Corinna Lehmann macht Reiter locker

Reitlehrer-Porträt: Dressurausbilderin Corinna Lehmann
Corinna Lehmann macht Reiter locker

Zuletzt aktualisiert am 30.09.2011

Gerade hat sie noch mit dem Po gewackelt, jetzt rennt sie. Wenn Corinna Lehmann Reitunterricht gibt, wirkt sie ein wenig wie ein Stummfilm-Held. Und ihre Reiter verstehen ohne Worte, was sie tun sollen. Dabei kaspert Lehmann nicht durch die Reitbahn wie Charlie Chaplin über die Leinwand. Aber die 43-jährige Dressurausbilderin aus Langenberg/Nordrhein-Westfalen verpackt originelle Lösungsansätze so anschaulich, dass ihre Schüler oft in kürzester Zeit erstaunliche Erfolge erzielen. Das konnten auch CAVALLO-Leser schon erleben. Egal, ob mit Holz-Feder-Pferd Federik, beim Aussitzen, bei Reit-Problemen oder der Frage, wie Pferde ihre Reiter beeinflussen – mit Corinna Lehmann sind Aha-Effekte garantiert.

Dafür gibt Lehmann alles. Sie beugt sich vor und zurück, wiegt die Hüfte, streckt die Arme in alle Richtungen und fordert zum Nachmachen auf. Die Reiter staunen, machen mit und merken, wie sich ihre Pferde verändern. Der Grund: Corinna Lehmann hat Dutzende Reiter und Pferde systematisch und genau analysiert. Und daraus Übungen entwickelt, die jedem helfen.

Araber bildet sie zu Dressurpferden aus

Fürs Verstehen und Vermitteln hat sie Talent. "Das kam mir schon im Jurastudium und in meinem langjährigen Job in der Juristenschulung zugute", erzählt die nur knapp 1,65 Meter große, schmale Brünette, die ab 1990 in Osnabrück und Heidelberg Rechtswissenschaften studierte und 1998 das zweite Staatsexamen ablegte. Warum steht Corinna Lehmann heute nicht in einer Robe vor Gericht, sondern in staubigen, heißen oder eiskalten Reithallen? Weil die Liebe zum Pferd stärker war als die Vernunft und ein sicherer Job. Schon während des Studiums wurden Pferde immer wichtiger. Ein Züchter stellte ihr ein Turnierpferd zur Verfügung, immer öfter baten Stallkollegen um Hilfe. In Heidelberg nutze Lehmann ihre Kontakte in den Norden, holte junge Pferde zur Ausbildung und verkaufte sie weiter. "Ein eigenes Reitpferd hätte ich mir nicht leisten können", sagt Corinna Lehmann. "Doch auf diese Weise finanzierte sich mein Hobby fast von selbst."

Mit dem achtjährigen Vollblutaraber-Hengst Moneera Siptah, genannt Bubi, bekam Corinna Lehmanns reiterliche Laufbahn ab 1995 eine neue Richtung. "Ohne ihn wäre ich nicht, was ich heute bin", gibt Lehmann zu. "Denn ihn musste ich kreativer und feiner reiten als jedes andere Pferd zuvor." Gemeinsam mit einer Freundin und deren Araber-Hengst ritt Lehmann Vorführungen in ganz Europa. Ihre Auftritte gefielen dem Publikum und Züchtern, und bald kamen immer mehr Araber zum Training. Dazu trug auch Dressurausbilder Kurt Albrecht bei, ehemaliger Leiter der spanischen Hofreitschule in Wien und Autor von Klassikern wie den "Dogmen der Reitkunst". Aus einem Treffen bei einem Araber-Turnier entstand 1998 eine intensive zweijährige Zusammenarbeit, die Corinna Lehmann in der Dressur an Lektionen wie Piaffe, Passage, Galopp-Pirouetten und Co. heranführte. "Besonders beeindruckte mich allerdings Kurt Albrechts konsequente Leichtigkeit und die große Ruhe und Disziplin im Umgang mit Pferden", sagt Lehmann.

