Sie sind riesig groß, leicht oval geformt, freundlich und unglaublich ausdrucksstark: Pferdeaugen. Equiden haben von allen Säugetieren die größten Augen und faszinieren den Menschen schon immer. Pferdeaugen sind nicht nur schön, sondern auch ein Stimmungsbarometer. Sie verraten uns viel über den Gemüts- und Gesundheitszustand des Pferds. Darum schauen Ausbilder, Züchter, Tierärzte und Verhaltensexperten gerne tief in die Augen, um herauszufinden, wie das Pferd gerade drauf ist. Einige schließen sogar von Augenformen und Lage der Augen am Kopf auf bestimmte Charaktermerkmale.
"Wissenschaftlich untersucht hat das allerdings noch keiner", sagt Dr. Ursula Pollmann, Fachtierärztin für Verhaltenskunde aus Freiburg. "Wir können an Pferdeaugen nur positive oder negative Empfindungen ablesen." Einige Telepathen und Pferdepsychologen behaupten, den Charakter des Pferds rein durch einen Augenausschnitt auf einem Foto bestimmen zu können. Ursula Pollmann zweifelt daran. "Das wird zu einer wilden Raterei, weil man ja nicht weiß, in welchem Zustand sich das Pferd gerade befindet", sagt sie. "Döst es, werden seine Augen recht ausdruckslos und desinteressiert wirken." War es vielleicht zum Fotozeitpunkt krank und hatte Schmerzen? Fürchtet es sich gerade, reißt es die Augen auf. Um den Charakter des Pferds zu bestimmen, sind die Augen nur ein kleines Mosaiksteinchen des Gesamtbildes und eine reine Momentaufnahme.
"Der Charakter setzt sich aus der Summe aller Eigenschaften zusammen", sagt Dr. Pollmann. "Ohne den Rest des Körpers zu sehen und die momentane Situation zu kennen, fällt es schwer, über den aktuellen Gemütszustand eine Aussage zu machen", sagt die Verhaltensexpertin. Ähnlich sieht das Stefan Valentin, der als Pferdepsychologe im saarländischen Schmelz arbeitet. "Ich sehe das Pferd lieber in natura, bewege mich mit ihm und schaue ihm dabei in die Augen. So kann ich das geistige und körperliche Befinden viel besser einschätzen, als durch einen bloßen Blick aufs Auge", sagt Stefan Valentin.
Augen spiegeln Gemütszustand
Pferdeaugen verraten hinsichtlich ihres Gemütszustands deutlich weniger als Menschenaugen. Beim Menschen signalisieren die Augen mehr als sechs verschiedene Gemütszustände. Bei Pferden lässt sich das auf nur wenige Empfindungen reduzieren. "Ist das Auge glänzend, der Blick aufmerksam, nach außen gerichtet, und auf einen bestimmten Punkt fixiert, geht es dem Pferd normalerweise gut", sagt Dr. Pollmann. Es ist an seiner Außenwelt interessiert und reagiert neugierig. Wirken die Augen dagegen ausdruckslos, stumpf und nach innen gekehrt, ist das Pferd vielleicht krank oder hat gerade Schmerzen. Allerdings haben dösende Pferde auch einen ausdruckslosen, nach innen gekehrten Augenausdruck, ohne dass es ihnen schlecht geht. Sie wirken dann einfach abwesend, und ihre Augenlider stehen meistens auf Halbmast. Der Unterschied: Spricht man dösende Pferde an, reagieren sie neugierig und wenden den Blick sofort aufmerksam nach außen.
Völlig ausdruckslos dagegen ist der Blick vieler Rollkurpferde. "Auch ihre Augen wirken nach innen gekehrt. Außerdem zeigen sie Falten über den Augen, weil sie krampfhaft versuchen, nach vorne zu schauen: Das zeigt deren Resignation", sagt Dr. Pollmann. Solche Augenfalten beobachtet Tellington-Trainerin Anke Recktenwald aus Marpingen im Saarland generell bei gerittenen Pferden, die Sorgen oder Schmerzen haben. "Das kann an psychischer Überforderung liegen, an falschem Training, Schmerzen oder unpassendem Sattelzeug", sagt sie. Diese Pferde haben laut Recktenwald Spannung im Blick.
Erregte Pferde reißen die Augen weit auf. Dann blitzt auch das Weiß der Lederhaut (Sklera) hervor. Dieser Zustand hat zu dem Mythos geführt, man solle die Finger von Pferden lassen, bei denen das Weiß im Auge zu sehen sei. Sie wären unberechenbar. Vielmehr reißen Pferde meistens aus Angst die Augen soweit auf und können dadurch unberechenbar werden. Allerdings gibt es auch Pferde, deren Weiß im Auge genetisch bedingt ist. Nämlich wenn die Iris weiß schimmert. Diese so genannten Menschenaugen kommen oft bei Schecken, Tigern oder Pferden mit großen Abzeichen vor.
Recktenwalds Lehrerin Linda Tellington-Jones befasste sich schon vor Jahren in ihrem Buch "Die Persönlichkeit Ihres Pferdes" intensiv mit Augenformen. Ihre Erkenntnisse: Grosse, harte und runde Augen hätten oft Spitzenpferde, zum Beispiel Rennpferde, die stolz und unabhängig sind. Pferde mit kleinen Augen dagegen seien oft starrsinnig, lernen langsam und werden gerne widerspenstig. Pferde, die mandelförmige Augen haben, seien sehr willig und würden gerne mitarbeiten. Solche Pferde bezeichnet Tellington-Jones als introvertiert und etwas zurückhaltend. Überdurchschnittlich intelligent seien Pferde, die eine dreieckige Augenform hätten.
