Sehe ich genauso komisch aus wie du?„, fragt CAVALLO-Redakteurin Barbara Böke. Ihr gegenüber sitzt Claudia Butry, Ausbilderin für Pferde und Reiter nach klassischen Grundsätzen und als Bewegungstrainerin nach Eckart Meyners tätig.
In Bewegung bringt die Trainerin gerade ihr Kiefergelenk – mit einer lockernden Massage (siehe Übung “Kiefergelenk lockern„). Dass Barbara Böke beim Nachmachen lachen muss, ist sicher kein Fehler: Schließlich schwingen lächelnde Reiter besser mit der Pferdebewegung mit, wie wir im Laufe des Experiments lernen werden.
Statt eines lässigen Lächelns zeigen die drei Experiment-Teilnehmerinnen jedoch erst mal ernste Mienen, als sie im Barockreitzentrum in Heimsheim bei Stuttgart nacheinander aufs Pferd steigen. Redakteurin Ute Stabingies tauscht heute ihr gewohntes Quarter Horse gegen Norweger Miko. Trotz dessen knuffigen Aussehens ist ihr die Anspannung anzumerken – mit Fotografin und Zaungästen im Nacken kein Wunder. Aber auch sonst setzt sich die Westernreiterin im Training öfter mal unter Druck, etwa wenn eine bestimmte Lektion endlich klappen soll.
Trainerin Claudia Butry beobachtet genau, wie sich das auf den Sitz auswirkt: Ute Stabingies’ Blick wird starr, sie fixiert den Pferdehals oder schaut mit ernstem Blick nach vorne. “Wer starr blickt, runzelt meist auch automatisch die Stirn„, erklärt Butry. Ute Stabingies soll das testweise bewusst übertreiben und spüren, was dabei im Becken passiert. Ihre prompte wie überraschte Antwort: “Mein Becken hebt sich an!„ Butry bestätigt ihren Eindruck: Stirnrunzeln lasse den Beckenboden fest werden, der Reiter könne der Bewegung des Pferds somit schlechter folgen.





Kopf beeinflusst Körper – und umgekehrt
Unsere Gefühle haben unseren Körper also oft fester im Griff, als uns lieb ist. Das ist eigentlich nicht weiter schlimm: Emotionen sind nichts anderes als das Ergebnis von Hormonausschüttungen. “Weil Hormonausschüttungen auch gezielt ausgelöst werden können, haben wir die Chance, unsere Emotionen bewusst zu steuern„, erklärt Mentaltrainerin Antje Heimsoeth aus Rosenheim.
Die Wechselwirkung zwischen Seele und Körpersprache – in der Psychologie “Embodiment„ genannt – funktioniere nämlich nicht nur in eine Richtung. So wie man geht, so geht es einem auch: Wer es schafft, eine positive, also aufrechte Körperhaltung einzunehmen, hebt seine Stimmung. Dadurch lockert sich wiederum der Körper und ein positiver Kreislauf entsteht – anstatt sich immer weiter in den Strudel negativer Gefühle zu manövrieren. Motivationstrainerin
Antje Heimsoeth zitiert dazu den Comic-Helden Charlie Brown: “Wenn du eine Depression so richtig genießen willst, dann musst du Schultern und Kopf nach vorne hängen lassen.„ Das Schlimmste, was man tun könne, sei aufrecht zu stehen und den Kopf hochzuhalten – denn dann fühle man sich sofort besser.
Der richtige Blick

Genau hier setzt auch Claudia Butry bei Redakteurin Stabingies an. Ihr Trick gegen den starr nach unten gerichteten Blick: eine Lochbrille. Die macht mit ihren dunklen Scheiben nicht nur äußerlich cooler, sondern auch innerlich. Kleine Löcher im Kunststoff lassen die Reiterin zwar sehen, sorgen aber für Augenbewegungen. Dadurch schaut sie beim Reiten an der Longe mehr umher, die Kopfhaltung verbessert sich. “Das Umfeld und die Zuschauer waren wie ausgeblendet„, schwärmt Stabingies, als sie die Brille absetzt – und damit auch der Druck, den diese verursachten. Um das zu erreichen, brauchen Sie aber nicht unbedingt eine Brille (erhältlich zum Beispiel unter www.eyebody.com). Dass auch die Vorstellungskraft hilft, zeigt sich bei unserer zweiten Kandidatin.
