Schnurgurte für Pferde: Vorteile, Materialien und Anwendung - Expertenrat

Comeback des Schnurgurts
Diese Vorteile haben Schnurgurte fürs Pferd

Zuletzt aktualisiert am 12.12.2023
CAVALLO Schnurgurte
Foto: Hersteller

Früher war er an vielen Pferdebäuchen zu sehen, bis er von Nylon, Leder und Co. abgelöst wurde und erst einmal in der Versenkung verschwand. Die Rede ist vom guten, alten Schnurgurt. Und wer jetzt an ihn denkt, hat vielleicht sofort das unangenehme Gefühl von Ziepen in den Haaren. "Das ist tatsächlich eine Frage, die mir oft gestellt wird. Ob Schnurgurte nicht an den Pferdehaaren ziepen und sie ausreißen", sagt Nina Wühle aus Baden-Baden in Baden-Württemberg. Nein, sie zupfen keine Haare aus. Das weiß die Pferdephysiotherapeutin (DIPO) ganz sicher. Denn unter "Reiten wie am Schnürchen" verkauft Nina Wühle mittlerweile handgefertigte Schnurgurte, die man immer häufiger wieder sieht. Ein Comeback, das gute Gründe hat.

Wo liegen die Vorteile von Schnurgurten?

Ein Schnurgurt besteht aus einzelnen Schnüren. Dadurch ist er sehr flexibel, bewegt sich also mit der Atmung des Pferds mit und passt sich den Bewegungen an. "Gerade bei Pferden mit Gurtzwang merkt man richtig, wie sich ein Schalter umlegt, sobald sie spüren, dass sie mit einem Schnurgurt atmen können", sagt Nina Wühle. Auch die Druckverteilung ist bei einem Schnurgurt optimal.

Möglich macht die gute Druckverteilung die sogenannte Querwebung in der Mitte des Gurtes. Das sind quer zu den Schnüren ein paar Reihen weiterer Baumwollschnüre, durch die die eigentlichen Gurtschnüre hinurchgleiten. "Dadurch legt sich jede Schnur genau an den Pferdekörper an. Ganz egal, welche Asymmetrien die Gurtlage aufweist oder welche Bewegung das Pferd macht", erklärt Nina Wühle. Wichtig sei, dass die Querwebung keinesfalls fest vernäht ist, denn sonst sind die einzelnen Schnüre nicht beweglich. Die Querwebung brauche der Gurt jedoch, damit die Schnüre sich nicht überlagern, was sonst zu Druckpunkten führen würde. Das ist auch der Grund, weshalb Nina Wühle dafür plädiert, keine Stege aus Leder fest an die Schnüre zu nähen. Sie scheuern und drücken das Pferd.

CAVALLO Schnurgurte
Lisa Rädlein

Durch die einzelnen Schnüre ist der Gurt sehr gut durchlüftet – die Pferde schwitzen darunter viel weniger. Ein weiterer Vorteil: "Sind die Gurte dreckig, aber trocken, sauge ich sie einfach ab", sagt Nina Wühle. "Vorsicht bei Mohair, da ziehen sich einzelne Haare raus." Langgurte aus Baumwolle können auch mal in die Waschmaschine.

Welches Material eignet sich für Schnurgurte?

"Ich bin großer Fan von Baumwolle", sagt Nina Wühle, die ursprünglich Raumausstatterin gelernt hat, sich mit dem Material und der Verarbeitung also auskennt. "Zwar nimmt Baumwolle den Schweiß eher auf, durch die einzelnen Schnüre ist aber trotzdem für einen guten Luftaustausch gesorgt. Zudem ist Baumwolle sehr robust." Schnurgurte aus Kunstfasern sind laut Nina Wühle unangenehm zu verarbeiten. "Das Material lädt sich statisch auf und man bekommt offene Hände bei der Herstellung – und das Pferd wunde Stellen."

Auch Helle Kleven, Buchautorin und Pferdephysiotherapeutin aus Vaterstetten in Bayern, ist von Baumwolle überzeugt, weil das Material so pflegeleicht ist. In ihrem Online-Shop bietet sie einen Schnurgurt auf Maß an, den sie auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Passform und Druckverteilung von Sattelgurten entwickelt hat.

Als die Karriere der Schnurgurte begann – unterm Westernsattel –, war vor allem ein Material im Spiel: "Bei Westernreitern findet man noch Gurte aus Mohairschnüren, den Haaren der Angoraziege", sagt Nina Wühle. "Mohair eignet sich hervorragend, wenn die Gurtlage trocken sein muss und bei empfindlicher Haut." Denn Mohair gibt den Schweiß im Gegensatz zu Baumwolle gleich wieder ab, die Haare darunter bleiben trocken.

