Linda Tellington-Jones: Eine Pferdeflüsterin
Ein Rappe macht seinen Besitzern große Sorgen. Unter dem Sattel geht er immer wieder in die Luft. Der Steiger wird Linda Tellington-Jones vorgestellt. Sie nimmt das Pferd an die Hand, lächelt, beruhigt es. Kurze Zeit später reitet sie das Pferd mit Halsring. Das ganze Publikum hält die Luft an. Es passiert – nichts. Der Rappe dreht glücklich seine Runden.
"Linda Tellington-Jones war damals schon 80”, erzählt Reitausbilderin Anke Recktenwald, die live dabei war. "Sie war sich sicher, dass das Pferd sie nicht in Gefahr bringt. Es hatte sich nur gewehrt, weil es trotz Behandlung Zahnschmerzen hatte. Linda hat ein untrügliches Gespür für die Tiere. Sie irrt sich nie.”
Anke Recktenwald, selbst Tellington- und Feldenkrais-Trainerin, begleitet Linda schon seit Jahrzehnten. "In dieser ganzen Zeit haben wir mit vielen ängstlichen und unsicheren Pferden gearbeitet. Doch niemals ist jemandem etwas geschehen.”
Linda Tellington-Jones ist einmalig. Ihre Tellington TTouch Trainingsmethode, bestehend aus Bodenarbeit, Reiten und Massagetechniken, ist weltweit bekannt. Ihre Verbindung zu Pferden: einzigartig, magisch. Das sagen alle, die sie bereits persönlich erlebt haben. Woher kommt dieses feine Gespür?
Als Fünfjährige ritt Linda Tellington-Jones schon zur Schule
Vielleicht liegt es in ihren Genen. Geboren am 30. Juni 1937 in Kanada, ist sie mit Pferden aufgewachsen. Die ganze Familie liebte Tiere. Ihren Großvater, so beschreibt sie es selbst, würde man heute einen "Pferdeflüsterer” nennen, denn er spürte, was seine Pferde ihm sagen wollten. Mit vier Jahren saß Linda zum ersten Mal auf dem Pferd; als Fünfjährige ritt sie täglich fünf Kilometer zur Schule und wieder zurück. Das war aber immer noch zu wenig Pferdekontakt, fand die kleine Linda. Mit elf Jahren begann sie, im Stall ihrer Reitlehrerin zu helfen, ritt dort die jungen Pferde und korrigierte die Schulpferde.
Als junge Frau gründete sie mit ihrem ersten Mann, einem Kavallerie-Offizier, ein Zucht- und Ausbildungszentrum. Gemeinsam bildeten sie Reitlehrer aus und schrieben ihr erstes Buch über Massagetechniken für Sportpferde, in das viel Wissen vom Großvater floss, der jedes seiner Pferde täglich eine halbe Stunde mit den Händen abrieb und danach genau wusste, wie es dem Tier ging.

Besondere Verbindung: Wenn Linda Tellington-Jones mit Pferden "spricht", hört keines weg.
Lindas Durchbruch war ihr Auftritt auf der Pferdemesse Equitana im Jahr 1975 in Essen. Ihre Vorführung: Halsringreiten in einer Spring-Quadrille. Für die Menschen damals wirkte es wie Zauberei, dass man Pferde ohne Zaumzeug reiten kann.
Feines Gespür für Tiere und Menschen
Seit 50 Jahren gibt es Lindas Trainingsmethode – und fast ebenso lange stellt sie auf der Equitana vor, was sie mit ihren Händen bei Pferden bewirken kann. Mit ihren TTouches und ihrer feinen Art mit Pferden umzugehen zog sie nicht nur die Zuschauer in den Bann. Auch Trainer, die selbst ein besonderes Händchen für Pferde haben, waren sofort fasziniert von ihrem Umgang mit Pferden.
Zum Beispiel Magali Delgado und Frédéric Pignon. Die beiden Ausbilder aus Frankreich, durch ihre beeindruckenden Freiarbeits-Shows bekannt, wenden die TTouches bei jedem ihrer vierbeinigen Neuankömmlinge an. So bauen sie einen engen Kontakt zum Pferd auf, können sein Körpergefühl verbessern, es beruhigen und entspannen. "Linda ist eine der besten Perdefrauen, die wir je kennengelernt haben”, sagen die beiden. "Sie sieht immer das Gute im Pferd.”
Gesehen werden, wertgeschätzt zu werden – das tut nicht nur Pferden gut. "Meine Schüler sprechen immer von dem Moment, in dem Linda ihnen die Hand gegeben hat”, berichtet Anke Recktenwald. "Es ist nur ein kurzer Moment, eine freundliche Begrüßung mit ein paar Worten, aber jeder ist davon berührt.”
Ein magischer Moment mit Linda Tellington-Jones
2013 lernte CAVALLO die Pferdefrau erstmals persönlich kennen, um über sie und ihre Arbeit einen Artikel zu schreiben. Redakteurin Regina Kühr wurde sofort herzlich versorgt – mit TTouches von der Erfinderin höchstpersönlich. Nach einer kurzen Massage ihres angeschlagenen Knies konnte die Redakteurin tagelang schmerzfrei laufen. Und eine schöne Erinnerung nahm sie ebenfalls mit. Linda Tellington-Jones hat ihr eines ihrer Bücher mitgegegeben – nicht ohne ein paar persönliche Zeilen: "Put your heart in your hands and your hands on your heart. And trust your feeling.” (Nimm dein Herz in deine Hände und deine Hände auf dein Herz. Und vertraue deinem Gefühl.).
"Wer sie einmal persönlich erlebt hat, wird Linda Tellington-Jones niemals vergessen”, schwärmt Pferdefotografin Gabriele Boiselle. Sie hat die inzwischen 87-Jährige auf langen Reisen begleitet und blickt auf viele gemeinsame Erlebnisse zurück: "Sie hat schon Tausende von Pferden geritten, beurteilt und behandelt – vom Olympiapferd bis zum geretteten Schlachtpferd. Auf königlichen Gestüten ist sie genauso gern gesehener Gast wie bei der Familie Klimke oder Balkenhol. Man muss sie einfach bewundern und gern haben. Ihre Form der Therapie ist so einfach und erfolgreich, dass man ihr eigentlich einen Orden dafür verpassen sollte.”