Para-Reiten
So reitet Katrin Huber mit nur einem Arm

Katrin Huber war als Kind komplett pferdeverrückt. Nach einem Unfall musste sie das Reiten aufgeben. Wie fand sie den Weg zurück in den Sattel?

CAVALLO hautnah
Foto: Lisa Rädlein

Wilder Lockenschopf, strahlendes Lächeln und breites Schwäbisch: So lernt das CAVALLO-Team die Stuttgarterin Katrin Huber kennen, die bei Dressur-Crack Uta Gräf im pfälzischen Kirchheimbolanden trainiert.

Dabei hatte die heute 49-Jährige vor etwa 30 Jahren wenig zu lachen: Nach einem Motorrad-Unfall blieb ihr linker Arm gelähmt. Heute verschwindet er beim Reiten unter der Jacke, die Zügel trägt Katrin Huber in der rechten Hand. So reitet sie auf S-Niveau – doch zunächst war der Unfall, bei dem sie sich auch den linken Oberschenkel und das Knie kompliziert brach, ein Schock für die leidenschaftliche Reiterin.

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Strubbelkopf trifft Lockenschopf: Uta Gräf (links) und Katrin Huber kennen sich von einem Lehrgang für Para-Reiter. Heute trainieren sie zusammen. Gräf stellt Hubers Pferd zudem auf Turnieren vor.

„Ich konnte mir nicht vorstellen, einhändig zu reiten, und wollte auch im Umgang mit dem Pferd nicht auf Hilfe angewiesen sein.“ Damit war der Reitsport erst mal kein Thema mehr.

Katrin Huber war als Kind jeden Tag im Stall

Heute sitzt sie wieder täglich viele Stunden im Sattel, hat mehrere Pferde und eine ansteckend gute Laune. CAVALLO durfte beim Training mit Uta Gräf dabei sein und erfuhr so, wie Katrin Huber zurück in den Sattel fand. Denn dort saß sie vor ihrem Unfall quasi ständig: Als Kind war sie ein typisches Pferdemädchen. „Ich wohnte ganz in der Nähe eines Reitvereins in Stuttgart und war immer im Stall.“ Sie begann zu voltigieren, später nahm sie Reitstunden. Zum Geburtstag, zu Ostern und Weihnachten gab es immer eine Zehnerkarte.

„Das brachte mich gut durchs Jahr.“ Katrin Huber war es wichtig, mit Pferden zusammen zu sein. „Nach meinem Unfall habe ich mich aber erst mal in meine Arbeit gestürzt und bin 18 Jahre lang nicht geritten“, erzählt sie. Nach ihrer Ausbildung zur Tierarzthelferin arbeitete sie als leitende Angestellte in der Druck- und Medienbranche.

Durch Zufall sah sie dann eines Tages den Working-Equitation-Reiter Rolf Janzen in einer Barockprüfung einhändig reiten. „Das ist es“, sagte sie sich und probierte es einfach aus. Zunächst im Urlaub und auf Schulpferden. Das klappte ganz gut, aber war noch nicht das Richtige. Dann kam sie zum spanischen Ausbilder José Santiago bei Stuttgart. Wenig später kaufte sie den Spanier-Wallach Brasil, ihr erstes eigenes Pferd. Brasil war für sie der beste Lehrer; der Wallach starb vergangenes Jahr mit 22 Jahren an einer schweren Kolik.

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„Mich packte es, als ich eine einhändig gerittene Dressur auf einem Turnier sah.“

Bei einem Para-Kurs traf sie Uta Gräf

In einem Kurs für Para-Reiter lernte Katrin Huber dann Uta Gräf kennen. Die beiden lebensfrohen Frauen mit den wilden Frisuren verstanden sich auf Anhieb.

Die rheinland-pfälzische Landestrainerin für Reiter mit Handicap sorgte dann auch dafür, dass sich zu Katrin Hubers Pferden Carry Me und Sisley Shirocco vor mehr als drei Jahren noch Fleurance gesellte: „Die Stute kam zur Ausbildung und war so fein zu reiten“, erinnert sich Uta Gräf. „Da habe ich Katrin angerufen und gesagt: ,Du, ich glaub, ich hab’ da ein Pferd für dich‘.“

Die Hannoveraner Dunkelfuchs-Stute ist nicht nur super rittig, sondern wickelt die Menschen auch mit ihrem tollen Wesen um die Hufe. Vom CAVALLO-Team lässt sie sich am Hautnah-Tag mit Streicheleinheiten verwöhnen.

Zuverlässige Pferde sind ein Muss

Für Katrin Huber müssen die Pferde auch im Umgang zuverlässig sein. Da sie den linken Arm nicht benutzen kann, legt sie sich beim Hufe auskratzen die Vorderhufe auf die Oberschenkel – und da müssen sie bleiben, bis sie fertig ist. Satteln macht sie ähnlich wie die Westernreiter: Erst legt sie das Pad drauf, dann den Sattel. Beim Zäumen senkt Fleurance – wie alle Pferde von Katrin Huber – den Kopf und macht von selbst das Maul auf.

