Haben Sie Lust auf eine Runde "Ich rieche was, was du nicht riechst"? Dann stellen Sie sich doch mal vor, was Ihr Pferd alles erschnuppert, wenn es Sie wie immer zur Begrüßung sanft mit seiner Nase berührt. Ihr Waschmittel und Ihren ganz eigenen Geruch kennt es schon, doch vielleicht ist da heute auch noch ein Stück Brot in Ihrer Tasche, eine Spur von Nachbars Hund und eine Nuance vom Schweißausbruch am stressigen Vormittag. Für Ihr Pferd alles wichtige Informationen, die auch beeinflussen, wie es sich Ihnen gegenüber verhält. Doch was finden Pferde eigentlich dufte und wann rümpfen sie die Nase?
Darüber, welche Gerüche Pferde mögen, ist wenig bekannt. Die Forschung steht hier am Anfang, nur eine kleine Zahl von Wissenschaftlern hat sich bisher damit beschäftigt. Beim Menschen hingegen ist man dem Riechen bereits dicht auf der Spur: Man weiß, dass für manche Gerüche genetisch festgelegt ist, ob wir sie mögen oder meiden: Naturdüfte wie etwa Blumenduft finden Menschen normalerweise angenehm, faules Fleisch abstoßend.
Doch Geruchswahrnehmung ist darüber hinaus auch ein Lernprozess des Gehirns. Bereits im Mutterleib nehmen wir über die Nabelschnur Geschmacks- und Geruchsstoffe wahr und entwickeln eine Verbindung zu ihnen. Im Laufe des Lebens lernen wir immer mehr Gerüche kennen und verknüpfen diese mit Erfahrungen und Erlebnissen.
Bei Pferden ist das ähnlich, erklärt Pferdeverhaltenswissenschaftlerin Dr. Vivian Gabor: Auch bei ihnen bestimmen Erlebnisse und Erfahrungen sowie der individuelle "Geschmack" darüber, ob ein Geruch als "hui" oder "pfui" gilt. Genetisch programmierte Vorlieben von Pferden, etwa beim Futter, bedürfen der Erforschung. Ob Pferde ähnliche Gerüche mögen wie wir Menschen, was sie zu Parfüm, Deo und Duftstoffen aus Futter und Pflegemitteln sagen, wollten wir genauer wissen.
Wir testen zwölf Gerüche an unterschiedlichen Pferden
Zwölf unterschiedliche Gerüche hielten wir vier Pferden vor die Nase. Verlags-Kollege Thomas Tuttenuj, gelernter Parfümmeister, stattete uns dazu mit natürlichen und synthetischen Duftstoffen aus, zudem hatten wir Damen- und Herrendeos sowie Äpfel und Knoblauchzehen im Gepäck.

Beim Vorgehen beriet uns Verhaltensforscherin Dr. Vivian Gabor. Vier Pferden präsentierten wir die Geruchsproben in unterschiedlicher Reihenfolge auf Papierstreifen aus der Parfümerie. Die Pferde standen dabei in Paddockboxen, konnten also selbst entscheiden, ob sie länger schnuppern oder sich abwenden wollten. Den Geruchstest filmten wir per Videokamera, Verhaltensforscherin Dr. Vivian Gabor sah sich die Reaktionen später für uns an.

Sie vermerkte, wie hoch das Interesse der Pferde an den jeweiligen Gerüchen war. Geblähte Nüstern, langes Verweilen bei der Duftprobe und gespitzte Ohren deuteten auf hohes Interesse hin. Drehten die Pferde dagegen den Kopf weg oder liefen davon, hatten sie kein Interesse oder lehnten den Geruch eher ab.

Keinen Geruch ignorierten die Pferde völlig. "Alle Pferde haben immer kurz am Teststreifen gerochen, die Nüstern haben sich einen Moment geweitet – egal bei welchem Duftstoff", beschreibt Vivian Gabor. "Das zeigt, wie wichtig Geruchsinformationen generell für Pferde sind und dass sie Gerüche sehr gut unterscheiden können."