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Lisa Rädlein

Konsequenter Reitunterricht ohne Geschrei

"Pack zu!" oder "Hau drauf !" ist deshalb bei Lehmann nie zu hören. Klappt etwas nicht, sucht sie noch gründlicher nach der Ursache des Problems. Und schafft sofort Abhilfe. Für neue Reitschüler etwa hat sie ein Sammelsurium an Sattelunterlagen im Kofferraum ("Damit wir gleich sinnvoll arbeiten können"). Hartnäckige Reiterfehler bekämpft sie mit cleveren Bildern ("Kipp beim Treiben das Becken nicht nur vor und zurück, du reitest keinen Delphin").

Heute lebt Corinna Lehmann mit ihrem Lebensgefährten Marco Zanaglia, einem Bereiter und Springtrainer, in Ostwestfalen auf einem kleinen Hof. Dort sind nur die eigenen acht Pferde des Paars untergebracht, darunter auch Bubi und zwei Nachwuchs-Araber. Den juristischen Job hängte Lehmann 2008 an den Nagel. Seitdem gibt sie nur noch Reitunterricht und Lehrgänge (www.corinna-lehmann.de).

Deutschlandweit können Reiter von Lehmanns gründlichen Analysen und ihrem großen Ideenfundus profitieren. "Dabei muss ich dem Pferd meistens nichts beibringen", stellt die Trainerin klar, "sondern zuerst Störfaktoren wie unpassende Sättel, Schmerzen oder fehlende Fitness beseitigen und eine solide Basis legen." Dafür ist ihr jedes pferdefreundliche und leicht umsetzbare Mittel recht. So wie die "Ausbildungsskala für Reiter", die Lehmann in ihrem Buch "Bausteine Dressurreiten" vorstellt. Sie umfasst sechs zentrale Fähigkeiten, denen CAVALLO ab der Oktober-Ausgabe eine neue Trainings-Serie widmet. Der Clou: In jeder der sechs Folgen gibt es neue Übungen, die jedem Reiter helfen. Aha-Effekte sind garantiert.

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Lisa Rädlein

Federn auf Holzpferd Federik

Die Idee von einem beweglichen Holzpferd zur Sitzschulung schlummerte lange in Corinna Lehmanns Ideen-Kiste. Erst als Reitschüler und Bauunternehmer Josef Lücke 2003 von dem Einfall hörte, wurde aus der Idee Realität. Lücke vermaß sein eigenes Pferd, baute es im Verhältnis nach und setzte an allen anatomisch wichtigen Gelenken Federn ein – Federik war geboren.

"Im Gegensatz zu den bisherigen Tonnenpferden hat er einen schmaleren Rumpf, so dass der Reiter ein realistisches Sitzgefühl bekommt", sagt Corinna Lehmann. Die Federn an Beinen, Hals und Genick lassen Federik schwingen, wenn Reiter oder Trainer ihn durch ihre Bewegungen antreiben. Im Schritt und Trab fühlt sich das ziemlich lebensecht an, nur der Galopp ist noch schwierig (siehe CAVALLO 2/2006). Das Feder-Pferd spiegelt die Bewegungen des Reiters ungefiltert. Der lernt so, wie er seinen Körper im Sattel einsetzen muss – ganz ohne dabei einem echten Pferd in den Rücken zu fallen.

2005 meldeten Lehmann und Lücke Federik zum Patent an. Seitdem begleitet er die Ausbilderin zu Kursen und Messen, etwa bei der Equitana am CAVALLO-Stand. Jetzt soll der hölzerne Helfer in Serie gehen. Er ist längst nicht auf die Sitzschulung beschränkt. "Federik kann auch beim Therapeutischen Reiten, in der Physiotherapie und sogar beim Film helfen, zum Beispiel in Stuntszenen", sagt Lehmann. Anfragen aus diesen Bereichen hat sie schon.

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Lisa Rädlein