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Ein paar Tricks beim Fertigmachen: Zum Hufe auskratzen muss das Pferd zuverlässig mitmachen.

Ruhiges Stehenbleiben ist extrem wichtig. Dann geht es los zum Reitplatz. „Brauchen wir noch Fotos ohne Reithelm?“, fragt Katrin Huber. „Wenn ich den jetzt aufgesetzt habe, sehe ich danach aus wie ein Hexenbesen“, scherzt sie.

Spezielle Zügel, aber eigentlich ist der Sitz die Hauptsache

Katrin Huber steigt von rechts auf, weil sie so leichter aufs Pferd kommt und sich mit der rechten Hand am Sattel festhalten kann. „Mir wurde bewusst, wie wichtig solche Kleinigkeiten wie ruhiges Stehenbleiben sind“, sagt Uta Gräf. Katrin Huber hat einen speziellen Zügel, wenn sie auf Kandare und Unterlegtrense reitet. Damit sie nicht vier Zügel in einer Hand hat, laufen die beiden Zügel auf jeder Seite zusammen. „Ich kann also Trense und Kandare nicht differenziert nutzen“, sagt sie.

Doch das braucht sie auch nicht. Von der ersten Minuten an sehen Fleurance und Katrin Huber harmonischer aus als viele Paare ohne Handicap. „Für meine Para-Reiter haben feine Signale eine hohe Bedeutung. Sie haben einfach nicht so viele Möglichkeiten, um einzuwirken“, sagt Uta Gräf.

Katrin Huber reitet alle Lektionen aus dem Sitz heraus – so wie es sein sollte. „Schön seht ihr aus“, lobt die Reitlehrerin. „Lass sie anfangs noch etwas offener im Hals gehen.“ Es macht viel Spaß, den beiden zuzusehen. Fleurance hat stets die Ohren bei ihrer Reiterin und wartet auf jede Hilfe. Katrin Huber sitzt wie angegossen im Sattel mit ihrer schlanken Figur und den langen Beinen. Fleurance geht locker wie auf Wattebäuschen und beherrscht schwierigste Lektionen.

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Reiten mit wenig Hand: Im Galopp geht es auf die Volte.

Fleurance ist mit Uta Gräf sehr erfolgreich

Mit Uta Gräf hat Fleurance schon mehrere S-Dressuren gewonnen, mit Katrin Huber war sie kürzlich bei einer regulären M-Dressur platziert. „Ich möchte generell eher im normalen Regelsport starten“, sagt die Schwäbin. Mit einer Sondergenehmigung für ihren Spezialzügel darf sie dort teilnehmen. Aber auch Para-Turniere sind geplant, wo sie im Grade 5 startet (siehe „Wettkampfklassen im Para-Sport“).

Dann ist das Training zu Ende. Fleurance streckt sich und schnaubt zufrieden. Katrin Huber verbringt meist zwei Tage die Woche bei Uta Gräf. Sie ist in der Medienbranche selbstständig und kann sich ihre Arbeit einteilen. Fleurance bewohnt eine riesige Box mit noch größerem Paddock. „Diese Haltung kann ich ihr in der Großstadt nicht bieten“, sagt Huber.

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Fleurance darf nach der Stunde auf die Weide.

Währenddessen wälzt sich die Stute genüsslich auf dem Paddock. Dieses Paar werden wir sicher auf Turnieren wiedersehen. Und auch wenn es das letzte Mal nicht fürs Treppchen gereicht hat – man könnte den beiden stundenlang beim Training zusehen und sehr viel über feines Reiten lernen.

Wettkampfklassen im Para-Sport

Je nach Handicap gibt es im Spitzensport fünf verschiedene Startklassen (englisch: Grades), in die Para-Reiter eingeteilt werden.

Grade 1: Hier reiten die am schwersten behinderten Reiter. Sie nutzen einen Rollstuhl und sind sehr stark in der Balance eingeschränkt. Prüfungen werden nur im Schritt geritten.

Grade 2: Hier starten ebenfalls meistens Rollstuhlbenutzer mit starken Einschränkungen der Beinfunktionen und der Rumpfbalance. Die Prüfungen bestehen aus Schritt- und kleineren Trabsequenzen.

Grade 3: Diese Reiter benutzen auch einen Rollstuhl, haben aber eine gute Arm- oder Beinfunktion. In der Prüfung wird Schritt, Trab und wahlweise in der Kür im Galopp geritten.

Grade 4: Hier starten Reiter mit den unterschiedlichsten Handicaps, mäßigen körperlichen Einschränkungen, Blinde oder mental Eingeschränkte. Sie reiten Schritt, Trab und Galopp. Die Anforderungen entsprechen etwa denen einer L-Dressur im Regelsport.

Grade 5: Reiter, denen eine Gliedmaße fehlt, oder die sehr schlecht sehen. Die Prüfung entspricht einer L- oder M-Dressur, in der Kür dürfen S-Lektionen ohne Piaffe/Passage dabei sein.

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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023

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