Sind Hufschuhe eher hinderlich fürs Pferd?

So sitzen Hufschuhe richtig
Da drückt der Schuh

Zuletzt aktualisiert am 13.05.2024
Test Hufschuhe
Foto: Lisa Rädlein

Der erste Hufschuh

Mit dem ersten Hufschuh, der erfunden wurde, war ich schon absoluter Fan. Was für eine tolle Erfindung! Ich erinnere mich gut an die ersten Monate, in denen ich voller Euphorie die ersten Modelle an die Füße der Pferde brachte. Ich war ein Pionier. Es gab keinerlei Erfahrung und niemanden, den ich um Rat fragen konnte. So habe ich viel Lehrgeld bezahlt. Oft zog ich ein zweites Mal los, sammelte die Schuhe wieder ein, erstattete den Kaufpreis und hatte eine praktische Erfahrung mehr gesammelt. Dennoch: Hufschuhe hielt ich damals für den großen Wurf. Ich rechnete fest mit guten Weiterentwicklungen und neuen Modellen. Vor meinem inneren Auge sah ich das Hufeisen bis spätestens zum Jahr 2000 nur noch als Ausstellungstück im Heimatmuseum.

Diese anfängliche Euphorie ließ allerdings nach. Sie kennen das: Wenn man von einem Thema sehr angetan ist, dann verliert man so manches Mal die eigene kritische Distanz und übersieht sehr gerne auch das eine oder andere Mal ein Defizit. Und so war es bei mir auch.

Hufschuhe als echte Alternative zu Hufeisen?

Hufeisen sind für viele Pferde ein Problem, besonders dann, wenn sie dauerhaft und ohne Unterbrechung an den Hufen sitzen. Das war uns damals schon klar. Ich konnte nicht verstehen, dass Pferde, die fast ausschließlich auf dem sandigen Außenplatz oder in der Reithalle bewegt und geritten wurden, dauerhaft für 12 Monate im Jahr beschlagen wurden. Und da war der schnallbare Hufschutz für mein Dafürhalten der einzig greifbare und auch sinnvolle Ersatz.

Also schaute ich mir so manches Pferd an und hielt das Gangbild nach dem Anpassen der Hufschuhe für akzeptabel, da ja auch noch eine Gewöhnungszeit kommen würde. Im Laufe der kommenden Zeit wurden meine Zweifel an der Wirkung von Hufschuhen auf die Pferdebewegung größer. Es gab immer mehr Situationen, wo ich sagen musste, dass eine Verschlechterung des Gangwerkes in einem Maß stattgefunden hatte, wie es nicht mehr akzeptabel war.

Ein breites Sortiment auf dem Prüfstand

Über die Jahre wurde das Angebot an Hufschuhen immer größer. Es war immer wieder interessant, Hufschuhe anzupassen, und noch interessanter war es zu beobachten, wie stark Hufschuhe auf die Bewegung wirkten.

Ich machte einmal einen ausgiebigen Test auf die Auswirkung der Hufkürzung auf die Pferdebewegung. Da ich dabei die Pferdehufe bewusst "kaputtschneiden", aber natürlich keinem Pferd schaden wollte, habe ich dafür Schuhe zur Hilfe genommen. Diese wurden jeweils präpariert, indem ich dünne Leder- oder Kunststoffplatten an die Sohlen schraubte. Etwa zwei Millimeter an die Außenseite des Schuhs, um zu beschreiben, wie sich ein starkes Kürzen der Innenseite des Hufes auswirkt. Das Ergebnis: Nahezu alle Änderungen konnten die Pferde kompensieren, ohne dass sich ihre Bewegungen veränderten. Das war sehr erstaunlich, denn ich war davon ausgegangen, dass die simulierten Bearbeitungsfehler sich deutlich auf die Bewegungen der Pferde auswirken. Auffällig war aber, dass die verschiedenen Hufschuh-Modelle unterschiedliche Abweichungen vom normalen Bewegungsablauf der Pferde auslösten. Dies erklärte ich mir anfangs mit dem Gewicht der Schuhe, aber auch mit deren Gewichtsverteilung und damit dem Einfluss der kinetischen Energie auf die Gliedmaßenführung in der Hangbeinphase.

Um mehr Erkenntnisse zu gewinnen, führte ich eine weitere Testreihe durch. Die Hufschuhhändlerin Gisela Gesk stellte mir dafür unterschiedliche Modelle zur Verfügung. Mit einem hufschuherfahrenen Pferd wertete ich die Bewegungen mit jedem Schuhmodell im Schritt und Trab auf dem Laufband aus. Als Referenz habe ich das Pferd mit frisch und korrekt bearbeiteten Hufen auf dem Laufband beobachtet. Meine Kriterien für die Analyse waren Ablauf, Schrittlänge, Amplitudenhöhe und Kadenz auf dem Gummiboden des Laufbandes. Zu meiner Bestürzung kam heraus: Nahezu alle Hufschuhe veränderten die Parameter ins Negative!

