In einem Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Frankenthal (Urt. v. 05.06.2020, Az. 4 O 10/19) ging es um das Überholen von Pferden. Ein Radfahrer wollte mit seinem Liegerad auf einem Radweg zwei Pferde überholen.
Er hielt sich jedoch nicht an den erforderlichen Mindestabstand und fuhr mit nur etwa 40 Zentimeter Abstand an den Pferden vorbei. Eines der Pferde erschrak, schlug aus und verletzte den Radfahrer. Die Reiterinnen befanden sich trotz Verbots auf dem Radweg. Wer haftet?
Hälftige Mitschuld des Unfallverursachers
Die Unfallsituation entstand aus zwei Fehlern heraus:dem Radfahrer, der die Pferde ohne den erforderlichen Sicherheitsabstand überholte, und den Reiterinnen, die sich bewusst unerlaubt auf dem Fahrradweg aufhielten.
Für die Halter von Pferden besteht grundsätzlich eine Tierhalterhaftung (§833 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Dies bedeutet, dass die Reiterin zunächst für sämtliche Schäden einzustehen hat, die das Pferd verursacht.
Statt des geforderten Schmerzensgelds von mindestens 4.000 Euro sprach das Gericht dem Radfahrer nur ein reduziertes Schmerzensgeld in Höhe von 3.000 Euro zu, da ihn nach §254 BGB eine Mitschuld trifft. Der ihm entstandene Schaden wurde nur zu 50 Prozent ersetzt.
Die Sache mit dem Abstand
Der Radfahrer war zwar auf dem Fahrradweg bevorrechtigt, hätte sich aber an die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zum Überholen anderer Verkehrsteilnehmer halten müssen. Diese gelten auch, wenn sich unerlaubt Pferde auf dem Radweg befinden.
Bei einem Pferd ist damit zu rechnen, dass es sich auf unvorhersehbare Weise bewegt. Das Gericht entschied, der Radfahrer hätte mindestens einen Abstand von 1,50 bis 2 Meter einhalten müssen. Trotz der Möglichkeit, den Abstand einzuhalten, war er zu dicht an den Tieren vorbeigefahren.
In Fällen, wo ein Sicherheitsabstand beim Überholen aufgrund der topografischen Gegebenheiten nicht einzuhalten ist, muss der Verkehrsteilnehmer mit dem Überholvorgang warten. Sofern keine "mündliche Absprache" beider Parteien gegeben ist, die ein anderes Verhalten zulässt.
Überholen mit Ansage?
Im Straßenverkehr gilt für jeden Verkehrsteilnehmer die Pflicht, vorsichtig und sorgsam miteinander umzugehen. Einen Radfahrer, der bei einem Pferd einen Überholvorgang mündlich ankündigt, entbindet dies nicht von seiner Sorgfaltspflicht. Auch nicht, wenn er auf dem Weg bevorrechtigt ist.
Der Überholende muss abwägen, ob mit dem Überholvorgang ein Risiko entsteht. Ein versuchter Überholvorgang lässt sich sofort abbrechen. Problematisch ist bei mündlichen Absprachen oder Handzeichen immer die Beweislage. Beruft sich der Radfahrer zum Beispiel darauf, dass er vom Reiter vorbei gewunken wurde, muss er dies beweisen.
Eine Frage des Wegs
Wäre der Vorfall auf einem Reitweg passiert, ist die Reiterin bevorrechtigt und haftet in dem Fall nur zu einem geringen Teil. Das nennt man eine Gefährdungshaftung, die höchstens 30 Prozent beträgt. Auf einem Reitweg ist jedem klar, dass dort unberechenbare Tiere unterwegs sind.
Auf Feld- und Waldwegen gilt grundsätzlich das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme. Kommt der Überholende einem Tier ohne Not zu nah, wird er bei einem Unfall zu einem wesentlichen Teil mithaften. Es entscheidet der Einzelfall.
Fazit: Die Tierhalterhaftung lässt die Reiterin für den entstandenen Schaden einstehen. Den Radfahrer trifft aufgrund des missachteten Sicherheitsabstands aber eine Mitschuld.
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Der Experte Thomas Melletat, Rechtsanwalt mit Schwerpunkt auf u.a. Verkehrsrecht aus Laatzen/Rethen, www.recht-naheliegend.de