Sechsunddreißig Grad und es wird noch heißer – und zwar unter der Pferdedecke! Wir sind in unserem Praxistest mit drei Pferden auf Tuchfühlung gegangen und haben nachgemessen, wie warm es unter ihren Decken war.
Das Ergebnis: Teils wurde es mit knapp 40 Grad deutlich zu heiß, und generell war es den Pferden eher zu warm als zu kalt. Was unsere Tester daraus gelernt haben, lesen Sie auch in den Erfahrungsberichten unserer Tester auf den folgenden Seiten.
Wie wichtig es ist, mehr Wissen über die Temperaturen unter Pferdedecken zu sammeln, zeigte nicht nur unsere persönliche Erfahrung im Test. Auch eine im Jahr 2017 publizierte Befragung rund 4000 schwedischer und 2000 norwegischer Pferdebesitzer und Reiter verdeutlicht, dass beim Thema Eindecken oft Unsicherheit herrscht. Das größte Missverständnis ist laut Studienleiterin Elke Hartmann die Vermenschlichung. "Reiter denken: Wenn ich friere, friert auch mein Pferd."
Wir wollten prüfen, wie gut die Einschätzung der Pferdebesitzer ist. Meinen wir es beim Eindecken nur gut oder machen wir es auch gut? Bei dieser Frage geht es um das Wohl der Pferde: Wählt der Reiter die falsche Decke oder deckt ohne Notwendigkeit ein, frieren oder schwitzen Pferde und können ihre Decke nicht loswerden. Wie unangenehm das ist, weiß jeder, der an einem langen Bürotag schon einmal bereut hat, den Rollkragenpullover statt der Bluse gewählt zu haben.
Deshalb haben wir zwischen Januar und Mai bei Wetterbedingungen von klirrend kalten Winternächten bis zu wechselhaften Frühjahrstagen die Temperaturen unter Pferdedecken erfasst. Unsere Testpferde waren eine Oldenburger Stute, ein Holsteiner Wallach und ein Isländer. Für die Messungen nutzten wir den von der Firma Arioneo entwickelten Sensor "Orscana" mit zugehöriger App. Der Sensor erfasst nicht nur Temperatur und Feuchtigkeit unter Pferdedecken, sondern gibt mithilfe von Wetterdaten und Infos zum Pferd auch Empfehlungen zum Eindecken.
Die meisten Pferdebesitzer nutzen viel zu warme Decken.
Dieser Ansicht ist Claire Buchanan von Arioneo. "Das Problem ist, dass wir dazu tendieren, unsere Pferde nach unserem eigenen Kälteempfinden einzudecken." Dabei unterscheidet sich ihre Thermoregulation sehr stark von unserer eigenen: "Pferde haben einen viel größeren Temperatur-Toleranzbereich als Menschen, bei denen er sehr eng ist", so Buchanan.
Bei moderaten Temperaturen brauchen Pferde im Normalfall keine Decke. Laut einer Metastudie von Dr. Nadia Cymbaluk zum Thema müssen erwachsene Pferde im Schnitt erst ab minus 15 Grad durch den Stoffwechsel mehr Wärme produzieren, um ihre Körpertemperatur konstant zu halten.
Auch Marcia Hathaway, Wissenschaftlerin und Professorin an der Universität von Minnesota, sieht es im Winter erst ab Temperaturen von unter minus 15 Grad als notwendig an, Pferde einzudecken. Das gilt für erwachsene, an Kälte gewöhnte Pferde mit Winterfell und ist nur dann nötig, wenn während der Auslaufzeiten kein Unterstand zur Verfügung steht.
Decke erst ab minus 15 Grad
Am wohlsten fühlen sich Pferde laut Hathaway bei Temperaturen zwischen rund minus acht und plus 15 Grad, abhängig von ihrem Fell. Dr. David Marlin, der sich wissenschaftlich mit der Thermoregulation von Pferden auseinandersetzt, verortet die thermoneutrale Zone, in der Pferde ihre Körpertemperatur leicht konstant halten können, zwischen null und 25 Grad. Die App Orscana kalkuliert mit ähnlichen Komfort-Temperaturen wie Marlin und berechnet diese je nach Eigenschaften des Pferds.