Für welche Pferde eignet sich ein Schnurgurt?

Der Schnurgurt ist sehr flach und trägt nicht auf. Deshalb kommt er vor allem Pferden zugute, die rundrippig gebaut sind und somit keine ausgeprägte Gurtlage haben. Bei solchen Pferden kann der Sattelgurt in der Bewegung nach vorne rutschen. Dann stoßen die Ellenbogen dagegen. Das führt zu Druck- oder Scheuerstellen.

Die britische Sattlerin Vanessa Fairfax führte in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern eine Studie zur Passform von Sattelgurten durch, die 2012 veröffentlicht wurde. Das Ergebnis: Der meiste Druck lastet nicht, wie häufig angenommen, auf dem Brustbein des Pferds, sondern direkt hinter den Ellenbogen auf dem Rumpf. Die Bewegungsqualität der Pferde nimmt enorm zu, wenn dieser Bereich, etwa durch einen Ellenbogenausschnitt, entlastet ist. Der Schnurgurt punktet hier, weil er so eine gute Druckverteilung hat, dass keine punktuelle Belastung entsteht.

Für welche Pferde eignet sich ein Schnurgurt nun besonders? Laut Nina Wühle vor allem für Pferde, die unter Gurtzwang leiden, immer wieder offene Stellen in der Gurtlage oder etwa Atemprobleme haben. Der altbewährte Schnurgurt feiert also ein verdientes Comeback.

Wie breit muss ein Schnurgurt sein?

Schnurgurte gibt es meist in einer Standardbreite von rund zwölf Zentimetern. "Für Shettys fertigen wir Gurte mit acht Zentimetern Breite", sagt Nina Wühle. "Das ist nichts für ein Großpferd, da der Druck für die kleine Fläche viel zu hoch wäre." Ein breiter Gurt bietet zwar mehr Auflagefläche und verteilt somit den Druck besser. Zu breit ist aber keine Lösung: "Dann bildet sich beim Reiten eine Falte in der Mitte und die Schnüre überlagern sich", erklärt Nina Wühle.

Worauf sollte man bei Kauf achten?

Schnurgurte gibt es als Langgurt und Kurzgurt. "Bei den Kurzgurten ist ein Schnallenschutz sehr wichtig", sagt Helle Kleven. "Das Pferd darf die Schnalle nicht spüren. Es ist extrem unangenehm fürs Pferd, auf einer kleinen Fläche fast täglich hohen Druck zu spüren. Das wirkt sich auf ihre Biomechanik negativ aus. Viele Pferde gehen dann verhaltener und treten kürzer." Nina Wühle erklärt den Hintergrund für den Schmerz, den das Pferd ohne Schnallenschutz spürt: "In der Gegend liegt ein empfindliches Nervengeflecht. Oft liegen die Schnallen der Kurzgurte genau dort."

CAVALLO Schnurgurte
Hersteller

Ob die Schnallen ausreichend gepolstert sind, können Sie ertasten: Fühlen Sie die Schnalle hinter dem Polster, reicht der Schutz nicht. Helle Kleven verwendet mit Lammfell überzogene Lederplatten, die weich in den Schnurgurt übergehen. Denn harte Kanten des Schnallenschutzes können ebenfalls drücken. Nina Wühle setzt auf Wollfilz als Schnallenschutz: "Ich verwende unkarbonisierten Filz, der noch Wollfett enthält. Dadurch ist er hautschonender und Schmutz dringt nicht ein."

Baumwoll-Schnurgurte wählen Sie beim Kauf etwa fünf Zentimeter kürzer als die passende Länge. "Neue Gurte werden am Anfang etwas länger, behalten aber dann ihre Form", sagt Helle Kleven.

Die Expertinnen

CAVALLO Schnurgurte
privat

Nina Wühle ist Pferdephysiotherapeutin (DIPO). Sie wollte eigentlich nur privat einen Schnurgurt knüpfen. Dank großer Nachfrage verkauft sie seit 2019 Gurte: reiten-wie-am-schnuerchen.de

CAVALLO Schnurgurte
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Helle Kleven schreibt Bücher, hält Vorträge und ist ebenfalls Pferdephysiotherapeutin. In ihrem Online-Shop bietet sie nur Produkte an, von denen sie selbst überzeugt ist: helle-kleven.shop