Warnzeichen bei gestressten Pferden

Eine Frage - drei Experten
„Wie viel Stress ist Pferden zumutbar?“

Zuletzt aktualisiert am 12.08.2024
CAVALLO Eine Frage - drei Experten: Wie viel Stress Pferde vertragen und welche Warnzeichen es gibt, Verladetraining
Foto: Thomas Hartig

Stress bei Pferden – Das sagt die Verhaltensexpertin:

Stress ist per se nichts Schlimmes. Wie in vielen Dingen gilt auch hier: Die Dosis macht das Gift. Wenn ein Pferd dauernd in Training und Haltung unter Stress steht, kommt es in eine Art Stressrauschen und einen schädigenden Bereich. Aber: Stress in kleinen Dosen ist während des Trainings sogar nötig, denn nur so können Pferde lernen. Lernen ist nichts anderes, als dass man – ob körperlich oder geistig – kurz an und über seine Grenzen geht. Dennoch sollte man Warnzeichen gestresster Pferde Ernst nehmen.

In der anschließenden Rekonvaleszenz passt sich der Körper diesen Herausforderungen an. Und beim nächsten Mal ist das Grundlevel höher. Wichtig ist nur, dass ich als Reiter mit Gefühl und guter Beobachtungsgabe auf mein Pferd eingehe. Dazu gehört auch, dass ich weiß: Wie reagiert mein Pferd auf Stress? Ist es ein extrovertiertes Tier, das mit geblähten Nüstern und aufgerissenen Augen da steht? Oder wird das Tier eher still, schottet sich eher ab? In beiden Fällen ist wichtig, dass ich mir die Konzentration des Pferds wieder hole. Bei Messe-Auftritten baue ich dann weichende Übungen ein, lasse etwa die Hinterhand weichen oder den Kopf senken. Damit mache ich den Körper durchlässig und weich, und wenn das Pferd körperlich entspannt, folgt auch der Geist. Ich schaffe meinen Pferden im Training auch bewusst Stress-Momente, etwa bei gruseligen Gegenständen – immer so kleinteilig gestaltet, dass sie diese "Gefahr” besiegen können. Solche Stress-Momente zu bewältigen, stärkt auch die Beziehung zwischen Pferd und Reiter ungemein und hebt beide auf ein höheres Level.

CAVALLO Eine Frage - drei Experten: Wie viel Stress Pferde vertragen und welche Warnzeichen es gibt, Verladetraining, Dr. Vivian Gabor
Lisa Rädlein

Das sagt die Wanderreiterin zu Erholungsphasen:

Wie resilient, also widerstandsfähig ein Pferd gegenüber Stress ist, ist individuell – und hängt auch vom Training ab. Ein Pferd, das vernünftig an Belastungen herangeführt wird, ist deutlich resilienter als eines, das überfallartig überfordert wird. Oft vergessen Reiter: Nach Stress braucht das Pferd eine Erholungsphase – und die gilt für Körper und Geist! Eine vollständige Rekonvaleszenz und Entwicklung von beidem ist wichtig. Wenn Pferde sich nicht erholen können, kommen sie in eine chronische Überreizungssituation. Ändern sie deshalb ihr Fress- und Schlafverhalten, können sie krank werden. Führt man sie aber langsam an ihre Aufgaben heran, können Pferde einiges an Stress aushalten. Ich habe meine Equiden Schritt für Schritt ans Wanderreiten gewöhnt; begonnen bei kleinen Ausritten alleine und in der Gruppe über Halbtagesritte mit Pausen bis zu mehrwöchigen Touren. Für diese Ausbildung nehme ich mir die nötige Zeit und schaue immer wieder: Was funktioniert, wo müssen wir noch ran? Bei meiner Alpentour wusste ich, da sind Planken und durchsichtige Brücken auf der Strecke. Also habe ich das in kleine Schritte zerlegt und daheim erarbeitet. Im Hochgebirge ist keine Zeit zum Training, das muss sitzen. Viele kleine Schritte ergeben ein Ganzes. Nicht umsonst dauert die Remontenzeit drei Jahre. Um ein gutes Wanderreitpferd auszubilden, braucht es sieben Jahre, in denen man all das zusammen erarbeitet und das Pferd körperlich und geistig fit macht.

CAVALLO Eine Frage - drei Experten: Wie viel Stress Pferde vertragen und welche Warnzeichen es gibt, Verladetraining, Conny Röhm
Lisa Rädlein

Das sagt die Show-Reiterin über Warnzeichen bei Stress:

Stress darf nicht gesundheitsschädigend fürs Pferd werden – aber ich bin überzeugt davon, dass Pferde eine gewisse Stresstoleranz lernen können und auch lernen sollten. Nur wenn man Pferde mit Stress-Auslösern konfrontiert, können sie lernen, damit umzugehen; nur so wachsen sie an solchen Situationen. Ich muss sie aber kleinteilig heranführen. Meine Stunts oder Auftritte bei Gala-Shows bereite ich Stück für Stück akribisch vor, von der kleinen, zwei auf drei Meter großen Plane bis zu einer 20 auf 20 Meter Plane, die im Galopp über die Pferde gezogen wird. Damit ich so ein Showbild entwickeln kann, muss ich in mein Pferd reinhören. Zeigt es gerade Stress? Und welche Form von Stress ist es? Ist es positiver Lernstress? Oder ist es "nur” nervös, und ich kann ihm zeigen, dass es keinen Grund dafür gibt? Oder hat es Angst? Dann muss ich einen Schritt zurück machen und die Sache noch langsamer angehen. Überfordern darf man Pferde nicht – aber wir können ihnen auch was zutrauen, sofern wir sie gut dabei begleiten.

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Thomas Hartig