Redakteurin Barbara Böke ist eine ehrgeizige Reiterin, sie will im Sattel immer alles richtig machen. Das löst bei ihr häufig Stress und manchmal auch Ärger aus, wenn etwas nicht klappt wie gewünscht. Kurz: Sie setzt sich selbst unter Druck. Ähnlich wie bei ihrer Kollegin Ute Stabingies verstärken Zuschauer diesen Effekt. Das wird auch am Sitz sichtbar: “Man sieht, dass du leicht zusammensinkst, du machst dich klein„, beobachtet Claudia Butry – und erzählt, dass sie selbst dieses Gefühl ebenfalls gut kennt. “Am meisten hat es mir geholfen, als Klassik-Ausbilder Richard Hinrichs bei einem Kurs zu mir sagte: ‚Frau Butry, Sie sind doch wer. Sie müssen sich doch nicht schämen, hier zu reiten.‘„
Stress und Ehrgeiz lässt Wahrnehmung sinken
Ehrgeiz und gefühlter Leistungsdruck äußere sich oft auch durch Klemmen mit dem Bein, beobachtet Claudia Butry immer wieder bei ihren Reitschülern. Tatsächlich dreht Redakteurin Barbara Böke ihre Fußspitzen hin und wieder leicht nach außen und drückt die Wade zum Treiben zu lange anstatt kurz und impulsartig ans Pferd. “Stress und Ehrgeiz steigern den Muskeltonus„, erklärt auch Körper-Psychotherapeutin Marlies Fischer-Zillinger aus dem oberbayerischen Glonn. “Die Wahrnehmung der feinen Bewegungsabläufe geht verloren. Wir können dann nicht mehr differenzieren, was fest und was locker ist.„
Auch wenn der Reiter sie selbst vielleicht nicht mehr wahrnimmt – das Pferd spürt die Anspannung ganz genau. Lusitano Xalando, den Barbara Böke heute reitet, ist äußerst sensibel. Sobald die Reiterin zusammensinkt und steif wird, geht er nur noch zögerlich vorwärts. Hüllt sie sich auf Claudia Butrys Aufforderung dagegen gedanklich in eine Wolke (“aus Einhornglitzer„) und blendet die Zuschauer aus, schreitet er sogleich flüssiger voran.
Einen Aha-Effekt gibt es, als eine kritisch blickende Zuschauerin sich vom Reitplatz entfernt: Es wirkt, als ob sich bei Reiterin und Pferd mit einem Schlag die Handbremse gelöst hätte. “Das ist das perfekte Pferd für dieses Experiment„, freut sich Claudia Butry. “Denk dir das auch mal bewusst: Ich reite jetzt auf so einem hübschen, fein eingestellten Pferd und ich bin wer.„ Bis solche Bilder und Affirmationen genauso gut wirken wie das Verschwinden von Zuschauern, kann es allerdings noch dauern. Aber Übung macht auch hier die Meisterin.
“Auch Mentaltraining ist Training„, sagt Mentale-Stärke-Trainerin und Dressurausbilderin Dr. Tuuli Tietze aus Langelsheim. “Bestehende Verhaltensmuster in Kopf und Körper müssen erst abgebaut werden, um Raum für neue Verhaltensmuster zu schaffen„, erklärt sie. Neben der Vorstellungskraft helfen Barbara Böke eine Blickübung aus dem Konzept “Neuro Athletic„ und das Reiten mit Franklinbällen. Mehr dazu lesen Sie im Übungsteil in der Fotostrecke.
Angst macht klein
Ein längerer Prozess steht oft auch Reitern bevor, die mit Angst auf dem Pferd kämpfen – etwa nach einem Sturz. Redakteurin Nadine Szymanski fühlt sich seit einem Reitunfall mit Blackout im Gegensatz zu vorher viel unsicherer auf dem Pferd. Angst löst Stress aus – und dieser erhöht die Aktivität in allen Beugemuskeln, wie Marlies Fischer-Zillinger erklärt.
Dadurch zieht zum Beispiel der Arm über das Ellenbogengelenk zum Bauch. Dieses Problem hat auch Szymanski. Andere typische Sitzmuster ängstlicher Reiter sind Nach-vorne-Fallen, sich kleinmachen oder tiefgedrückte Hände. “Da übernimmt das Urverhalten„, erklärt Tuuli Tietze.
Claudia Butry will unserer Redakteurin helfen, sich zu entspannen. Und da ist ihr nichts zu esoterisch, wie sie verschmitzt verkündet. “Du kannst zum Beispiel deine Lieblingsfarbe ein- und ausatmen – oder sogar dein Pferd fragen, welche Farbe es mit dir gemeinsam atmen möchte.„ Wer es lieber wissenschaftlich angeht, verbindet mit einer Übung aus dem “Brain-Gym-Programm„ beide Gehirnhälften besser miteinander und stoppt so negatives Kopfkino (siehe Übung “Blicksprünge„).
Übrigens: Nach diesen Übungen sitzt Nadine Szymanski deutlich besser im Pferd – und kann sogar wieder lächeln. Wie wichtig das ist, wissen wir ja jetzt. Denn schon eine gerunzelte Stirn kann uns Reitern deutlich mehr als nur die Stimmung vermiesen.
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