Studie zu Elite-Dressurprüfungen
Dressurrichter sind voreingenommen

Einer aktuellen Studie zufolge sind Dressurrichter auf Top-Niveau voreingenommen – nicht nur die objektive Leistung fließt in die Note ein. Fast die Hälfte der Varianz kann durch andere Faktoren erklärt werden.

Pferdekopf mit einer Kandare von unten fotografiert
Foto: Lisa Rädlein

Wer im internationalen Viereck viele Punkte sammelt, hat nicht unbedingt an diesem Tag die beste Leistung gezeigt, sondern womöglich nur die gleiche Nationalität wie einer der Richter, startet in seinem Heimatland, rangiert auf der FEI-Rangliste weit oben und startet eher später im Teilnehmerfeld. Denn diese Faktoren haben laut einer aktuellen Untersuchung von Pferdewissenschaftlerin Dr. Inga Wolframm signifikanten Einfluss auf die Noten der Dressurelite. In ihrer Studie an der Universität Van Hall Larenstein beurteilte Wolframm 510 Richterergebnisse aus sieben Fünf-Sterne-Dressurwettbewerben zwischen Mai 2022 und April 2023. Was steckt hinter dieser systematischen Voreingenommenheit? Wolframms These: Richter würden dazu neigen, die Komplexität des Beurteilungsprozesses zu reduzieren und auf "kognitive Abkürzungen" zurückgreifen. Um diese Probleme anzugehen, sollte die FEI der Entwicklung klar definierter, eindeutiger Bewertungsrichtlinien Priorität einräumen, die auf evidenzbasierten, auf das Wohlergehen von Pferden ausgerichteten Kriterien basieren. Dies würde es den Richtern ermöglichen, Leistungen genauer und unparteiischer zu bewerten.

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Dressurergebnisse spiegeln nicht nur objektive Leistung wider

Wolframm sieht durch ihre Ergebnisse bestätigt, dass die Dressurergebnisse auf höchstem Niveau des internationalen Dressursports nicht nur eine objektive Widerspiegelung der Leistungen der Reiter an diesem Tag seien. "Fast die Hälfte der Varianz in den Dressurnoten kann durch die Kombination anderer Faktoren erklärt werden." Richter bewerteten dabei den Daten zufolge nicht nur Reiter mit ihrer eigenen Nationalität besser, sondern auch solche, die die gleiche Nationalität wie Richterkollegen hatten. Auch die Position auf der FEI-Rangliste wirkte sich signifikant aus – die Platzierung auf der Liste stehe in engem Zusammenhang mit der Reputation eines Reiters und sei eine einfach verfügbare Information für die Richter. Der Usus, höher gelistete Reiter später am Tag starten zu lassen, verstärke diesen Effekt noch – denn spätere Starter bewerten Richter laut den Daten ebenfalls unbewusst besser. Einen Heimvorteil konnte Wolframm bei isolierter Betrachtung nicht feststellen: Hier hatten Reiter, die in ihrem Heimatland starteten, sogar einen geringfügigen Nachteil. Grund könnte laut Wolframm sein, dass Richter bewusst versuchten, nicht nationalistisch zu werten und den Heimvorteil überkompensierten. Da jedoch bei den betrachteten Turnieren stets ein Richter aus dem Gastgeberland in der Jury vertreten war, machten die anderen nationalistischen Effekte den Heim-Nachteil wieder wett.

FEI soll transparenteres System schaffen

Die aktuellen Ergebnisse und frühere Forschungen zu anderen Sportarten zeigen Woframm zufolge, dass durch "kognitiven Abkürzungen" regelrechte "Vorurteils-Kaskaden" entstünden. Eine Art der Voreingenommenheit verstärke dabei die andere. Dies führe zu einem unfairen System, das für etabliertere Reiter-Pferd-Kombinationen aus Ländern, die Richter bei Elite-Wettbewerben stellen, von Vorteil sein könne. Wolframm fordert daher die FEI auf, ein transparenteres, eindeutigeres Beurteilungssystem zu entwickeln, das auf evidenzbasierten Kriterien basiert. Vorschlag der Forscherin: Eine Aufgabenteilung unter den Richtern, die sie entlasten könnte. Beurteilung des Pferdewohls, der sportlichen Leistung, der Einwirkung des Reiters und der Bewegungsgenauigkeit könnten auf die Richter verteilt werden, die Beurteilungen sollten offen für eine kontinuierliche Überprüfung sein.

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10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023