Persönlichkeitsbestimmung durch Augenform
Neben der Augenform ist für Pferdeexpertin Tellington-Jones die Lage der Augen entscheidend. Weit auseinanderliegende Augen deuten auf einen intelligenten Blitzmerker hin, während Pferde, die eher langsam lernen, enger zusammenliegende Augen hätten. Sitzen die Augen weit seitlich am Kopf, sei die Sicht beeinträchtigt, und das Pferd könne laut Tellington-Jones leichter erschrecken. Wissenschaftliche Untersuchungen oder Belege für diese Persönlichkeitsbestimmungen von Linda Tellington-Jones gibt es bisher nicht. Im Gegenteil, ihr Buch ist unter Verhaltensexperten mittlerweile umstritten. Die Pferdewissenschaft steckt in Sachen Charakter und Emotionen nach wie vor in den Kinderschuhen.
Pferdeaugen können aber immerhin Tierärzten wichtige Informationen zum allgemeinen Gesundheitszustand liefern. Haben Pferde beispielsweise tiefe Kuhlen über den Augen, kann das an einer plötzlichen Gewichtsabnahme liegen. Auch die Schleimhäute der Lederhaut zeigen, wie gut es dem Pferd gerade geht. "Schimmern die Schleimhäute rosa, ist das Pferd gesund", sagt Privatdozentin Dr. Bianca Carstanjen von der Tierklinik Hochmoor. Sind die Schleimhäute dunkelrot verfärbt, leidet das Pferd an einer lokalen oder systematischen Erkrankung. Dann sollten Sie sich Rat von ihrem Tierarzt holen "Glanz und Ausdruck in den Augen ist immer ein guter Hinweis, dass es dem Pferd gut geht", sagt Dr. Carstanjen. Ein tiefer Blick in die Pferdeaugen lohnt sich allemal: Sie bekommen ein Gefühl, wann sich Ihr Pferd wohlfühlt, wann es Angst oder Schmerzen hat.
Augenfarben: "Albinos gibt’s bei Pferden nicht"
Pferde haben so unterschiedliche Augenfarben wie Fellfarben. Je nach Lichteinfall scheinen sie schwarz bis dunkelbraun oder sogar blau oder grün. Am häufigsten haben Pferde schwarze bis dunkelbraune Augen. "Besitzen Pferde Aufhellungsgene – wie Isabellen oder Falben – kann sich das in der Augenfarbe niederschlagen, muss aber nicht", sagt Dr. Monika Reißmann, Leiterin des Molekularbiologischen Zentrums an der HU Berlin.
Wie dunkel oder hell Pferdeaugen werden, hängt davon ab, wie viele Pigmente (farbgebende Substanzen) eingelagert werden. Melanine nennt man die Pigmente, die die Augen färben. "Isabellen können auch dunkle Augen besitzen, obwohl sie ein Aufhellungsgen haben", sagt Dr. Reißmann. Schecken oder Pferde mit doppeltem Aufhellungsallel wie Cremellos oder Perlinos haben oft blaue Augen, weil sie weniger Farbpigmente bilden.
Albinos gibt unter Pferden nicht. Bei roten Augen bildet die Iris keine Farbpigmente. Weil der Augapfel farblos ist, schimmert das Blut durch und lässt die Iris rot erscheinen. Oft werden weißgeborene Pferde fälschlicherweise als Albinos bezeichnet. Sie haben zwar rosa Haut, aber blaue oder sogar braune Augen. Tragen Pferde das Champagne-Gen, ändern sie die Farbe der Augen. Bei der Geburt sind sie leuchtend blau und wechseln dann ins Grünliche. Je nach Fellfarbe werden die Augen später bernsteinfarben oder sogar graubraun.
Experten-Interview: "Augen geben uns Infos"
CAVALLO: Warum finden Menschen Augen so faszinierend?
Gründl: Weil uns Augen sehr viele Informationen über unseren Gegenüber liefern. Beim Menschen kann man in den Augen Emotionen ablesen. Wir erkennen, wie die Augenbrauen angehoben werden, wie weit die Augen geöffnet sind und wohin sie sehen.
Und was genau lesen wir aus den Augen unserer Mitmenschen?
Bei Freude lächeln wir, und die Augenlider gehen zusammen. Erschrecken wir, gehen die Augen auf, bei Angst wird der Blick starr, bei Wut senken sich die Augenbrauen, und bei einer Überraschung reißen wir die Augen kurz auf.
Warum können wir das bei Pferden viel schlechter ablesen?
Weil Pferde viel weniger Weiß im Auge haben als Menschen, kann man schwerer erkennen, wo sie hinschauen. Zudem sitzen beim Fluchttier Pferd die Augen seitlich für eine bessere Rundumsicht. Wir müssen davon ausgehen, dass ein Pferd alles sehen kann, was eines seiner Augen erreicht, vor allem Bewegungen.
Was finden wir an Augen schön?
Dazu haben wir eine Studie gemacht und festgestellt, dass die pure Augenpartie wenig aussagt. Augen variieren unter Menschen viel weniger als andere Gesichtsmerkmale; wahrscheinlich, weil hier die Funktion im Vordergrund steht. Je jünger die Personen waren, deren Augen wir zeigten, desto attraktiver empfanden sie unsere Probanden.
Blaue Augen gelten beim Menschen als besonders attraktiv. Stimmt das?
Auf die Bewertung hatte die Augenfarbe keinen Einfluss. Es ist die gängige Meinung, dass blaue Augen attraktiv machen. Das liegt daran, dass es ungewöhnlich ist. Bis vor 10000 Jahren gab es nur dunkle Augen. Blaue Augen sind eine Mutation. Das hängt mit der Pigmentierung der Haut zusammen.
Fotostrecken: Welches Wesen hat Ihr Pferd? Machen Sie den Test!
























