Hui Buh! Ein leichtes Zucken, ein Satz zur Seite oder eine Kehrtwendung auf der Hinterhand – jedes Pferd reagiert anders auf beängstigende Situationen. Dieses Verhalten ist ganz normal – und für Reiter gar nicht so gruselig wie gedacht. Solange wir es akzeptieren, verstehen und damit umgehen lernen.
Mit dem folgenden Wissen haben Sie dazu die besten Karten in der Hand – und lernen einzuschätzen, was Ihr Pferd für mehr Sicherheit an Ihrer Seite braucht!
Reaktionen: Wie Pferde sich bei Angst verhalten
Erst rennen, dann denken? Falsch! „Kein Pferd sprintet von Natur aus sofort kopflos auf und davon, wenn es sich erschrickt“, erklärt Pferdepsychologin Herdis Hiller (www.herdishiller.de). Für gewöhnlich reagieren Pferde auf Unbekanntes oder unheimliche Reize instinktiv zunächst zwar durchaus ängstlich, aber aufmerksam. Sie zucken zusammen, hüpfen zur Seite oder tänzeln auf der Stelle. Diese „Vorab“-Reaktionen sind rein reflexartig und weder vom Vier- noch Zweibeiner beeinflussbar. „Das spezielle Verhalten bereitet Pferde geistig und körperlich auf den möglichen Notfall, die Flucht, vor“, erklärt Hiller.
Damit das Pferd sich vorbereiten und notfalls sofort durchstarten kann, zündet im Pferdekörper eine Art hormonelle Rakete. Deren Steuerzentrale sitzt im Zwischenhirn. Dieses funkt über das Nervensystem an das Nebennierenmark, Cortisol zu bilden. „Mit Hilfe dieses Stresshormons und durch Aktivierung des sympathischen Nervensystems steigen Blutdruck, Puls und Muskelaktivität“, erklärt die Verhaltenstierärztin Ruth Herrmann (www.verhaltenstierarzt.ch). „Parallel wird die Darmtätigkeit gehemmt.“ Zusätzlich schüttet die Nebennierenrinde die Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus. „Mit all diesen Reaktionen bereitet sich der Pferdekörper auf Flucht oder Kampf vor.“





Hinschauen: Wie Reiter Ängste erkennen können
Legt sich die Angst, pendeln sich die Hormone wieder ein, und die Pferdeseele beruhigt sich. Falls nicht, dann sollten Reiter auch bei diesen Signalen aufmerksam werden: „Viele Pferde äppeln vermehrt. Manche nehmen kein Futter mehr an, andere flehmen, gähnen oder zittern“, erklärt Ausbilderin Carola Paustian (www.carolapaustian.de). Ihr Tipp: „Den bei Angst auftretenden hohen Herzschlag kann man an der Pferdebrust sehen, hinzu kommt häufig starkes Schwitzen, sogar ohne große Anstrengung.“
Auch diese Zeichen deuten auf Angst hin: Das Pferd verdreht seine Augen, zieht Ohren, Nüstern und Kinn an, es atmet hörbar. „Bei manchen Tieren klingt das wie Trompeten“, sagt Paustian. Ein nervöses, fluchtbereites Pferd nimmt auch den Kopf immer höher. „Hat dieser eine kritische Höhe erreicht, bis zum Anschlag, beginnt der Fluchtreflex, sprich Stufe zwei“, erklärt Herdis Hiller. Ob diese tatsächlich sinnvoll ist, das entscheidet in der Regel der Herdenchef. „Im Training übernehmen wir Menschen idealerweise diese Aufgabe“, sagt Herdis Hiller. Doch was passiert, wenn uns das nicht gelingt?
Eskalation: Wenn Pferde unkontrollierbar werden
Verhalten wir uns im Angstmoment falsch, etwa weil wir selbst Bammel vor einem potenziellen Monster wie dem berüchtigten Traktor im Gelände haben, können wir den Fluchtreflex auslösen. „Indem wir beispielweise denken: Oh, mein Pferd ist kurz vorm Explodieren“, schildert Herdis Hiller. „Solche Gedanken kreieren Erwartungsangst“, erklärt die Expertin. „Das Pferd spürt unseren steigenden Angstpegel und wird noch nervöser.“
Sieht das Tier nun keinen anderen Ausweg als die Flucht, gerät es im Training wie in der Natur in Panik. Es nimmt seine Umwelt kaum noch wahr, ist nicht mehr ansprechbar geschweige denn kontrollierbar. Die Situation eskaliert: Das Pferd flieht, steigt, beißt oder tritt – je nachdem, was ihm in der Not gerade am besten weiterhilft. „Manche Tiere werfen sich sogar auf den Boden, andere überschlagen sich“, beobachtet Carola Paustian.
Doch es gibt auch jene Kandidaten, denen man die Angst kaum ansieht, weil sie erstarren. Ansprechbar und damit kontrollierbar sind sie genausowenig für Reiter. Und damit für Pferdetrainer Franco Gorgi (www.gorgi.ch) die schwierigsten Partner. Denn: „Diese Angstreaktion, sprich den Stillstand, verwechseln Reiter häufig mit Ungehorsam.“ Fatal, wenn der verängstigte Eiszapfen in seiner Not von uns falsche Hilfen bekommt und dann, meist unkontrolliert, doch noch explodiert. „Ist der Mensch darauf nicht vorbereitet, kann das zu schweren Unfällen führen“, weiß Gorgi. Pferde, die bei Angst aggressiv werden und sich auf uns zubewegen, sind dem Pferdetrainer lieber.