Grund genug, im Umgang mit den Supernasen darauf zu achten, wie wir riechen. Einen großen Anteil daran haben Kosmetikprodukte wie Deos, Parfüms oder Waschmittel. Ausbilderin Marlitt Wendt, die Pferde mittels positiver Verstärkung trainiert, traf hier teils auf Sensibelchen: "Beispiele aus meiner Arbeit sind Stressreaktionen wie Unruhe oder Schwitzen von unterschiedlichen Pferden, immer im Zusammenhang mit bestimmten Parfüms oder duftenden Cremes." Als die Besitzer das änderten, seien die Tiere direkt entspannter gewesen, berichtet Wendt – eventuell habe sie der Geruch an vergangene Ereignisse erinnert.
Wie reagieren unsere Testpferde auf Deodüfte?
Für unserer Experiment verwendeten wir ein Herrendeo mit würzigen Duftnoten und ein Damendeo mit blumigem, eher süßlichem Duft – also Duftrichtungen, die den typischen Noten für Männer und Frauen entsprechen. Unsere Vorannahme dabei: Pferde mögen starke Deo-Düfte nicht.

Tatsächlich sieht Begeisterung anders aus. Unsere vier Kandidaten zeigten mittleres bis wenig Interesse am Damendeo, beim Männerdeo schnupperten sie etwas ausgiebiger. Besonders Vollblut-Wallach Moody roch ausgiebig daran und leckte und kaute anschließend.

"Das ist eine Übersprungshandlung, deutet also auf eine Ambivalenz dem Duft gegenüber hin", so Dr. Vivian Gabor. Andererseits kann Lecken und Kauen auch durch Speichelfluss ausgelöst werden, wenn das Pferd Futter erwartet – was genau der Fall war, lässt sich schwer sagen.
Und wie reagieren Pferde auf Patschuli, den Duft einer Tropenpflanze, der häufig in Parfüms verwendet wird und bei Menschen laut Parfümeur Thomas Tuttenuj oft die Geister scheidet? Auch hier sind die Pferde mäßig interessiert, nur Wallach Moody schnüffelt länger in Ruhe. Die Testpferde können mit dem Parfüm-Duft offenbar eher wenig anfangen. Doch das alleine ist nicht der Grund, warum Reiter auf starke Düfte lieber verzichten sollten. Denn es droht Verwirrung.

Pferde können die Gefühlslage des Menschen erschnuppern
Dass Pferde die Gefühle von Menschen riechen können, zeigt eine Studie der Universität Warschau. Die Forscher klemmten Probanden Wattepads unter die Arme. Einmal, während diese einen Horrorfilm sahen, und einmal während eines lustigen Zeichentrickfilms. Dann präsentieren die Wissenschaftler 21 Testpferden die Pads. Dabei kombinierten sie jeweils Geruchsproben von vier ängstlichen und vier glücklichen Menschen, um individuelle Unterschiede auszuschließen.
Die Pferde konnten diese Gefühlslagen eindeutig unterscheiden, wie ihre Reaktion zeigte. Der Schweiß aus einer entspannten Situation schien beruhigend zu wirken. Rochen die Pferde Angstschweiß oder ein neutrales Kontrollpad, hoben sie nämlich deutlich häufiger und länger den Kopf als beim "glücklichen" Duft. Hatten sie Angstschweiß in der Nase, berührten die Pferde eine anwesende, ihnen bekannte Person länger und häufiger. Pferde können also auch artfremde Emotionen fein differenzieren.

Überdecken wir Geruchsinformationen zu unserer Stimmungslage mit starken Parfüms, könnte das irritieren, sagt Dr. Vivian Gabor. "Ist jemand sehr angespannt, nimmt das Pferd das auch an seiner Körpersprache und Mimik wahr. Werden die dazu passenden Geruchsinfos überlagert, wird der Mensch fürs Pferd schwerer zu deuten." Ausbilderin Marlitt Wendt sieht das ähnlich: "Für mich ist es immer eine gute Faustregel, sich bei Düften an das Motto ,weniger ist mehr‘ zu halten." Noch wichtiger als starke Düfte zu meiden, könnte es sein, Stresssituationen bewusst wahrzunehmen. Warum das so wichtig ist?
Stressgeruch kann eine ausgeprägte Wirkung auf Pferde haben
Pferdeverhaltenstrainerin Dr. Vivian Gabor hat das bereits am eigenen Leib erfahren. Sie musste das Training mit einem Berittpferd unterbrechen, weil ein anderes Pferd ausgebrochen war und drohte, auf die Bundesstraße zu rennen. "Das war wirklich stressig für mich. Als ich zurückkam, hatte ich mich meiner Ansicht nach aber wieder einigermaßen beruhigt. Trotzdem setzte mich das Pferd direkt nach dem Aufsitzen in den Sand." Gabor vermutet, dass der fürs Pferd noch deutlich wahrnehmbare Stress-Schweiß der Auslöser dafür war.
Waren Sie also in einer stressigen Situation, warten Sie ab, bis Sie sich wieder ganz ausgeglichen fühlen und gehen dann erst zu Ihrem Pferd. Auch eine Dusche zu nehmen und die Kleidung zu wechseln, kann sinnvoll sein. So vermeiden Sie Stress fürs Pferd.

