Kopf entrümpeln
Um effektiv mit Energie reiten zu können, müssen Sie Ihren Kopf und Körper ins Gleichgewicht bringen. „Ziel ist es, die Körperspannung zu halten und Energie mental nach vorne (zum Treiben) oder nach hinten (Verhalten) verschieben zu können“, sagt Ausbilderin Kerstin Diacont.
Entrümpeln Sie als erstes den Kopf. Heißt: „Sich ‚leer‘ machen, um einen neutralen Zustand in Kopf und Körper zu erreichen“, erklärt Sitzexpertin Julica Valentiner (www.sitz-kunst.de).
Ihr Tipp: Stellen Sie sich eine Seifenblase um sich und das Pferd vor, die überall hin mitkommt – und die Sie mit Ihrer Energie füllen können. Die Vorteile: „Der Raum, den man füllen muss, ist nicht so groß. Fremdenergien von anderen Pferden, Reitern oder Ereignissen auf dem Hof geraten nicht so leicht in die Blase“, so Valentiner. So wird es Ihnen gelingen, besser den Fokus zu wahren.
Positive Gedanken
Das Ziel solcher Übungen lautet Kohärenz: Das Herz schlägt im harmonischen Rhythmus. Herz und Hirn sind ganz auf einer Welle. Man fühlt sich ausgeglichen. „Energiearbeit ist somit ein klasse Mittel, um Zuversicht und Ruhe an schreckhafte oder überreagierende Pferde zu senden, aber auch, um Faultiere in Schwung zu bekommen“, sagt Reitlehrerin Simone Geißel (www.main-reiten.de).
Welche Kopfbilder am effektivsten für ein Paar sind, das lässt Julica Valentiner Reiter individuell aus sich heraus erarbeiten. „So kann man, um ein Pferd herunterzufahren, etwa darüber nachdenken, wann man zuletzt so richtig entspannt, zentriert und ruhig war“, erklärt sie. „Diese Erinnerung muss nichts mit Reiten zu tun haben. Man sollte sie körperlich aber richtig nachfühlen können.“ Mit etwas Übung können Sie dieses Gefühl allzeit wachrufen, sobald Ihr Pferd unruhig wird. Der Effekt: Sie lassen los! Dieses Wohlgefühl überträgt sich direkt aufs Pferd, so dass es seine Energie nicht länger verschwendet, sich ebenfalls entspannt. Mit dem gleichen Prinzip können Sie die Energie gemächlicherer Pferde hochfahren, indem Sie an einen Moment denken, als Sie voller Energie nur so strahlten.
Bitte Lächeln!
Apropos strahlen: Glauben Sie fest an Ihren Erfolg. Reiten macht Spaß! „Egal, was Sie gerade mit Ihrem Pferd planen: Das klappt schon!“, sagt Simone Geißel. Ihr Notfallanker für positive Energie: Lächeln!
„Stellen Sie sich vor, Sie würden Arme und Hände vom Pferderücken aus seitlich Richtung Sonne öffnen, um Wärme und Strahlen aufzunehmen.“ Das wonnigwohle Bild im Kopf alleine reicht, dass Sie positive Energie bündeln, lächeln, sich aufrichten und leichter in Balance kommen.
Der Energiekreis
Wie wichtig es ist, Energie wahrzunehmen und in die richtige Dosis umzuwandeln, zeigt auch dieses Bild von Kerstin Diacont: Betrachten Sie Reiter und Pferd als geschlossenen Energiekreis, in dem jede Veränderung an beliebiger Stelle des Körpers auf das gesamte System wirkt.
So kann schon die kleinste Blockade, etwa in einem Gelenk von Pferd oder Reiter, beide Wesen aus der Balance werfen. Verhindern kann das nur der Reiter. „Er ist dafür verantwortlich, die Energie ungehindert durchzulassen und zu kontrollieren“, erklärt Kerstin Diacont.
Allerdings klappt das nicht, indem man ständig auf Gas oder Bremse tritt, sondern indem der Reiter „mit offenen Antennen abwartet, ob das Pferd seine Energie balanciert aus der vortretenden Hinterhand einsetzt, oder ob er es mit aktiven Hilfen unterstützen muss“.
Effektiv einsetzen
Schnell genug eingreifen, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht, entspannt bleiben, wenn das Pferd rund läuft – „das ist gutes Energie-Management und folglich gutes Reiten“, fasst Kerstin Diacont zusammen.
