Tut die FN zu wenig?
Der Pferdesport läuft Gefahr, sich selbst abzuschaffen. Die jüngsten Skandale rund um die Herren Parra und Helgstrand sind Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Die Forderungen reichen bis zum Olympia-Aus und im Extremfall zum generellen Reit-Verbot. Die gesellschaftliche Akzeptanz des Reitsports, die "Social License", ist – wieder einmal – in Gefahr. Hierzulande im Zentrum der Kritik: die Deutsche Reiterliche Vereinigung, kurz FN. Die FN definiert sich als "Interessensvertreter von 3389 Mitgliedspferdebetrieben und 7 278 Reitvereinen mit 664 919 Vereinsmitgliedern sowie rund 80 000 Züchtern". Und damit sind wir schon beim Hauptproblem: Der Dachverband ist ein riesiger Apparat mit einer komplexen Struktur und zahlreichen beteiligten Parteien, die teils unterschiedliche Interessen verfolgen. Dementsprechend langwierig und kompliziert sind die Entscheidungswege.

Damit muss Schluss sein! Schlechtes Reiten – nicht nur auf Turnieren – ist das Gegenteil der Deutschen Reitlehre, für die die FN steht. Wie kommt der Sport wieder auf die richtige Spur?
Die FN sitzt also zwischen allen Stühlen, wenn sie Turnier-, Freizeit-, Berufsreitern, Züchtern, Reitschulen, Vereinen usw. gleichermaßen gerecht werden will. "Eine Entscheidung muss immer der kleinste gemeinsame Nenner für alle Beteiligten sein", erklärt Christoph Hess, der rund 40 Jahre hauptberuflich für die FN gearbeitet hat.
In diesem "bestmöglichen Konsens", den die FN nach eigenen Angaben anstrebt, findet sich seit einiger Zeit vor allem eine Gruppe nicht wieder: die breite Masse der Amateure und Pferdeliebhaber, die in ihrer Freizeit reiten und nicht zwangsläufig Turniere oder Wettbewerbe bestreiten. Sie machen die Mehrheit der 2,32 Millionen aktiven Reiter in Deutschland aus, von denen knapp ein Drittel in Vereinen organisiert und damit gewissermaßen ein "Teil" der FN sind, und von denen nur rund drei Prozent eine Jahresturnierlizenz haben. Natürlich ist diese Gruppe sehr heterogen und kann nicht pauschal beurteilt werden. Doch geben die Kommentare auf der Facebook-Seite der FN einen Eindruck von der Kritik, die aus diesen Reihen kommt. Die Hauptvorwürfe: Der Verband stelle Kommerz über Pferdewohl, vertrete nur den (Spitzen-)Sport und engagiere sich zu wenig für die "normalen Reiter", also den Breitensportbereich. Stimmt das? Tut die FN zu wenig?
Fakt ist: Die FN macht eine ganze Menge für Reitvereine. Und auch für "Otto-Normal-Reiter" und, ja, auch für das Pferdewohl. In der öffentlichen Wahrnehmung ist aber die Verwaltung des Turnier- und Spitzensports deutlich präsenter. Und so werden vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion die guten Ansätze und Programme noch weniger wahrgenommen, als es ohnehin schon der Fall ist. Beispiele hierfür sind die Initiative "100 Schulpferde plus" oder die Wettbewerbe "fairgehtvor" und "Unser Stall soll besser werden". Daran wird deutlich: Wenn man eine kritische Masse gegen sich hat, ist es schwierig, überhaupt noch mit positiven Botschaften durchzudringen. "Wer am lautesten schreit – in dem Fall die Kritiker – wird gehört", bringt es Lukas Vogt vom Pferdesportverband Baden-Württemberg auf den Punkt. "Die FN macht in meinen Augen nicht alles, aber schon sehr viel richtig. Gerade im Breitensportbereich gibt es viele gute Initiativen und Angebote. Das muss aber noch viel besser kommuniziert werden."
Die GOT-Petition
Manchmal geht das, was die FN gut meint, gehörig schief: Ein Beispiel ist die Petition "GOT so nicht!", die die FN mit 58 weiteren Verbänden gestartet hat. Rund 132 000 Unterschriften wurden Mitte März an Minister Cem Özdemir übergeben. Hier war der Standpunkt der FN klar – und absolut im Sinne der privaten Pferdehalter, Vereine und Betriebe: "Die Arbeit der Tierärzte und ihrer Angestellten muss angemessen und fair entlohnt werden. Dafür war eine Anpassung der GOT unumgänglich. Erhöhungen um 20 bis 30 Prozent wären nachvollziehbar und maßvoll gewesen. In der Realität haben sich die Rechnungen aber oft mehr als verdoppelt."