Es gab eine deutliche Abhängigkeit von Zehenverlängerung und Amplitudenhöhe. Je länger der Hufschuh die Zehe machte, umso flacher wurde die Bewegung. Die Abhängigkeit des Hufschuhgewichtes und der Pferdebewegung war ebenfalls unübersehbar. Je schwerer der Schuh, desto stärker kam es zu einer unphysiologischen Rotation des Schulterblattes in der Vorwärtsbewegung. Bei allen Hufschuhen zeigte das Pferd eine Versteifung in der Mittelhand, sogar bei einigen Modellen mit der Tendenz zum Wegdrücken des Rückens. Auch für den Laien erkennbar war dabei die deutliche Veränderung der Auffußung des Hufes: Das Pferd zeigte eine vermehrte Trachtenfußung. Nur bei einem Hufschuh war der Einfluss auf die Pferdebewegung nicht erkennbar (Swiss Horse Boot). In der Auswertung ergab sich eine weitere deutliche Tendenz. Der Einfluss auf Schulterbewegung, Rücken bis hin zu Hinterhand war umso stärker, je mehr der Hufschuh die Hufkrone überragte oder sogar in der Region der Hufkrone Druck erzeugen konnte. Dafür hatte ich damals noch keine plausible Erklärung.

Sind neuere Hufschuh-Modelle besser?

Seitdem haben sich die Ansprüche an Hufschuhe verändert. In der Pferdehaltung hat sich glücklicherweise viel getan. Immer mehr Pferde leben in Aktiv- und Laufställen. Meist sind die Untergründe pflegeleicht, aber nicht immer hufgerecht. Barhuf zu laufen, ist dann für manche Pferde echt schwer. Sie brauchen Schuhe – am besten solche, die sie 24 Stunden am Tag und möglichst auch sieben Tage in der Woche tragen können.

Die Hersteller haben reagiert und Schuhe entwickelt, die diesem Anspruch gerecht werden sollen. Diese Hufschuh-Modelle reichen über die Hufkrone und sind aus luftdurchlässigen Materialien. Alle Pferde, die solche Schuhe tragen müssen und mir bekannt sind, und das sind einige, laufen übermäßig steif, sind bewegungsunlustig, zeigen flache und unmotivierte Bewegungen. Die naheliegendste Erklärung: Es liegt an den Hufen und daher müssen die Schuhe getragen werden. Ohne die Schuhe wäre es sicher noch viel schlimmer. Ist das so?

Heute arbeite ich weniger in der Hufbearbeitung, sondern mehr für die Gesundheit der Pferde. Ich habe mich in den letzten Jahren zum Osteopath, vor allem aber zum Physiotherapeuten für Pferde weitergebildet. Ständig schaue ich mich nach neuen Methoden, Ansätzen und Verfahren um, die gut anzuwenden und hilfreich bei der Behandlung der Tiere sind. Ich behandle das Pferd ganzheitlich. Und das ist enorm wichtig. Denn nur, wenn ich Zusammenhänge erkenne, kann ich Pferden wirklich helfen.

Hufkrone und Hufknorpel unter Stress

Durch den gesamten Körper des Pferds ziehen sich myofasziale Ketten. Es gibt unterschiedlichste Stellen auf der Körperoberfläche, die entspannende Wirkung ausstrahlen. Das Spannende: Solche Entspannungspunkte befinden sich auch auf und entlang der Hufkrone und um die Hufknorpel herum liegend. Die Therapie kann mit Akupunktur, Akupressur oder durch Laserlicht erfolgen. Ist einer der Punkte im Bereich der Hufkrone aktiv, so führt die Behandlung unmittelbar dazu, dass die betroffenen Faszien und Muskeln entspannen. Verfehle ich jedoch den Punkt an der Hufkrone nur geringgradig, so quittiert das Pferd den Fehlstich mit Widersetzlichkeit. Bei korrekter Position ist die Entspannung sofort erkennbar. Die Wirkung ist beeindruckend und mittlerweile ein wesentliches Element meiner therapeutischen Arbeit.

Eine Provokation vieler Entspannungspunkte kann also durchaus, falsch oder übermotiviert bearbeitet, körperliche Probleme verursachen. Und genau dies ist bei den hochwirksamen Punkten an der Hufkrone und den Hufknorpeln der Fall.

Druck auf die Hufkrone kann Myofaszialen Stress auslösen. Das heißt: Mechanischer Druck von Hufschuhen, Hufglocken oder Bandagen im Bereich der Hufkrone wirkt wie ein Dauerfeuer auf den faszialen und muskulären Körper des Pferds. Auch die Hufform spielt hier eine wichtige Rolle: Ist die Hufkapsel unphysiologisch, führt dies zu einem dauerhaften Reizfeuer auf die Triggerpunkte und damit den ganzen Körper.

