"Da steht ein Pferd auf’m Flur. Ein echtes Pferd auf’m Flur“, möchte man gleich den bekannten Schlager singen, wenn man Leica durch die Trakte eines Seniorenheims bei Mönchengladbach trippeln sieht. Vor einem Jahr war die Shettystute hier schon zu Besuch und wird heute sehnsüchtig von den Bewohnern erwartet.
Tiergestützte Therapie Panuba
Neugierig schnuppert Leica an den ausgestreckten Händen und lässt sich kraulen. „Den Menschen durch ihre Nähe ein paar schöne, unbeschwerte Momente schenken – genau das ist hier ihre wichtigste Aufgabe als Therapiepferd“, sagt Gregor Kryk, den CAVALLO auf seinem heutigen Rundgang durch die Einrichtung begleiten darf. Vor zehn Jahren rief der examinierte Altenpfleger und Pflegewissenschaftler sein tiergestütztes Therapiekonzept „Panuba“ ins Leben und konnte seitdem vielen Menschen – darunter Senioren, verhaltensauffälligen Kindern und Menschen mit Behinderung – helfen.
Pony Leica ist nicht die einzige vierbeinige Therapeutin: Auf dem ehemaligen Milchviehbetrieb von Gregor Kryks Schwiegermutter ist ein wahres Paradies für Tiere und Tierfreunde entstanden. Schweine, Enten, Gänse, Hühner, Ziegen, Kaninchen, Esel, Schafe, Hündin Bella, zwei Rheinische Kaltblüter und fünf Shettys leben auf dem Gelände. Kaum zu glauben, aber sie alle dienen der Therapie. Alle Tiere sind sehr zutraulich und neugierig. Dabei stammen manche von Kryks Schützlingen aus schlechter Haltung, so zum Beispiel Luuk, eines der Shettys. Kryk ist das Wohl seiner Tiere wichtig, weshalb er sie höchstens einmal am Tag für therapeutische Aktivitäten einsetzt.
Die Tiere aktivieren die Menschen
Der Pflegewissenschaftler erkannte schon früh, welches Potenzial in den Tieren steckt. „In erster Linie verbessern sie das Wohlbefinden der Patienten. Unsere Besuche geben ihnen eine feste Tagesstruktur und holen sie zumindest kurzzeitig aus der Einsamkeit. Der Kontakt zu den Tieren stärkt ihr Selbstwertgefühl und erhält ihre motorischen Fähigkeiten. Wir erleben immer wieder, wie die Tiere es schaffen, die Menschen richtig zu aktivieren – das ist ihre Stärke.“
Ein älterer Herr blüht bei Leicas Besuch richtig auf. Im Garten des Pflegeheims fragt Gregor Kryk den älteren Mann mit Gehhilfe, ob er die Shettystute auch einmal streicheln möchte. „Ja klar“, lautet seine prompte Antwort. Dass er Erfahrung mit Pferden hat, merkt man sofort. „Passen Sie mir auf, dass sie nicht wegläuft?“, fragt ihn Kryk. Der ältere Herr lässt sich nicht zweimal bitten und nimmt sich des Ponys an. Souverän steuert er seinen Rollator und führt Leica nebenher, die zufrieden die Grashalme am Wegesrand abzupft.
Er erzählt stolz, dass er früher selbst Pferde hatte und sogar „in Aachen auf Turnier war“. Später erklärt uns Kryk, dass es sein Ziel ist, die Menschen viel erzählen zu lassen. Es sollen Erinnerungen an positive Erlebnisse in ihnen geweckt werden, die sie glücklich machen. Ganz automatisch fördern die Tiere dabei auch die Motorik der Patienten. „Egal wie schwer es den Menschen fällt, jeder versucht, zumindest mal den Arm zu heben und das Tier zu streicheln. Manche werden sogar so agil, dass sie sich von ihren Gehhilfen lösen und auf die Tiere zugehen. Das schult ihr Gleichgewicht und beugt Stürzen vor“, erklärt Kryk.