Viele Schutzmechanismen des Körpers helfen Pferden gegen Kälte. So verengen sich etwa bei Kälte die an der Hautoberfläche gelegenen Blutgefäße. Das warme Blut zirkuliert dadurch in tieferen Schichten, während die Hautoberfläche sich auf Umgebungstemperatur abkühlt. Dadurch werden Blut und Körper durch die unter der Haut liegende Fettschicht, die Haut und das Fell besser warmgehalten.
Wie effektiv dieser Mechanismus ist lässt sich, wie Bertrand Langlois in einer wissenschaftlichen Abhandlung zum Thema ausführt, beobachten, wenn Schnee auf den Rücken von Pferden landet, ohne zu schmelzen.
Temperaturregelung hängt von der Rasse ab
Die Kälte-Anpassung variiert mit der Rasse des Pferds. Wie Bertrand Langlois feststellt, stimmt der Grad der Kälteanpassung von Pferden gut mit der traditionellen Einteilung in Vollund Kaltblutpferde überein: Kaltblüter sind zum Beispiel durch ihren kompakteren Körper und ihre unter der Haut liegenden Fettreserven, von denen sie bei höherem Energieverbrauch zehren, besser an Kälte angepasst als Vollblutpferde. Warmblutpferde liegen zwischen diesen beiden Archetypen.
Wichtige Faktoren für die Thermoregulation können sich also je nach Rasse unterscheiden, etwa die Haut. Langlois vermutet, dass nordische Rassen eine dickere Haut haben und so besser gegen Kälte geschützt sind als blütigere Pferdetypen.
Auch die Dichte des Fells ist je nach Rasse unterschiedlich – bei Gewöhnung an kalte Temperaturen können aber auch weniger an die Kälte angepasste Rassen einen dichten Pelz bilden und müssen dann bei normalen Wintertemperaturen meist nicht eingedeckt werden.
Ein weiterer, haarsträubender Kälteschutzmechanismus ist allen Pferden eigen: die Piloerektion, also das Aufstellen der Haare. Einer Studie zufolge kann sich dadurch die effektive Tiefe des Fells um 16 bis 32 Prozent erhöhen und so die Wärme-Isolation verbessern.
Ein guter Kälteschutz für Pferde ist auch mehr Heu
Schützen Fell, Haut und weitere Faktoren bei großer Kälte nicht mehr ausreichend, erhöht sich die basale Stoffwechselrate des Pferds, es verbraucht also mehr Energie. "Der Energiebedarf von Hauspferden steigt mit jedem Grad unter etwa minus acht Grad Celsius um 0,7 Prozent", so Marcia Hathaway. Ein gutes Mittel, um Pferde im Winter warm genug zu halten, ist also auch, die Heumenge zu erhöhen.
Individuelle Faktoren sind entschiedend. Welcher Temperaturbereich für ein Pferd komfortabel ist, hängt auch vom Trainingszustand, dem Alter und davon ab, ob das Fell geschoren oder nicht geschoren ist. Fohlen und Jährlinge sind etwa laut Studien deutlich kälteempfindlicher als erwachsene Pferde: Fohlen beginnen bereits bei rund 20, Jährlinge bei null Grad, ihren Körper durch einen erhöhten Stoffwechsel aufzuheizen. Bei alten Pferden funktioniert die Thermoregulation außerdem oft schlechter.
"Die Faktoren Alter, Trainingszustand, Rasse und Fell werden bei den Empfehlungen der App Orscana alle berücksichtigt", erklärt Claire Buchanan. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Temperatur-Komfortbereiche unter der Decke, die die App für unsere Testpferde ermittelte: Für den komplett geschorenen, sportlich gerittenen zehnjährigen Isländer Hjalti lag er zwischen sieben und 31 Grad; für die ebenfalls fitte, siebenjährige Warmblutstute July mit Winterfell zwischen zwei und 26 Grad. Der 18-jährige Holsteiner Wallach Chicco, der nach einer einjährigen Reitpause wieder langsam auftrainiert wurde und nicht geschoren war, sollte sich laut Orscana bei drei bis 26 Grad unter der Decke wohlfühlen.