Apropos Stress: Diesen können auch medizinische Gerüche auslösen, die das Pferd mit unangenehmen Erfahrungen verbindet. Einen starken Geruch hat etwa Jod, mit dem Wunden desinfiziert werden. Darum präsentierten wir den Pferden auch davon Proben. Beim Schnuppern weiteten sich die Nüstern dabei auffällig, Stute Glenda schreckte kurz zurück, spielte dann mit der Oberlippe herum. Dr. Vivian Gabor fällt auf, dass zwei Pferde schleckten und kauten, was auf Stress hindeuten könnte. "Wahrscheinlich beruht diese Reaktion auf ihren Erfahrungen mit dem Jod-Geruch", vermutet Gabor.

Wie Sie unangenehme Gerüche durch Training positiv verknüpfen können, lesen Sie übrigens im Abschnitt "Training für Clever-Nasen" – das kann mitunter Behandlungen erleichtern oder auch helfen, wenn Pferde etwa Angst vor Fliegenspray oder anderen Pflegemitteln haben. Das hängt häufig mit dem Geräusch der Sprühflasche, aber mitunter auch mit dem Geruch zusammen. Hier kommen meist Gerüche zum Einsatz, die wir Menschen angenehm finden: etwa Zitrusnoten, blumige Nuancen oder Kräuterdüfte. Doch finden Pferde das wohlriechend, was uns gefällt?

Wir machten die Probe mit natürlichem ätherischem Eukalyptus-Öl, natürlichem Geranium (blumiger Duft, oft in Fliegensprays verwendet) und einem synthetischen Kräuter-Duft.

Was wir Menschen gerne schnuppern, lässt Pferde ziemlich kalt
Insgesamt zeigten die Pferde an allen drei Düften wenig Interesse, besonders die synthetischen Kräuter registrierten sie eher müde. Meist wendeten sich die Pferde schnell ab oder waren abgelenkt. Nur Eukalyptus verbanden zwei wohl mit Essbarem.

Tatsächlich soll Duft Pferdepflegeprodukte auch für den Menschen sympathisch machen, wie Armin Brietzke, Geschäftsführer bei Zedan, erklärt. Vor allem aber werden duftende Substanzen aufgrund ihrer Wirkung verwendet. So haben natürliche Öle wie Teebaum- oder Kamillenöl etwa antibakterielle oder entzündungshemmende Eigenschaften.
Zedan verwendet in Pflegemitteln ausschließlich natürliche ätherische Öle, beim Bremsenbremse Proaktiv Gel kommen dagegen auch synthetische Duftstoffe zum Einsatz. Von ablehnenden Reaktionen auf die Düfte in der Praxis mit Pferden wurde bisher nicht berichtet, so Armin Brietzke.
Appetitanregende Gerüche sind fast unerforscht
Das berichtet auch Veerle Vandendriessche von Pavo-Futtermittel. Ätherisches Pfefferminzöl wird etwa wegen seiner positiven Wirkung auf Verdauung und Atemwege und des beim Menschen beliebten Dufts hinzugefügt. "Bei Pferden konzentrieren wir uns in der Forschung auf Geschmacksaromen."

Duft-Tests macht Pavo bisher nicht. Bei unseren Testpferden waren die Vorlieben verschieden: Auf Knoblauchgeruch reagierten sie teils mit angeregtem Schlecken, teils drehten sie sich sofort weg. Die Wissenschaft hat das Feld bisher kaum erforscht. Eine aktuelle Studie aus den USA zeigt jedoch, dass Anisduft Futter schmackhafter macht. Die Forscher stellten Schüsseln mit Hafer auf mit Anis- oder geruchsneutralem Maiskeimöl behandelte Gazestücke.