Pony Leica hilft auch in der Schmerztherapie
„Dafür gebe ich den Leuten gerne die Aufgabe, Leica oder ein anderes Tier an der Stelle bunt anzumalen, wo sie selbst Schmerzen haben. Wenn sie dann Leicas Rücken anmalen, habe ich einen ersten wichtigen Anhaltspunkt. Viele wollen verbal nicht zugeben, dass sie Schmerzen haben, und so können sie sich ausdrücken, ohne etwas gesagt zu haben.“
Kryk versucht, jede Therapie auf spielerische Weise zu gestalten. „Wenn die Leute hören, sie werden heute therapiert, heißt es gleich: ‚Ich brauch keine Therapie.‘ Deshalb läuft alles unterschwellig ab.“
Auch bettlägerige Patienten kann Pony Leica besuchen
Dazu lernte die Shettystute am Anfang ihrer Ausbildung, sich in Gebäuden zurechtzufinden und in jeder Situation gelassen zu bleiben. Weder das Fahren im Aufzug noch das ruhige Stehen am Patientenbett oder unbekannte Geräusche machen ihr etwas aus. Kryks Arbeit zahlt sich aus, denn viele der Senioren sind von Leica ganz bezaubert und streicheln versonnen ihr Fell. In einem der Wohntrakte erleben wir einen ganz besonders berührenden Moment: Gregor Kryk nimmt die zittrige Hand einer Patientin und legt sie vorsichtig auf Leicas samtige Nase. Als die ältere Dame das warme Fell der Shettystute spürt, strahlen ihre Augen. „Wie schön!“, flüstert sie und lächelt.
Von den Erfahrungen mit Leica können die Menschen lange zehren. „Bei Einrichtungen wie dieser, die wir nur selten besuchen, steht für mich im Vordergrund, dass unser Besuch die Menschen erfreut und noch lange für Gesprächsstoff sorgt“, erklärt Gregor Kryk. Im Unterschied dazu entsteht bei Einrichtungen, die er monatlich oder sogar noch öfter besucht, eine echte Beziehung zwischen den Tieren und den Patienten. „Es gibt feste Gruppen und wir planen unseren Besuch vorab mit den Betreuern.“
Manchmal, so der Pflegewissenschaftler, lädt er auch Angehörige zu seinen Therapien ein oder nimmt seine Patienten mit der Kamera auf. „Sie sollen sehen, welche Ressourcen noch in ihren Angehörigen stecken. Einmal erinnerte sich eine demente Seniorin an die Zeit mit ihrer Tochter zurück, die sie eigentlich schon längst nicht mehr erkannte. Das war für die Tochter natürlich ein total ergreifender Moment.“
Früher Bedenken wegen der Hygiene
Rund 50 Einrichtungen besucht Kryk neben privaten Patienten regelmäßig. Dass die Einrichtungen so zahlreich zu seinen Kunden gehören, war nicht immer so. „Früher gab es viele Bedenken wegen der Hygiene, aber inzwischen öffnen sie sich unserem Konzept gegenüber immer mehr.“ Kryk bedauert jedoch, dass er nicht immer genügend Zeit hat, um auf alle Patienten gleichermaßen eingehen zu können. „In den Einrichtungen fehlt oft die Zeit, mal eine halbe Stunde auf die Reaktion eines Patienten zu warten. Man kann nicht erwarten, dass man mit den Tieren hereinkommt und gleich ein Lächeln geschenkt bekommt.“
Leichter öffnen sich die Menschen in entspannter Atmosphäre für Leica. Deshalb ist Kryk auf die Idee gekommen, Therapiegruppen auch auf seinem Hof zu empfangen, der seit einem Jahr dafür umgebaut wird. „Ich schätze es sehr, wenn meine Patienten hier die Möglichkeit bekommen, richtig auf die Tiere einzugehen und längere Zeit mit ihnen zu verbringen. Sie stehen hier nicht unter Beobachtung und sind ganz ungestört. Dadurch fällt es vielen leichter, sich den Tieren gegenüber zu öffnen“, meint Kryk. Hier beginnt die Therapie erst nach einem Kennenlerngespräch bei Kaffee und Kuchen.
Auf dem Hof besteht für Patienten auch die Möglichkeit, in die Paddocks zu gehen und die Tiere so in ihrer natürlichen Umgebung zu erleben. „Dadurch entsteht eine wunderschöne Symbiose zwischen Mensch und Pferd“, schwärmt Kryk. Auch die Tiere können sich mit mehr Zeit besser auf die Menschen einstellen. „Ich möchte, dass sich meine Patienten intensiv mit den Tieren auseinandersetzen. Zum Beispiel erkläre ich ihnen die Unterschiede zwischen Kaltblütern und Ponys, Gänsen und Enten. Es ist ein großer Erfolg für mich, wenn sich demente Patienten beim nächsten Besuch immer noch daran erinnern können.“
Auch Schulungen möglich
Sein Wissen gibt Gregor Kryk auch weiter, etwa bei Demenz-Schulungen für Senioreneinrichtungen.
Der Pflegewissenschaftler will schöne Erlebnisse ermöglichen. Wer sich traut, darf auf seinem Hof auch Bodenarbeit mit den Ponys machen, Sulky fahren oder sich auf einen Kaltblüter setzen. „Mein Ansporn ist es, die Freude der Menschen zu sehen“, sagt Kryk. „Dafür erfülle ich ihnen gerne ihre Träume und Wünsche.“





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