nicole Bernd wachgerüttelt: Sie zog die Notbremse und kündigte der Heilpraktikerin. „Zum Glück. Meine Stute ist heute wieder fit“, erzählt sie.
Vorsicht, Geschenke
Was Kunden noch bindet, sind Geschenke: Hier gibt es nach dem Einrenken noch ein Wärme-Gel obendrauf, dort verspricht jemand eine Gratisbehandlung. Das ist nicht verboten – und auch nicht automatisch ein Zeichen für Unseriösität, aber: Pferdebesitzer sollten trotzdem vorsichtig reagieren. Warum? „Schenkt mir jemand etwas, fühle ich mich automatisch verpflichtet, etwas zurückzugeben“, erklärt Dr. Schütz. Ehe er sich versieht, hat der Reiter die nächste Behandlung gebucht. Der Therapeut war ja so nett.
Scharlatan-Trick: Ähnlichkeiten nutzen
Einen ähnlichen Effekt haben Komplimente und Aussagen wie „mein Pferd hatte dieses Problem auch“. Studien belegen: Menschen mit dem gleichen Namen oder dem gleichen Geburtsdatum mögen wir lieber. „Bereits gleiche Buchstaben im Namen rufen Sympathie hervor“, weiß Dr. Kathrin Schütz. Wer uns ähnelt, den finden wir also netter. Und wer uns Komplimente macht, scheint uns zu mögen – und deshalb mögen wir ihn auch. Das kann es erschweren, vor Ort Angebote wie Folgebehandlungen abzulehnen.
Fragen Sie sich deshalb: Lasse ich mein Pferd nur aus Pflichtgefühl und Sympathie von einem bestimmten Therapeuten behandeln – oder weil er wirklich was kann? Ein Tipp: Oft helfen Außenstehende, wie beispielsweise der nicht reitende Partner, klarer zu sehen. Es kann auch sinnvoll sein, über eine Entscheidung einfach eine Nacht zu schlafen. „Wer im Nachhinein galant aus der Nummer kommen will, kann ja auch noch per E-Mail oder Telefon absagen“, meint Kathrin Schütz. Das fällt vielen Leuten leichter.
Mundpropaganda

Durch manche Ställe rauschen Kurpfuscher wie eine Welle: Hat ein Kunde angebissen, folgt der nächste. „In kaum einer Branche ist die Akzeptanz von ungelernten Kräften so hoch wie in der Pferdeszene“, sagt Rechtsanwältin Iris Müller-Klein. Oft wurden Reiter nicht über lange Recherche oder tolle Internetauftritte auf Therapeuten aufmerksam, sondern über persönliche Empfehlungen.
Mundpropaganda kann Fluch und Segen zugleich sein: Einerseits finden Reiter darüber tatsächlich gute Leute. Andererseits ist es oft so, dass man die Arbeit einer empfohlenen Person weniger hinterfragt. Wenn der Bekannte die Person empfiehlt, muss sie ja gut sein.
Das Gedächtnis spielt uns zusätzlich einen Streich bei Mundpropaganda. „Das reine Erwähnen einer Nachricht macht diese plausibler“, weiß Psychologin Kathrin Schütz. Das ist wie bei einem Gerücht: Je öfter ich es höre, desto wahrscheinlicher wird es. Das Gehirn hört zudem, was es hören will: Negatives grenzt es eher aus. Positives speichert es ab. Die Nachricht von einem guten Therapeuten, vom Geheimtipp – die landet also eher im Langzeitgedächtnis. Und was passiert, wenn unser Pferd krank wird? „Wir erinnern uns, dass XY uns von dem super Heiler erzählt hat – und rufen diesen an, oft ohne jede Recherche zur Person“, sagt Kathrin Schütz. Laut der Psychologin ist die Entscheidung für den Therapeuten nämlich bereits vor längerer Zeit gefallen.
Tipp: Ein Erfolgsfall beweist noch nicht, dass Therapeuten immer gut sind. Holen Sie sich am besten verschiedene Meinungen ein, bevor Sie sich für eine Therapie beim Pferd entscheiden.
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