Spannungs-Check 1
Nimmt einen das Pferd in die Bewegung mit oder stößt es einen weg? Für einen flüssigen Energieaustausch müssen Reiter Schaltstellen im eigenen Körper immer wieder einzeln abfragen. „Die meisten Energieblockaden entstehen an Becken und Zügelverbindung“, beobachtet Kerstin Diacont. Wie können Reiter solche Blockaden aufspüren?
Die Zügelhände checken Sie am Boden: Bitten Sie einen Helfer, Ihren Mittelfinger locker zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger zu nehmen und mit leichtem Zug hin- und herzubewegen. Kerstin Diacont erklärt: „Im Falle einer Blockade merkt der Helfer, dass Sie eine Art Gegendruck aufbauen und sich Ihr Mittelfinger nicht so leicht bewegen lässt. Sie selber spüren den Druck direkt an der betroffenen Stelle.“
Die Stuhlübung
Um herauszufinden, wie gut sich eine ausbalancierte Haltung in Kombi mit richtig eingesetzter Energie anfühlt, empfiehlt Centered-Riding-Erfinderin Sally Swift in ihrem Buch „Reiten aus der Körpermitte“ die folgende Übung: Setzen Sie sich auf die Kante eines harten Stuhls, stellen Sie Ihre Füße genau unter die Knie. Versuchen Sie nun aufzustehen. Dazu müssen Sie Ihren Körper weit nach vorne stemmen, um überhaupt hochzukommen.
Setzen Sie sich nun aus dieser Haltung wieder hin. Sie werden wie ein Stein auf den Stuhl plumpsen. Heißt: Sie verschwenden extrem viel falsche Energie ins Auf- und Ab, so wie viele Reiter das im Stuhlsitz tun. Sehr unangenehm fürs Pferd!
Blockaden lösen
Finden Sie nun heraus, wie Sie Ihre Füße unter dem Stuhl platzieren müssen, damit diese unter der Körpermitte, also Ihrem Schwerpunkt, landen. Dann erneut ein paar Mal aufstehen und wieder hinsetzen. Dabei jeweils ausatmen. Sie werden sehen: Plötzlich können Sie Ihr Gewicht locker zwischen Po und Füßen hin- und herschieben. Auf dem Pferd gelingt dies später dann noch leichter, da der Trab die Aufwärtsbewegung verstärkt. Spüren Sie den Unterschied zwischen guter und schlechter Energie? Das Pferd tut dies in jedem Fall!
Mieses Karma auflösen
Blockaden im Kopf können Reiter vorm Aufsitzen mit dieser Bewegungsmeditation von Julica Valentiner entsorgen: Beugen Sie leicht die Knie, legen Sie Ihre Handflächen aneinander. Dann die Hände in einem Kreis vor der Brust bewegen, dabei tief ein- und ausatmen und die nach oben gerichteten Fingerspitzen beobachten.
Valentiner: „Je öfter man das übt, desto weniger Alltagsgedanken mischen bei der Übung mit, bis man an nichts anderes mehr denkt.“
Spannung entladen
Mit dieser Übung lösen Reiter Blockaden in Kopf und Körper gleichermaßen: Stellen Sie sich schulterbreit auf die Zehenspitzen, dann auf die Hacken plumpsen lassen. „Die Vibration des Aufpralls sollte man bis ins Gesicht spüren können“, sagt Valentiner. Diese Übung wirkt zentrierend und erdend, „man kann die Spannung im Körper abschütteln“.
Beginnen Sie nun, zusätzlich mit den Armen auf und ab zu kreisen – möglichst in einem anderen Tempo, als sich Ihre Füße bewegen. Klappt das, klimpern Sie außerdem noch mit den Augen, wieder in einem anderen Tempo als Füße und Arme.
Der Effekt: „Durch den crosskoordinativen Charakter der Übung kann man fast an nichts anderes mehr denken als an die Übung“, verrät Valentiner. „Man lernt, fokussiert zu sein.“
Führen und Folgen
Als führender Teil des Energieaustauschs mit dem Pferd müssen Sie ein Gefühl für Takt und Tempo besitzen. Und Sie sollten einen guten Kontakt zum Pferd halten. Um sich in die Lage des Pferds zu versetzen, schickt Kerstin Diacont ihre Reitschüler zu Fuß durch die Reitbahn. Einer spielt Pferd und lässt ein Seil zwischen Daumen und Zeigefinger durch beide aufrecht hingestellten Hände laufen.