Lieber zu kalt als zu warm
Die Wohlfühltemperatur der Pferde wurde im Test oft nicht eingehalten. Als besonders kritisch erwies sich wechselhaftes Frühlingswetter mit Regen, aber auch Sonne. Unser Test zeigte: An einem regnerischen Tag mit Temperaturen um etwa zehn Grad herrschten unter einer ungefütterten Regendecke noch moderate und fürs Testpferd noch komfortable 15 Grad. Blieb die Decke über Nacht an und wurden die Außentemperaturen am nächsten Tag durch Sonnenschein wärmer, stieg die Temperatur unter der Decke einmal drastisch auf 37 Grad an. Hierbei spielte sicherlich auch die direkte Sonneneinstrahlung auf den dunklen Stoff der Decke eine große Rolle. Auch an anderen Tagen, an denen sich unerwartet die Sonne zeigte, herrschten unter der Decke Temperaturen knapp über 30 Grad.
Zu heiße Temperaturen sind schädlich. "Tauchen solche heißen Temperaturen unter der Decke konstant auf, sind sie definitiv gesundheitsschädlich fürs Pferd und können dazu führen, dass es seine natürliche Fähigkeit zur Thermoregulation verliert", erklärt Claire Buchanan. Schwitzt das Pferd unter der Decke, kann das außerdem zusammen mit Reibung durch die Decke die Haut anfälliger für Schäden und Infektionen machen.
Pferdebesitzer sollten darum genau abwägen, ob wirklich eine Decke nötig ist, und sich im Zweifel lieber für eine dünnere Alternative oder gar keine Decke entscheiden – wie unser Test zeigt, ist das besonders bei eher warmen und wechselhaften Außentemperaturen wichtig. "Ein Pferd, dem es zu kalt ist, ist definitiv besser als ein Pferd, dem es zu warm ist", stellt Claire Buchanan fest.
Pferde nicht vermenschlichen
Tatsächlich befürchten Besitzer aber meist, dass ihr Pferd friert, und vergessen, dass Pferde mehr körpereigene Mechanismen gegen Kälte als gegen Hitze parat haben. Das verdeutlichen weitere Testergebnisse: Stute July trug bei regnerisch-bewölktem Wetter um drei Grad eine 100-Gramm-gefütterte Winterdecke.
Der Blick auf die mit dem Sensor verbundene App zeigte: Unter der Decke war es meist rund 26 Grad warm. Damit war der von Orscana berechnete Komfortbereich zwar ganz knapp noch nicht überschritten. Trotzdem wäre eine so warme Decke in diesem Fall bei Weitem nicht nötig gewesen und niedrigere Temperaturen für das Pferd definitiv angenehmer. Oft ist also weniger Kälteschutz nötig als gedacht.
Neben Kälteschutz wollten unsere Testpersonen ihren Pferden durch das Eindecken auch Schutz vor Regen bieten. Grundsätzlich schützt auch das eigene Fell Pferde vor Nässe: Es ist durch eine Talgschicht wasserabweisend und schützt so die Haut vor durchdringendem Regen.
Nasses Wetter kann empfindlicher machen
Dennoch kann nasses Wetter Pferde empfindlicher gegen Kälte machen. Marcia Hathaway von der University of Minnesota rät dazu, Pferde im Winter einzudecken, wenn sie durch Regen oder Eisregen nass werden könnten. Das Fell kann plattgedrückt werden und so schlechter isolieren.
Eine Studie zeigte außerdem, dass Fohlen, die noch nass vom Fruchtwasser sind, deutlich höhere Stoffwechselraten aufweisen als Fohlen, die bereits getrocknet sind – das könnte auf eine höhere körpereigene Wärmeproduktion hinweisen. Wie unsere Messungen zeigten, ist es nach Frühjahrsregen wichtig, Regendecken rechtzeitig zu entfernen, wenn die Temperaturen steigen.