Der Grund: Statt sich zur Flucht abzuwenden, sind aggressive Pferde bereits auf den Reiter fokussiert, somit kontrollierbarer. „Erfahrene Reiter können das Pferd ruhig und bestimmt auffordern, Abstand einzuhalten“, sagt Gorgi. „So wird es relativ schnell wieder ansprechbar.“
Blockade: Wieso Pferde bei Angst nichts lernen
Übernehmen Gefühle indes die Führung und setzt im Angstmoment der Fluchtreflex ein, können Pferde nicht mehr denken. „Das Gehirn hat bei Stress schlicht andere Prioritäten, was die Selbstkontrolle reduziert“, bestätigt Ruth Herrmann. Das bedeutet: Das Pferd kann schlecht lernen und hat Mühe, dem Reiter zuzuhören.
Eigentlich logisch. Doch die Signale sind nicht jedem sofort klar. Ein Beispiel: „Das Pferd hat Angst vor dem Gebiss und/oder der Reiterhand“, sagt Carola Paustian. „Es erwartet Druck oder Schmerzen und ist daher fokussiert auf das Gefühl im Maul, kann aber nicht gleichzeitig auf meinen Schenkel achten.“ Auf Reiter wirkt das vermeintliche Ignorieren der Schenkelhilfe als stur. Angstreaktionen wie vermehrtes Äppeln, Schwitzen oder angelegte Ohren werden oft nicht wahrgenommen.
Oder: Das Pferd sieht eine Plane flattern. Es scheut. „Wer dann etwa versucht, Vorund Hinterhand zu kontrollieren, wird es möglicherweise überfordern und noch mehr verängstigen“, sagt Herrmann. Besser: Dem Pferd Zeit lassen; die anfängliche Angst schlägt nach etwa 13 Sekunden meist in Neugierde um. „Dann das Pferd schrittweise an die Plane heranführen.“





Fehlverhalten: Der Mensch als Angstauslöser
Je älter das Verhalten, umso schwieriger lässt es sich indes modifizieren. Flüchtet ein Pferd schon seit Jahren, wenn es eine Fahrradklingel hört, müssen viele neuronale Verbindungen zu einem anderen Verhalten neu geknüpft werden, bis das Pferd beim nächsten Klingelton nicht doch wieder wegspringt. Und dazu brauchen Reiter einen langen Atem.
Zumal jedes Pferd ein anderes Lerntempo hat. „Wer nicht darauf eingeht, überfordert und verängstigt es im Zweifel“, erklärt Franco Gorgi. Überhaupt: Inkonsequentes Verhalten beim Üben einer bestimmten Aufgabe ist für den Experten der häufigste Angstauslöser beim Pferd. Das hat nicht zwingend gleich mit roher Gewalt oder traumatischen Erlebnissen während der Ausbildung zu tun. „Meist entwickeln Pferde Angst, weil sie unsere immer wieder unterschiedlichen Anweisungen für die gleiche Aufgabe nicht verstehen können“, sagt Franco Gorgi.
Für sensible Pferde, die auf klare Kommunikation angewiesen sind, ein glatter Alptraum. Auch das fängt oft schon im Kleinen an. Beispiel: Der Reiter interpretiert eine Angstreaktion als Ungehorsam, baut zu viel Druck auf oder vergisst, sein Pferd für richtiges Verhalten durch Nachlassen des Drucks zu bestätigen. „Unachtsames Handeln kann eine Angstreaktion provozieren“, warnt Ruth Herrmann. „Wird diese als Ungehorsam gewertet und der Bestrafung Vorschub geleistet, bleibt dem Tier die Situation, in der es sich richtig verhalten hat, als angsteinflößend oder zumindest als unangenehm im Kopf.“
Herkunft: Welche Rolle Gene und Aufzucht spielen
Angstverhalten entsteht freilich nicht nur in der Ausbildung. Wie ein Pferd später tickt, fängt schon beim Fötus aus: Was hat das Pferdebaby im Mutterleib mitbekommen? Bekannt ist: Ähnlich wie beim Menschen überträgt auch die Stute Angst über Hormone auf ihr ungeborenes Fohlen – und stimuliert darüber im Fötus biochemisch die physiologische Reaktion auf Angst und Furcht.
Das aber ist noch nicht alles: Nach der Geburt kopieren Pferdekinder teilweise das Verhalten ihrer Mütter. Ist die Stute ein Angsthase, wird auch das Fohlen unsicher auf Unbekanntes reagieren. Bedeutend ist zudem das Erbgut: Studien zeigen, dass Persönlichkeit und Verhalten eines Pferds zu etwa 20 Prozent von seinen Genen geprägt werden. Hinzu kommt die Aufzucht – kann das Pferdekind sein natürliches Verhalten angstfrei und artgerecht ausleben?
Ängste besiegen: So schaffen Sie Vertrauen!
Ängstliche Pferde: Sie bereiten uns viele schlaflose Nächte. Das muss aber nicht sein. „Machen Sie sich im Einzelfall nicht mit der Ursachenforschung verrückt, sondern überlegen Sie sich lieber, was Ihr Pferd braucht, damit es sich an Ihrer Seite sicher fühlen kann“, rät Franco Gorgi.
Die beste Prävention gegen tierische Ängste ist eine auf Vertrauen basierende Grundausbildung, bei der Sie die individuelle Reizschwelle Ihres Pferds berücksichtigen. Wie das geht und Sie in Gruselmomenten richtig reagieren, zeigt Ruth Herrmann im Artikel "Die neuen Mutmacher".