Die Veterinäre liefen Sturm gegen die Petition der FN. Die FN handelte im Sinne der privaten Pferdehalter, Vereine und Betriebe, hätte sich aber deutlich früher einbringen sollen, so die Kritik.
Die Veterinäre liefen Sturm: Der Bundesverband praktizierender Tierärzte bezeichnete die Aktion als "unseriös". Christoph Hess ist der Meinung, dass der Verband mit der Petition übers Ziel hinausgeschossen ist: "Das war der falsche Weg. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, die FN schießt gegen einen Berufsstand, auf den wir alle angewiesen sind." Auch Dr. Britta Schöffmann sieht die Petition kritisch: "Natürlich fragt man sich, wer das alles noch bezahlen soll, und alle Beteiligten sollten sich nochmal über die GOT unterhalten und besonders kritische Punkte neu regeln. Aber ich denke, die FN hätte sich hier deutlich früher einbringen sollen."
Hobby Horsing
Gut gemeint, aber imageschädigend: Das war auch das Thema Hobby Horsing. Das Steckenpferdreiten wurde von der FN in die Neuauflage des Breitensport-Regelwerks, die Wettbewerbsordnung (WBO), aufgenommen, die im Januar 2024 erschien. Damit hat es die FN offiziell zu ihrem Thema gemacht. Die Argumentation: Hobby Horsing könne dazu dienen, pferdebegeisterte Kinder spielerisch an das Thema Pferd heranzuführen, Kinder in Bewegung bringen und Vereinen und Betrieben helfen, Kindern ein Angebot zu machen, wenn Reiten gerade nicht möglich ist.

Stoff statt Fell: Hobby Horsing für Kinder steht in der Kritik. Der Sport mit dem Steckenpferd soll pferdebegeisterte Kinder spielerisch ans Thema Pferd führen. Die Aufnahme in die WBO sorgte für Spott und Hohn.
Dr. Britta Schöffmann geht hart mit dem Thema ins Gericht: "Hobby Horsing hat im Regelwerk der FN nichts verloren, weil es mit Pferden nichts zu tun hat. Wenn das der Weg sein soll, wie FN, Landesverbände und Vereine neue Leute ans Pferd heranführen wollen, dann haben sie in den letzten 20 Jahren viel falsch gemacht", so die Sportwissenschaftlerin und ehemalige Richterin. Das Thema wurde zur Steilvorlage für Spott und Kritik: Hat der Verband keine anderen Probleme?
Thomas Ungruhe, Leiter der Abteilung Pferdesportentwicklung bei der FN, erklärt, Hobby Horsing sei in der FN nur eine "Randerscheinung", um die sich eine Kollegin neben vielen anderen Aufgaben kümmere. Das sieht die Öffentlichkeit jedoch nicht: "Hier wurde ein völlig nebensächliches Thema total emotionalisiert", sagt Christoph Hess. "Natürlich steht der Kontakt zum echten Pferd über allem, das kann Hobby Horsing nicht ersetzen, aber im Idealfall wird beides sinnvoll verbunden." Auch Lukas Vogt sieht darin eine Chance: "Damit bekommen wir die ganz kleinen Kinder, die wir noch gar nicht aufs Pferd setzen können, in die Vereine und können sie später ans richtige Reiten heranführen", sagt er.
Neuerungen der WBO und LPO
Es hagelt aber noch mehr Kritik: Und zwar im Zusammenhang mit den Neuausgaben der Wettbewerbs- und Leistungsprüfungsordnung (LPO) – nämlich zu einer Neuerung, die Turniereinsteiger betrifft: Prüfungen der Klasse E dürfen jetzt nur noch nach LPO ausgeschrieben werden, nicht mehr auch nach WBO. Das heißt: Die Pferde müssen als Turnierpferde eingetragen sein, was die Kosten deutlich erhöht.
Thomas Ungruhe räumt ein, dass es hier "Missverständnisse" gab und weist auf das neue, erweiterte Aufgaben- und Wettbewerbsangebot in der WBO hin, "das bis an die Anforderungen der Klasse E gemäß LPO heranführt. Es gibt somit genügend Wettbewerbe auf diesem Niveau zu reiten, ohne dass eine Pferdeeintragung oder Turnierlizenz notwendig wird." Das erleichtere auch den Übergang in den Leistungssport. Auch, wenn das vielleicht gut gemeint war – funktioniert hat es nicht. Lukas Vogt, der in der Arbeitsgruppe an der Konzeption der neuen WBO mitgewirkt hat, sagt: "Wir haben die WBO deutlich vereinfacht. Dass die Klasse E in den LPO-Bereich fallen soll, war uns jedoch vorgegeben. Die Absicht kann ich nachvollziehen, aber aufgrund der vielen erwartbaren negativen Nebeneffekte ist das für mich das Eigentor des Jahrhunderts."