Das eindeutige Ergebnis: Vor die Wahl gestellt, beschnupperten die Pferde zuerst den Anis-Hafer und fraßen diesen deutlich häufiger als den in der Kontroll-Futterschale. Die Hafer-Schale mit dem Anis-Aroma wurde deutlich schneller aufgefressen und auch die Menge des gefressenen Hafers war größer. Die Folgerung der Forscher: Futterakzeptanz und Geruchsreize stehen in engem Zusammenhang.
Das alles zeigt: In Sachen Geruchspräferenzen beim Pferd ist es Zeit, die Fährte aufzunehmen – im Alltag wie in der Forschung.
Spürnasen mit einem Sinn für Pheromone
Pferde können besser riechen als Hunde. Wissenschaftler der Universität Tokio fanden heraus, dass ein Pferd mehr Gene für Geruchsrezeptoren besitzt als ein Hund. Zum Vergleich: Pferd 1066, Hund: 811, Mensch: 396. Die Nasenschleimhaut von Pferden hat eine große Oberfläche und damit besonders viele Riechzellen. Da die Nüstern seitlich liegen, kann das Pferd Gerüche sozusagen in "Stereo" aus verschiedenen Richtungen wahrnehmen. Pferde haben außerdem eine große Lunge und atmen mit einem Atemzug eine Menge Luft ein. So gelangen viele Geruchsmoleküle in die Nase.
Zudem haben Pferde noch ein ganz spezielles Riechinstrument: Das Jakobson’sche Organ (Vomeronasal-Organ). Es kommt beim Flehmen zum Einsatz und ist sensibel für Pheromone – chemische Stoffe, die von Artgenossen abgegeben werden und hormonähnliche Reaktionen hervorrufen. Pheromone, die von einem erwachsenen dominanten Hengst abgegeben werden, können zum Beispiel bewirken, dass sich das Hormonsystem eines jüngeren Hengsts im Herdenverband langsamer entwickelt. Pheromone binden außerdem Stute und Fohlen aneinander.
Pferde erkennen auch andere Herdenmitglieder am Geruch. Verhaltensforscherin Dr. Konstanze Krüger und ihre Kollegen an der Uni Regensburg fanden heraus, dass die Tiere nicht nur ihren eigenen Kot von dem ihrer Artgenossen unterscheiden konnten, sondern sogar am Kot erkennen, ob es sich um einen Freund oder einen aggressiven Konkurrenten handelt.
"Wir gehen davon aus, dass Pferde über ihren Kot Botschaften an ihre Artgenossen adressieren können", sagt Pferdewissenschaftlerin Dr. Vivian Gabor. So äpfeln Hengste und ranghohe Wallache über den Kot rangniedrigerer Herdenmitglieder, um ihre Dominanz zu demonstrieren.
Training für Clever-Nasen
Behutsames Training mit vielen Belohnungen können Sie unterschwellig mit Aromen begleiten. "Es reicht, ein Tuch mit dem jeweiligen Duft in die nähere Umgebung zu legen", erklärt Pferdeverhaltensforscherin Marlitt Wendt. Verwenden Sie den Duft nicht an sich selbst oder am Pferd.
Lavendel wirkt beruhigend und eignet sich daher fürs Verlade- oder Medical-Training. Eukalyptus ist eher belebend. "Er ist geeignet, wenn das unsichere und schüchterne Pferd mutiger werden soll", erklärt Marlitt Wendt – also z. B. beim Erkunden neuer Gegenstände. Ihr Pferd hat Angst vor Fliegenspray? Auch hier kann Gelassenheit durch die Nase gehen, indem Sie den Geruch des Fliegensprays positiv verknüpfen. "Zunächst reicht es, die geöffnete Flasche in einiger Entfernung neben dem Pferd zu platzieren, während es aus seiner Schüssel frisst", rät Marlitt Wendt. "Nach und nach kann man dann immer etwas näher rangehen, und jede kleine Duftwolke mit einem Leckerli verknüpfen. So wird das Zischen des Sprühkopfes zur Ankündigung einer Belohnung."
Gehen Sie behutsam vor und wählen Sie zum Üben eine Sprühflasche mit eher leisem Mechanismus. Bei Angst vor medizinischen Behandlungen mit stark riechenden Substanzen wie Jod bietet sich ein ähnliches Vorgehen an.
Manchmal grätschen im Training auch ungewollt Gerüche dazwischen: Viele Forscher sind sich einig, dass Pferde über Kot ihrer Artgenossen auch Angst und Stress erschnuppern. "Der Kot kann eine Warnung für die Fluchttiere sein", so Verhaltensforscherin Dr. Vivian Gabor. Ihrer Erfahrung nach steigen Pferde ungern in einen Hänger, in den zuvor schon ein nervöses anderes Pferd geäpfelt hat. Entfernen Sie Angst-Äppel also immer direkt aus dem Pferdeanhänger und reinigen ihn wenn nötig gründlich.
Die Expertin

