Wir nehmen die Gefahr durch Wölfe ernst!
Neue Wolfs-Studie ist wichtig für sachliche Diskussion

Über die neue Wolfs-Studie zu berichten, erweist Pferden keinen Bärendienst, sondern ist wichtig für eine sachliche Diskussion, kommentiert CAVALLO-Chefredakteurin Linda Krüger.

Wolf auf der Jagd
Foto: Staffan Widstrand / GettyImages

Unser Bericht über die Ergebnisse einer Studie, die der "Arbeitskreis Pferd und Wolf" in Niedersachsen in Auftrag gegeben hatte, hat in unseren sozialen Medien, insbesondere auf Facebook, für viele erboste Reaktionen gesorgt: Wir würden den Pferden einen Bärendienst erweisen. Die Bedrohung durch Wölfe verharmlosen. Wir sollten uns schämen, eine solche Studie anzuführen. Meine Antwort als Chefredakteurin von CAVALLO: Das trifft nicht zu!

Pflicht zur Information, um Meinungsbildung zu ermöglichen

Wir haben über die Ergebnisse der Studie berichtet – und zwar sachlich. Wie es seriöser journalistischer Arbeit entspricht. Unsere Pflicht ist Information, um Meinungsbildung zu ermöglichen. Wir haben die Fakten genannt, was die Forschenden um die renommierte Studien-Leiterin Prof. Konstanze Krüger, Pferde-Verhaltensforscherin an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen, untersucht und herausgefunden haben. Nicht mehr und nicht weniger. Dass die Resultate der Beobachtungen auf den zwei Weiden im Revier des Knappenrode-Seenland-Rudels so sind, wie sie waren, hatten weder die Forschenden in der Hand noch die CAVALLO-Redaktion, die darüber berichtete. Was wäre Wissenschaft, wenn es nur um opportune Ergebnisse ginge? Was wäre, wenn Medien nur darüber informieren würden, was ihre Leser, User, Follower vielleicht hören wollen?

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Ergebnis ist nicht so überraschend

Dass die Pferde in Gegenwart der Wölfe keine Signale reduzierten Wohlbefindens oder von Panik zeigten? Das war so – auch wenn das Wohlbefinden in weiteren Studien noch genauer untersucht werden müsse, wie die Forschenden ankündigten. Das Verhalten der Pferde könne darauf hinweisen, dass die Pferde Zentraleuropas ihre Fähigkeit, mit nicht angreifenden Wölfen zu leben, nicht verloren haben, heißt es weiter in der Studie.

Ist das wirklich ein so überraschendes Ergebnis? Nein. Pferde kämpfen, erstarren oder fliehen, wenn sie glauben, in Gefahr zu sein. Hauspferde ebenso wie wildlebende Pferde. Ein Hund, der an der Koppel vorbeiläuft (oder sogar darüber), oder der uns beim Ausritt begegnet, wird in der Regel von Pferden ignoriert – solange er selbst die Vierbeiner links liegen lässt und nicht angreift. Und auch im Haushund steckt letztlich immer noch ein Jäger, mit mehr oder weniger ausgeprägtem Jagdinstinkt. Zebras grasen ebenfalls durchaus entspannt in der Wildnis, selbst wenn ein sattes Löwenrudel in der Nähe rastet. Warum also sollten unsere Pferde in Panik geraten, wenn Wölfe einfach vorbeiziehen, ohne sie zu attackieren?

Es ist illusorisch zu denken, dass die Herde 100-prozentigen Schutz bietet

Und die These der Forschenden, dass eine stabile Herde Pferde vor Angriffen schützen könnte, ist ebenso wenig überraschend. Die Gruppe gibt Pferden nicht nur psychologisch Sicherheit, sondern im Zweifel auch physischen Schutz. Das ist ein wichtiger Pfeiler des Herdenkonzepts. Wir reden alle viel übers natürliche Herdenverhalten, und dazu könnte auch der Schutz vor Wölfen gehören. Könnte, muss aber nicht. Denn es ist illusorisch zu denken, dass die Herde jedem Mitglied 100-prozentigen Schutz bietet. Das behaupten auch die Wissenschaftler nicht.

Ein weiterer Schutzfaktor könnte ein reiches Wildtiervorkommen sein, so die Forscher: Dann würden Wölfe womöglich leichtere Beute bevorzugen und Pferde wie im beobachteten Gebiet unbehelligt lassen. Auch diese These ist einleuchtend, fast schon banal. Aber es ist trotzdem nur eine These, und nicht bewiesen. Was die Forschenden ebenfalls nie behauptet haben. Denn niemand kann sicher sagen, dass Wölfe nicht auch mal Hasen oder Rehe verschmähen und stattdessen Pferde angreifen.

Weder die Studienergebnisse noch wir verharmlosen etwas

Dass beim Thema Wolf die Emotionen hochkochen und Pferdebesitzer Angst um ihre Vierbeiner haben, kann ich persönlich absolut verstehen. Nicht auszudenken, wenn meine Pferde angegriffen würden – von Menschen oder Tieren! Aber aus Sorge den Kopf zu verlieren, radikal statt rational zu reagieren, ist für mich kein Weg, der Hilfe verspricht. Weder die Studienergebnisse noch wir verharmlosen etwas. Zur sachlichen Diskussion leistet die Untersuchung einen Beitrag. Und das ist mir als Pferdebesitzerin und CAVALLO-Chefredakteurin wichtig – und kein Grund, sich zu schämen.

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023