Die Überarbeitung der LPO umfasst auch einige Neuerungen. Laut FN verbessern diese auch das Tierwohl. Eine lang erwartete Neuerung gibt es jedoch nicht: Nach wie vor sind "beliebige Zäumungen" in höheren Spring- und Geländeprüfungen erlaubt – eine fragwürdige Regelung, die immer wieder für schlimme Bilder sorgt, die dem Reitsport schaden. Dass die daran seit Jahren geübte Kritik scheinbar ungehört verhallt, untermauert den Eindruck, die FN orientiere sich nur an den Interessen der Sportreiter.
Auf unsere Anfrage, warum hier nichts geändert wurde, erklärt Thies Kaspareit, Leiter der Abteilung Ausbildung: "Wir sehen das mit den teils immer abenteuerlicher werdenden Zäumungen im Springen auch kritisch. Daher hat die Abteilung Ausbildung in Absprache mit dem DOKR-Springausschuss einen Katalog mit erlaubten Zäumungen und Gebissen für den internationalen Springsport erstellt und bei der FEI eingereicht." Der Verband habe den Weg über die Fédération Equestre Internationale (FEI) gewählt, da für den gehobenen nationalen Sport viele Inhalte des internationalen Regelwerks übernommen werden, sagt Kaspareit. "Wir werden jetzt abwarten, wie die FEI entscheidet und behalten uns vor, national gegebenenfalls einen eigenen Weg zu beschreiten." Das zeigt: Es tut sich was – wenn auch über einen Umweg.
Tierschutzskandale
Hier hat die FN schnell gehandelt: Und zwar im Falle der beiden Deutschen, die an den tierquälerischen Machenschaften von Dr. César Parra beteiligt waren. Es wurde Anzeige erstattet, die Ausstellung einer Turnierlizenz bis auf Weiteres blockiert und Hausverbot erteilt, was auch alle Veranstaltungen der FN umfasst. Zudem meldete die FN den Vorfall bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen und beantragte, den Personen sowie ihrem Betrieb die Ausbildungslizenz zu entziehen. "Hier wurden endlich mal alle Register gezogen", sagt Dr. Britta Schöffmann. "Ich hoffe, die FN bleibt dabei und derartige Sanktionen sind nicht nur wieder für kurze Zeit." Der Vorfall zeigt aber auch klar die Grenzen der Verbandsarbeit auf: Die FN kann z.B. kein Berufs- oder Tierhaltungsverbot durchsetzen. Reiter bzw. Trainer anderer Nationalitäten kann sie allenfalls für Turniere in Deutschland sperren.
Derartiges ist übrigens nicht neu: Wir erinnern uns an die Affäre um das "Barren" im Jahr 1990. Das war zwar laut FN verboten, das "Touchieren" der Pferdebeine über dem Sprung mit einer runden, glatten Stange von "erfahrenen, routinierten Pferdefachleuten" jedoch laut Richtlinien für Reiten und Fahren erlaubt. Die Grenzen seien hier "fließend", hieß es. Das Touchier-Verbot entschied der FN-Beirat Sport im März 2022 auf Empfehlung der Kommission Ausbildungsmethoden. Sie wurde Anfang 2021 einberufen, um das Touchieren und andere Ausbildungs- und Trainingsmethoden zu hinterfragen.
Auch, wenn die FN für diese Tierschutzskandale nicht verantwortlich ist, zeigen sie: Solange es Menschen gibt, die ihre Tiere so behandeln, ist viel faul im Pferdesport. "Wenn Pferde anhand derartiger Methoden trainiert werden, muss es einen Anreiz dazu, eine Nachfrage in diesem Bereich geben. Und das ist gegensätzlich zu den Dingen, die wir sehen wollen. Harmonisch muss ‚spektakulär‘ ablösen", sagt Thies Kaspareit. Ja, bitte – aber wie kommt die FN dahin? Ein wichtiger Schritt wäre, harmonische, pferdefreundliche Ritte auf Turnieren stärker zu honorieren – in allen Klassen. Die Realität sieht oft anders aus, wobei man jedoch keinesfalls alle Richter über einen Kamm scheren dürfe, betonen Christoph Hess und Lukas Vogt. Dressurausbilder Knut Krüger aus Mainsbauern in Bayern erklärt das so: "Wir haben es hier mit dem Symptom des ‚Shifting Bias‘ zu tun: Die Basis dessen, was als normal empfunden wird, hat sich verschoben. Je weniger Pferde man sieht, die einen natürlichen Bewegungsablauf zeigen, desto mehr gewöhnt man sich an feste Pferde und an künstlich hervorgerufene Bewegungsabläufe. Die Richter sind ebenso betroffen wie alle Pferdebesitzer." Da die Richter zu den Turnieren meist eingeladen werden, richten sie laut Knut Krüger oft so, wie es Veranstalter und Sponsoren sehen wollen – um wieder eingeladen zu werden. "Ich kenne auch Richter, die deswegen aufgegeben haben", sagt er. Wie viele andere plädiert er seit Jahren dafür, den Turnieren die Richter zuzuweisen. Die FN lehnt dies bis heute ab.