"Das Experiment zeigt, wie wichtig Geruchsinformationen für Pferde sind und wie gut sie Düfte unterscheiden" Dr. Vivian Gabor ist Biologin und Pferdewissenschaftlerin sowie Verhaltenstrainerin an ihrem Institut für Verhalten und Kommunikation. www.viviangabor.de
"Über Fressen oder Meiden entscheiden Pflanzen-Duftstoffe"
PD Dr. Sabine Aboling erforscht am Institut für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule Hannover, wie Pferde ihre Futterpflanzen auf der Weide per Nase selektieren.
Pflanzen schützen sich durch Repellents: Repellents sind in der Pflanze gelöste Moleküle (Wahrnehmung über Geschmacksrezeptoren), oder an der Pflanze vorhandene, flüchtige Moleküle (Wahrnehmung über Riechrezeptoren). Sie vermitteln dem Pferd lebenswichtige Informationen über die Verträglichkeit. Es muss diese wahrnehmen und verarbeiten können, denn es grast 16 Stunden am Tag, kann die Pflanzen dabei nicht sehen und sollte auch bei Dunkelheit seine Nahrung prüfen können.
Der Geruch entscheidet, nicht die Gifte: Beobachtungen deuten darauf hin, dass Pferde anhand des Geruchs entscheiden, was sie fressen. Pferde fressen zum Beispiel junge Keimlinge von Berg-Ahorn, nicht aber ältere, obwohl beide giftig sind. Greiskraut fressen sie frisch kaum und nur wenig, manche Pferde getrocknet aber in größeren Mengen, obwohl der Toxingehalt ähnlich ist. Der Unterschied: Die flüchtigen Duftstoffe fehlen bei den Jungpflanzen bzw. in getrockneter Form. Offenbar entscheiden diese über Fressen oder Meiden.
Unterscheidet sich "gut" und "giftig" am Geruch? Um das herauszufinden, wurden zwei Jährlinge, die das erste Jahr bei ihren Müttern auf der Weide gelebt haben, nach dem Absetzen über ein Jahr dabei beobachtet, welche Pflanzenarten sie beim Grasen in freier Landschaft fraßen.
Auch viele giftige Arten werden gefressen: Überraschenderweise wurden von 85 "giftigen" Arten die meisten gefressen (57 Arten, 67,1 %). Darunter z. B. Spitz-Ahorn und Eiche. Diese Arten haben gemeinsam, dass sie nach aktuellem Kenntnisstand nicht über flüchtige Repellents verfügen. Demnach könnten die Pferde sie nicht (nur) über den Geruch klassifiziert haben.
Bestimmte Pflanzen meiden Pferde völlig: Gar nicht fraßen die beiden Jährlinge von den 85 Giftpflanzen nur acht Arten (9,4 %), u.a. Gundermann, Huflattich und Schöllkraut. Jede dieser Arten besitzt entweder ein Spektrum flüchtiger Substanzen, etwa ätherische Öle, oder die Art verfügt über einen hohen Anteil an Flüssigkeit (Milchsaft) mit darin gelösten Toxinen. Die zweite Überraschung: Die Pferde verschmähten auch 14 von 108 nicht-toxischen Arten (13 %) wie Klette, Täschelkraut, Weidenröschen, Malve und Brennnessel.
Lernverhalten spielt eine Rolle: Bei 20 der giftigen Arten entschieden die Pferde mal positiv, mal negativ. Offenbar mussten die jungen Pferde erst lernen, ob die Pflanzen genießbar sind. Wenn der Geruch zur Prüfung nicht reicht, korrigiert der Geschmack.
Weitere Forschung ist nötig: Es gibt eine Tendenz, dass toxische, stets gemiedene Pflanzen flüchtige, riechbare Repellents besitzen und diese stets gefressenen Pflanzenarten fehlen. Pferde entscheiden also primär nach Geruch. Die Akzeptanz giftiger Arten ist aber fast so hoch wie die ungiftiger. Die tatsächliche Verträglichkeit könnte also vielmehr damit zusammenhängen, wie oft ein Pferd eine Pflanze frisst sowie in welcher Menge. Wie Pferde die Verträglichkeit durch ihr Fressverhalten steuern, bedarf weiterer Forschung.