CAVALLO Hufschuhe - Da drückt der Schuh
Lisa Rädlein

Verformung der Hornkapsel

Aufgefallen ist mir bei meinen Behandlungen häufig, dass Verspannungen, zum Teil mit heftiger Reaktion des Pferds, alleine durch sanfte Berührung der myofaszialen Triggerpunke in der Region der Hufkrone gut gelöst werden können. Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg: Die Ursache für den Stress wurde erkannt und beseitigt.

In anderen Fällen war der Behandlungserfolg trotz vergleichbarer Problematik und ebenso vergleichbaren Pferdetypen weniger erfolgreich. Von Situationen, die Verbesserungen zeigten, etwa solange die Behandlungsnadeln gesetzt waren, bis zu nur langsam und gering einsetzendem Erfolg der Behandlung, aber vor allem eine deutlich weniger nachhaltige Wirkung.

Zur dritten Gruppe gehörten Pferde, deren Behandlungserfolg merklich geringer war und kaum Nachhaltigkeit festgestellt werden konnte.

Ich fragte mich, warum die gleiche Behandlung bei vollkommen vergleichbaren Situationen so ein unterschiedliches Ergebnis hervorbrachte. Sehr schnell verdichteten sich die Hinweise zu folgenden Schlussfolgerungen:

Meine Behandlung hatte nur dann nachhaltigen Erfolg, wenn sich alle vier Hufkapseln des Pferds unproblematisch darstellten. Die Pferde dieser Gruppe waren entweder barhuf oder beklebt/beschlagen unterwegs.

Pferde, bei denen die Behandlung nur verzögert anschlug oder der Erfolg nicht anhielt, hatten keine oder geringgradig auffällige Verformungen der Hornkapsel. Diese Pferde wurden ausnahmslos mit Hufschuhen geritten. Teilweise lösten deren verwendete Hufschuhe deutlichen Druck im Bereich des Hufknorpels aus.

Bei Pferden, bei denen die Behandlung wenig erfolgreich war, hatten die Hufe unphysiologische Formen: etwa deutlich untergeschobene Trachten, einseitigen oder beidseitigen Trachtenzwang, verformte Hornkapseln mit einseitig aufgestauchtem Ballen und in einem Fall mit deutlicher und massiver Strahlfäule.

Die Pferde dieser dritten und problematischsten Gruppe wurden allesamt wenig, aber wenn, dann nur mit Hufschuhen geritten. Sie zeigten auf allen Untergründen, mit Reiter oder an der Hand deutlich gebundene, flache Bewegungen. Teilweise waren die Bewegungen so massiv eingeschränkt, dass ich krankhafte physiologische Veränderungen vermutete. Erschreckend fand ich, dass die Besitzer dieser Tiere keine besondere Auffälligkeit erkannten, da sie offensichtlich nur diese Art der Bewegung ihrer Pferde gewohnt waren.

Ich erkläre mir dieses Phänomen durch das Dauerfeuer auf die Triggerpunkte. Also die Punkte, deren Behandlung eine Besserung erzielen soll, aber bei Dauerprovokation offensichtlich auch die Verspannungen verursachen kann. Dieses Dauerfeuer, verursacht durch die Problematik der unphysiologisch verformten Hornkapseln, wird hier noch zusätzlich durch die Hufschuhe aufaddiert.

Deshalb sind funktionierende und belastbare Hornkapseln die Voraussetzung für den lockeren und entspannten Bewegungsapparat des Pferds. Dafür zu sorgen, muss jeder physiotherapeutischen Maßnahme vorangestellt werden.

Eine Frage der weiteren Forschung

Inwieweit ein schwerer Hufschutz, wie es ein Hufschuh oder das Eisen ist, Triggerpunkte anspricht, kann ich nicht belegen. In der Bewegung wird die Hufkapsel durch die wirkenden Fliehkräfte ein wenig abwärts gezogen. Ist dieser Impuls, verstärkt durch das zusätzliche Gewicht, ausreichend, um ein Aktionspotential auszulösen? Dann wäre das Resultat die spontane Reaktion von Muskulatur und faszialem Gewebe. Diese (nicht geklärte) Annahme wäre aber die Erklärung dafür, dass manches frisch beschlagene Pferd spontan nach dem fehlerfreien Beschlag mit Verlust an Kadenz und Bewegungsqualität reagiert.

Hier sehe ich Fragen für die Forschung: Wie wirken sich Hufschuhe, Beschlag und andere Ausrüstungsgegenstände wie Bandagen oder Hufglocken auf die den Huf umgebenden Triggerpunkte aus? Es bleibt spannend!

Der Autor:

CAVALLO Hufschmiedemeister, Barhufbearbeiter, Pferdephysiotherapeut und -osteopath Burkhard Rau
Lisa Rädlein