Als Alternative empfiehlt Elke Hartmann, die das Eindeck-Verhalten von Pferdebesitzern in einer Studie erforschte, einen Unterstand zu bieten: "Rund 89 Prozent der befragten Reiter decken ihre Pferde ein, wenn sie bei Regen, Wind oder Kälte nach draußen kommen. Besser wäre es, die Haltungsbedingungen zu verbessern." Pferde mit Winterfell kommen dann auch ohne Decke aus. Doch wie sieht es bei geschorenen Pferden aus?
Decken für geschorene Pferde
Ist ein Pferd geschoren, ändert sich die Komfort-Temperatur stark. Das zeigte sich in unserem Test an der für den komplett geschorenen Isländer Hjalti berechneten Komforttemperatur unter der Decke. Sie lag im Bereich zwischen sieben und 31 Grad. Zum Vergleich: Mit Winterfell hätte Orscana einen Komfortbereich zwischen minus einem und 26 Grad kalkuliert. Großflächig geschorene Pferde müssen bei Winterwetter daher draußen durchaus eingedeckt werden.
In unserer Testphase mit Hjalti war es besonders kalt – es herrschten zwischen etwa minus vier und minus zehn Grad. Gegen Ende der Testphase wurde es mit etwa zehn Grad deutlich wärmer.
Seine Besitzerin entschied sich für Hjalti bei den Minusgraden für eine Winterdecke mit 200-Gramm-Futter. Damit wählte sie eine nicht zu warme Decke, mit der Hjalti meist im richtigen Wärmebereich war. Nur an einem sehr kalten Tag mit Tiefstwerten von minus zehn Grad fiel die Temperatur unter der Decke mit circa fünf Grad einmal unter seinen Komfortbereich. Das Ergebnis zeigt: Bei sehr kaltem Wetter und geschorenem Pferd ist Eindecken notwendig und eine dickere Decke kann die richtige Wahl sein.
37,6 °C
Diese deutlich zu hohe Temperatur haben wir unter einer ungefütterten Regendecke gemessen, als nach Frühjahrsregen am Vortag die Temperatur bei Sonnenschein unerwartet auf etwa 20 Grad stieg. Das zeigt: Eindecken bei zu milden Temperaturen ist riskant und bei Wetterumschwüngen muss die Decke schnell vom Pferd.

25,7 °C
Diese Temperatur unter der Decke haben wir bei Warmblutstute July bei einer Außentemperatur von rund drei Grad gemessen. July trug eine Outdoor-decke mit 100-Gramm-Füllung. Mit diesem Wert war die Stute laut App gerade noch in ihrem Komfort-bereich, aber fast zu warm eingedeckt. Das Wetter war regnerisch und bewölkt. Mit etwas Sonne wäre es also schnell zu heiß geworden.

5,3 °C
Das war die niedrigste Temperatur, die wir im Test erfassten. Gemessen wurde sie bei Isländer Hjalti bei Außentemperaturen von etwa minus zehn Grad mit Schnee und kaltem Wind. Damit lag der komplett geschorene Hjalti laut App kurzzeitig knapp außerhalb seines Komfortbereichs zwischen sieben und 31 Grad. Hjalti trug eine Decke mit 200-Gramm-Futter im Offenstall.

84 %
So hoch war die Feuchtigkeit unter Chiccos ungefütterter Regendecke an einem Tag mit etwa 15 Grad, etwas Regen und ca. 70 % Luftfeuchte. Unter der Decke war es mit 31 Grad zu warm. "Einen kritischen Wert für die Feuchtigkeit gibt es nicht, da sie auch von der Luftfeuchtigkeit außen abhängt", erklärt Claire Buchanan. Ist der Wert unter der Decke höher als in der Luft, schwitzt das Pferd.

Lesen Sie auch: