Tiergerechter Rennsport? Neue Tierwohl-Kommission gegründet

Neue Tierwohl-Kommission im Galopprennsport
Wie tiergerecht kann Rennsport sein?

Zuletzt aktualisiert am 27.10.2023
Pferde während eines Galopprennens
Foto: Lockyer / GettyImages

Der Galopprennsport steht immer wieder in der Kritik: Pferde, die sich bei Rennen und im Training schwer verletzen oder sogar sterben; Pferde, die schon als Jährlinge mit dem Training starten und zu früh im Sport zu hohe Leistungen bringen müssen; Pferde, die aufgrund von Stress und Haltungsdefiziten Stereotypien entwickeln. Und das sind nur einige Punkte, die die Frage befeuern, ob und wie tiergerecht der Rennsport sein kann. Der Dachverband Deutscher Galopp e.V. will mit einer Tierwohl-Kommission gegensteuern. Der Stellenwert des Tierschutzes sei sehr hoch, daher sei ein vorbildlicher Umgang mit den Pferden notwendig, um die Akzeptanz in der Gesellschaft zu wahren. Wie will der Galopprennsport auf Kritikpunkte reagieren und was plant die Kommission konkret? Wir haben mit Nastasja Volz-Degel, Leiterin der neuen Tierwohl-Kommission, gesprochen.

Nastasja Volz-Degel
Marc Rühl
CAVALLO: Frau Volz-Degel, die neue Tierwohl-Kommission im Deutschen Galopprennsport soll eventuelle Missstände aufdecken und Potentiale in Sachen Tierwohl identifizieren – wo sind aus Ihrer Sicht Entwicklungen nötig?

Nastasja Volz-Degel: Ein Punkt ist zum Beispiel die Haltung von Rennpferden. Wir wollen prüfen, ob Rennpferde deutschlandweit so gehalten werden, wie wir es uns für mehr Tierwohl wünschen. Hier hat sich schon viel getan, was den Auslauf auf Paddocks und die Weidehaltung angeht. Vor zehn, zwanzig Jahren war es etwa noch die Ausnahme, dass die großen Rennställe mit ihren Rennbahnen Auslaufflächen hatten. Heute haben die meisten diesbezüglich investiert, auch wenn vielen gerade in der Stadt wenig Fläche zur Verfügung steht. Das Interesse der Rennvereine und Trainer an dem Thema ist aber groß. Gerade im städtischen Bereich war hier Nachholbedarf da und es gibt auch noch Potential nach oben.

Wie viel Zeit verbringt ein Rennpferd direkt an der Rennbahn im Rennstall?

Die meisten rücken im Jährlingsalter in die Rennställe ein und bleiben dort, bis sie etwa fünf- bis siebenjährig in die Zucht oder in den Freizeitbereich wechseln. Erfahrungsgemäß könnte man den Tagesablauf von Galoppern im aktiven Rennbetrieb so beschreiben: Morgens um fünf Uhr Stehfutter, ca. einstündiges Training, Schrittreiten, Mittagsfutter, Pause, Koppel/ggf. noch mal Führen, Abendfutter. Außerhalb der Saison wechseln manche für einen sogenannten Winterurlaub in einen anderen Stall oder zurück auf das Gestüt mit ganztägiger Weidehaltung.

Das niedrige Alter, in dem Rennpferde eingeritten werden und an den Start gehen, ist einer der größten Kritikpunkte am Galopprennsport. Wird die Tierwohl-Kommission diesen Punkt angehen?

Die 2020 überarbeiteten Leitlinien für Tierschutz im Pferdesport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sehen einen frühestmöglichen Ausbildungsbeginn mit 30 Monaten vor, bis zur Teilnahme an Wettbewerben sollen in der Regel sechs Monate Trainingszeit eingehalten werden. An der Erarbeitung der Leitlinien waren verschiedene Verbände beteiligt, etwa Tierschutzverbände und auch der Deutsche Galopp. Das Ministerium hat in den Leitlinien eine Ausnahme für Galopp- und Trabrennpferde festgelegt, das Training darf früher beginnen. Nun fördert das Ministerium eine Studie, die u.a. zeigen soll, ob Vollblüter tatsächlich früher belastbar sind. Bis 2025 werden dabei Vollblüter unter reellen Bedingungen in Rennställen begleitet. Auch Warmbluthengste werden beispielsweise im Rahmen der Studie untersucht, etwa im Hinblick auf eine frühe Nutzung bei Körungen. (Link zu den Studien-Infos: "Untersuchung der frühen Nutzung von Pferden und möglicher Maßnahmen zur Vermeidung einer Überforderung oder Überlastung" (HorseWatch))

Wie stehen Sie als Leiterin der Tierwohl-Kommission zum frühen Trainingsbeginn im Galopprennsport?

