Kehlkopflähmung: Wie Reiter ihrem Pferd helfen können
Wenn der Kehlkopf gelähmt ist

Wenn Pferde im Galopp aus dem Takt kommen, sich gegen Anlehnung wehren oder schnell außer Atem sind, ist oft der Kehlkopf schuld.

CAV 0508 Schwung - Reiten Beispiel 2.4
Foto: Rädlein

Ein paar Runden im ­Galopp, schon schnaubt Holsteiner-Wallach Leven wie ein Vollblüter nach dem ­Rennen. „Bereits bei geringer Belastung gerät er außer Pus-te, atmet kurz und schwer“, ­erzählt Regina Johannsen, FN-Trainerin B, die sich auf der Reitanlage van Gunst nahe Hamburg auf die Arbeit mit Handicap-Pferden spezialisierte.

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Das Handicap des zehn­jährigen Wallachs ist Atemnot. „Ich glaubte zunächst an einen Herzfehler oder ein Lungenproblem, weil er schon bei ­geringer Stellung und An­lehnung ans Gebiss hustete“, sagt Johannsen.

Die Lungenspiegelung (Bron­­choskopie) zeigte eine glasklare Lunge – und ­enthüllte beim Rückzug des ­Endoskops, was dem Wallach ­tatsächlich den Atem raubt: „Er hat einen linksseitig gelähmten Kehlkopf, was als Kehlkopfpfeifen bezeichnet wird, und ein abgesenktes ­Rachendach“, sagt Tierarzt Dr. Clemens Hayessen aus Salzhausen/Niedersachsen, der Leven spiegelte.

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Wenn Pferden die Luft ausgeht

Der Kehlkopf (Larynx) ist ein komplexer Schließklappen­apparat. Sein Knorpelskelett formen Kehldeckel (Epiglottis), Stellknorpel (Ary­knorpel), Schildknorpel (Thyroid) und Ringknorpel (Cricoid).

Der Kehlkopf verhindert, dass das Pferd beim Atmen Luft schluckt und umgekehrt sein Futter einatmet. Denn Futter- und Luftweg kreuzen sich beim Pferd, wobei Kehldeckel und Gaumensegel die Weichen stellen (siehe auch „Gaumensegelverlagerung“ im CAVALLO Medizin-Kompendium Spezial).

„Beim Einatmen liegt der Kehldeckel über dem ­Gau­mensegel. Die Luft strömt aus den Nasengängen in den geräumigen Nasenrachen und weiter durch den Kehlkopf in die Luftröhre“, sagt Dr. Aleksandar Vidovic, Fachtierarzt für Pferde und Chi­rurgie an der Tierärztlichen ­Klinik für Pferde in Alt­forweiler/Saarland. „Aufgrund dieser Anatomie können ­Pferde nicht durchs Maul atmen und gesunde Tiere auch nicht schnarchen.“

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Atemnot durch Engpass im Luftkanal

„Laut dem ­Poiseuill’schen Gesetz ­beeinflusst der veränderte Radius eines Rohres das Flüssigkeitsvolumen nicht linear, ­sondern es steigt oder sinkt mit der vierten Potenz“, erklärt Vidovic. „Das heißt, dass jede noch so kleine Verengung der Atemwege die Luftzufuhr hoch vier vermindert.“

Die Atemstörung hat zwei Formen und viele Ur­sachen. Die erste ist die ­statische ­Obstruktion. „Sie entsteht durch raumfordernde Prozesse wie Zysten, Tumore (Platten­epithelkarzinome) oder Absenkungen des ­Rachendachs aufgrund von Veränderungen im Luftsack­bereich“, erläutert Aleksandar ­Vidovic.

Die dynamische Obstruktion wiederum ist Folge einer eingeschränkten Stabilität etwa bei Gaumensegelverlagerungen. „Sie verschlimmert sich bei Belastung, da die eingeatmete Luft einen starken Sog ausübt und so die losen Abschnitte des Kehlkopfs in die Atemwege hineinzieht“, sagt der Arzt.

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Symptome: Kehlkopfpfeifen und Leistungsabfall

„Raumfordernde Prozesse können Anlehnungsprobleme verursachen: Das Pferd will sich entziehen, indem es ständig den Kopf nach vorne streckt“, schildert Vidovic.

Ist die Luftzufuhr vorübergehend komplett unterbrochen oder verschluckt sich das Pferd, gerät es schlimmstenfalls in Panik – und im Galopp stetig aus dem Takt. Denn die Atemfrequenz gleicht den Galoppsprüngen; bei jedem Sprung wird einmal ein- und aus­geatmet.

Nicht nur krankhafte Veränderungen kosten Luft. „Schon bei normaler Anlehnung wird der Rachenraum um bis zu 50 Prozent ver­kleinert“, betont der Veterinär Vidovic. Gesunde Reitpferde bringt das nicht aus dem Tritt. Wer sein Pferd allerdings nach Rollkur-Manier überzäumt, raubt ihm im Wortsinn den Atem.

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Erscheinungsdatum 17.05.2023