Wie Klangschalen auf Pferd und Reiter wirken
Hören und staunen - mit Klangschalen

Mit Klangschalen bringt CAVALLO-Autorin Anja Burkhart ihr Becken auf Vordermann und Stute Püppy zum Gähnen. Hilft der gute Ton wirklich bei Reiter-Problemen?

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Foto: Lisa Rädlein

Ein sanfter Gong katapultiert mich in die Vergangenheit. Vor 15 Jahren reiste ich mit dem Rucksack durch Tibet: „Ommm“, summten die Mönche im nach Yakbutter riechenden Halbdunkel des Tempels und stimmten ihre Meditationsschale an.

Von so viel Entspannung bin ich heute Lichtjahre entfernt. Ich sitze auf Holzpferd Karlos und fühle, wie mein Körper zum Whirlpool wird. Unter, hinter und vor mir vibrieren Klangschalen. Nicht so kupferfarben und laut wie in Tibet – aber von der Fußsohle bitzelt mir ihr Schall bis ins Knie, wandert weiter durch die Hüfte und kommt deutlich im Steißbein an. Karlos verpasst mir eine Klang-Massage, die Reiter-Blockaden lösen soll. Klingt speziell? Ist es auch.

In meinem Kopf springt die Esoterik-Schublade auf

Zugegeben: Vor diesem Termin klangen bei mir alle Alarmglocken. Manche Schalen, las ich, schwingen mit der Frequenz von Mars, Venus oder Jupiter im Gleichklang. Sofort sprang die Esoterik-Schublade in meinem Kopf auf – doch Klangtherapeutin Nicole Truckenbrodt, 49, kastanienbraunes, kinnlanges Haar, passt zum Glück nicht dort hinein. Sie trägt Jeans, Strickpulli, dezente Schminke. Ein fester Händedruck, ein herzliches Lachen und los geht’s mit der Fragerunde: Woran willst du arbeiten? Wo stehst du jetzt? Wo möchtest du hin? Solide Coaching-Fragen also, alles andere als verschwurbelt. Von meiner Aura will sie zum Glück auch nichts wissen.

Das größte Problem? Seit einem Unfall reite ich ängstlicher. Gerne würde ich diese innere Handbremse lösen. Und beim Pferd? Püppy, 12 Jahre, eher schreckhaft, ist mein Reitbeteiligungspferd. Aktuell zwingt ein entzündeter Fesselträger sie auf die Pausenbank. Dass sie an einem diffusen Beckenbefund laboriert, verrate ich vorab lieber nicht – mal sehen, ob der Schall das aufspürt.

Zuversichtlich strahlt Truckenbrodt mich an. Ehrlich dämpft sie die Erwartungen: Wunder können Klangschalen nicht bewirken, schon gar nicht bei einem einzelnen Termin. Üblicherweise coacht sie Probleme innerhalb von drei bis zehn Sitzungen zum individuell vereinbarten Ziel. Dazu nutzt sie Techniken aus der Verhaltenspsychologie sowie Körperübungen. Klingt plausibel. Wofür braucht es dann noch Klang?

In Karlos’ Bauch versteckt sich eine Klangschale

Der helfe, den Entwicklungsprozess anzustoßen und sorge für Entspannung. Was Truckenbrodt meint, merke ich im Sattel von Karlos. Das Klang-Pferd Marke Eigenbau besteht aus Instrumentenholz. In seinem gewölbten Bauch verbirgt sich eine Klangschale. Vor und hinter mir platziert Truckenbrodt weitere Schalen auf schwarzen Scheiben. Die sind aus Gummi, weil das den Schall angeblich weitertransportiert und sich auf dem Körper weniger kalt anfühlt als blankes Metall. Dann hält mir Truckenbrodt einen Beutel vors Gesicht. Ohne zu spicken, soll ich eine Karte ziehen: Ich versuche auszublenden, dass mir gerade drei Leute, ein Fotoapparat und ein Pferd auf die Finger schauen, und fische endlich ein Stück Papier aus dem Sack: „Partner“ steht darauf. Das passt fast zu gut!

Jetzt will ich aber sehen, was sonst noch im Beutel steckt. Ich fördere Schlagworte wie Leichtigkeit, Freiheit und Tanz zutage. „Der Reiter entscheidet, ob ihm die Karte etwas sagt, dann setzen wir das Wort in Zusammenhang mit dem Ziel des Coachings“, erklärt Truckenbrodt die Technik. Da die Begriffe bewusst weich sind, geht die Rechnung meist auf.

Doch jetzt soll ich nicht rechnen, sondern entspannen. Sanft stimmt Nicole Truckenbrodt verschiedene Schalen an und lauscht lächelnd dem Ton hinterher. Ich darf wählen, welche mir besonders angenehm ist. Ganz klar: die erdigbrummige Beckenschale. Truckenbrodt drückt sie gegen meine Lenden, der tiefe Klang soll das Becken lockern. Die Anspannung dort sei der körperliche Ausdruck meiner Unsicherheit im Sattel.

Kollegin Kathrin Fischbach gießt Wasser in eine Schale und stimmt diese an: Sofort formt der Klang Wellen. Das geschehe so ähnlich auch in unserem Körper, der zum Großteil aus Wasser bestehe; der Klang soll bis in die kleinste Zelle vibrieren. Verspannte Muskeln oder verklebte Bindegewebsfasern bremsen ihn, ist Fischbach überzeugt.

Studie zur Wirkung einer Klangmassage

Beweise gibt es dafür nicht, unklar ist auch, ob die Schalen in Asien überhaupt jemals Therapiezwecken dienten oder doch bloß zum Kochen. Immerhin: Die Universität Göttingen plant eine Studie zur Wirkung von Klangmassage auf Pferde. Da bleibt CAVALLO natürlich dran. Aber solche Details sind mir momentan schnurz, ich fühle mich wie unter sanftem Strom. Staunend spüre ich, wie ich mich im Becken festhalte und wie schwer es ist, lockerzulassen. Das kann ich auf diese Weise sogar richtig üben.

Mehr Feedback gibt’s beim nächsten Gong. Kaum bewegt Truckenbrodt die tönende Klangschale an Püppys krankem Bein entlang, weicht diese aus. Wandert die Schale Richtung Becken, macht sie sich aus dem Staub. „Gibt es hier etwa einen alten Befund?“, fragt Fischbach und liegt goldrichtig. Gerne würden die beiden in zwei Wochen nochmals die Schale ansetzen und testen, ob Püppy die Klänge an diesen Stellen besser genießen kann.

Auffällig ist, wie der Klang Püppy anzieht. Mit langem Hals und Spitzöhrchen drängt sie zu Nicole Truckenbrodt, die am Boden hockend einen Klangteppich webt. Kaum ist der letzte Ton verklungen, gähnt die Stute in einer Tour und robbt mit halb geschlossenen Augen und hängender Unterlippe ganz dicht an mich heran. Tiefes, gleichmäßiges Schnaufen. Sonst Stille. Ommmmm.

Bis mein Kopf sich meldet: Was der Klang nun kann? Er entspannte uns beide und zeigte mir, wie ich im Becken loslassen kann. Laut Truckenbrodt soll ich das Gefühl in meinem Körpergedächtnis jederzeit abrufen können. Ob das auch reicht, um meine innere Handbremse zu lösen? Das würde ich wohl erst bei einem der nächsten Termine erfahren.

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