Der andere führt von hinten in der Haltung, in der auch die Zügel gehalten werden. „Wer einmal gespürt hat, wie schlechte Führung beim Pferd ankommt, wenn der Kontakt am Zügel zu lose oder zu fest ist – oder wenn einer der beiden Partner unaufmerksam ist –, wird seine Zügelführung danach mit mehr Achtsamkeit handhaben“, so Diacont.
Mit Musik können Sie auch ohne Partner in den Takt kommen. Probieren Sie verschiedene Spielereien, wie stehenbleiben, einen Takt aussetzen und dann den normalen Rhythmus wieder aufnehmen, empfiehlt Kerstin Diacont. „Lassen Sie sich auf die Musik ein. Diese ersetzt bei den Übungen ohne Partner die Vorgaben des Partners bzw. die des Pferds.“
Umeinander kugeln
Setzen Sie Ihr neues Gefühl für Energie nun beim Führen Ihres Pferds ein, bevor wir uns auf der nächsten Seite in den Sattel schwingen. Unterschätzen Sie nicht: „Die meisten Energieblockaden zwischen Reiter und Pferd entlarven sich am Führseil“, weiß Simone Geißel.
Ein typisches Bild: Der Mensch läuft los, das Führseil spannt sich und das Pferd lässt sich hinterherziehen. Oder es rüpelt, rempelt und läuft an uns vorbei. Ob Faultier oder Rennmaus: Überzeugen und lenken Sie Ihr Pferd mit positiver Energie.
Simone Geißel rät: Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Pferd sind jeweils eine Kugel, die sich gegenseitig an die Hand nehmen. Ihre Kugel ist schön und kräftig. „Rollen“ Sie los, setzen Sie Energie in Bewegung. Kugeln Sie mit diesem guten Gefühl weiter. „Pferde spüren die positive Kraft, folgen willig und bleiben entspannt an unserer Seite“, erklärt Geißel.
Spannungscheck 2
Klemmt der Unterschenkel oder das Knie, oder hängt das Bein schön locker? Um mögliche Blockaden im Reiterbein auszumachen, bewegt Kerstin Diacont das Fußgelenk vom Boden aus locker mit zwei Fingern seitwärts. Dann klopft sie mit dem Handballen leicht unter die Kniescheibe. „Sind die Oberschenkel locker, sollte der Impuls bei gesunden Reitern bis in die Leiste spürbar sein“, erklärt die Sitzexpertin.
Nimmt das Pferd Sie leicht mit oder stößt es Sie weg? Letzteres liegt oft daran, dass Reiter ihr Becken nicht in aufrechter Position halten können, da die Grundspannung fehlt. „Das kann man sich wie ein Pendel vorstellen, welches immer irgendwie in die falsche Richtung schwingt“, beobachtet Simone Geißel. Erkennen Sie von der Seite betrachtet eine imaginäre Kurve in Ihrem Oberkörper, dann ist das Becken entweder zu weit vorne oder hinten.
Wurzeln wachsen lassen
Für eine gleichmäßige Körperspannung sollten Sie in der Lage sein, „Ihre schwächere, oftmals eingeknickte Seite aus der Mitte heraus mit Energie auffüllen zu können, um wieder gerade zu werden“, so Diacont. Wie sich das anfühlt, verraten zwei alte Bekannte: „Wenn Sie beim Geradeausreiten beide Sitzbeinhöcker gleichmäßig belasten, bleiben Sie in der Hüfte gerade“, erklärt Simone Geißel.
Lassen Sie sich führen, setzen Sie sich auf Ihre Hände – am besten auf dem blanken Pferderücken. Spüren Sie beide Sitzbeinhöcker beim Geradeausreiten gleich intensiv? In Kurven sollte der innere Sitzbeinhöcker stärker belastet werden.
„Stellen Sie sich dann vor, aus Ihren Sitzbeinhöckern würden Wurzeln wachsen und eine Verbindung zum Pferd herstellen“, rät Geißel. Variieren Sie im Leichttraben, wie es sich anfühlt, wenn Sie mal den linken, mal den rechten Sitzbeinhöcker vorschieben. „Je gezielter ich jedes einzelne Köperteil ansprechen und bewegen kann, umso schneller merke ich, wenn ich aus der Balance gerate oder ob es irgendwo klemmt.“
Lenken der Energie
Entlarvt Kerstin Diacont bei Reitschülern Blockaden in Bein und Becken, schiebt sie eine Hand unter den Gesäßknochen des Reiters, die andere vorne auf den Oberschenkel. „Dann streiche ich die Energie spiralförmig nach vorn innen und unten.“ Mit dem Ausstreichen drehen sich die Hüftgelenke geschmeidig in die richtige Position zurück. Der Effekt: Ihre Beine fühlen sich deutlich länger sowie lockerer an und die Fußballen ruhen ganz selbstverständlich im Bügel.