Thies Kaspareit sagt dazu: "Manch ein Pferd bewegt sich so ‚spektakulär‘, dass Mängel in der Ausbildung, beispielsweise in der Rücken- und Maultätigkeit, dabei übersehen werden. Das darf nicht sein und das muss sich ändern. Grundlage allen Reitens muss die Erfüllung der Punkte der Skala der Ausbildung sein. An dieser Stelle braucht es wieder mehr Sensibilisierung und den Blick auf das Wesentliche. Das muss zum Wohle der Pferde Schwerpunkt von Schulungen und Fortbildungen sein, da sind wir uns alle einig. Das gute Reiten und die pferdegerechte Ausbildung müssen auf dem Turnier wie zu Hause unser oberstes Ziel sein, egal in welcher Klasse und auf welchem Niveau."
Erreichen will die FN dies durch Absprachen mit der Deutschen Richtervereinigung und mit Richterschulungen. Dabei müsse vor allem der Unterschied zwischen falschem und richtigem Reiten stärker herausgearbeitet werden, sagt Christoph Hess, und plädiert für die explizite Beurteilung der Harmonie von Pferd und Reiter beim Richten. "Grundsätzliche Kriterien bei der Bewertung müssen viel deutlicher im Vordergrund stehen als die handwerklichtechnische Ausführung von Lektionen."
Ist Pferdesport noch gesellschaftsfähig?
Was muss getan werden, damit der Pferdesport künftig wieder gesellschaftlich akzeptiert wird? Zu dieser "Social License" veranstaltete die FN Ende 2022 einen ersten Workshop. In einem Folge-Workshop im Mai 2023 wurde eine Strategie ausgearbeitet, die bis 2026 angesetzt ist und sechs Aktionsbereiche umfasst:
Sensibilisierung zur Förderung eines gemeinsamen Werteverständnisses, des Zusammenhalts und des Bewusstseins für notwendige Veränderungen. Nachhaltiger Zugang für Kinder und Jugendliche zum Pferdesport, Regeln und Kontrollen, die noch besser erklärt und umgesetzt werden sollen, Wissenschaft für mehr Tierwohl im Pferdesport, die Verbindung des Leistungs- mit dem Tierschutzgedanken im Spitzensport sowie Öffentlichkeitsarbeit und Werbung. Jeder Bereich umfasst verschiedene Einzelmaßnahmen, wobei sich Anforderungen und Ziele verändern können. Auf dem Workshop sagte FN-Präsident Hans-Joachim Erbel: "Wir haben derzeit eine verunsicherte und gespaltene Pferdeszene. Unsere Kritiker haben dadurch leichtes Spiel." Die Social License könne positiv beeinflusst werden, "wenn wir konsequent unsere Grundsätze leben und es so schaffen, der Gesellschaft glaubhaft zu vermitteln, dass Pferdesport legitim ist und mit Blick auf das Wohl des Pferdes betrieben wird."
Seitdem ist es ruhig um das Thema. In die Kategorie der Social License Maßnahmen fallen zwar viele Einzelinitiativen wie etwa "100 Schulpferde plus", mit der die FN Vereine beim Unterhalt von Schulpferden unterstützt. Doch zur Öffentlichkeit dringt das nicht durch. Der Eindruck entsteht, in Sachen "Social License" geschehe zu wenig. Im März 2024 fand ein Folge-Arbeitstreffen mit etwa 20 Vertretern verschiedener Bezugsgruppen aus dem Pferdesport statt, um den Strategieprozess weiterzuentwickeln.
All das zeigt: Es gibt durchaus gute Ansätze und Einsichten. Das reicht den Kritikern jedoch nicht. Die FN muss das, was sie tut, verständlicher und transparenter kommunizieren. Und den Absichtserklärungen müssen Taten folgen. Will die FN ihr Image verbessern und die Social License aufrechterhalten – dann bleibt immer noch viel zu tun.