Meine Einschätzung als Gestütsleiterin und Pferdewirtschaftsmeisterin für Zucht und Galoppertraining ist, dass Vollblüter tatsächlich wesentlich frühreifer sind als Warmblutpferde. Zudem muss vor dem Einstieg ins Training jedes Vollblutpferd von einem speziell geschulten Tierarzt untersucht werden. Gleiches gilt vor dem ersten Start auf Leistungsebene. Sprich: Bevor Galopper zu ihrem ersten Rennen zugelassen werden, müssen sie eine veterinäre Renntauglichkeitsprüfung bestehen. Voraussetzung ist die Reife des einzelnen Pferdes, seine Entwicklung durch gezielte Fütterung und seine mentale Stabilität. In Deutschland kommen laut aktuellen Zahlen rund 30 Prozent der zweijährigen Pferde an den Start. Dennoch denke ich, die Studie ist wichtig. Denn wenn gezeigt wird, dass es orthopädische Schädigungen durch den frühen Trainingsbeginn gibt, müssen wir etwas verändern.

Wie soll die Arbeit der Tierwohl-Kommission konkret aussehen? Welche Schritte sind geplant?

Wir verfolgen das Ziel bestmögliche Standards in der Haltung und im Umgang mit den Pferden zu etablieren. Die Tierwohl-Kommission besteht aus Experten aus dem Pferdeveterinär-, Funktionärs- und Aktivenbereich – diese "geballte" Expertise möchten wir bündeln, aufbereiten und nutzen, um Aktive auf allen Ebenen für eine ideale Begleitung der Pferde zu schulen. Wir haben eine erste Infoveranstaltung für Trainer geplant, bei der wir uns vorstellen. Für 2024 wollen wir dann auch Fortbildungen in diesem Bereich anbieten, zum Beispiel über Pferdeverhalten. Wir wollen ein breiteres Angebot für die Trainer schaffen. Da geht es beispielsweise um die Sensibilisierung von Tierwohl-Themen nach innen und darum, die Leute innerhalb des Sports mehr zu coachen. Gleichzeitig wollen wir auch nach außen tragen, was schon passiert: So findet etwa in den Gestüten eine hervorragende Aufzucht mit viel Weideland statt. Auch mit Tierschutzvereinen wollen wir uns austauschen: Welche Forderungen haben sie, was machen wir schon? Und nicht zuletzt behalten wir Forderungen des Gesetzgebers hinsichtlich Tierschutzfragen sowie Innovationen rund um die Welt im Blick.

Sie sehen den Galopprennsport mitunter pauschaler Negativkritik ausgesetzt – wie genau sieht diese Ihrer Ansicht nach aus?

Der Galopprennsport in Deutschland hat eine bereits 200-jährige Tradition. Leider haben sich in der Gesellschaft Vorurteile verfestigt, die nicht der heutigen Zeit entsprechen. Wir werden ungeprüft mit Schlagworten wie "elitär", "Geldmacherei" und "Tierquälerei" konfrontiert. Dabei hat schon längst ein großer Wandel stattgefunden. Renntage werden als Veranstaltung für die ganze Familie angeboten. Für die Refinanzierung sind Unterhaltungs-Veranstaltungen rund um die Pferderennen und; eben auch; das Wettgeschäft notwendige wirtschaftliche Faktoren. Besitzer oder Besitzerin eines Vollblutpferdes ist man aus Herzblut und Leidenschaft; großes Geld macht damit kaum einer. Und insbesondere hinsichtlich des Tierschutzes gilt Deutschland als das Land mit den striktesten Regeln. Heute wird oft bereits infrage gestellt, ob es okay ist, wenn Pferde überhaupt geritten werden. An Renntagen gibt es teilweise Proteste von Tierschützern, die so tun, als ob unendlich viele Pferde durch den Rennsport zu Tode kämen. Ja, es gibt Unfälle im Sport, und jeder Einzelne ist tragisch. Wir ergreifen deshalb alle uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen, um diese zu verhindern: von der optimalen Pflege und Vorbereitung des Geläufs und den zwingend vorgeschriebenen tierärztlichen Untersuchungen vor Trainingsbeginn und vor dem 1. Lebensstart, über das angepasste Training bis hin zur tierärztlichen Betreuung während des Renntags. In Bezug auf die jährlich auf den deutschen Galopprennbahnen startenden Pferde ist dadurch die Prozentzahl derer, die in Folge von Unfällen sterben, relativ gering: 2020 lag der prozentuale Anteil der Rennpferde, die nach einer Verletzung in einem Galopprennen aufgegeben werden mussten, bei 0,023 Prozent. Das entspricht zwei von 8.655 gestarteten Galoppern. 2021 waren es 0,07 Prozent und 2022 0,11 Prozent. Gänzlich lassen sich Unfälle mit tödlichem Ausgang im Galopprennsport leider nicht vermeiden, aber auch auf der Weide kann etwas passieren.