Um das Becken wieder in die richtige Position einzupendeln, empfiehlt Simone Geißel: „Stellen Sie sich vor, es gäbe zehn Stufen, zu denen das Pendel schwingen kann. Es gibt aber nur eine Stufe, zum Beispiel Stufe 4 oder 6, auf der Sie gut ausbalanciert mitschwingen können“, beschreibt Simone Geißel. Welche Stufe – sprich Position – für Ihren Oberkörper die beste ist, das variiert von Reiter zu Reiter und kann am besten Ihr Reitlehrer analysieren.
Tasten Sie sich mit seiner Hilfe über vom Ideal entferntere Stufen an die für Sie passende Stufe heran, indem Sie hintereinander unterschiedliche Extreme einnehmen, also sich etwa mal extrem rund machen oder ins Hohlkreuz gehen. „Am Ende reicht es, wenn Ihr Reitlehrer nur noch Stufe X ansagt, damit Sie wissen, welche Position Sie einnehmen müssen, um mit dem Pferd schwingen zu können.“
Im Sattel skaten
Auch so können Sie Energieblockaden in Beinen und Becken lösen: Fahren Sie mit den Beinen im Sattel sitzend rückwärts Fahrrad. Valentiner: „Das lockert den Übergang vom Becken zum Bein des Reiters.“ Gleiten Sie mit den Beinen gegeneinander wie beim Skaten, also vor und zurück. „Das lockert die Leisten und lässt das Bein schön unter den Schwerpunkt des Reiters fallen.“
Tiefer atmen
Ein weiterer Schlüssel für gelungenes Energie-Management ist Ihre Atmung im Sattel. Julica Valentiners Tipp: Atmen Sie zunächst im Sattel tief ein und aus und stellen Sie fest, wie gut es an diesem Tag gerade geht. Dann erneut einund ausatmen.
Kurz vor Ende des Ausatmens einmal schlucken, danach weiter ausatmen, noch einmal schlucken und noch einmal weiter ausatmen. Das kann nicht gut gehen? Und ob! „Sie werden staunen, wieviel Luft da noch ist, wenn Sie bereits eine Menge Luft ausgeatmet haben“, stellt Julica Valentiner klar und verspricht: „Mit etwas Übung werden Sie an einen Punkt kommen, an dem Sie wie ein Staubsauger sehr tief Luft bis ins Becken einsammeln.
Dies aktiviert Ihr Atemvolumen für eine positive Grundspannung.“ Merken Sie sich das gute Gefühl und nutzen Sie die neue Technik, um Pferde durch tiefes Ein- und Ausatmen zu be- und entschleuningen.
Pferde belohnen
Das neue Gefühl für Ihre Energie hilft Ihnen, die Körperspannung des Pferds und damit auch seine Absichten zu spüren. „Wichtig ist, immer wieder in diesen Wahrnehmungssitz aus positiver Grundspannung, lockeren Gelenken, mühelosem Mitschwingen und feinster Zügelverbindung zurückzukehren – und somit nahezu still zu sitzen, um das Pferd seine Arbeit tun zu lassen“, sagt Kerstin Diacont.
Denn: „Nur wenn der Reiter nicht ständig einwirkt, kann er unnötige Energie aus dem eigenen Körper herausnehmen sowie schnell genug spüren, was das Pferd unter ihm tut.“ Und Sie können es mit dem Aussetzen aller Hilfen für eine richtige Reaktion belohnen.
Der sogenannte Aktionssitz tritt nur dann in Erscheinung, wenn Sie eine Hilfe geben oder Ausweichmanöver des Pferds verhindern wollen. Doch allein die Absicht, sich aufs Wesentliche zu fokussieren und „immer schön locker zu bleiben“, wird mit zunehmender Übung dafür sorgen, dass Sie Ihr Pferd mit minimaler Kraft und maximaler Effektivität wie von Zauberhand steuern können. Und das fühlt sich einfach nur gut an, im und unterm Sattel!